(23. Juli 1933)
Diese Version aus: Mao Tse-tung, Ausgewählte Werke Band II, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.7-17
I. ZWEI ARTEN VON POLITISCHEM KURS
|007| Gleich am ersten Tag nach den Ereignissen bei Lugoutjiao [1], am 8. Juli, wandte sich das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas an das ganze Land mit einer Deklaration, die zum Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression aufrief. In dieser Deklaration heißt es:
Landsleute! Peiping und Tientsin sind in Gefahr! Nordchina
ist in Gefahr! Die chinesische Nation ist in Gefahr! Der Widerstandskrieg
der ganzen Nation gegen die japanische Aggression ist unser einziger Ausweg.
Wir fordern einen unverzüglichen entschlossenen Widerstand gegen die
angreifende japanische Armee und sofortige Vorbereitungen, um neuen großen
Wendungen wohlgerüstet entgegenzutreten. Das ganze Land, von oben
bis unten, muß auf der Stelle alle Spekulationen aufgeben, daß
es möglich wäre, irgendwie in Frieden mit den japanischen Eindringlingen
auszukommen. Landsleute! Wir müssen den heroischen Widerstand der
Einheiten Feng Dschi-ans rühmen und unterstützen. Wir müssen
die Deklaration der Behörden
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Nordchinas rühmen und unterstützen,
in der sie bekunden: mit dem Vaterland leben oder sterben. Wir fordern,
daß General Sung Dschö-yüan das ganze 29. Korps
[2]
unverzüglich in Kampfbereitschaft versetzt und zum Einsatz an die
Front schickt. Wir fordern, daß die Zentralregierung in Nanking dem
29. Korps wirksame Hilfe leistet, daß sie der patriotischen Bewegung
der Volksmassen im ganzen Land unverzüglich Freiheit gewährt
und der Begeisterung des Volkes zum bewaffneten Widerstand freien Lauf
läßt, daß die Regierung alle Land-, See- und Luftstreitkräfte
des Landes unverzüglich zum Widerstand gegen den Feind in Kampfbereitschaft
versetzt, daß sie das Land unverzüglich von den verborgenen
Landesverrätern und Kollaborateuren sowie von den japanischen Spionen
säubert und auf diese Weise das Hinterland festigt. Wir rufen das
ganze Volk auf, mit allen Kräften den heiligen Verteidigungskrieg
gegen die japanische Aggression zu unterstützen. Unsere Losungen lauten:
Verteidigen wir mit der Waffe in der Hand Peiping, Tientsin und Nordchina!
Wir werden den Heimatboden bis zum letzten Blutstropfen verteidigen! Volk,
Regierung und Streitkräfte Chinas! Schließen wir uns zusammen
und errichten wir die unzerstörbare Große Mauer der nationalen
Einheitsfront zur Abwehr der Aggression der japanischen Eindringlinge!
Mögen Kuomintang und Kommunistische Partei in enger Zusammenarbeit
dem neuen Angriff der japanischen Eindringlinge Widerstand leisten! Verjagt
die japanischen Eindringlinge aus China!
So steht es um den politischen Kurs.
|009| Am 17. Juli gab Herr Tschiang Kai-schek in Luschan eine Erklärung ab. Diese Erklärung, welche die Linie auf Vorbereitung zum Widerstandskrieg festlegte, war seit vielen Jahren die erste richtige Erklärung der Kuomintang in Fragen der Außenpolitik. Deshalb wurde sie von uns wie von allen Landsleuten begrüßt. In dieser Erklärung wurden vier Bedingungen für die Beilegung der Ereignisse bei Lugoutjiao gestellt:
1. Keine Beilegung darf die Souveränität Chinas
und seine territoriale Integrität verletzen;
2. unzulässig ist jegliche ungesetzliche Änderung
im administrativen Aufbau der Provinzen Hopeh und Tschahar {1}
;
3. die von der Zentralregierung eingesetzten örtlichen
Beamten dürfen nicht auf Drängen anderer abgesetzt bzw. ausgewechselt
werden;
4. unzulässig sind alle Einschränkungen des
Gebietes, in dem gegenwärtig das 29. Korps untergebracht ist.
