Mao Werke


 

 

 

 

In diesem Jahr erschien in Zürich ein Buch von Ernst R. Borer unter dem Titel "China ohne Maske". Es befaßt sich mit der Tibet-Frage und läßt bereits in den Kapitelüberschriften - "Die Annexion Tibets", "Tibet unter despotischer Fremdherrschaft", "Der perfekte Völkermord" - keine Zweifel an seinen Intentionen aufkommen. Der Reinerlös dieses Buches soll der "Schweizer Tibethilfe in Luzern" zugehen.

"Annexion und Völkermord" - dies sind die Vorwürfe, die seit 1950, als chinesische Truppen in Tibet einrückten, gegen die Regierung in Peking erhoben werden. Nach dem gescheiterten "Aufstand" von 1959 und der anschließenden Flucht des Dalai Lama nach Indien steigerten sich diese Anklagen zu einer beispiellosen Propagandakampagne, die heute indes verstummt ist und nur noch von bestimmten Kreisen hin und wieder angefacht wird. In der Zwischenzeit nämlich sind Berichte erschienen, die die Tatsachen in einem etwas anderen Licht erscheinen lassen.

Tibet hatte seit dem Jahre 718 n. Chr. unter chinesischer Suzeränität gestanden, die oft effektiver, manchmal mehr theoretisch ausgeübt, jedoch nie unterbrochen wurde. Selbst nach dem Sturz der Mandschu-Dynastie (1911) beanspruchte Peking diese Suzeränität, und die tibetischen Behörden räumten sie ein. So machten die tibetischen Emissäre bei ihren Verhandlungen mit Großbritannien in Simla und Darjeeling im Jahre 1914, als sich das imperialistische England ein Recht der "offenen Tür" in Tibet sichern und das Land teilen wollte, ausdrückliche Vorbehalte zur Sicherung der Zustimmung der chinesischen Zentralregierung, die denn auch scharf protestierte. Für Tibet war China stets eine Schutzmacht gewesen, die dem schwachen und von Mongolen, Indern, Nepalesen und später den Engländern bedrohten Staat die Last der Verteidigung abnehmen sollte. Nach dem Sturz der Mandschu-Herrschaft konnte China diese Aufgabe nicht wahrnehmen; Tibet schloß daraufhin einen Vertrag mit der Mongolei und proklamierte im Juni 1912 seine Unabhängigkeit, die indes von China nie anerkannt wurde. Als die chinesische Armee 1950 wieder in Tibet einrückte, vollzog sie daher nur, was auch Tschiang Kai-scheck gewollt, aber nicht gekonnt hatte.

Solange China von Tschiang regiert wurde, bestand auch im Westen nie ein Zweifel daran, daß Tibet ein Teil Chinas war. So hatten während des Zweiten Weltkrieges Besprechungen zwischen den USA, Großbritannien und China bezüglich der chinesischen Suzeränität über Tibet stattgefunden. In einem Aidemémoire bestätigte die britische Botschaft in Washington, daß eine "formale chinesische Suzeränität" bestehe, als sie aber den Wunsch aussprach, daß die Regierung in Lhasa "den vollen Genuß der lokalen Autonomie" und das Recht erlangen solle, "diplomatische Vertreter mit anderen Mächten auszutauschen", lehnte Washington dies entschieden ab. Das amerikanische Außenministerium erklärte: "Die Regierung der Vereinigten Staaten ist der Tatsache eingedenk, daß die chinesische Regierung die Suzeränität über Tibet schon seit langem geltend macht und Tibet in der chinesischen Verfassung unter den Gebieten aufgeführt ist, aus denen sich das Territorium der Republik China zusammensetzt. Die amerikanische Regierung hat zu keiner Zeit diese Forderungen in Zweifel gezogen" (Foreign Relations of the United States, 1943, China; veröffentlicht: Washington, 1957).

Erst nach dem Zusammenbruch der Kuomintang-Regierung Tschiang Kai-scheks im Jahre 1949 und der Proklamierung der Volksrepublik China durch Mao Tse-tung änderte Washington seine Meinung. Jetzt vertraten die USA plötzlich die Auffassung, Tibet sei ein "souveräner Staat", und stellten Überlegungen an, ob sie nicht eventuellen tibetischen Antrag auf Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen unterstützen sollten. Als dann der Dalai Lama Tibet verließ, wurde dies als eine "Invasion" der Chinesen und als weiterer Beweis für die angebliche "Aggression" der Kommunisten hingestellt.

