WAS IST WERTKRITIK?
Antwort auf Fragen der Studentenzeitschrift "Marburg-Virus" ueber den Begriff der Wertkritik und ihr Verhaeltnis zu linker Theorietradition, Feminismus,Dekonstruktivismus, Kulturalismus
Dieses Interview mit Ernst Lohoff und Robert Kurz für die KRISIS-Redaktion wurde 1998 in der Zeitschrift MARBURG-VIRUS veroeffentlicht. Die Bezugsadresse: NTrenkle@aol.com
Frage 1:
Ein zentrales Merkmal der Krisis ist ihr wertkritischer Ansatz. Koennt Ihr kurz skizzieren, was Wertkritik fuer Euch heisst und was den entscheidenden Unterschied dieses Ansatzes zu anderen linken Theorietraditionen ausmacht? Ist die "Kritik der Warengesellschaft", so der Untertitel der Krisis, dasselbe wie die Kritik der politischen Ökonomie? Was heisst Wert und Wertvergesellschaftung?Antwort: Was der Wert ist, weiss die Linke aus tausend "Kapital"-Schulungskursen und weiss es doch nicht. Es kann gerade heute nicht schaden, einigeGrundbegriffe in Erinnerung zu rufen, um ueberhaupt die neue Lesart der Wertkritik verstaendlich zu machen. Dabei ist es notwendig, auf die logischen Grundlagen der Warenform zurueckzugehen. Dadurch, dass die Mitglieder eines warenproduzierenden Systems nur indirekt (ueber den Markt) vergesellschaftet sind, stehen sie auch nicht durch die bewusste Verstaendigung ueber den Einsatz ihrer gemeinsamen Ressourcen in Verbindung, sondern nur durch die isolierte Verausgabung von Quanta menschlicher Arbeitskraft, die gesellschaftlich als "geronnene Arbeit" (Wert) an den Produkten halluziniert werden und diese zu Waren machen. Indem die fiktional festgehaltene Menge vergangener "Arbeit" diese Waren in ein bestimmtes Groessenverhaeltnis setzt, erscheinen sie als Tauschwerte, nach deren Massgabe erst nachtraeglich auf dem Markt ihre gesellschaftliche Vermittlung stattfindet.
Um die qualitativ verschiedenen Waren gleichnamig zu machen, muss von der konkreten Qualitaet ihrer Produktion abstrahiert werden; in ihrem gesellschaftlichen Bezug handelt es sich nur noch um die abstrakte Verausgabung menschlicher Energie. Der Wert bestimmt sich dabei nach der Leistung, d.h. nach der verausgabten Arbeitsmenge pro Zeiteinheit auf der Hoehe des gegebenen Produktivitaetsstandards. Die allgemeine gesellschaftliche Erscheinungsform des Werts ist das Geld: die ausgesonderte allgemeine Ware, die als universelles Tauschmittel dient und in deren Form alle Werte als Preise ausgedrueckt werden. Die indirekten gesellschaftlichen Verhaeltnisse der Personen erscheinen also paradoxerweise als Eigenschaften der produzierten Sachen und in letzter Instanz als die abstrakte Allgemeinheit des Geldes. Das ist es, was Marx den Fetisch-Charakter der Warenform nennt. Bis zu diesem Punkt hat der linke "Kapital"-Schulungskurs das absurde, fetischistische Verhaeltnis noch irgendwie kritisch (scheinbar) verstanden, ohne jedoch die Konsequenzen zu ziehen und nur, um jeden Ansatz der implizierten Kritik am Wesen dieses Fetischismus sofort wieder zu vergessen oder ins "philosophische" Nebelreich abzuschieben. Denn dabei handelt es sich ja angeblich bloss um die "einfache" Warenform, waehrend es doch um die Kritik des Kapitalismus geht! In welcher Beziehung stehen Warenproduktion und Kapitalverhaeltnis? Als Verhaeltnis zwischen unabhaengigen Produzenten, in dem das Geld eine blosse Vermittlungsinstanz darstellt, kann die Warenproduktion gar nicht zu einem flaechendeckenden gesellschaftlichen System werden und ist deshalb in vormodernen "naturalwirtschaftlichen" Gesellschaften auch blosse Nischenform geblieben. Erst das Kapital als Produktionsverhaeltnis verallgemeinert und totalisiert die Warenproduktion, und zwar dadurch, dass der Wert (und damit seine allgemeine Erscheinungsform Geld) auf sich selbst rueckgekoppelt und so aus einem Medium zu einem Selbstzweck (Mehrwert) wird.
Es entsteht also eine gesellschaftliche Maschine, ein kybernetisches System der Verwertung des Werts oder ein "automatisches Subjekt" (Marx), in dem es keine unabhaengigen Produzenten mehr gibt, sondern nur noch verschiedene soziale Funktionskategorien des systemisch geschlossenen Verwertungsprozesses, der unaufhoerlich und auf stetig erweiterter Stufenleiter abstrakte menschliche Energie ("Arbeit") in Geld verwandelt. Der Markt ist demzufolge kein Ort der Vermittlung zwischen unabhaengigen Produzenten mehr, sondern Ort der "Realisation" des gesellschaftlichen Mehrwerts und somit der fetischistischen Selbstvermittlung der abstrakten "Arbeit", die ihre Rueckverwandlung in die Geldform durchlaufen muss. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Begriffe Kapitalismus (Kapitalverhaeltnis oder kapitalistische Produktionsweise), Wertvergesellschaftung, warenproduzierendes System, Marktwirtschaft, Arbeitsgesellschaft und Leistungsgesellschaft nur verschiedene Aspekte ein- und derselben Fetisch-Konstitution der modernen Gesellschaftsform bezeichnen.
Die logische Konsequenz fuer die radikale Kritik dieses gesellschaftlichen Verhaeltnisses waere es also, alle diese Aspekte gleichermassen und insofern natuerlich gerade die Zentralkategorie des Werts anzugreifen und aufzuheben, um an die Stelle der Stufenleiter von "Arbeits"-, Waren-, Geld-, Kapital- und Lohnfetisch die bewusste Selbstverstaendigung der Gesellschaft ueber die gemeinschaftliche Nutzung ihrer (nunmehr hochgradig vernetzten, von direkt gesellschaftlichen Apparaten abhaengigen) Ressourcen jenseits von Ware-Geld-Beziehungen zu setzen. Wenn der Begriff der Wertkritik in den Ohren der gewoehnlichen Feld-, Wald- und Wiesen-Linken trotzdem voellig fremdartig klingt, so deshalb, weil sie die grundsaetzliche Fetischismuskritik gleich wieder vergessen und ihre vermeintliche Kritik der politischen Ökonomie den Boden der Wertform nie verlassen hat.
Der Arbeiterbewegungs-Marxismus in seiner Epoche von 1848 bis 1989 bezog sich stets nur auf eine verkuerzte, soziologistisch beschraenkte Kritik der "Aneignung des Mehrwerts" durch die "Kapitalisten", ohne den fetischistischen Systemcharakter der Wertvergesellschaftung selber anzutasten. Die Kategorie des Werts und der darauf beruhenden politischen Ökonomie wurde nicht negativ, sondern positiv verstanden, um die Aneignung "unbezahlter Arbeit" zu beseitigen und sich selber des vollen Werts als eines vermeintlich neutralen Gegenstands zu bemaechtigen. Die abstrakte "Arbeit" erschien demzufolge auch nicht als historische Realkategorie des Kapitalismus, sondern als ontologische ewige Menschheitsbedingung; Wert, Ware, Geld und Markt wurden nicht als aufzuhebende gesellschaftliche Formen des Kapitalverhaeltnisses begriffen, sondern als positive Gegenstaende der Moderne, die nur alternativ zu besetzen waeren, und zwar durch den "Klassenkampf" der "Arbeiterklasse".
Aus der Sicht der Wertkritik ist dies die Paradoxie einer Kapitalismuskritik auf dem Boden und in den unbegriffenen Formen des Kapitalismus selbst. Der Grund fuer dieses verkuerzte, wertimmanente Verstaendnis liegt im historischen Charakter der Arbeiterbewegung, die noch der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des modernen warenproduzierenden Systems (alias Kapitalismus) angehoerte. Nachdem die Sozialrevolten vom 16. bis zum fruehen 19. Jahrhundert blutig niedergeschlagen worden waren, deren Traeger sich dagegen wehrten, zur "Arbeiterklasse" unter dem Diktat der Verwertung des Werts gemacht zu werden, hatte das Kapitalverhaeltnis spaetestens Mitte des 19. Jahrhunderts einen irreversiblen Grad der Objektivierung erreicht. Erst an diesem Punkt setzte die sogenannte Arbeiterbewegung ein, die ihre Emanzipationsvorstellungen nur noch in den kapitalistischen Kategorien denken konnte und dadurch ironischerweise selber zum Motor der Wertvergesellschaftung wurde (gegen die jeweils bornierten offiziellen Repraesentanten des Kapitals auf einem bestimmten Entwicklungsgrad).