Im Schlußteil der Erklärung heißt es:
Die Regierung hat in bezug auf die Ereignisse bei Lugoutjiao einen unbeirrbaren politischen Kurs eingeschlagen und eine unbeirrbare Position bezogen. Wir sind uns darüber im klaren, daß uns in der Lage, die nach dem Eintritt der ganzen Nation in den Widerstandskrieg entstehen wird, nichts anderes übrigbleibt, als bis zum Äußersten Opfer zu bringen; wir dürfen nicht im geringsten mit dem Glück rechnen, davon verschont zu werden. Sobald der Krieg beginnt, wird jeder, wer er auch sei, ob im Norden oder im Süden, ob jung oder alt, verpflichtet sein, den Widerstandskrieg zu führen und den Heimatboden zu verteidigen.
So steht es um den politischen Kurs.
Das sind zwei historisch bedeutsame politische Deklarationen
der Kommunistischen Partei und der Kuomintang zu den Ereignissen bei Lugoutjiao.
Beide Deklarationen haben eins gemeinsam: für einen entschlossenen
Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression eintreten und gegen Kompromißlertum
und Zugeständnisse kämpfen.
Das ist der erste Kurs, um dem Angriff Japans zu begegnen
- der richtige Kurs.
Es ist jedoch möglich, einen anderen Kurs einzuschlagen.
Im Laufe der letzten Monate sind die Landesverräter und die projapanischen
Elemente im Gebiet Peiping-Tientsin sehr aktiv geworden; sie versuchen,
von allen Seiten her auf die örtlichen Behörden Peipings und
|010| Tientsins einzuwirken, um den japanischen Forderungen entgegenzukommen;
sie untergraben den Kurs auf entschlossenen Widerstandskrieg und treten
für Kompromisse und Zugeständnisse ein. Das sind äußerst
alarmierende Anzeichen.
Dieser Kurs auf Kompromißlertum und Zugeständnisse
ist dem Kurs auf einen entschlossenen Widerstandskrieg diametral entgegengesetzt.
Wird dieser Kurs auf Kompromißlertum und Zugeständnisse nicht
rasch geändert, so wird er dazu führen, daß Peiping, Tientsin
und Nordchina restlos in die Hände des Feindes fallen und die ganze
Nation in die allergrößte Gefahr gestürzt wird. Jeder sollte
davor sehr auf der Hut sein.
Patriotische Offiziere und Soldaten des 29. Korps! Schließt
euch zusammen, kämpft gegen Kompromißlertum und Zugeständnisse,
führt entschlossen den Widerstandskrieg gegen die japanischen Eindringlinge
!
Patriotische Landsleute von Peiping, Tientsin und Nordchina!
Schließt euch zusammen, kämpft gegen Kompromißlertum und
Zugeständnisse, setzt euch für den entschlossenen Widerstandskrieg
gegen die japanische Aggression ein!
Patriotische Landsleute ganz Chinas! Schließt euch
zusammen! Kämpft gegen Kompromißlertum und Zugeständnisse,
setzt euch für den entschlossenen Widerstandskrieg gegen die japanische
Aggression ein!
Herr Tschiang Kai-schek und alle patriotisch gesinnten
Mitglieder der Kuomintang! Wir hoffen, daß Sie den von Ihnen verkündeten
Kurs unbeirrt einhalten, Ihre Versprechungen einlösen, gegen Kompromißlertum
und Zugeständnisse kämpfen und entschlossen den Widerstandskrieg
gegen die japanische Aggression führen werden, um so auf die Erniedrigung
durch den Feind mit Taten zu antworten.
Bewaffnete Kräfte ganz Chinas einschließlich
der Roten Armee! Unterstützt die Deklaration des Herrn Tschiang Kai-schek,
kämpft gegen Kompromißlertum und Zugeständnisse, führt
einen entschlossenen Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression!
Wir Kommunisten sind mit Leib und Seele dabei, unsere
Deklaration getreu in die Tat umzusetzen; wir unterstützen zugleich
entschieden die Deklaration des Herrn Tschiang Kai-schek und sind bereit,
gemeinsam mit den Mitgliedern der Kuomintang und allen Landsleuten den
Heimatboden bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen, gegen jedes Zaudern,
jedes Schwanken, jedes Kompromißlertum und alle
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Zugeständnisse
zu kämpfen und entschlossen den Widerstandskrieg gegen die japanischen
Eindringlinge zu führen.
