mitte 1995

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Nr.12 onlineversion

Gewalt - rechte Gewalt - Rassismus

Der folgende Artikel stammt von einem GEW-Kollegen, Lehrer am OSZ Maschinenbau- und Fertigungstechnik in Reinickendorf. Er versucht einige Aspekte des gesellschaftlichen Hintergrundes von Gewalt, vor allem an Berufsschulen anzusprechen.

Der Situation in den Schulen wird meist nur dann verstärkte Aufmerksamkeit zuteil, wenn spektakuläre Vorfälle passieren.

Wenn es zum Beispiel heißt:

- Schüler streckt Lehrer mit einem Beil nieder!

- Schulleiter von Schüler mit dem Messer niedergestochen!

- Schüler vor der Schule beraubt und zusammengeschlagen!

- Schüler von Schülern erpreßt und mißhandelt! Etc, etc.

Bei diesen (realen) Schlagzeilen könnte man diskutieren ob es Ausnahmen sind, oder ob diese Gewalttaten auch ein Spiegelbild der Gesellschaft sind.

Der letzteren These möchte ich weitgehend zustimmen, da dieses OSZ, mit seinen etwa 3000 SchülerInnen ein breites Spektrum der Gesellschaft widerspiegelt.

So sind alle politischen Richtungen in der Schülerschaft, wie in der Lehrerschaft vorhanden.

An unserem OSZ Maschinenbau und Fertigungstechnik werden hauptsächlich industrietechnische Berufe ausgebildet. Da in Berlin, wie man weiß, die produzierende Industrie sich weitgehend zurückzieht bzw. ziehen will, werden auch weniger Ausbildungsplätze in diesem Bereich angeboten. Das bedeutet Jahr für Jahr für die 70% Schulabgänger, die eine Ausbildung machen wollen, daß sie sich auf immer weniger Ausbildungsplätze bewerben können.

Immer mehr Jugendliche fallen so durch die Roste und werden von Sonderbildungsmaßnahmen, wie z.B. BV, BB10, VZ11, und überbetrieblichen Ausbildungsstätten aufgefangen.

Es sind hauptsächlich ausländische SchülerInnen und SchülerInnen ohne, mit und mit erweitertem Hauptschulabschluß. Sie haben oft 40 Bewerbungen und mehr hinter sich und werden dann meist vom Arbeitsamt in Weiterqualifizierungs- oder Beschäftigungseinrichtungen geschickt.

So kommen sie zu uns, weil in unserem OSZ die SchülerInnenzahl rapide gesunken ist. Hier werden SchülerInnen in Bildungsmaßnahmen zusammengebracht wie z.B. die Berufsvorbereitung (BV), die weiterhin ihren Haß auf die Gesellschaft, sprich Schule, zum Ausdruck bringen und verstärken damit das Gewaltpotential sowie extreme politische Richtungen, vielfach rechtes faschistoides Gedankengut.

Lehrer sind überfordert

Die LehrerInnen an den OSZ sind auf diese Art von SchülerInnen nicht vorbereitet. Es sind Berufspädagogen, die meistens aus der Ingenieurwissenschaft kommen, in der die pädagogische Ausbildung viel zu kurz kam. Verwöhnt von den BerufsschülerInnen stehen sie jetzt einer Schülerschaft gegenüber, die keinen Bock auf nichts haben, einige schon vorbestraft sind und auf Bewährung in diese Bildungsmaßnahmen geschickt wurden, die Schule und LehrerInnen hassen und sich von der Erwachsenenwelt nicht verstanden fühlen.

Weiterhin gibt es keinen Rahmenplan für diesen Bildungsgang, geschweige Unterrichtsmaterialien. Jetzt könnte man behaupten, toll, wir können alles tun, nur Spaß soll es machen. Klingt schön, ist aber nicht umsetzbar. Wir sind mit 23 Unterrichtsstunden voll in die Berufsbildung Metall eingebunden, was bedeutet, daß diese sonderpädagogische Maßnahme des Senates nebenbei läuft und auch so gehandhabt wird.

Einige SchülerInnen haben den Schwerpunkt Metall, andere aber Gartenbau oder Hauswirtschaft. So kann man ein vereinheitlichtes Vorgehen nicht erarbeiten. Somit macht jeder was er will. Die SchülerInnen haben keine Lust, die LehrerInnen auch nicht. In die Klasse wird meistens der Video-Recorder hineingeschoben und von morgens bis mittags Filme gezeigt, die fast alle der Indexliste des Schulsenates zum Opfer fielen. Unter dem Motto, man muß die SchülerInnen dort abholen, wo sie sind, werden gewaltverherrlichende, sexistische, faschistoide Filme und solche mit völkerfeindlichen Inhalten gezeigt.

Alle gegen alle

LehrerInnen reagieren nicht mehr auf sprachliche Entgleisungen, auf Gewaltsprüche und Drohungen und sehen häufig weg, wenn es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt.

Daß viele LehrerInnen keine Lust haben, in diesen Bildungsgängen zu arbeiten, merken die SchülerInnen sofort und es kommt oft zu bedrohlichen Situationen in der Klasse. Für viele Jugendliche bleibt als "Identität" oft nur noch ihre (vermeintliche) Nationalität. Deutsche machen Türken an, Türken die Polen, die wiederum die Afrikaner und alles genauso umgekehrt. Jeder für sich und alle gegen alle.

Da der Ausländeranteil in diesen Klassen sehr groß ist und der Rassismus bei vielen LehrerInnen auch nicht haltmacht, bekommen gerade die ausländischen SchülerInnen den täglichen Rassismus zu spüren und rechte SchülerInnen werden in ihrer Meinung bestätigt, vor allem Schüler aus dem Ostteil dieser Stadt.

Dem Senat von Berlin fällt auf der einen Seite für die LehrerInnen Stundenerhöhung, Ermäßigungsabbau und Gehaltskürzungen ein, und auf der anderen Seite für die SchülerInnen nur solche Bildungslehrgänge, die in erster Linie die Statistiken über arbeitslose Jugendliche kaschieren sollen. Wenn das so weitergeht, werden diese OSZ zu sozialem Sprengstoff, der jederzeit zünden kann.

Schon jetzt haben wir Wochen, in denen es fast jeden Tag zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt und die Polizei gerufen werden muß. Abhilfe wird es wahrscheinlich erst dann geben, wenn es jeden Tag an diesen Schulen Probleme gibt und Tote unter Schülern und Lehrern zu beklagen sind... Nur dann????

Ich meine, nein! Die Pädagogen und die Gewerkschaften, die mit Berufsausbildung etwas zu tun haben, müssen die Miseren des Bildungssystems aufzeigen und an die Öffentlichkeit gehen. Denn die arbeitslosen Jugendlichen, die das unterste Ende der Gesellschaft bilden, haben keine Lobby und können sich nur mit Gewalt, Graffiti, ihrer Musik, ihrer Mode und ihrem Drogenmißbrauch Aufmerksamkeit und Ventile schaffen. - Nun denn!

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