Mao AW Band II

Mao Werke


Mao Tse-tung:

DIE FRAGE DER UNABHÄNGIGKEIT UND SELBSTÄNDIGKEIT IN DER EINHEITSFRONT*

 (5.November 1938)


Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.249-253


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 HILFE UND ZUGESTÄNDNISSE MÜSSEN POSITIV UND DÜRFEN NICHT NEGATIV SEIN

Für eine Zusammenarbeit auf lange Sicht ist es notwendig, daß alle Parteien und Gruppen in der Einheitsfront einander Hilfe leisten und einander Zugeständnisse machen; Hilfe und Zugeständnisse müssen aber positiv und dürfen nicht negativ sein. Wir müssen unsere Partei und Armee festigen und vergrößern, aber gleichzeitig sollen wir den befreundeten Parteien und Armeen zu ihrer Festigung und Vergrößerung verhelfen; das Volk verlangt von der Regierung die Erfüllung seiner politischen und wirtschaftlichen Forderungen und leistet zugleich der Regierung alle nur mögliche Hilfe, die dem Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression dienlich ist; die Arbeiter verlangen von den Fabrikbesitzern die Verbesserung ihrer Bedingungen und arbeiten zugleich intensiv, um den Widerstandskrieg zu fördern; im Interesse der Einheit gegen den äußeren Feind müssen die Grundherren
  |250| die Pacht- und Darlehenszinsen herabsetzen und gleichzeitig müssen die Bauern diese Zinsen zahlen. Das alles sind Prinzipien und Richtlinien der gegenseitigen Hilfe; es sind dies positive, nicht negative und einseitige Richtlinien. Ebenso steht es mit den gegenseitigen Zugeständnissen. Keiner darf den anderen unterwühlen, keiner darf in der Partei, der Regierung und der Armee des anderen geheime Zellen organisieren; was uns betrifft, so organisieren wir keine geheimen Zellen in der Kuomintang, in ihrer Regierung oder ihrer Armee, so daß die Kuomintang beruhigt sein kann, was dem Widerstandskrieg zum Vorteil gereicht. "Das Unterlassen gewisser Dinge dient dem Vollbringen anderer Dinge" [1]; das paßt genau zu diesem Fall. Ohne die Umorganisierung der Roten Armee, ohne die Änderungen des Verwaltungssystems in den roten Gebieten und ohne den Verzicht auf die Aufstandspolitik könnte es nicht zu einem das ganze Land umfassenden Widerstandskrieg kommen. Indem wir in dem einen Punkt nachgaben, erreichten wir in dem anderen unser Ziel; durch einen negativen Schritt erreichten wir unser positives Ziel; "zurückgehen, um sicherer zu treffen" [2] - gerade das ist Leninismus. Der Marxismus-Leninismus gestattet nicht, eine Konzession als etwas rein Negatives zu betrachten. Es hat rein negative Zugeständnisse gegeben: Das war die Theorie der II. Internationale von der Zusammenarbeit zwischen Arbeit und Kapital [3],
  |251| die eine ganze Klasse und eine Revolution verraten hat. In China gab es erst Tschen Du-hsiu und dann Dschang Guo-tao, die beide Kapitulanten waren. Gegen das Kapitulantentum müssen wir energisch kämpfen. Wenn wir aber - sei es dem Verbündeten, sei es dem Feind gegenüber - Zugeständnisse machen, zurückgehen, uns verteidigen oder stehenbleiben, so muß das als Teil der gesamten revolutionären Politik, als unentbehrliches Glied in der Kette der gesamten revolutionären Linie, als Abschnitt einer Zickzackbewegung betrachtet werden; mit einem Wort, das ist positiv.