II. ZWEI SYSTEME VON MASSNAHMEN
Nachdem der Kurs auf entschlossenen Widerstandskrieg festgelegt
worden ist, bedarf es eines ganzen Systems von Maßnahmen, um das
Ziel zu erreichen.
Was sind das für Maßnahmen? Hier die wichtigsten:
1. Alle bewaffneten Kräfte des Landes sind zu mobilisieren.
Unser weit über zwei Millionen Mann starkes stehendes Heer - einschließlich
der Land-, See- und Luftstreitkräfte sowie einschließlich der
Zentralarmee, der örtlichen Truppen und der Roten Armee - ist in Kampfbereitschaft
zu versetzen; die Hauptkräfte müssen unverzüglich zur Landesverteidigung
an die Front marschieren, wobei ein gewisser Teil der Streitkräfte
zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Hinterland zu belassen ist. Der jeweilige
Oberbefehl über einzelne Frontabschnitte ist Generalen zu übertragen,
die den nationalen Interessen treu ergeben sind. Ein Rat für Landesverteidigung
ist einzuberufen, um den strategischen Kurs festzulegen und die Einheit
des Willens in den Kampfhandlungen zu erzielen. Die politische Arbeit in
der Armee ist so umzugestalten, daß eine Einheit zwischen Offizieren
und Soldaten sowie zwischen Armee und Volk hergestellt wird. Es muß
festgelegt werden, daß ein Teil der strategischen Aufgaben dem Partisanenkrieg
übertragen wird, um ihn mit der regulären Kriegführung zu
koordinieren. Die Armee ist von Landesverrätern zu säubern. Reserven
sind in entsprechender Stärke zu mobilisieren, auszubilden und auf
den Einsatz an der Front vorzubereiten. Die Versorgung der Truppen mit
Ausrüstung und Verpflegung ist in angemessenem Umfang zu verstärken.
Im Einklang mit dem allgemeinen Kurs auf den entschlossenen Widerstandskrieg
müssen militärische Pläne zur Erfüllung der obenerwähnten
Aufgaben ausgearbeitet werden. Die bewaffneten Kräfte Chinas sind
zahlenmäßig nicht gering, aber ohne die Verwirklichung dieser
Pläne können sie den Feind nicht besiegen. Bei Vereinigung der
politischen Bedingungen mit den materiellen Bedingungen werden unsere Streitkräfte
in Ostasien keinen Gegner haben, der es mit ihnen aufnehmen könnte.
|012| 2. Das ganze Volk ist zu mobilisieren. Man muß der
patriotischen Bewegung Freiheit gewähren, die politischen Häftlinge
freilassen, das "Ausnahmegesetz über Strafen für Gefährdung
der Republik [3] und die "Verordnung über die Pressezensur"
[4]
aufheben, den bestehenden patriotischen Organisationen ihren legalen Status
zuerkennen, das Netz der patriotischen Organisationen in allen Bevölkerungskreisen
unter den Arbeitern, Bauern, Geschäftsleuten und unter der Intelligenz
- erweitern sowie die Volksmassen für den Selbstschutz und zur Unterstützung
der Kampfhandlungen der Armee bewaffnen. Kurz gesagt, man muß dem
Volk die Freiheit gewähren, seine patriotischen Gefühle zum Ausdruck
zu bringen. Mit vereinten Kräften werden Volk und Armee dem japanischen
Imperialismus den Todesstoß versetzen. Es besteht kein Zweifel: Man
kann in einem nationalen Krieg den Sieg nicht erringen, wenn man sich nicht
auf die breiten Volksmassen verläßt. Möge uns das Unglück
Abessiniens [5] als Warnung dienen. Wer aufrichtig bestrebt ist,
den Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression entschlossen zu führen,
der darf diesen Punkt nicht außer acht lassen.