Koalitionsfreiheit, Verkuerzung des Arbeitstags, Anhebung des Lohnniveaus, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, soziale und oekonomische Staatsintervention usw. waren wesentliche systemimmanente Errungenschaften des Arbeiterbewegungs-Marxismus, die gleichzeitig Bedingungen fuer die flaechendeckende "Inwertsetzung" der Welt durch kapitalistische Massenproduktion wurden und an die Absorptionsfaehigkeit immer groesserer Mengen von abstrakter "Arbeit" gebunden blieben. Im planetarischen Osten und Sueden fuehrten dabei der Marxismus und seine Derivate in Gestalt der staatssozialistischen Systeme "nachholender Modernisierung" sogar direkt Regie.
Die dritte industrielle Revolution der Mikroelektronik, der Zusammenbruch der "nachholenden Modernisierung" und die Weltkrise der abstrakten "Arbeit" markieren am Ende des 20. Jahrhunderts eine neue Situation, in der die objektivierten Realkategorien des warenproduzierenden Systems an eine absolute historische Grenze stossen und sich ihre Dynamik erschoepft. Wollten die alten Sozialbewegungen auf dem vormodernen Niveau nicht in das System der abstrakten "Arbeit" hineingezwungen werden, so kommt es jetzt darauf an, auf dem modernen Niveau aus diesem System wieder herauszukommen.
Das ist jedoch mit den Mitteln der bisherigen wertimmanenten Kapitalismuskritik nicht moeglich, sondern erfordert einen schmerzhaften Bruch mit einer linken "Identitaet", von der die Wertform und alle wesentlichen buergerlichen Gesellschafts-Kategorien blind als apriorische Voraussetzungen genommen wurden, sodass deren jetzt anstehende radikale Kritik und "Aufhebung" zwangslaeufig Unverstaendnis, Abwehr und Frust hervorrufen. Denn damit ist das gesamte, mehr als hundertjaehrige Theorie-"Kapital" des Arbeiterbewegungs-Marxismus auf einen Schlag "entwertet".
Im Bezug auf die Marxsche Theorie stellt die Wertkritik gleichzeitig eine radikale Abkehr und eine konsequente Fortsetzung bzw. Weiterentwicklung dar. Denn bei Marx finden sich (gewissermassen ineinander verschlungen) beide Argumentationsstraenge: der wertimmanente, arbeitsontologische und modernisierungs-theoretische "Klassenstandpunkt" einerseits ebenso wie die radikale Wert- und Arbeitskritik als Kritik des modernen gesellschaftlichen Fetischismus andererseits. In diesem Sinne sprechen wir vom "doppelten Marx". Heute muessen diese beiden Momente voneinander geloest werden. Waehrend sich Arbeiterbewegung und bisherige Linke auf den systemimmanenten, warenfoermig konditionierten Interessenstandpunkt gestellt und den "anderen" Marx der Wert- und Fetischkritik konsequent ausgeblendet (oder bis zur Unkenntlichkeit verharmlost) haben, ist jetzt umgekehrt gerade dieses Moment der Marxschen Theorie aus seinem Dornroeschenschlaf zu erwecken, waehrend das verkuerzte klassen-soziologistische Moment verfaellt.
Das heisst nicht, dass der wertimmanente Interessenkampf einfach preisgegeben wird; aber der emphatische Bezug auf den vermeintlich transzendierenden Charakter des "Klassenkampfs" ist unwiederbringlich dahin. Das fetischistisch konstituierte immanente Interesse kann nicht linear zur Wertkritik verlaengert werden (im Unterschied zum Begriff eines warenproduzierenden, d.h. wertfoermigen Sozialismus), sondern dazwischen liegt ein radikaler Bruch mit der buergerlichen Interessenform selbst, der zu formulieren und praktisch zu machen ist.
Wenn die positive, scheinontologische Besetzung der "Arbeit" hinfaellig wird, gibt es keinen objektiven Hebel und kein apriorisches, metaphysisches Subjekt der Emanzipation mehr: Die Verkaeufer der Ware Arbeitskraft sind "an sich" nichts als Funktionstraeger des warenproduzierenden Systems, Charaktermasken des variablen Kapitals. Die emanzipatorische Bewusstwerdung besteht nicht darin, dass eine kapitalistisch objektivierte soziale "Klasse" zu einem Subjekt "fuer sich" wird und eine ebenso objektivierte "historische Mission" exekutiert, sondern darin, dass Menschen gerade in Distanz zu ihrem system-konstituierten sozialen Ort die kapitalistische Zumutung durchschauen und sich dagegen positionieren, ohne eine positive und willens-unabhaengige Kraft der Geschichte im Ruecken zu haben. Sie ist also nicht positiv, sondern wesentlich negatorisch; nicht von "positiven Eigenschaften" des Systems und seiner diversen Funktions- bzw. Sozialkategorien vorab determiniert, sondern negativ hervorgerufen durch die Widersprueche, Brueche, Unlebbarkeiten und unertraeglichen Zumutungen eines Kapitalismus, der jetzt keinen Entwicklungshorizont mehr vor sich hat.
Die enorme theoretische und praktische Sprengkraft, die der historisch unabgegoltene Teil des Marxschen Werkes gewinnt, schliesst insofern die Kritik und Überwindung der Logik eines apriorischen, schon feststehenden sozialen Traegers der Emanzipation ueberhaupt ein, die von der "neuen Linken" ueber den klassischen Arbeiterbewegungs-Marxismus hinaus mit allerlei Surrogaten immer wieder neu besetzt wurde: von den "nationalen Befreiungsbewegungen" der 3. Welt ueber die sogenannten Randgruppen, die Frauen, die Geisteskranken bis zu den Schwulen und Lesben oder neuerdings einer Art Medien- und Kulturarbeiterklasse. Diese unaufgehobene Grundlogik machte sich uebrigens selbst noch bei jenen bemerkbar, die an diesem Spiel verzweifelten, um dann aus der Tatsache, dass weit und breit kein apriorisches, objektiv-soziologisch konstituiertes "revolutionaeres Subjekt" auszumachen ist, die Unmoeglichkeit einer radikalen Veraenderung der Gesellschaft ueberhaupt abzuleiten (wir denken hier insbesondere an Adepten der Kritischen Theorie). Was also historisch ansteht, ist die Selbst-Konstitution einer bewussten Aufhebungsbewegung gegen das warenproduzierende System, die keine positive ontologische Bestimmung, sondern nur noch die Krise des modernen Fetisch-Systems im Ruecken hat. Ihre Aufgabe ist es, die verinnerlichte, scheinbar selbstverstaendliche gesellschaftlichte Form des Werts zu knacken. Jede Gesellschaftskritik, die dieses Problem nicht explizit stellt und zu konkretisieren versucht, kann man/frau ab sofort vergessen.
Frage 2: Ihr schreibt im Editorial der letzten Krisis, dass sich Euer wertkritischer Ansatz im Laufe der Zeit radikalisiert hat. Ihr habt zur Kritik von Realkategorien des warenproduzierenden Systems zunehmend Begriffe dekonstruiert, auf die Ihr Euch einige Nummern zuvor noch positiv bezogen habt. Die Arbeit sollte zunaechst nur in ihrer abstrakten Form, spaeter sollte sie ganz aufgehoben werden. Die Kritik an der Politikemphase wurde allmaehlich zur "Antipolitik". Die Kritik am Klassensubjekt wurde zur Kritik am Subjekt radikalisiert. Koennt Ihr uns erlaeutern, was sich hinter den Stichworten "Aufhebung der Arbeit", "Anti-Politik" und "Subjektkritik" verbirgt?