Die Beschuldigungen gegen Peking basieren im wesentlichen auf einem Bericht der "Internationalen Juristenkommission" in Genf, die 1959 nach zweimonatigen Untersuchungen zu dem Ergebnis kam, daß sich China in Tibet des "Völkermords" schuldig gemacht habe. Die amerikanische Nachrichtenagentur Associated Press meldete am 7. August 1959 aus Genf: "Rotchina hat in den letzten zehn Jahren eine Kampagne des Tötens und Folterns, der Notzucht, Verschleppung und zwangssterilisation in Tibet durchgeführt. Die Kommission veröffentlichte einen Bericht von 340 Seiten, der sich hauptsächlich auf die Aussagen von Flüchtlingen stützt, die nach der vergeblichen Revolution in Tibet im März 1959 nach Indien flohen, Der Bericht enthielt auch eine Zeugenaussage des geistliche- und politischen Oberhaupts in Tibet, des Dalai Lama.

Aufgrund dieses Berichtes, der sich lediglich auf die Aussagen einer Seite stützte - auf die Berichte von Flüchtlingen und auf Angaben des Dalai Lama - und der unter dem Vorsitz eines indischen Rechtsanwaltes verfaßt wurde, der aufgrund des Grenzkonfliktes zwischen Indien und China gewiß nicht als neutral gelten konnte, wurde das Vorgehen Pekings am 20. Dezember 1961 in einer Resolution der UNO-Vollversammlung verurteilt.

Wie jedoch der Kommissionsbericht zustandekam, schilderte der britische Journalist George Gale, Korrespondent des Londoner "Daily Express" - ein. streng antikommunistisches Blatt: "ich komme gerade aus dem Bergdorf Mussoorie zurück, dem Sitz der Exilregierung des Dalai Lama. Und damit bin ich aus einem Wolkenkuckucksheim zurückgekommen. Bei einer internationalen gerichtlichen Untersuchung in Mussoorie hörte ich den Dalai Lama eine Liste phantastischer Beschuldigungen gegen Rotchina herunterrasseln. Aber er unternahm überhaupt keinen Versuch, seine Beschuldigungen zu beweisen. Nicht ein einziges Dokument wurde vorgelegt, auch nicht der Fetzen eines Beweisstückes. So, wie der Dalai Lama die Sache darstellte, ist China bestrebt, das tibetische Volk auszurotten, und zwar durch Massensterilisation, Massendeportation von Kindern und Massenansiedlung von fünf Millionen Chinesen in Tibet. Der Dalai Lama wurde um Einzelheiten über die Sterilisation gebeten. Er sagte: "Meine Erklärung ist wahr." Auf weiteres Drängen erwähnte er einen Ort, wo diese Dinge "begangen worden sind im Zuge sogenannter Experimente und unter dem Vorwand, gewisse epidemische Krankheiten zu bekämpfen". Er sagte, zehn Opfer dieser Behandlung seien als Flüchtlinge nach Indien gekommen. Aber sieben seien gestorben. Der Dalai Lama wurde über die Behauptung befragt, fünf Millionen chinesischer Siedler seien in Tibet eingetroffen.

Seine Erklärung, wie diese riesige Menge von Menschen - die viermal größer ist als Tibets gesamte Bevölkerung -unterhalten würde, lautete: "Unser Land ist nicht arm an Nahrungsmitteln. Dank der großen Höhe können wir Lebensmittel 25 Jahre aufbewahren." Er wurde gefragt: "Wieviel Kinder sind nach China deportiert worden?" Der Dolmetscher erwiderte: "Seine Heiligkeit vermag die genaue Zahl nicht anzugeben. Diese Kinder stammten aus verschiedenen Teilen Tibets. Ungefähr, glaubt er, seien 10000 mitgenommen worden. Einige widersetzten sich den Chinesen, und einige, die in Peking studiert haben, arbeiten für China.

, ... Die acht Mitglieder der Untersuchung - die von der Internationalen Juristenkommission durchgeführt wurde- hielten den ganzen Tag aus, ohne sich zu beschweren. Nur an einem Punkt fuhr ein englischer Untersuchungsschriftführer auf: "Ich möchte gern klarstellen, daß für Rechtsanwälte ein Unterschied besteht, ob man von etwas glaubt, es sei wahr, oder ob man es beweist." ... Lord Shawcross gehörte ursprünglich dem Untersuchungskomitee an. Er trat zurück "wegen unvorhergesehener beruflicher und persönlicher Verpflichtung". Mich wundert das nicht."

So weit der Juristen-Bericht über die "Greuel der Chinesen" in Tibet.