3. Das Regierungssystem ist umzugestalten. Um die Regierung
mit den Volksmassen zu verbinden, muß man die verschiedenen Parteien
und Gruppen sowie führende Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens zur Teilnahme an der gemeinsamen Ausübung der Staatsgeschäfte
zulassen und die Regierung von verborgenen projapanischen Elementen und
Landesverrätern säubern. Der Widerstandskrieg ist eine große
Sache, wenige Menschen allein werden damit unter keinen Umständen
fertig werden; sollten sich dennoch nur wenige daranmachen, werden sie
die Sache nur verpfuschen. Die Regierung, falls sie eine wahre Regierung
der Landesverteidigung sein will, muß sich auf die Volksmassen stützen
und den demokratischen Zentralismus verwirklichen. Sie muß demokratisch
und zugleich zentralisiert sein; die stärksten Regierungen sind solche
Regierungen. Die Nationalversammlung muß die wahre Vertreterin des
Volkes sein, muß zum höchsten Organ der Staatsgewalt werden;
sie muß die grundlegende Politik und den Kurs des Staates lenken
sowie die politischen Richtlinien und die Pläne des Widerstandskampfes
gegen Japan zur Rettung des Vaterlands festlegen.
4. Eine antijapanische Außenpolitik ist einzuschlagen.
Man darf den japanischen Imperialisten keinerlei Vorteile und Vergünstigungen
gewähren; im Gegenteil, man muß ihr Eigentum beschlagnahmen,
unsere Schulden an sie annullieren, mit ihren Lakaien aufräumen und
|013| ihre Spione verjagen. Man muß unverzüglich ein militärisch-politisches
Bündnis mit der Sowjetunion schließen und sich aufs engste mit
ihr vereinigen, mit dem Staat, der am zuverlässigsten, am mächtigsten
und am ehesten fähig ist, China im Widerstandskrieg gegen die japanische
Aggression Hilfe zu leisten. Man muß die Sympathien Großbritanniens,
der USA und Frankreichs für unseren Widerstand gegen Japan gewinnen
und - unter der Bedingung der Wahrung der territorialen Integrität
und der souveränen Rechte Chinas - danach streben, daß sie uns
Hilfe gewähren. Um die japanischen Eindringlinge zu besiegen, müssen
wir uns hauptsächlich auf die eigenen Kräfte stützen, aber
wir können die Hilfe von außen nicht entbehren; eine Politik
der Selbstisolierung treibt Wasser auf die Mühlen des Feindes.
5. Ein Programm für die Verbesserung der Lebensbedingungen
des Volkes ist zu verkünden und seine Verwirklichung sofort in Angriff
zu nehmen. Man muß mit folgenden Minimalmaßnahmen beginnen:
Abschaffung drückender Steuern und vielfältiger Abgaben, Senkung
des Pachtzinses für den Boden, Einschränkung des Wuchers, Erhöhung
der Arbeiterlöhne, Verbesserung der Lebensbedingungen der Soldaten
und der unteren Offiziere, Verbesserung der Lebensbedingungen der kleinen
Angestellten, Hilfe für die Katastrophengeschädigten. Alle diese
neuen Maßnahmen werden in keiner Weise die Staatsfinanzen zerrütten,
wie gewisse Leute behaupten, sondern sie werden zur Hebung der Kaufkraft
der Bevölkerung, zum Gedeihen des Marktes, zur Belebung des Geldumlaufs
führen. Diese neuen Maßnahmen werden ein unbegrenztes Anwachsen
der antijapanischen Kräfte ermöglichen und die Basis der Regierung
festigen.
6. Die Volksbildung ist im Sinne der Landesverteidigung
zu gestalten. Man muß die alte Linie und das alte System der Volksbildung
von Grund auf ändern. Man muß auf alle Vorhaben, die nicht dringlich
sind, und auf alle unvernünftigen Maßnahmen verzichten; Presse,
Verlagswesen, Film, Theater, Literatur und Kunst - alles muß den
Interessen der Landesverteidigung untergeordnet werden. Landesverräterische
Propaganda muß verboten werden.
7. Eine antijapanische Finanz- und Wirtschaftspolitik
ist durchzuführen. Die Finanzpolitik muß auf dem Prinzip "Wer
Geld hat, gibt Geld" aufgebaut werden sowie auf dem Prinzip der Beschlagnahme
des Vermögens der japanischen Imperialisten und der Landesverräter;
die Wirtschaftspolitik muß auf dem Prinzip des Boykotts der japanischen
Waren und der Förderung der einheimischen Waren aufgebaut werden -
alles für den Widerstand gegen die japanische Aggression.
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Die finanziellen
Belastungen sind das Ergebnis falscher Maßnahmen und können
bestimmt überwunden werden, nachdem man eine neue Politik eingeschlagen
hat, die den Interessen des Volkes dient. Da unser Land ein so riesiges
Territorium und eine so zahlreiche Bevölkerung hat, ist das Gerede
von einer ausweglosen Wirtschafts- und Finanzlage purer Unsinn.