Antwort: Natuerlich ist die Wertkritik der Krisis nicht als ploetzliche Eingebung vom Himmel gefallen. Wir mussten uns gewissermassen erst durch die vorgefundene marxistische Ideologie hindurchfressen, was bis jetzt ungefaehr 20 Jahre gedauert hat. Sobald man/frau erst mal an der richtigen Stelle zu ziehen beginnt, kommt eben allmaehlich der ganze Rattenschwanz zum Vorschein, oder anders gesagt: ein Dominostein nach dem anderen faellt. Es ist uns schon oefter vorgeworfen worden, dass wir nach und nach Begriffe negieren, die wir frueher noch positiv besetzt hatten. Dabei wird einfach nicht verstanden, dass es sich nicht um Inkonsequenzen oder unausgewiesene Widersprueche handelt, sondern um einen noch unabgeschlossenen Kritik- und Aufhebungsprozess eines alten Paradigmas, das durch ein neues abgeloest wird. Die bisherigen Stationen sind ziemlich genau ablesbar, jedenfalls fuer alle, die sich ernsthaft darum bemuehen. Es hat natuerlich auch immer wieder Leute gegeben, die dabei an irgendeiner Station haengengeblieben sind und den ganzen Weg aus dem alten, wertimmanenten Marxismus heraus nicht mehr mitgemacht haben; die hassen uns am meisten. So wird es wahrscheinlich noch eine Weile weitergehen, da ist wohl nichts zu machen. Die Sache muss zu Ende gebracht werden. Wir verstehen die Wertkritik als einen neuen Standpunkt radikaler Kritik jenseits des flachen Gegensatzes von altem Lemming-Linksradikalismus und diversen Realo-Schweinereien.
Urspruenglich war unser Ansatz eine Kritik des alten Partei- ebenso wie des "Bewegungsmarxismus", die eine Art utilitaristische Legitimations-Theorie entweder fuer die machtpolitischen "Parteilinien" oder fuer die jeweiligen Konjunkturen sozialer Bewegungen ausheckten. Demgegenueber betonten wir die voellige Eigenstaendigkeit der Theorie, und zwar ausserhalb des akademischen Betriebs als unabhaengige Initiative, was uns Anfang der 80er Jahre ziemlich schnell einsam machte. Allmaehlich schaelte sich dann anhand einer Untersuchung der Sowjetoekonomie und ihrer Geschichte die Wertkritik als Inhalt heraus, ohne dass jedoch die damit verbundenen Kategorien schon als solche dechiffriert worden waeren. Wir bewegten uns ziemlich eng an der Kritik der oekonomischen Formen, aber noch relativ naiv in den Subjektbegriffen des Werts. Der Wert ist naemlich keineswegs, wie oft unterstellt wird, eine bloss oekonomische Binnenkategorie; er steht vielmehr fuer das allgemeine Formprinzip, das diese Gesellschaft insgesamt durchherrscht und ihrer Aufspaltung in getrennte Sphaeren ("Arbeit"/Freizeit, Maennlichkeit/Weiblichkeit, Privatheit/Öffentlichkeit, Ökonomie/Politik, Funktionalitaet/Kultur usw.) zugrunde liegt. Wertkritik macht jenen universellen Abstraktionsprozess zum Problem, der Gesellschaftlichkeit in die Interaktion von isolierten Monaden als Funktionstraegern eines verselbstaendigten, zur aeusserlichen Gewalt gewordenen Fetisch-Mediums aufloest. Ein solcher Ansatz hat nicht nur per se auch eine kultur- und subjekttheoretische Dimensionen, er oeffnet ebenso einen Zugang zur Kritik der modernen Naturbeziehung und anderen aus dem Zustaendigkeitsbereich der klassischen Kritik der politischen Ökonomie herausfallenden Fragestellungen. Die Subjektkritik begann fuer uns mit der Kritik der "Arbeit", die ja die zentrale Subjektkategorie der Wertvergesellschaftung darstellt. Marx kritisiert zwar die "abstrakte Arbeit" der Warenproduktion (die dennoch im wertfoermigen Sozialismus zur Staatsdoktrin wurde), moechte aber die angeblich "vernuenftige" Abstraktion "Arbeit" als ontologische Bestimmung retten. Hier zeigt sich wieder der "doppelte Marx", denn die Abstraktion "Arbeit" ist immer schon "abstrakte Arbeit" und als ebenso positive wie allgemeine Bestimmung erst im modernen warenproduzierenden System praesent (vorher war diese Abstraktion entweder nicht existent oder zumindest weder positiv noch gesellschaftlich-allgemein).
Die "Aufhebung der Arbeit" meint natuerlich nicht, dass in kuenftigen Gesellschaften nicht mehr produziert wuerde oder dass es keinen "Stoffwechselprozess mit der Natur" (Marx) mehr gaebe. Ebensowenig geht es darum, dass die menschliche Reproduktionstaetigkeit bloss auf ein Minimum reduziert oder sogar ganz beseitigt und einfach durch ein automatisches Aggregat ersetzt wird. Vielmehr impliziert diese Aufhebung vor allem zwei Momente, die auf einer anderen Ebene liegen. Naemlich erstens die Aufhebung des abstrakten Bezugs zur Welt, wie er mit der Abstraktion "Arbeit" (Wert) gesetzt ist, in der die Anstrengung ihrem sinnlichen Gegenstand gegenueber gleichgueltig wird. Die "Arbeit" muss weg, weil sie nichts anderes als die spezifische Taetigkeitsform der modernen oekonomischen Selbstzweck-Sphaere ist.
Es gilt also, die menschliche Taetigkeit von der Unterwerfung unter die gesellschaftliche Abstraktionskette von "Arbeit", Wert, Warenform (und nur damit vom Kapitalverhaeltnis) zu befreien, um die verschiedenen Lebens- und Reproduktionsbereiche nicht mehr unter die diktatorische Form einer abstrakten Allgemeinheit zu zwingen, sondern sie nach Kriterien einer "sinnlichen Vernunft" ihrem jeweiligen Gegenstand gemaess zu behandeln. Die modernen Produktivkraefte sollen dabei natuerlich nicht weggeworfen werden, aber sie sind auch nicht in ihrer von der Wertabstraktion durchdrungenen Gestalt einfach zu uebernehmen. Stattdessen geht es darum, sie umzuformen, auszusortieren und nach freien Zwecksetzungen aufgrund einer bewussten gesellschaftlichen Selbstverstaendigung einzusetzen, die nicht mehr von der Pseudo-Objektivitaet der abstrakten "Arbeit" und der daraus entstandenen gesellschaftlichen Verwertungsmaschine abhaengen.
Zweitens heisst "Aufhebung der Arbeit" aber auch, zusammen mit dem abstrakten und deswegen destruktiven Weltbezug die moderne Sphaerentrennung der Gesellschaft aufzuheben, in der die Individuen nur noch Schnittpunkte getrennter Funktionsbereiche sind. Es war der Funktionalismus der Wertabstraktion, der die Lebensbereiche desintegriert und die Sphaere der "Arbeit" als abstrakte, d.h. getrennte Funktionssphaere herausgesetzt und zu einem Bereich reiner Verausgabung abstrakter Energie gemacht hat - was den Menschen lange Zeit so unertraeglich erschien, dass sie immer wieder verzweifelt dagegen rebellierten. Heute gilt es vor dem Hintergrund des Ausbrennens der Verwertungslogik die Unertraeglichkeit und Unverschaemtheit dieser in einem langen Disziplinierungsprozess verinnerlichten Zumutung wieder bewusst zu machen. "Aufhebung der Arbeit" bedeutet also auch, die gesellschaftliche Reproduktion auf hoeherem Niveau (hindurchgegangen durch die moderne Produktivkraftentwicklung und jenseits bornierter familialer Strukturen) als gesamten Lebensprozess von roduzieren und Wohnen, Spiel, Kultur usw. zu reintegrieren. Die von der Wertabstraktion befreiten Produktivkraefte ermoeglichen in diesem Sinne einen viel groesseren Fonds "disponibler Zeit" als in der Vergangenheit.
Die zweite Runde der Subjektkritik bezog sich auf die Ebene der sogenannten Politik. Da die Waren, wie Marx sagt, nicht selbst zu Markte gehen koennen, muessen die Warenbesitzer (inclusive derjenigen, die nichts als ihre Arbeitskraft besitzen) ausser in der absurden Verkehrung ihres eigenen gesellschaftlichen Verhaeltnisses als eines in den Dingen inkorporierten auch noch in eine andere, sekundaere Beziehung zueinander treten, naemlich als vertragschliessende Rechtspersonen. Als solche sind sie jedoch immer schon apriori als "Arbeits"- und Warensubjekte vorausgesetzt, die ueberdies untereinander in Konkurrenzverhaeltnissen auf dem Markt stehen. Deshalb bedarf es der Sphaere des Rechts und sonstiger allgemeiner Rahmenbedingungen des warenproduzierenden Systems, die in der Form des Staates zusammengefasst sind.