1962 reiste der britische Journalist Stuart Gelder im Auftrag des Londoner "Daily Mail" durch Tibet. Nach seiner Rückkehr erklärte er, daß er ohne jede Beschränkung durch das Land hatte fahren können. Die in der westlichen Presse erschienenen Berichte wies er als "phantastische Übertreibungen und Entstellungen" zurück.

Wenn man die Veränderungen in Tibet verstehen und gerecht beurteilen will, dann muß man wissen, welche Verhältnisse in diesem Lande herrschten, bevor die Chinesen kamen. In dem eingangs erwähnten Buch wird der Dalai Lama zitiert: "Wir Tibeter lieben Gepränge und Zeremonien, wir haben eine Schwäche für feierliche und schöne Gewänder, und - was vielleicht für unseren Nationalcharakter noch viel wichtiger ist - wir sind stets zum Scherzen aufgelegt. Die tibetische Gesellschaftsform war zweifelsohne feudalistisch. Wir waren schlicht und einfach glücklich. Für viele Tibeter war das materielle Leben hart, aber sie widerstanden der Begehrlichkeit." Welcher Zynismus sich hinter diesen Worten verbirgt, wird klar, wenn man sich die Reformen betrachtet, die die Chinesen 1951 einführten: die Abschaffung der Sklaverei und der Folter (wie das Ausstechen der Augen und das Herausreißen der Zungen), die Einführung der allgemeinen Schulpflicht, das Recht der Kleriker, nach ihrer Volljährigkeit selbst über ihren Verbleib unter dem Zölibat zu entscheiden, sowie die Besteuerung und Neuverteilung von Land der religiösen Körperschaften an landlose Bauern.

Tibet unter dem Dalai Lama war eine Theokratie auf der Grundlage des Feudalismus. Manchen abendländischen Gemütern mögen die tibetischen Bräuche zwar geruhsam und romantisch vorkommen, doch wenn man von den wenigen Privilegierten absieht, waren sie für das tibetische Volk brutal und menschenunwürdig. Bauern und Hirten wurden in die Leibeigenschaft hineingeboren. Sie waren ihr Leben lang einem Feudalismus unterworfen, der nicht minder absolut war wie bei uns im Mittelalter. Dieses System hatte sich nur dank der Unzugänglichkeit des Landes bis ins 20. Jahrhundert halten können. 1951 waren die einzigen weltlichen Schulen in Tibet jene, die die Chinesen gründeten, die einzigen Krankenhäuser jene, die die Chinesen bauten. Sie waren es, die das Land, das zum größten Teil im Besitz der Klöster war unter die Leibeigenen aufteilten.

Ein Jahr vor dem "Aufstand" in Tibet schrieb selbst die konservative Londoner "Times": "Die Chinesen haben die Struktur der tibetischen Wirtschaft beträchtlich verändert. Innerhalb von zwei Jahren nach ihrer Ankunft hatten sie zum Beispiel das System der unbezahlten Arbeit beseitigt. Die Erziehung ist nicht mehr das Monopol der Klöster. Die Beschäftigung hat in Tibet beträchtlich zugenommen, und die wirtschaftliche Lage der Tibeter hat sich gebessert. Das hat den Chinesen die Möglichkeit gegeben, mit den Tibetern zu fraternisieren und sie zu beeinflussen, besonders die Laien-Massen. Aber die politisch bewußten und gebildeten Tibeter waren sehr beleidigt über diese Reformen und verhielten sich bei allem was die Chinesen taten, sehr reserviert."

Für die feudale Oberschicht - die Geistlichkeit und die Großgrundbesitzer - hatte in der Tat die Stunde der Entmachtung geschlagen. Sie mußten zu Recht um ihre Privilegien fürchten, die sie sich auf Kosten des Volkes angeeignet hatten. Sie waren es denn auch, die "Völkermord" und "Fremdherrschaft'', "Zerstörung der heiligen Güter" und "Terror" schrien. Ihre Hilferufe aber, die Schreie despotischer Feudalherren, wurden im Westen als die Hilferufe des "wehrlosen tibetischen Volkes" ausgegeben.

In einem letzten Versuch, sich gegen die neue Zeit zu stemmen und ihre einstmals unumstrittene Herrschaft zu restaurieren, erhoben sich die Geistlichen und Großgrundbesitzer 1959 zu einem "Aufstand", der jedoch niedergeschlagen wurde. Im Westen ist seitdem stets nur die Rede von den 60000 Flüchtlingen, die zusammen mit dem Dalai Lama das Land verließen, aber nicht von den annähernd 100000 ehemals tibetischen Leibeigenen, die an der Seite der chinesischen Armee die eingeführten Sozialreformen verteidigten.