DIE IDENTITÄT DES NATIONALEN KAMPFES UND DES KLASSENKAMPFES

Es ist das fundamentale Prinzip der Einheitsfront, den langwierigen Krieg durch langfristige Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, d. h., den Klassenkampf dem heute geführten nationalen Kampf zum Widerstand gegen die japanische Aggression unterzuordnen. Befolgt man dieses Prinzip, dann muß der unabhängige Charakter der Parteien, Gruppen und Klassen gewahrt, ihre Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Einheitsfront erhalten bleiben; man darf nicht der Zusammenarbeit und Einheit zuliebe unabdingbare Rechte dieser Parteien, Gruppen und Klassen opfern, sondern muß im Gegenteil innerhalb gewisser Grenzen auf diesen Rechten bestehen; denn nur auf diese Weise kann die Zusammenarbeit gefördert werden und kann es überhaupt eine Zusammenarbeit geben. Andernfalls wird die Zusammenarbeit zu einem Konglomerat, und die Einheitsfront wird unvermeidlich geopfert. Wird ein nationaler Kampf geführt, dann kommt der Klassenkampf in der Form des nationalen Kampfes zum Ausdruck; darin äußert sich eben die Identität der beiden. Einerseits sind während einer bestimmten historischen Zeitspanne die politischen und wirtschaftlichen Forderungen der Klassen der Bedingung unterworfen, daß sie die Zusammenarbeit nicht zerstören dürfen; andererseits müssen a]]e Forderungen des Klassenkampfes von den Bedürfnissen des nationalen Kampfes (des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression) ausgehen. So können in der Einheitsfront Einheit und Unabhängigkeit, nationaler und Klassenkampf miteinander vereint werden.
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DIE LOSUNG "ALLES DURCH DIE EINHEITSFRONT" IST UNRICHTIG

Die Kuomintang ist die am Ruder stehende Partei, sie erlaubt bis jetzt nicht, daß die Einheitsfront eine organisatorische Form annimmt. Hinter den feindlichen Linien können wir nur auf Grund von Dingen, die von der Kuomintang bereits genehmigt worden sind (wie zum Beispiel das "Programm für den Widerstandskrieg und den Aufbau des Landes"), unabhängig und selbständig handeln, und es ist nicht möglich, "Alles durch die Einheitsfront" zu bewerkstelligen. Oder wir rechnen uns aus, was die Kuomintang möglicherweise gestatten würde, führen es erst durch und melden es dann. So wären zum Beispiel die Einsetzung von Verwaltungskommissaren, die Entsendung von Truppen nach der Provinz Schantung und andere Maßnahmen nicht erfolgt, wenn wir ihnen jene "Durchgangs"prozedur hätten voranstellen wollen. Man sagt, die Kommunistische Partei Frankreichs habe seinerzeit eine derartige Losung ausgegeben; vielleicht geschah das deshalb, weil in Frankreich, wo es schon ein gemeinsames Komitee verschiedener Parteien gab, die Sozialistische Partei nicht gewillt war, in Übereinstimmung mit dem gemeinsam beschlossenen Programm zu handeln, und weiterhin ihren eigenen Weg ging, so daß die Kommunistische Partei infolge der Notwendigkeit, die Sozialistische Partei in Schranken zu halten, nicht aber, um sich selbst die Hände zu binden, eine solche Losung ausgegeben hat. In China aber ist die Lage so, daß die Kuomintang, die alle anderen Parteien und Gruppen der Gleichberechtigung beraubt hat, den anderen Gehorsam gegenüber den Befehlen dieser einen Partei aufzuzwingen sucht. Wenn wir diese Losung ausgäben, um zu fordern, daß "alles", was die Kuomintang zu tun beabsichtigt, nur mit unserer Genehmigung "durchgehen" könne, so wäre das unerreichbar und lächerlich. Wenn wir aber meinen, wir müßten für "alles", was wir tun wollen, zuerst die Einwilligung der Kuomintang einholen, was machen wir dann, wenn sie nicht einwilligt? Da die Kuomintang den Kurs verfolgt, unser Wachstum zu beschränken, würden wir mit einer solchen Losung nur uns selbst die Hände binden. Das darf auf keinen Fall geschehen. Es gibt derzeit Angelegenheiten, für die wir die Einwilligung der Kuomintang im voraus einholen müssen, wie zum Beispiel die Erweiterung der drei Divisionen zu drei Korps und die dementsprechende Umbenennung - das ist zuerst zu melden und dann durchzuführen. Es gibt Dinge, die wir erst der
  |253| Kuomintang mitteilen, nachdem sie vollendete Tatsachen geworden sind, wie zum Beispiel die Verstärkung unserer Armee um mehr als 200000 Mann - das ist zuerst durchzuführen und später zu melden. Es gibt Dinge, die wir durchführen, aber vorläufig nicht melden, denn wir rechnen damit, daß die Kuomintang jetzt nicht einwilligen würde, wie zum Beispiel die Einberufung der Volksversammlung des Grenzgebiets usw. Es gibt aber Dinge, die wir derzeit weder durchführen noch melden, wie zum Beispiel Dinge, die, wenn wir sie täten, die ganze Lage beeinträchtigen würden. Kurz, wir sollen auf keinen Fall die Einheitsfront zerstören, uns aber auch auf keinen Fall selbst die Hände binden; daher dürfen wir die Losung "Alles durch die Einheitsfront" nicht ausgeben. Ebenso falsch ist es, "alles der Einheitsfront unterzuordnen", wenn man darunter versteht, daß wir Tschiang Kai-schek und Yän Hsi-schan "alles unterordnen". Unser Kurs lautet: Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Einheitsfront, sowohl Einheit als auch Unabhängigkeit.