Dabei handelt es sich aber eben gerade nicht um eine Instanz der bewussten gesellschaftlichen Selbstverstaendigung. Denn die in das Gegeneinander von Privatinteressen zerfallene Wertvergesellschaftung kann sich nicht unmittelbar mit sich selber ins Benehmen setzten. Sie braucht dazu eine Sphaere, die neben dem eigentlichen gesellschaftliche Betrieb steht und in der ueber die Konditionen und Verlaufsformen des Krieges aller gegen alle verhandelt wird. So zerfaellt das abstrakte Warensubjekt in eine "Arbeits"- und eine Rechtsperson, in den Privatmenschen und den/die StaatsbuergerIn, in den "homo oeconomicus" und den "homo politicus". Neben die abstrakte Allgemeinheit des Geldes tritt die abstrakte Allgemeinheit des Staates, die den Individuen ebenso aeusserlich und fremd gegenuebersteht als Ausdruck ihrer eigenen gesellschaftlichen Schizophrenie. Und die dazugehoerige Sondersphaere der auf Recht und Staat bezogenen Aktivitaeten oder Auseinandersetzungen ist eben die beruehmte Politik als Moment der Wertvergesellschaftung. Es zeigt sich also, dass der Wert keineswegs eine oekonomisch beschraenkte, sondern eine uebergreifende Kategorie darstellt, die sowohl Ökonomie als auch Politik mit logischer Notwendigkeit aus sich heraussetzt.
Das moderne Denken inclusive des Marxismus hat Staat und Politik ebenso falsch ontologisiert wie die "Arbeit". Fuer den wertimmanenten Arbeiterbewegungs-Marxismus wurde das Medium der Politik sogar zum zentralen Taetigkeitsfeld. Denn der Kampf um die Koalitionsfreiheit und die Verbesserung der Lebensbedingungen auf dem Boden des warenproduzierenden Systems schloss die Verwandlung der LohnarbeiterInnen in gleiche Rechtssubjekte und StaatsbuergerInnen ein. Auch in dieser Hinsicht wurden Arbeiterbewegung und Linke zu Schrittmachern der Wertvergesellschaftung. In diesem Kontext entstand die Illusion, die unaufgehobene Wertform politisch im Sinne der sozialen Emanzipation regulieren zu koennen, die in verschiedenen Versionen bis heute spukt. Eine gewisse immanente Rationalitaet gewann dieses Paradigma einerseits in der westlichen keynesianischen Sozialstaatlichkeit und andererseits in den oestlichen staatssozialistischen Systemen "nachholender Modernisierung", wo der Staat sogar als Generalunternehmer fungierte.
Diese diversen Politizismen blieben jedoch alle weit unterhalb der Schwelle der sozialen Emanzipation, weil sie innerhalb der Wertform nur die Übel der einen Funktionssphaere mit denjenigen der anderen kurieren wollten (dies gilt seitenverkehrt auch fuer den Anarchismus, der Staat und Politik nur durch die umgekehrte Illusion einer vermeintlich autonomen Warenproduktion konterkarierte, ohne den inneren Zusammenhang der beiden Sphaeren des Werts zu durchschauen). Bis heute ist die Linke an der Politikillusion kleben geblieben, wobei der Politikbegriff beliebig gedehnt und fast schon mit Kritik oder sozialer Bewegung ueberhaupt gleichgesetzt wurde. Zentral dabei ist die emphatische Besetzung der Begriffe von Demokratie bzw. "Demokratisierung", in denen die Politikillusion sich zusammenfasst. Demokratie ist jedoch nichts weiter als die entwickeltste Staatsform auf dem Boden des Werts, in der demzufolge auch die spezifischen Widersprueche des warenproduzierenden Systems am reinsten zum Ausdruck kommen. Ihrem Begriff wie ihrer unmittelbaren Wortbedeutung nach ist sie wesentlich Herrschaftsform, und zwar idealtypisch die Selbst-Beherrschung und Selbstunterwerfung der sozialen Funktionstraeger unter die gemeinsame Fetischform oder Weltmaschine des Kapitals.
Demzufolge impliziert also Wertkritik mit logischer Notwendigkeit die Kritik der politischen Subjektivitaet und eine radikale Demokratiekritik. Auch in dieser Hinsicht finden wir wieder den "doppelten Marx": naemlich einerseits den Modernisierungstheoretiker, der Politik und Demokratie einfordert; und andererseits den radikalen Politik- und Demokratiekritiker Marx, fuer den die Aufhebung des modernen Fetischismus die Aufhebung des Staates einschliesst. Waehrend Arbeiterbewegung und Linke diese Zielsetzung auf eine imaginaere Zukunft verschoben und praktisch gar nicht ernst genommen haben, bedeutet Wertkritik die Einloesung auch dieses unabgegoltenen Moments. Darin sind wir ganz "dogmatisch", d.h. nicht bereit, auf ein billiges Umdefinieren dieser dem fetischistischen Wertverhaeltnis unentrinnbar zugehoerigen Kategorien von Politik und Demokratie einzugehen. Wertkritik ist anti-politisch oder sie ist gar nicht.
Das bedeutet, dass eine soziale Bewegung entwickelt werden muss, die bereits unmittelbar jenseits des Politizismus und der demokratischen Illusion operiert, auch wenn natuerlich ebenso wie in sozialoekonomischer Hinsicht immanente "Rechte" nicht kampflos preiszugeben sind. Aber das Selbstbewusstsein und die emanzipatorische Zielsetzung einer zukuenftigen Aufhebungsbewegung koennen nicht mehr in politisch-demokratischen Kategorien gedacht werden. In dieser Hinsicht kommt uns allerdings die heute allerorten (wenn auch begriffslos) beschworene und gefuerchtete "Krise der Politik" entgegen, die ein integraler Bestandteil der absoluten Krise der Wertvergesellschaftung ist. Die Symptome sind mit Haenden zu greifen. Aber es handelt sich nicht um ein Versagen der Politiker, sondern der Politik selber als Funktionssphaere. Der Begriff der "Anti-Politik" reflektiert genau diese Situation. Er drueckt gleichzeitig aus, dass es nicht mehr darum gehen kann, unter welchen Vorzeichen auch immer eine "andere Politik" zu ersinnen, ohne jedoch andererseits beim allgemeinen Privatisierungsrennen mitzumachen. Vielmehr ist eine unmittelbare gesellschaftliche Intervention noetig, die den schizophrenen Dualismus der Wertvergesellschaftung durchbricht.
Die dritte, noch unabgeschlossene Runde der Subjektkritik zielt schliesslich auf den Subjektbegriff selbst. Nicht nur das Subjekt der "Arbeit" und die politische Subjektivitaet werden wertkritisch hinfaellig, sondern das Subjekt ueberhaupt. Wenn die Wertform die gesellschaftliche Beziehung der Menschen zu einer von ihnen getrennten, objektiven Gewalt macht, so ist diese Konstellation bereits in der Subjektvorstellung selber festgeschrieben. Ein Subjekt kann es logischerweise nur im Gegensatz zu einem Nichtsubjekt, also einem Objekt geben. Wo der Mensch sich als Subjekt auf Natur und Gesellschaft bezieht, behandelt er diese und damit seinen eigenen Kontext als Objekt. Subjektivitaet schliesst insofern immer schon die Selbst-Objektivierung dieses Subjekts ein, das sich bewusstlos den Objektivierungen des warenproduzierenden Systems unterwirft, wie sie das "automatische Subjekt" jenseits der abstrakt- individuellen Willenshandlungen bilden. In bezug auf die kapitalistische Weltmaschine als solche ist also das Subjekt per definitionem gegenstandslos. Mit anderen Worten: Subjektivitaet kann immer nur ein Binnensubjekt innerhalb der Fetischform bezeichnen, das mit den von der Wertlogik vorgestanzten Wahlmoeglichkeiten hantiert.
So zusammengezogen, klingt das alles vielleicht nach einer etwas willkuerlichen Sprachregelung und irritiert, weil es in Widerspruch zu der tief eingeschliffenen Gewohnheit steht, reflektiertes Handeln und Subjektivitaet synonym zu behandeln. Nimmt man die historische Genese des modernen Subjekts in Augenschein, dann gibt es allerdings genug Gruende, die es nahelegen, die Befreiung von der modernen Wertvergesellschaftung nicht in demselben grundsaetzlichen Bewusstseins- und Handlungsbegriff zu denken, der mit ihrer Herausbildung einhergegangen ist. Die Entstehung des sogenannten Subjekts ist mit dem modernen Objektivierungsprozess nicht nur verschraenkt, sondern schlicht damit identisch, was uebrigens auch die Geschichte des Subjektbegriffs zeigt. In der vormodernen Philosophie bedeutet "Subjekt" naemlich ziemlich genau das, was heute "Objekt" heisst. Diese Bedeutung ist z.B. im Franzoesischen (und in der Literaturtheorie) noch praesent, wo "Sujet" bekanntlich den Gegenstand meint. Eigentlich ist "sujet" das Unterworfene, ja sogar der Untertan; und das passt doch praechtig zu den heutigen besinnungslosen Knechten der Marktwirtschaft und des Standortschwachsinns.