Ursprünglich hatte Peking das Problem der sozialen Umgestaltung in Tibet auf friedliche Weise lösen wollen: 1954 reiste der Dalai Lama als Leiter der tibetischen Parlamentsdelegation zur Tagung des Nationalen Volkskongresses nach Peking, um die seinem Land als einer autonomen Region zugestandenen Rechte wahrzunehmen. Die Chinesen führten ihn anschließend durch ihr Land und zeigten ihm die gewaltigen Veränderungen und Erfolge, die auch nachahmenswert für Tibet wären. Doch der Dalai Lama entschied sich anders.

Heute ist das Autonome Gebiet Tibet, das seine eigene Sprache und Schrift, seine eigenen Sitten und Gebräuche benutzt und entwickelt, ein aufblühendes Gebiet. Die Leibeigenschaft wurde 1959 im Zuge der Demokratischen Reform endgültig aufgehoben, die Schulden der Bauern, die sich aufgrund der Wucherzinsen der Grundherren ständig erhöht hatten, wurden annulliert. Die Regierung in Peking stellte der Regierung in Lhasa mehrere hohe zinslose Anleihen zur Entwicklung der Landwirtschaft, der Viehzucht und zum Aufbau einer sozialistischen Industrie zur Verfügung. 1970 hatte sich die Getreideproduktion und der Viehbestand gegenüber 1958 nahezu verdoppelt. Während es vor 1950 keine einzige moderne Fabrik in Tibet gab, besitzt das Land heute mehrere hundert kleine und mittelgroße Fabriken oder Bergwerke, darunter Kraftwerke, Wolltextilfabriken, Fabriken für landwirtschaftliche Maschinen, Zementwerke, Gerbereien und Zuckerraffinerien. Die privaten Bankeinlagen in Stadt und Land sind heute fünfzehnmal höher als 1958, dem Jahr der Demokratischen Reform. In Tibet gibt es jetzt ein Institut für Nationalitäten, eine Lehrerbildungsanstalt, sieben Mittelschulen und 1970 Grundschulen. Die Gesamtzahl der Schüler und Studenten beträgt gegenwärtig 83000.

Und auch der "Völkermord" wird durch die Tatsachen als Propagandalüge entlarvt: Während die Geburtenrate in Tibet in moderner Zeit und bis in die fünfziger Jahre so niedrig lag (ein Drittel der männlichen Bevölkerung lebte in Klöstern), daß die tibetische Bevölkerung ständig abnahm, hat sie unter der Autonomie im Staatsverband der Volksrepublik China wieder zu einer Netto-Zunahme der Bevölkerung von zwei Prozent geführt.

 

KLEINES TIBET-LEXIKON

Autonomes Gebiet der VR China. Fläche: 1,2 Mio qkm. Bevölkerung: 1,3 Mio Ew. Bevölkerungsdichte: eine Person auf einen qkm (die am dünnsten besiedelte Region der VR). Hauptstadt: Lhasa. Durchschnittlich 5000 m über dem Meeresspiegel gelegen, ist T. (das "Dach der Welt") das größte Hochland der Erde. Der Norden wird vom Kunlun-Gebirge, der Osten vom Himalaya durchzogen. Höchster Punkt der Welt: Mont Everest (Tschomolungma), 8800 m hoch. Im Süden weite Täler. Hauptanbaufrüchte: Chingko (Gerste), Yuanken (Kartoffelart), Buch-, Winterweizen und Rüben. Im Südosten subtropisches Klima. Anbau von Reis, Bananen und Tee. Im Norden, Nordwesten und Osten Weidewirtschaft und Viehzucht (Yaks und Schafe). Viele Naturschätze und unermeßliche Wasserkraftreserven. Industrie seit 1959: Wasserkraftwerke, Stahlwerke, Lederfabriken, Auto-Maschinenreparatur-Werkstätten Landwirtschaftliche Nutzfläche war 1972 um 66000 ha größer als 1959. 80 Prozent der Nutzfläche bewässert. Verkehr: Früher abgeschlossen. Heute Straßen von T. nach Szetschuan, Tschinghai und Sinkiang. Flugverbindung Lhasa-Peking. Geschichte: Die von Osten eingewanderten Tibeter wurden um 600 n. u. Z. geeinigt. Buddhismus wurde Staatsreligion (Lamaismus). Herrschaft des Dalai Lama und des Pantschen Lama; Theokratie auf feudalistischer Grundlage. 1951 rückt die chinesische Armee ein. Einführung erster Sozialreformen. 1959 "Rebellion" der Grundherren. Flucht des Dalai Lama nach Indien. Im gleichen Jahr Abschaffung der Sklaverei im Zuge der Demokratischen Reform.

 

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