mitte 1995

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Nr.12 onlineversion

Nationalzeitung frey Haus

Müssen IG-Medien-Mitglieder demnächst die Nationalzeitung verteilen?

"Berlin - Nationalzeitungsfreie Zone" so lautet die Aufschrift eines gemeinsamen Aufklebers von IG Medien und HBV. Doch künftig könnte es passieren, daß Mitglieder der IG Medien gezwungen sein könnten, die Deutsche Nationalzeitung an AbonnentInnen zuzustellen. Der Grund: Es gibt ernstzunehmende Gerüchte, daß bei der BZV (Berliner Zustell- und Vertriebsgesellschaft mbH) mit dem Gedanken gespielt wird, künftig auch die Deutsche Nationalzeitung auszuliefern.

Die BZV, im Februar 1994 als Gemeinschaftsprojekt der Zustelldienste von Berliner Morgenpost und dem Tagesspiegel gegründet, ist in Berlin für die Abonnentenbelieferung fast aller Berliner wie überregionaler Tageszeitungen zuständig, so auch die taz und seit Beginn diesen Jahres die Junge Welt.

Der im Druckschriften- und Zeitungsverlag (DSZ) wöchentlich erscheinenden Nationalzeitung, die eine Auflage von ca. 130.000 Exemplaren erreicht, wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz bescheinigt, "systematische aggressive Agitation ... gegen ethnische Minderheiten" zu betreiben. Zudem gilt sie als größte und weitverbreiteste rechte Publikation in der Bundesrepublik. Hinter dem DSZ und damit hinter der Nationalzeitung steht Dr. Gerhard Frey, ein bekannter Rechtsextremist. Der 61jährige war in der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) aktiv und gründete 1971 die Deutsche Volksunion (DVU), deren Vorsitzender er heute noch ist. Laut Verfassungsschutzbericht 1992 ist die DVU die mitgliederstärkste rechtsextreme Partei. Angeblich soll Dr. Frey auch Kontakte zur "Wehrsportgruppe Hoffmann" gehabt haben, die für das Bombenattentat auf das Münchener Oktoberfest im Jahre 1980 verantwortlich gemacht wird.

Die extreme politische Ausrichtung des Dr. Frey spiegelt sich in der Deutschen Nationalzeitung wieder. Seit 1958 ist Frey an dieser Zeitung beteiligt, seit 1960 gehört sie ihm ganz. Damals trug sie allerdings noch den Namen Deutsche Soldatenzeitung.

Die Zeitung macht aus ihrer politischen Ausrichtung keinen Hehl. Das Verhältnis zur Geschichte ist eindeutig durch Sympathie mit den Nationalsozialisten geprägt. So werden Videos zum Verkauf feilgeboten, die die deutschen "Kriegshelden" hochleben lassen. Anläßlich der Vorfälle in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 titelte das Blatt: "Gewalt gegen Ausländer - Notwehr oder Verbechen?" Auch sonst sprechen die Schlagzeilen der Nationalzeitung für sich: Da heißt es zum Beispiel "Hilfe, die Zigeuner kommen! Eine Million will einmarschieren", "Kein Jude vergast: Was in Dachau wirklich geschah" oder "Wie 6 Millionen Deutsche ermordet wurden. Der Wahre Holocaust an unserem Volk. Die verheimlichten Verbrechen der Sieger" und so weiter.

Der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt meinte Ende der 60er Jahre, die Sprache der Nationalzeitung sei "die Sprache der potentiellen Mörder von morgen", was sich mit Mölln und Solingen leider längst bewahrheitet hat.

Die längste Zeit waren die Nationalzeitung und die Deutsche Wochenzeitung an nahezu allen Kiosken erhältlich. 1992 startete jedoch eine Jugendgruppe eine Kampagne mit dem Motto "Stoppt Nazi-Zeitungen", mit der sie sich gegen den öffentlichen Verkauf dieser fremdenfeindlichen, antisemitischen und revanchistischen Publikationen richtete. In Hamburg beteiligten sich an dieser Kampagne neben der HBV und der DAG auch die IG Medien. Teilweise ist es auf diesem Wege wohl gelungen, die Vertreiber bzw. Verkäufer über den Inhalt der Zeitungen zu informieren.

Die Überlegung der BZV, künftig auch die AbonnentInnen der Deutschen Nationalzeitung zu beliefern, geht einen Schritt zurück. Die Zustellung per Zeitungsboten ist für den DSZ sicher kostengünstiger als der bisherige Postvertrieb. Aber es könnte sich die Situation ergeben, daß ZustellerInnen gegen ihr Gewissen zum Austragen dieser Blätter gezwungen werden oder daß ausländische KollegInnen diese Zeitungen zustellen müssen.

Ein Recht, mit dem eigenen Gewissen nicht vereinbare Arbeit zu verweigern, gibt es bisher nicht. Dabei wird dies seit langem von Gewerkschaften wie der DPG, der NGG und auch der IG Medien gefordert. Zwar gibt es jetzt eine Gesetzesinitiative der Grünen/Bündnis 90 im Bundestag zur "Schaffung von Rechtssicherheit für ArbeitnehmerInnen, die die Produktion rassistischer und rechtsextremer Propaganda verweigern und dafür auch keine Dienstleistungen erbringen wollen", aber mit nur wenig Aussicht auf Erfolg. Das Strafrecht indes sieht längst eine Verantwortung auch der Ausliefernden vor. Wird eine Publikation wegen Volksverhetzung nach §130 Strafgesetzbuch oder wegen Aufstachelung zum Rassenhaß nach §131 Strafgesetzbuch verurteilt, so können als "Mittäter" all jene belangt werden, die an der Verbreitung des Schriftstückes beteiligt waren. Sowohl AutorIn, VerlegerIn, HerausgeberIn über DruckerInnen bis zu ZustellerInnen bzw. VerkäuferInnen.

Vielleicht bedarf es ja nur der Aufklärung und die BZV verzichtet auf den sicherlich geringen Betrag, den der Vertrieb rechtsextremer Zeitungen einbringen wird. Falls nicht, bleibt den ZustellerInnen wohl nur der eigene Ideenreichtum, um jedesmal eine Ausrede parat zu haben, warum die Nationalzeitung ihren Empfänger nicht erreicht. Vielleicht hat der Wind sie weggeweht, vielleicht hat sie jemand geklaut, vielleicht war der Briefkasten des Kunden nicht aufzufinden, vielleicht...

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