Was zusammengehoert und zusammen entstanden ist, hat auch zusammen zu verschwinden. Die linke Emphase des Subjekts, der Subjektwerdung usw. bezieht sich nur auf den allgemeinen Begriff derselben fetischistischen Bewusstlosigkeit, wie sie schon in der "Arbeits"- und Politik-Emphase zum Ausdruck kommt. Eine die fetischistische Gesellschaftsform hinter sich lassende Aufhebungsbewegung muss dagegen mit dem Gesamtverhaeltnis des Werts auch die Subjektform als solche ueberwinden.
Frage 3: Damit sind wir bei der Frage nach den theoretischen Mitteln. In anderen Zeitschriften wie z.B. der 17 Grad, denen Dekonstruktion auch ein Anliegen ist, ist die These vertreten worden, dass zur Infragestellung von Kategorien wie Nation, Rasse und Geschlecht von Judith Butler inspirierte Theorieansaetze mehr hergeben als z.B. die marxistische Theorietradition. Glaubt Ihr auch, dass solche Ansaetze fuer Euer wertkritisches Anliegen fruchtbar gemacht werden koennten?
Anwort: Der sogenannte Poststrukturalismus bzw. Dekonstruktivismus ist aus unserer Sicht eine blosse Modetheorie im Kontext der Postmoderne und fuehrt ueberhaupt nicht weiter, sondern vernebelt nur die eigentliche Aufgabe der Wertkritik. Die postmoderne Dekonstruktion und die der Wertkritik inhaerente Begriffskritik stellen voellig gegensaetzliche Orientierungen dar. Die Dekonstruktion versucht bestimmte Kategorien als "Diskursprodukte" zu dechiffrieren und dadurch zu relativieren. Uns geht es statt um symbolische Relativierung um Historisierung und reale Aufhebung. Wir versuchen nachzuzeichnen, welche Rolle bestimmte Realabstraktionen in der Wertvergesellschaftung spielen und wie sie diese historisch hervorgebracht hat.
Dass die Abstraktion "Arbeit" beispielsweise fuer uns nichts Überhistorisches ist, aendert nichts daran, dass sie in der auf dem Wert beruhenden Gesellschaft durchaus ein substantielles Moment bildet. Sie ist nicht bloss die Ausgeburt irgendeines nebulosen "Diskurses" und durch ihn gesetzt, sondern das Produkt von 500 Jahren moerderischer kapitalistischer Entwicklungsgeschichte und stellt als Realabstraktion das Paradox eines verdinglichten, Substanz gewordenen gesellschaftlichen Verhaeltnisses dar. Eine solche Abstraktion laesst sich nicht durch einige oberflaechliche diskursive Umbesetzungen aus der Welt schaffen, sondern nur durch eine Reihe tiefgreifender gesellschaftlicher Umwaelzungen, die auf einer ganz anderen Ebene stattfinden als die dekonstruktiven Spielchen fuer den Zeitvertreib des postmodernen kapitalistischen Sozialcharakters, auf den diese ganze Pseudotheorie zugeschnitten ist.
Der Postmodernismus/Dekonstruktivismus hat keinerlei Begriff des Werts und des Fetischismus im Sinne der gesellschaftlichen Konstitution (wenn ueberhaupt, dann taucht der Fetischbegriff nur auf anderen Ebenen auf). Weit davon entfernt, seine oberflaechliche Anti-Ontologie wirklich einzuloesen, bewegt er sich in einer verschwommenen "Ontologie der Macht" von diskursiven Code-Systemen, in denen es nur symbolische Verschiebungen und Umcodierungen, aber keine reale Aufhebung geben kann. Der dekonstruktive vermeintliche Anti-Ontologismus laeuft in Wirklichkeit bloss auf eine Enthistorisierung der Gesellschaft und ihrer Strukturen hinaus, was ja auch die reale Tendenz der sich zeitlos setzenden Wertform ist. Der so positionierte Anti-Essentialismus ist nicht aufloesend und befreiend, sondern zementiert im Gegenteil die dem "Diskurs" vorgelagerte fetischistische Struktur, die gar nicht mehr benannt werden "darf". Unter dem Vorwand des Anti-Essentialismus wird das reale Substanzproblem in der fetischistischen Konstitution des Werts geradezu tabuisiert. Dem dient auch eine flache Erkenntnistheorie, die schon keine mehr sein will und jede Differenz zwischen Realitaet und Simulation, zwischen Wesen und Erscheinung usw. einebnet. Jede Kritik der begriffslosen Oberflaechlichkeit wird methodisch entsorgt, indem es fuer den Postmodernismus/Dekonstruktivismus ueberhaupt nur noch "Oberflaeche" gibt. Die historische Relativitaet gesellschaftlicher Formationen wird unvermittelt auf die Binnenverhaeltnisse und die Binnengeschichte der modernen Wertvergesellschaftung uebertragen und so der Kapitalismus nicht bloss enthistorisiert, sondern als Gesamtstruktur schlicht unsichtbar gemacht.
Es gibt dann kein fetischistisches und in einem relativen, historischen Sinne substantielles Grundverhaeltnis mehr, sondern nur noch oberflaechliche, rein "relationale" Verhaeltnisse. Mit anderen Worten: "Kritik" ist nur noch moeglich im Kontext binnenkapitalistischer Beziehungen, Ereignisse und Verhaeltnisse, waehrend das konstitutive Bezugssystem weggezaubert und unerreichbar geworden ist. Dieser "Relationalismus" geht zurueck auf den Sprachtheoretiker de Saussure, der durch saemtliche strukturalistischen, postmodernen und dekonstruktivistischen Theorien geistert. De Saussure seinerseits bezieht seine schon Anfang des 20. Jahrhunderts formulierte sprachtheoretische Einebnung der Differenz von Signifikat und Signifikant (die dann von den Postmodernisten auf andere Ebenen uebertragen und erkenntnistheoretisch verallgemeinert worden ist) direkt auf die buergerliche politische Ökonomie seiner Zeit. Und das ist die Grenznutzentheorie, die schon damals in polemischer Wendung gegen die Marxsche Kapitalismuskritik den substantiellen Wertbegriff in ein rein "relationales" Verhaeltnis von subjektiven Nutzenschaetzungen aufgeloest hat. Es gibt dann keinen Wert mehr, sondern nur noch Preise und Tauschbeziehungen; das Wertverhaeltnis und die dazugehoerige Subjektform sind also apriori vorausgesetzt und jeder Thematisierung, somit auch jeder Kritik entzogen.
Auf dem Umweg ueber de Saussure ist dieser urspruenglich oekonomische "Relationalismus" nun verallgemeinert und zur postmodernen Generalmethode gemacht worden. Dazu gehoert flankierend auch die Abwehr der sogenannten "Grosstheorie" bzw. der "grossen Erzaehlungen". Es wird so getan, als laege das vergewaltigende, anmassende Moment abstrakter Allgemeinheit nicht in der realen gesellschaftlichen Form, sondern in deren theoretischer Reflexion. Die Abruestung der kritischen Reflexion wird somit in ein geradezu emanzipatorisches Verhalten umgelogen, waehrend die reale gesellschaftliche Grossanmassung durch die vergewaltigende Abstraktion des Werts aus der Schusslinie kommt, weil die "Grossstrukturen" ja nicht mehr "grosstheoretisch" begriffen werden "duerfen". Das ist so billig, dass man/frau sich fast schaemen muesste, so etwas ueberhaupt ernsthaft zu eroertern. Aus der Sicht der Wertkritik ist am Marxismus zwar zu kritisieren, dass er sich als positive "Grosstheorie" verstand, weil er sich selber positivistisch zur Wertform verhielt und deren Totalitaet positiv neu besetzen wollte. Aber die Konsequenz daraus kann nur sein, die "Grosstheorie" (d.h. die begriffliche Erfassung der fetischistischen Totalitaet und ihres realen Anspruchs) negativ umzupolen, etwa im Sinne von Adornos Aphorismus, dass das Ganze das Unwahre sei; nicht aber, sie einfach preiszugeben und damit das reale gesellschaftliche Bezugssystem der theoretisch-begrifflichen Anstrengung aus der Theorie zu verbannen.