ANMERKUNGEN

* Teil des Schlußwortes, das Genosse Mao Tse-tung auf dem 6. Plenum des auf dem VI. Parteitag gewählten Zentralkomitees der Partei gehalten hat. Die Frage der Unabhängigkeit und Selbständigkeit in der Einheitsfront war damals einer der hervorstechenden Punkte in den Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Genossen Mao Tse-tung und Tschen Schao-yü in bezug auf die antijapanische Einheitsfront. Ihrem Wesen nach ist das die Frage der Führerschaft des Proletariats in der Einheitsfront. Diese Meinungsverschiedenheiten hat Genosse Mao Tse-tung in seinem Bericht vom Dezember 1947 ("Die gegenwärtige Lage und unsere Aufgaben") wie folgt kurz zusammengefaßt:
Während des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression hat unsere Partei Ansichten bekämpft, die denen des Kapitulantentums [gemeint sind hier die Ansichten des Kapitulantentums Tschen Du-hsius während des Ersten Revolutionären Bürgerkriegs] ähnlich waren, nämlich die Ansichten, daß man der volksfeindlichen Politik der Kuomintang gegenüber Konzessionen machen und mehr auf die Kuomintang als auf die Volksmassen vertrauen solle, daß man nicht wagen dürfe, die Massen weitestgehend zum Kampf zu mobilisieren, die befreiten Gebiete und die Volksstreitkräfte in den von Japan besetzten Gebieten zu vergrößern, und daß man der Kuomintang die Führung im Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression überlassen müsse. Unsere Partei kämpfte entschlossen gegen diese aus Schwäche und Unfähigkeit herrührenden faulen Ansichten, die gegen die Prinzipien des Marxismus-Leninismus verstoßen, führte konsequent die politische Linie "der Entfaltung der fortschrittlichen Kräfte, der Gewinnung der Kräfte der Mitte und der Isolierung der ultrakonservativen Kräfte" durch und vergrößerte beharrlich die befreiten Gebiete und die Volksbefreiungsarmee. Damit wurde nicht nur gewährleistet, daß unsere Partei den Sieg über den japanischen Imperialismus in der Periode der Aggression durch die japanischen Imperialisten erringen konnte, sondern auch die Gewähr geboten, daß unsere Partei in der Periode nach der Kapitulation Japans, als Tschiang Kai-schek den konterrevolutionären Krieg vom Zaun brach, reibungslos und ohne Verluste auf die Bahn der Bekämpfung des konterrevolutionären Krieges Tschiang Kai-scheks durch einen revolutionären Volkskrieg umschwenken konnte und innerhalb kurzer Zeit große Siege errang. Diese geschichtlichen Lehren sollten alle Genossen unserer Partei fest im Gedächtnis behalten.

1) Aus Menzius.

2) Siehe W. I. Lenin Philosophische Hefte, "Konspekt zu Hegels Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie".

3) Das war eine reaktionäre Theorie der II. Internationale, die in den kapitalistischen Ländern die Zusammenarbeit zwischen Proletariat und Bourgeoisie befürwortete und sich gegen den Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und die Errichtung der Diktatur des Proletariats mit revolutionären Mitteln richtete.

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