8. Das gesamte chinesische Volk, die Regierung und alle
bewaffneten Kräfte sind zusammenzuschließen, um eine unzerstörbare
Große Mauer der nationalen Einheitsfront zu errichten. Die Befolgung
des Kurses auf den Widerstandskrieg und die Durchführung der obenerwähnten
Maßnahmen ist von dieser vereinigten Front abhängig. Das A und
O ist die enge Zusammenarbeit zwischen der Kuomintang und der Kommunistischen
Partei. Mögen sich die Regierung, die bewaffneten Kräfte, alle
politischen Parteien und Gruppen sowie unser gesamtes Volk auf der Grundlage
einer solchen Zusammenarbeit der beiden Parteien zusammenschließen.
Die Losung "sich aufrichtig zusammenschließen, um gemeinsam der nationalen
Krise entgegenzutreten" darf man nicht nur schönklingend deklamieren,
man muß sie vielmehr durch gute Taten verwirklichen. Wenn schon Zusammenschluß,
dann ein echter Zusammenschluß. Für Lug und Trug darf es hier
keinen Platz geben. Man muß schon etwas großzügiger und
freimütiger sein in der Führung der Staatsgeschäfte. Kleinkrämerei,
Intrigantentum, Bürokratismus, Ah-Queh-ismus {2} sind zu
nichts nütze. All dies Zeug taugt nicht einmal gegen den Feind, es
aber gegen die eigenen Landsleute anwenden zu wollen ist einfach lächerlich.
Bei jeder Sache gibt es hauptsächliche und nebensächliche Grundsätze,
wobei die letzteren den ersteren untergeordnet werden müssen. Die
Bürger unseres Landes müssen sich von den Hauptgrundsätzen
her alles reiflich überlegen, und erst dann werden sie in der Lage
sein, ihren Gedanken und Taten die entsprechende Richtung zu geben. Wer
heute nicht eine gewisse Aufrichtigkeit in der Frage des Zusammenschlusses
zeigt, der wird, wenn er in stiller Nacht die Hand aufs Herz legt, ein
bißchen Scham und Gewissensbisse empfinden müssen, auch wenn
die Leute nicht gerade auf ihn spucken und ihn beschimpfen.
Dieses System von Maßnahmen zur Verwirklichung des
entschlossenen Widerstandskriegs kann man als Acht-Punkte-Programm bezeichnen.
Der Kurs auf entschlossenen Widerstandskrieg muß
von der Durchführung des ganzen Systems der dargelegten Maßnahmen
begleitet sein, andernfalls ist der Sieg undenkbar, wird mit der japanischen
Ag-
|015| gression in China niemals Schluß gemacht werden, wird China gegen
Japan nie etwas ausrichten und schwerlich dem verhängnisvollen Lauf
Abessiniens entgehen können.
Wer für den Kurs auf entschlossenen Widerstandskrieg
aufrichtig eintritt, muß dieses System von Maßnahmen in die
Tat umsetzen. Um zu überprüfen, ob einer aufrichtig ist, den
Widerstandskrieg entschlossen zu führen, muß man feststellen,
ob er bereit ist, dieses System von Maßnahmen anzunehmen und zu verwirklichen.
Aber es gibt auch noch ein anderes System von Maßnahmen,
das dem oben dargelegten in allen Teilen entgegengesetzt ist:
Keine allgemeine Mobilisierung der bewaffneten Kräfte,
sondern Nichtmobilisierung oder Rückzug.
Keine Gewährung von Freiheiten für das Volk,
sondern Unterdrückung des Volkes.
Keine Regierung der Landesverteidigung, aufgebaut nach
dem Prinzip des demokratischen Zentralismus, sondern eine despotische Regierung
der hohen Bürokratie, der Kompradoren, der Feudalherren und Grundherren.
Keine Außenpolitik des Widerstands gegen die japanische
Aggression, sondern eine Außenpolitik der Liebedienerei vor Japan.
Keine Verbesserung der Lebenshaltung des Volkes, sondern nach
wie vor seine Unterdrückung und Ausbeutung, so daß
es vor Qual stöhnt und keine Kräfte mehr hat zum Widerstand gegen
Japan. Keine Volksbildung im Sinne der Landesverteidigung, sondern eine
Volksbildung im Sinne der nationalen Unterjochung.