Dieser theoretisch und gesellschaftskritisch abgeruestete Postmodernismus entspricht dem Ende der kapitalistischen Entwicklungsgeschichte; er stellt keine Reflexion, sondern bloss einen Reflex dieses Endes dar. Nachdem die Wertvergesellschaftung zum flaechendeckenden planetarischen System geworden ist und damit keinen historischen Entwicklungsraum mehr hat, waehrend ihre Dynamik gleichzeitig ausbrennt, verliert sie notwendigerweise auch das Interesse an der theoretischen Legitimation und Selbstreflexion. Die kritische Theorie des Ganzen, die in ihrer positiven Gestalt Teil der kapitalistischen Durchsetzungsgeschichte war, wird nicht negativ umgepolt und ihrerseits kritisch aufgehoben, sondern bloss als ueberfluessig entsorgt. Die herrschende Fetischform will sich verewigen, indem sie den theoretischen Begriff von Sich selbst und den der Geschichte beseitigt: Hinfort soll es nur noch events und Verschiebungen innerhalb der nicht mehr benennbaren warenfoermigen Totalitaet geben.
Diesem Zweck der begrifflich-theoretischen Entsorgung dient auch der postmoderne Kulturalismus, und zwar in einem doppelten Sinne. Erstens wird die Dialektik von Natur und Kultur bzw. von Natur und Gesellschaft beseitigt zugunsten einer "Totalkulturalisierung" des Naturverhaeltnisses. Das gesamte Problem der vom Wert gesetzten abstrakten und deshalb destruktiven Naturbeziehung, das Problem des gesellschaftlichen "Stoffwechselprozesses mit der Natur" verschwindet spurlos in der relativistischen Kulturalisierung aller Gegenstaende. Zweitens wird auch die Ökonomie des fetischistischen Selbstzweck-Systems kulturalistisch umgedeutet und verharmlost. Auch die sozialen Widersprueche verschwinden in einer "Totalkulturalisierung" des Sozialen; Armut und Krise werden durch Ästhetisierung entschaerft. Kulturalisierung und Ästhetisierung verbinden sich im Postmodernismus mit dem "Relationalismus" zu einem Gesamtsyndrom der Reduktion von Gesellschaftstheorie auf ein oberflaechliches Spiel mit symbolischen Zeichensystemen, das die katastrophisch vor sich hinprozessierende Weltmaschine des Werts in Ruhe laesst: Die real existierende negative Totalitaet wird zur kulturalistisch verkuerzten "Diskurs"-Metaphysik entwirklicht.
Als Theorie waere der Postmodernismus/Dekonstruktivismus an sich nicht besonders ernst zu nehmen. Streckenweise kann er als Realsatire sowohl auf die kapitalistische Bewusstseinsform am Ende ihrer Durchsetzungsgeschichte als auch auf ihre bisherige systemimmanente Kritik gelesen werden. Bedeutung gewinnt diese Theorie durch ihren funktionalen Charakter fuer das blinde Verharren in der fetischistischen Konstitution trotz deren Krise. Die Postmoderne stellt ein kurzes historisches Zwischenreich dar, in dem die Wertvergesellschaftung gewissermassen in der Luft weiterlaeuft, bevor sie endgueltig zur Hoelle faehrt. Dieses "Weiterlaufen in der Luft" stellt sich oekonomisch als Kasinokapitalismus, d.h. als Kreation von "fiktivem Kapital" (Marx) in der irreversiblen strukturellen Überakkumulation des Kapitals dar. Dem entsprechen ein zwangs-flexibilisierter Sozialcharakter mit grossen Halluzinationspotentialen, der sein eigenes Elend aesthetisiert, und allgemein eine Kultur des Scheins und der Simulation, der medialen Inszenierung und Selbstinszenierung, mit einem Wort: der umfassenden Ignoranz.
Fuer Linke ist dieser Postmodernismus/Dekonstruktivismus deshalb attraktiv, weil er es scheinbar erlaubt, sich der unangenehmen Anforderung eines grundsaetzlichen wertkritischen Paradigmenwechsels der Theorie zu entziehen. Unter dem Vorwand einer Kritik des "Ökonomismus" wird die ganze unaufgehobene, wertimmanente alte Gesellschaftskritik kulturalistisch maskiert, runderneuert und aesthetisierend herausgeputzt. In dieser Verkleidung kann sich der verkuerzte Soziologismus vermeintlich weiterschleppen und das muntere Mitmischen in der postmodernen Inszenierungs- und Simulationskultur scheint gesichert.
Statt Kategorien wie Nation, Rasse, Geschlecht usw. durch kritische Vermittlung mit den Formprinzipien und der Geschichte der Wertvergesellschaftung aufzurollen, werden sie bloss "relational" auf "jeweilige", enthistorisierte Verlaufsformen des "Diskurses" bezogen. Mit anderen Worten: Antinationalismus und Antirassismus werden oberflaechlich kulturalisiert und von jeder grundsaetzlichen Kapitalismuskritik systematisch entkoppelt, die in ihrer alten, unaufgehobenen Gestalt nur noch floskelhaft raunend im Hintergrund spukt. Gewissermassen laeuft so auch der soziologistische Arbeiterbewegungs-Marxismus simulativ "in der Luft weiter". Seine theoretischen Aporien werden nicht aufgeloest, sondern erscheinen in einer kulturalistischen, auf die "Sprache" und ihre diskursiven Codes bzw. Zeichensysteme transformierten und bis zur Unkenntlichkeit entstellten Form wieder.
Waehrend der Arbeiterbewegungs-Marxismus und die politizistische Linke in ihrer klassischen wertimmanenten Erscheinungsform kaum mehr satisfaktionsfaehig sind und zusehends sang- und klanglos den Geist aufgeben, tritt die pseudoraffinierte Entsorgungs- und Ausweichideologie des "linken" Postmodernismus/Dekonstruktivismus in direkte Konkurrenz zur Wertkritik. Im Kampf um die adaequate Weiterentwicklung und Transformation der Gesellschaftskritik nach dem Epochenbruch wird es also wohl in der naechsten Zeit gewissermassen zum Show-down dieser beiden diametral entgegengesetzten Ansaetze kommen. Dass die dekonstruktive Mode-Ideologie heute als unabweisbar erscheint, weil ihr jeder sich spreizende akademische Geck, jede Karrieristin und jeder DJ nachlaeuft, schreckt uns dabei wenig; denn diese aufgeblasene theoretische Seichtigkeit wird langfristig nicht standhalten.
Frage 4: Wie sieht die Integration feministischer Ansaetze in Eure Wertkritik aus? Was heisst das konkret: "Der Wert ist der Mann" (Roswotha Scholz)?
Antwort: Wie die meisten Theorie-Gruppen war und ist auch der Krisis-Zusammenhang keineswegs zufaellig maennlich dominiert; ist doch die moderne theoretische Sphaere als solche schon maennlich konnotiert und Moment eines bestimmten Geschlechterverhaeltnisses. Insofern haben wir die Wertkritik auch zunaechst ueber weite Strecken entwickelt, ohne das "stoerende" und irgendwie querliegende Problem des Geschlechterverhaeltnisses systematisch aufzunehmen, das zwar wahrgenommen, aber nicht mit der Wertkritik vermittelt werden konnte.
Im Grundsaetzlichen schien es sich aehnlich wie etwa bei der Politik rein "ableitungstheoretisch" und also subsumierend um eine unter mehreren aus dem Wert herausgesetzten gesellschaftlichen Sphaeren zu handeln (ungefaehr wie Eva aus der Rippe des Adam entsprossen sein soll).
Dieses Verstaendnis des Geschlechterverhaeltnisses, das nur die einschlaegige Position des Arbeiterbewegungs-Marxismus wertkritisch "uebersetzte", wurde jedoch durch die feministische Intervention von Roswitha Scholz durchbrochen, die sich als eine der wenigen unter den theoretisch aktiven Feministinnen auf die Wertkritik der Krisis positiv, wenn auch distanziert bezog. Aus diesem Bezug entstand schliesslich ein eigenstaendiger theoretischer Ansatz, dem das Kunststueck gelungen zu sein scheint, die Geschlechterfrage weder unter einen vermeintlich geschlechtsneutralen Allgemeinbegriff der Gesellschaft zu subsumieren noch dazu bloss parallel und unvermittelt zu setzen (in keiner Frage blamiert sich der Soziologismus derartwie in dieser).
Diese Argumentation, die zunaechst in einem Artikel mit dem polemisch zuspitzenden Titel "Der Wert ist der Mann" publiziert wurde, laeuft im Kern darauf hinaus, dass der reale Totalitaetscharakter des Werts bestritten wird; aber eben nicht von einem soziologistischen oder kulturalistischen Standpunkt aus, der die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen gegen das Wesen auszuspielen versucht (wie z.B. der Dekonstruktivismus), sondern in dem Sinne, dass der inhaerente Anspruch der Wertabstraktion, sich die gesamte Welt von Mensch und Natur total zu subsumieren, real uneinloesbar ist. Die Durchsetzungsgeschichte des Werts kann also gar nicht zu einem absoluten Ende kommen, ebensowenig wie die Formabstraktion des Werts jemals ohne Naturstoff und ohne real verausgabte Arbeitssubstanz zu ihrem eigenen Inhalt werden kann (auch wenn dies im Kasinokapitalismus suggeriert wird).
