mitte 1995

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Nr.12 onlineversion

Eine ganz normale Klasse...

In einer Berufsschule, in der neben den deutschen SchülerInnen auch drei türkische sind, kommt es während des Unterrichtes zum Streit. Ein deutscher Schüler fühlt sich durch das 'schwätzen' seiner türkischen Mitschüler gestört und tut dies kund. Das daraufhin entstehende Wortgefecht wird durch den Lehrer unterbrochen. Der Konflikt solle während der Pause ausgetragen werden.

Als die Schüler diesen Rat befolgen, kommt es zu einer tätlichen Auseinandersetzung in deren Verlauf der deutsche Schüler von einem türkischen mit einem Messer verletzt wird. Ab hier gibt es zwei Versionen. Die türkischen Schüler sagen, daß zwei von ihnen schlichten wollten und eingriffen als der dritte ein Messer zog. Der Rest der Klasse hingegen will gesehen haben, daß alle drei Türken gleichermaßen den Deutschen angriffen. Welche Schilderung nun dem tatsächlichen Hergang entspricht, kann nicht mit Sicherheit aufgeklärt werden - die Aussage einer Mehrheit steht gegen die Aussage einer Minderheit. Die Schule muß den Vorfall den Arbeitgebern melden.

Geschehen ist dies im Herbst letzten Jahres im OSZ Handel in der Wrangelstraße.

Wenige Tage später erfährt der Betriebsrat des Betriebes der türkischen Schüler, daß alle drei entlassen werden sollen. Dem Betriebsrat kommt die Geschichte komisch vor, nicht zuletzt wegen der eindeutigen Spaltung der deutschen und ausländischen SchülerInnen. Sie beginnen mit Nachforschungen.

LehrerInnen bezeichnen die Klasse als unauffälig - als normal. Die türkischen Schüler waren zwar innerhalb des sogenannten Klassenverbandes immer unter sich, aber es gab auch keine besonderen Auseinandersetzungen. Auch ist bei keinem der deutschen SchülerInnen eine rassistische Haltung aufgefallen. Bei den SchülerInnen stehen auch im nachhinein die Fronten - die deutschen bleiben ebenso wie die türkischen bei ihrer Schilderung des Hergangs. Zwar berichten die türkischen Schüler von rassistischer Anmache, auch während des beschriebenen Konfliktes, aber keinem der Deutschen läßt sich etwas nachweisen. Auch bei Gesprächen mit letzteren durch den Betriebsrat ist nichts dergleichen merkbar.

Letztlich wird dem türkischen Auszubildenden, der den deutschen mit einem Messer verletzt hat, gekündigt. Die beiden anderen können selbst kündigen. Dies erhöht zumindest die Chance einen neuen Ausbildungsplatz zu finden (was ihnen auch gelang). Die Eltern der, noch minderjährigen Auszubildenden reagieren resigniert. Für sie ist es nicht überraschend, daß die Deutschen gegen AusländerInnen zusammenhalten.

Das Problem an der Berufsschule existiert nun nicht mehr - es gehört der Vergangenheit an.

Nach der Auseinandersetzung am OSZ Handel gab dort es viele Diskussionen und Gespräche. Drei SchülerInnen, angeblich alleine verantwortlich für die Eskalation eines Streites, verloren ihren Ausbildungsplatz und sind somit auch nicht mehr an der Schule. Dort ist nun eine Klasse mit deutschen SchülerInnen, die sich in Zukunft weder über ihre ausländischen Mitschüler ärgern, noch mit ihnen auseinandersetzen muß. Aber ist das Problem damit gelöst?

Wenn ein derartiger Konflikt wie am OSZ Handel mit Waffen ausgetragen wird, gibt es nichts zu beschönigen - so etwas ist einfach nicht akzeptabel. Auch die Frage, welche Beschreibung des Vorfalls der Wahrheit entspricht, spielt heute eine untergeordnete Rolle. Vielmehr steht die Frage im Vordergrund, welche Maßnahmen die Schule einleitet, um die Eskalation von solchen Streitereien in 'normalen Schulklassen' zu verhindern. Die Schule hat seit dieser Auseinandersetzung die Pausenaufsicht verstärkt.

Die Situation an Schulen verschärft sich: Finanzkrise, LehrerInnenmangel und große Klassen sind nur einige Stichworte. Die Arbeitsbedingungen von LehrerInnen verschlechtern sich merkbar und sie sind oft nicht nur überlastet, sondern auch überfordert. Dies zu ändern erfordert ohne Zweifel ein entsprechendes politisches Vorgehen im 'Großen'.

Trotz allem müssen sich LehrerInnen auch die Frage stellen, ob sie eine politische Verantwortung in ihrem Schulalltag wahrnehmen. In einer gesellschaftlichen Situation, in der Rassismus zum Alltag gehört, sind auch LehrerInnen notwendig, die darauf reagieren - und nicht erst wenn rassistische Anmache nicht mehr zu übersehen ist. In einer 'normalen'Klasse, in der die ausländischen SchülerInnen unter sich bleiben/ausgegrenzt sind, sollten LehrerInnen dies zum Thema machen und dem etwas entgegensetzten. Konflikte sollten auch genau dann gelöst werden, wenn sie auftreten, und nicht - zugunsten eines Lehrplanes - auf Pausen verlegt werden... Und in solchen 'normalen' Klasen allemal.

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