Keine Finanz- und Wirtschaftspolitik im Interesse des
Widerstandskriegs, sondern die alte, unveränderte oder gar eine noch
unheilvollere Finanz- und Wirtschaftspolitik, die nicht für das Vaterland,
wohl aber für den Feind vorteilhaft ist.
Kein Aufbau der Großen Mauer der antijapanischen
nationalen Einheitsfront, sondern ihre Zerstörung oder ein doppelzüngiges
Geschwätz über den "Zusammenschluß", während in Wirklichkeit
jedoch nichts getan wird.
Maßnahmen ergeben sich aus einem politischen Kurs.
Wenn man einem Kurs auf Nichtwiderstand folgt, spiegelt sich dieser in
allen Maßnahmen wider. Das haben uns die letzten sechs Jahre gelehrt.
Verfolgt man aber den Kurs auf entschlossenen Widerstandskrieg, dann muß
man unbedingt ein ganzes System von Maßnahmen verwirklichen, die
dieser Kurs erfordert, nämlich das oben dargelegte Acht-Punkte-Programm.
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Welches sind die Perspektiven? Das liegt allen am Herzen.
Wenn wir den ersten Kurs verfolgen und das erste System
von Maßnahmen in die Tat umsetzen, eröffnet sich uns mit Sicherheit
die Perspektive der Vertreibung der japanischen Imperialisten und der Befreiung
Chinas. Besteht noch irgendein Zweifel darüber? Ich glaube nicht.
Wenn der zweite Kurs eingeschlagen und das zweite System
von Maßnahmen in die Tat umgesetzt wird, sehen wir mit Sicherheit
der Perspektive der Besetzung Chinas durch die japanischen Imperialisten
und der Verwandlung des chinesischen Volkes in Sklaven, in Arbeitsvieh
entgegen. Besteht noch irgendein Zweifel darüber? Ich glaube ebenfalls
nicht.
Man muß - koste es, was es wolle - den ersten Kurs
verwirklichen, das erste System von Maßnahmen in die Tat umsetzen,
die erste Perspektive anstreben.
Man muß - koste es, was es wolle - gegen den zweiten
Kurs, gegen das zweite System von Maßnahmen kämpfen und die
zweite Perspektive abwenden.
Patriotische Mitglieder der Kuomintang und Mitglieder
der Kommunistischen Partei! Schließt euch zusammen, schlagt unbeirrbar
den ersten Kurs ein, verwirklicht das erste System von Maßnahmen,
strebt nach der ersten Perspektive! Kämpft entschlossen gegen den
zweiten Kurs, gegen das zweite System von Maßnahmen, vermeidet die
zweite Perspektive!
Patriotische Landsleute, patriotische Truppen, patriotische
Parteien und Gruppen im ganzen Land! Schließt euch zusammen, schlagt
unbeirrbar den ersten Kurs ein, setzt das erste System von Maßnahmen
in die Tat um, strebt nach der ersten Perspektive! Kämpft entschlossen
gegen den zweiten Kurs, gegen das zweite System von Maßnahmen, vermeidet
die zweite Perspektive!
Es lebe der revolutionäre nationale Krieg!
Es lebe die Befreiung der chinesischen Nation!