Es gibt also immer Momente, Bereiche und Taetigkeiten, die sich ihrer Natur nach der Wertabstraktion sperren und darunter gar nicht oder nur unter groessten Friktionen subsumiert werden koennen. Dazu zaehlen u.a. der in der Moderne als "Hausarbeit" bezeichnete Bereich, Kindererziehung, Altenbetreuung, an sich immaterielle und unoekonomische Beziehungen wie "Liebe", Zuwendung usw. Die Wertvergesellschaftung hat auf dieses Problem reagiert, indem sie alle diese Momente und Bereiche, soweit sie nicht der "Inwertsetzung" unterworfen werden konnten, von der offiziellen Totalitaet "abgespalten" und sozialhistorisch als Aufgabe an "die Frau" delegiert (und gleichzeitig als "inferior" gesetzt) hat.
Die Totalitaet des Werts ist also gar nicht die wirkliche Totalitaet, sondern es gibt eine Rueckseite oder einen Schatten, der davon nicht direkt erfasst ist, aber dennoch dazugehoert. Denn diese Momente und Bereiche stellen ja kein unabhaengiges Jenseits des Werts dar, sondern sie sind eben per definitionem das vom Wert Abgespaltene und insofern mit diesem dialektisch verbunden. Die wirkliche Totalitaet waeren also der Wert und das von ihm Abgespaltene als dialektische Einheit. Man/frau muesste insofern statt vom Wertverhaeltnis vom Wertabspaltungs-Verhaeltnis sprechen; und Wertvergesellschaftung in diesem Sinne schliesst immer schon das Mitdenken der Abspaltung ein. Im Kontext der Wertkritik wurde dieser ganze Ansatz schliesslich als Abspaltungstheorem bezeichnet.
Das Abspaltungstheorem meint natuerlich nicht, dass Frauen ausschliesslich dem abgespaltenen Bereich angehoeren und Maenner grundsaetzlich ausserhalb der abgespaltenen Momente stuenden. Aber das Geschlechterverhaeltnis als Strukturverhaeltnis ist in der Moderne gewissermassen wesenslogisch auf das Abspaltungsproblem zentriert, was sich sowohl historisch als auch empirisch zeigen laesst. Grundsaetzlich und bis heute (die Postmoderne eingeschlossen) sind die Haushaltstaetigkeiten, die Versorgung von Kleinkindern usw. gesellschaftlich auf die Frauen konzentriert. Soweit Frauen mehr als frueher berufstaetig sind, werden sie im Unterschied zu Maennern "doppelt vergesellschaftet" (Regina Becker-Schmidt). Innerhalb der warenproduzierenden "Arbeit" bleiben sie systematisch benachteiligt, werden beruflich auf "sinkende Schiffe" gesetzt oder konzentrieren sich in sogenannten "weiblichen" Berufen, sind auf den Kommando-Ebenen unterrepraesentiert usw. Alles, was ausserhalb oder unterhalb der Geldebene stattfinden muss, wird selbst noch in den Slums bei voellig zerfallenen Familienstrukturen nach wie vor an die Frauen delegiert. Auch die dazugehoerigen geschlechtsfetischistischen Konnotationen, zugeschriebenen "Eigenschaften" usw. setzen sich bis in die Ausdrucksformen des sexuellen Begehrens hinein durch alle Brueche und Umformungen der Wertvergesellschaftung hindurch fort.
Zusammengefasst laesst sich sagen, dass das Abspaltungstheorem eine theoretische Integration leistet, die das bisher ungeklaerte Problem der logisch-historischen Beziehung von Geschlechterverhaeltnis und gesellschaftlicher Grundstruktur (Wert) loest und einen unvermittelten Parallelismus ebenso vermeiden kann wie eine blosse Subsumtionslogik. Damit ist der feministische Ansatz natuerlich noch lange nicht bruchlos in die Wertkritik integriert. Zum einen steht der wertkritisch- abspaltungstheoretische Durchgang durch die feministische Theorie an, um das Abspaltungstheorem theoriegeschichtlich und gesellschaftlich genauer zu positionieren. Zum andern ist die wertkritische Diskussion und Theoriebildung, soweit sie sich nicht direkt auf das Geschlechterverhaeltnis bezieht, bis jetzt keineswegs ausreichend mit diesem neuen Ansatz vermittelt und die Konsequenzen sind noch lange nicht ausgelotet.
Die Weiterentwicklung der Wertkritik durch das feministische Abspaltungstheorem, so unabgeschlossen sie ist, wird gegenwaertig ueberlagert durch die beginnende polemische Auseinandersetzung mit dem Dekonstruktivismus. Waehrend das Abspaltungstheorem noch vor zehn oder fuenfzehn Jahren in der feministischen Debatte vielleicht Furore gemacht haette, trifft es heute aufeinen seinerseits abgeruesteten Feminismus, der seinen Frieden mit dem warenproduzierenden System gemacht hat. Ebensowenig wie in der "maennlichen" Theorie wurden die marxistischen Bezuege, der fetischistische "Arbeits"-Begriff und das Problem der Wertabstraktion in der feministischen Theorie kritisch ueberwunden und aufgehoben.
Auch in der Frauenbewegung avancierte stattdessen der Postmodernismus/Dekonstruktivismus zur modischen Entsorgungs- und Abruestungsideologie von radikaler Gesellschaftskritik. Weiblein wie Maennlein erfreuen sich gerade deswegen an der "Inspiration" durch den feministischen Dekonstruktivismus von Judith Butler, weil dabei im krassen Gegensatz zum Abspaltungstheorem von Roswitha Scholz das Wertverhaeltnis und die tiefsitzende Struktur der Abspaltung ueberhaupt nicht beruehrt werden. Die systematische Ausblendung der Wertform und damit des Kapitalismus erlaubt eine "diskurs"-soziologistische, enthistorisierte Verkuerzung des Geschlechterverhaeltnisses und eine Oberflaechenstrategie, die sich auf eine Art performativen Geschlechterfasching beschraenkt, ohne die sozialhistorischen Grundstrukturen der negativen Wertabspaltungs-Totalitaet in Frage stellen zu koennen. Auch in der Kritik des kapitalistischen Geschlechterverhaeltnisses muss es also zum Show-down zwischen Wertkritik und Postmodernismus/Dekonstruktivismus kommen.
Frage 5: In den letzten beiden und heftig umstrittenen Nummern der Krisis wird versucht, praktische Vorschlaege zu machen, wie das warenproduzierende System ueberwunden werden koennte. In der Kritik an der Praxisorientierung, wie sie aus dem Umfeld der Zeitschrift Bahamas kommt, werden vor allem drei Argumente gebracht. Erstens, dass Ihr auf der Suche nach moeglichen Gruppen, die Eure Vorschlaege aufgreifen koennten, zu unkritisch seid, insbesondere was die Ökologiebewegung angeht. Zweitens, dass Ihr, indem Ihr die Alternativen momentan konkret benennt, nur das Bestehende in irgendeiner Form reproduzieren koennt und letztendlich nur dessen Affirmation betreibt. Drittens, dass kritische Theorie nur die Funktion haben kann, das Bestehende zu hinterfragen, nicht aber Alternativen zu benennen, da dazu nur eine revolutionaere Bewegung in der Lage ist. Was sagt Ihr zu diesen Einwaenden?
Antwort: Wir halten keine subsistenzwirtschaftliche Kuh in der Garage, weil wir keine Garage besitzen. Ebensowenig haben wir eine Genossenschaft aufgemacht, auch keine Autobahnbruecken gesprengt (leider) und keine Forderungen an den Staat gestellt. Mit anderen Worten: Es gibt ueberhaupt keine "Praxisorientierung" der Krisis, denn eine solche waere erst im Kontext einer emanzipatorischen sozialen Bewegung moeglich, von der momentan weit und breit nichts zu sehen ist. Stattdessen haben wir versucht, in einigen Punkten die Frage, wie die sozialen und oekonomischen Formen der Wertvergesellschaftung aufzuheben sind, theoretisch zu konkretisieren. Denn selbstverstaendlich ist das selber auch ein theoretisches Problem.
