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Nr.4 onlineversion

Nichts auf sich beruhen lassen!

Erfahrungen mit Nazis im Betrieb

Nazischmierereien im Betrieb lassen sich relativ leicht entfernen oder übermalen, bei rassistischen Sprüchen wird´s schon schwieriger. Trotzdem kann man/frau entweder einfach "jetzt reichts" sagen oder auch 'ne Diskussion anfangen. Was aber, wenn jemand mit mehr oder weniger geschickter Nazi-Propaganda nach und nach eine ganze Gruppe im Betrieb hinter sich bringt? Mit dem Typ diskutieren oder ihn ausgrenzen oder bloß keinen Staub aufwirbeln und so tun als wäre nichts?

Vor genau diesem Problem steht die Jugend- und Auszubildendenvertretung (JAV) und mit ihr auch der Betriebsrat der Firma Bosch in Berlin. Einer der Azubis trat bald nach Beginn seiner Ausbildung offen als Neonazi auf. Dementsprechend haben das auch fast alle mitbekommen:

- Seine KollegInnen im Lehrjahr, die er im Betrieb mit "Ausländer raus"-Aufklebern der NF (Nationalistische Front) und Rep-Propagandamaterial beglückte;

- die JAV und der Betriebsrat, weil einige Azubis Kostproben der Nazipropaganda an die JAV übergaben, damit diese etwas dagegen unternehme;

- der Ausbilder, der in der Werkbank des Typen eine Waffe fand und sie wieder zurücklegte;

- der Berufsschullehrer, der dazu kam als ein paar Azubis dem Typen in der Klasse eine Hakenkreuzfahne wegnehmen wollten und das ganze mit dem Spruch kommentierte: "In der Schule bitte nicht mehr";

- die Jugendbildungsreferenten der IG-Metall, die auf einem Seminar, an dem der Typ teilnahm, überlegten, ob sie ihn wegen seiner Sprüche nach Hause schicken sollten.

Die damalige JAV wandte sich in der Sache an den Betriebsrat, mit dem Ergebnis, daß JAV und Betriebsrat das ganze auf sich beruhen ließen. Inzwischen hat der Typ ausgelernt, im Betrieb ist nichts weiter passiert. Also alles halb so wild?

Sicher nicht. Im Laufe der Ausbildung hat sich fast die ganze betreffende Ausbildungsgruppe hinter die Sprüche, Witze und Flugblätter des Nazi-Propagandisten gestellt und hat auch gerade darüber ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. So wurde dann zum Beispiel auf einem Firmenseminar in Westdeutschland von einigen aus dieser Gruppe am 20. April auf Hitlers Geburtstag angestoßen...

Die JAV wurde mit dem Problem nochmal anders konfrontiert. Bei den letzten JAV-Wahlen wurde er als Nachrücker gewählt.

Schief gelaufen ist in dieser Geschichte einiges. Die Bosch-JAVis sehen den Hauptfehler darin, daß sie zu lange die Augen verschlossen haben und das Thema Neonazis im Betrieb nie direkt angegangen sind. Je mehr Zeit verstrichen ist, umso schwieriger wurde es direkt einzugreifen, umso stärker wurde der Einfluß des Typs auf die Auszubildendengruppe und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Gruppe. Die JAV schätzt die ganze Geschichte heute so ein, daß es sinnlos gewesen wäre mit diesem Typen, der über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild verfügt, zu diskutieren. Stattdessen hätten sie seine Einflußmöglichkeiten im Betrieb einschränken müssen. Genauso wichtig wäre es gewesen sich stärker um die betreffende Ausbildungsgruppe zu kümmern, sei es durch Diskussion oder durch Einbindung in die JAV und Jugendgruppenarbeit.

Was konkret in einem Fall wie diesem zu tun ist, läßt sich von außen schlecht einschätzen. Patentrezepte gibt es nicht und die Handlungsmöglichkeiten hängen immer auch von den betrieblichen Gegebenheiten, der Situation der JAV und nicht zuletzt von der Rückendeckung und Unterstützung des Betriebsrates ab. Trotzdem, zu warten bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, ist die schlechteste Möglichkeit.

Gelegenheit zum Handeln wird es in diesem Beispiel übrigens noch genug geben, der betreffende Typ ist nach seiner Ausbildung in den Betrieb übernommen worden...

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