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ANMERKUNGEN
* Bei dem Versuch, ganz China mit Waffengewalt einzuverleiben, inszenierten die japanischen Imperialisten am 7. Juli 1937 die Ereignisse bei Lugoutjiao. Das Volk Chinas forderte einmütig den Krieg gegen Japan. Tschiang Kai-schek zögerte lange, und erst zehn Tage nach dem Beginn der Ereignisse gab er in Luschan eine Erklärung ab, in der er den Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression verkündete. Das geschah unter dem Druck des gesamten Volkes und zugleich auch dadurch, daß den Interessen des englischen und amerikanischen Imperialismus in China und den Interessen der großen Grundherren und der Großbourgeoisie, die Tschiang Kai-schek unmittelbar vertrat, durch die Operationen der japanischen Eindringlinge ernste Schläge versetzt wurden. Aber zur gleichen Zeit verhandelte die Tschiangkaischek Regierung weiterhin mit den japanischen Eindringlingen und akzeptierte sogar jene Maßnahmen zur sogenannten friedlichen Beilegung, über die die japanischen Eindringlinge mit den örtlichen Behörden übereingekommen waren. Erst am 13. August 1937, als die japanischen Eindringlinge eine großangelegte Offensive gegen Schanghai begannen und es unmöglich machten, daß Tschiang Kai-schek seine Herrschaft über Südostchina aufrechterhielt, war er gezwungen den Widerstandskrieg zu führen. Aber auch danach, bis zum Jahre 1944, stellte Tschiang Kai-schek die Versuche nicht ein, sich mit den japanischen Eindringlingen insgeheim über einen Frieden zu verständigen. Während des ganzen Widerstandskriegs handelte Tschiang Kai-schek buchstäblich entgegen seiner Erklärung in Luschan, in der er gesagt hatte: "Sobald der Krieg beginnt, wird jeder, wer er auch sei, ob im Norden oder im Süden, ob jung oder alt, verpflichtet sein, den Widerstandskrieg zu führen und den Heimatboden zu verteidigen." Er widersetzte sich dem allgemeinen Volkskrieg, für den die Mobilisierung des ganzen Volkes erforderlich war, und betrieb eine reaktionäre Politik des passiven Widerstands gegen Japan und des aktiven Kampfes gegen die Kommunisten und gegen das Volk. Die zwei Arten von politischem Kurs die zwei Systeme von Maßnahmen und die zwei Perspektiven, die Genosse Mao Tse-tung in der vorliegenden Arbeit erörtert, veranschaulichen den Kampf zwischen der Linie der Kommunistischen Partei Chinas und der Linie Tschiang Kai-scheks im Widerstandskrieg gegen die japanische Aggression.
1) Lugoutjiao liegt etwas über zehn Kilometer südwestlich von Peking. Am 7. Juli 1937 griffen die japanischen Aggressionstruppen die in diesem Gebiet stehende chinesische Garnison an. Unter dem Einfluß des Aufschwungs der antijapanischen Bewegung des ganzen Volkes leistete die chinesische Garnison den Japanern Widerstand. Damit begann der heroische achtjährige Widerstandskrieg des chinesischen Volkes gegen die japanische Aggression.
2) Das 29. Korps war ursprünglich ein Teil der Nordwestarmee der Kuomintang, die unter dem Kommando Feng Yü-hsiangs stand, und war damals im Gebiet von Hopeh und Tschahar stationiert. Sung Dschö-yüan war Kommandeur des 29. Korps und Feng Dschi-an Kommandeur einer seiner Divisionen.
3) Die Kuomintang-Regierung erließ am 31. Januar 1931 das sogenannte Ausnahmegesetz über Strafen für Gefährdung der Republik und benutzte die Anklage "Gefährdung der Republik" als Vorwand zur Verfolgung und Ermordung von Patrioten und Revolutionären. Dieses Gesetz sah äußerst grausame Verfolgungsmethoden vor.
4) Mit "Verordnung über die Pressezensur" ist das "allgemeine Programm von Maßnahmen zur Zensur der Presse" gemeint, das die Kuomintang-Regierung im August 1934 erließ, um die Stimme des Volkes zu ersticken. Die Verordnung sah vor, daß die "für die Veröffentlichung in der Presse vorgesehenen Manuskripte zur Durchsicht vorgelegt werden müssen". Jedes Material, das zur Veröffentlichung in den Zeitungen der von der Kuomintang beherrschten Gebiete vorgesehen war, mußte vor dem Druck einem Kuomintang-Zensor zur Durchsicht vorgelegt werden. Der Zensor konnte Manuskripte nach Belieben zusammenstreichen oder zurückhalten.
5) Siehe die Arbeit "Die Aufgaben der Kommunistischen Partei Chinas in der Periode des Widerstandskampfes gegen die japanische Aggression", 8. Abschnitt, ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. I, S. 314 f.
ANMERKUNGEN DES ÜBERSETZERS
[1] Die Provinz Tschahar wurde im Jahre 1952 aufgelöst, ihr Verwaltungsgebiet wurde in die beiden Provinzen Hopeh und Schansi eingegliedert.
[2] Siehe Anmerkung 14 zur Arbeit "Die Aufgaben der Kommunistischen Partei Chinas in der Periode des Widerstandskampfes gegen die japanische Aggression", Ausgewählte Werke Mao Tse-tungs, Bd. I, S. 332.