Logischerweise impliziert die theoretische Kritik auch die theoretischen Grundzuege einer positiven Aufhebung als Konsequenz der Negativitaet (sonst waere die Kritik selber gar nicht moeglich), auch wenn deren konkrete Praxis und Entwicklung natuerlich erst von einer grossen sozialen Bewegung ausgeformt werden kann. Aus der Kritik von "Arbeit", Wertform und Kapitalverhaeltnis lassen sich Bestimmungen fuer Weg und Ziel einer Aufhebungsbewegung angeben. Das geht nur dann nicht, wenn auch die Wertkritik selber inkonsequent und unvollstaendig ist.
Die selbsternannten Nachlassverwalter der Kritischen Theorie á la "Bahamas" oder ISF Freiburg, die ausserdem noch allerhand Eierschalen eines laengst historisch gewordenen (arbeitsontologischen, klassensoziologistischen, demokratistischen) Linkskommunismus mit sich herumschleppen, sind trotz ihrer eigenen Momente von Wertkritik noch viel zu sehr in den Aporien des Arbeiterbewegungs-Marxismus befangen, als dass sie die Aufhebung der Wertform konkret denken koennten. Deshalb haben sie sich diese Problemstellung sogar als theoretische verboten und dekretieren eine weg- und ziellose Kritik, die am Punkt der Aufhebungsfrage ins diffuse Raunen kommt.
Die Aufhebung der Wertform wird in ein schlechthinniges Jenseits als unbestimmtes und unbestimmbares "ganz Anderes" verbannt, zu dem vom unaufgehobenen Istzustand keinerlei benennbare Bruecken und Wege fuehren. Der inkonsequente und deshalb unkonkrete, teilweise wirklich ungeniessbar gewordene Charakter der eigenen Theorie maskiert sich durch eine quasi-existentialistische Haltung hinsichtlich des Verhaeltnisses von Theorie und sozialer Bewegung, wobei letztere begrifflich im Status eines metaphysischen Subjekts verbleibt. Das Laecherlichste ist es, dass diese theoretische Insuffizienz sich als besondere Radikalitaet und besonders vornehme Negativitaet aufspreizt, um die viel weitergehende Wertkritik der Krisis abzuwehren.
Aus dieser Haltung heraus, die viel mit Selbstbehauptung und Einigelung in einem Übergangsstatus zwischen Arbeiterbewegungs-Marxismus, "orthodoxer" kritischer Theorie der vierziger Jahre und Wertkritik zu tun hat, wird die Krisis vorwiegend pejorativ wahrgenommen und zunehmend mit denunziatorischen Unterstellungen verfolgt, weil wir die Denk- und Konkretisierungsverbote eines "ungluecklich" gewordenen Zustands kritischer Theorie missachten (wobei das aber heute in der Auseinandersetzung um die Erneuerung von radikaler Gesellschaftskritik nur ein "Nebenkriegsschauplatz" ist).
Eine Spezialitaet dieser denunziatorischen Abwehr stellt die Instrumentalisierung der oekologischen Frage dar. Wir haben niemals die Ökologiebewegung in ihrem Istzustand (und schon gar nicht in ihren biologistischen Varianten) als potentielle Aufhebungsbewegung missverstanden, sondern vielmehr die Weltzerstoerung durch "abstrakte Arbeit" als einen Ansatz fuer die Vermittlung der Wertkritik benannt. Fuer "Bahamas" und ISF dagegen ist die Kritik an der Zerstoerung der Naturgrundlagen per se schon nichts als ein neofaschistisches Problem, womit sie nur beweisen, dass sie unfaehig sind, die Kritik der kapitalistischen "Realabstraktion" zu Ende zu denken. In diesem Punkt treffen sie sich uebrigens mit den "linken" Postmodernisten, die ebenfalls "Natur" fuer eine faschistische Erfindung halten und mit Begeisterung von Nestle oder Maggi als Designer-Food aufbereitete Faekalien zu sich nehmen wuerden, weil die Nahrungsmittel eh nur ein kulturrelativistischer Gegenstand sind. Wenigstens auf dieser Ebene wissen wir uns allerdings hundertprozentig einig mit Adorno gegen die Hausmeister seiner Kritischen Theorie.
Frage 6: Robert Kurz hat in seinem letzten Artikel in der Krisis zwei zentrale Probleme benannt, die eine Bewegung, die das warenproduzierende System aufheben will, loesen muss: Das der Planung und das einer geeigneten Transformationsstrategie. Stichwort war hier Herausbildung einer "Keimform". Bezueglich des Planungsproblems habt Ihr in der Krisis immer zu Recht darauf hingewiesen, dass eine gesamtgesellschaftliche Planung, die die Vermittlung von Taetigkeiten ueber den Markt ersetzen soll, einer Aufhebung von im Kapitalismus entstandenen Arbeitsteilungen, einer anderen Verwendung der Technik, ja teilweise einer anderen Technik bedarf. Das ist aber nur die technische Seite des Problems. Es gibt aber auch noch eine demokratietheoretische, die in der Krisis nur in Andeutungen vorkommt. Zwar wird immer wieder mal betont, dass es in einer vom Terror des Werts befreiten Gesellschaft keineswegs konfliktlos zugehen wird, die Differenzen zwischen Menschen nicht verschwinden werden, sondern erst richtig zum Ausdruck kommen. Aber theoretische Konsequenzen sind aus dieser Einsicht bisher nicht gezogen worden, es fehlen in der Krisis diskurs-, identitaets- und demokratietheoretische Überlegungen, wie der noetige Konsens in einer sehr pluralistischen Gesellschaft hergestellt werden kann, wenn diese sich nicht mehr der repressiven Mechanismen von Markt und Staat bedient.
Antwort: Selbstverstaendlich hat die Krisis nicht alle Fragen einer Aufhebung der Wertform beantwortet. Warum also das Einklagen einer Allwissenheit, als waere die weitergehende Konkretisierung nicht auch die Angelegenheit einer weitergehenden Debatte auf einem groesseren gesellschaftlichen Feld? Wir wuerden die noch ungeloesten Probleme allerdings nicht als "demokratietheoretische" bezeichnen, eben weil die Demokratie ihrem Begriff nach Herrschaftsform und selber als Moment der Wertvergesellschaftung zu ueberwinden ist. An die Stelle von demokratischem Staat und Markt muessen Instanzen einer direkten Vergesellschaftung treten, z.B. "Raete" unter Beteiligung aller Gesellschaftsmitglieder, die ueber den Fluss der Ressourcen ohne Dazwischenkunft der Wertabstraktion befinden.
Eine solche Gesellschaft wird sicher ihre eigenen Konflikte haben und diese bewusst reflektieren. Wir zweifeln jedoch daran, dass solche Konflikte sich in erster Linie auf die materielle Reproduktion beziehen werden. Auf dieser Ebene ergibt sich vieles aus der stofflich-sinnlichen Gegebenheit von selbst (z.B. die Unvernuenftigkeit des Individualverkehrs); ansonsten werden die Alternativen des Konsums bei einer befreiten Reichtumsproduktion wahrscheinlich ziemlich gleichgueltig, Pluralismus und Dissens also auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt sein. Die konsumistische Fixierung des heutigen alltagskulturellen Postmodernismus ist selber nur die Kehrseite der kapitalistischen Restriktionen und wuerde in einem "Verein freier Menschen" wohl nur Verachtung hervorrufen.
Frage 7: Um an der vorherigen Frage anzuknuepfen: Wie sollen die Diskussionen ueber die Veraenderungen von Arbeitsteilungen und Technologien organisiert werden? Lassen sich wirklich aus der Beschaffenheit der Technik selber Loesungsmoeglichkeiten fuer vorhandene Probleme erschliessen, oder kann ein solch technologischer Determinismus nicht selber zu einer repressiven Norm werden? Das Konzept der "mikroelektronischen Naturalwirtschaft" erweckt z.B. diesen Eindruck. Irgendwie muessen alle ein schlechtes Gewissen haben, die in einem Haus wohnen, das sie nicht selber gebaut haben. Wir hatten uns die Aufhebung der Spaltung von ProduzentInnen und KonsumentInnen eigentlich etwas lustiger vorgestellt.
Antwort: Der Terminus "mikroelektronische Naturalwirtschaft" impliziert keinerlei technologischen Determinismus, sondern zielt ironisch auf ein borniertes Denken, das die "naturale" (stofflich-sinnliche) Bezogenheit der gesellschaftlichen Reproduktion nur mit "Vorsintflutlichkeit" identifizieren kann und die fortgeschrittenen Produktivkraefte automatisch mit der Wertform gleichsetzt. Was mit den mikroelektronischen Produktivkraeften jenseits des Werts anzufangen ist, ergibt sich nicht aus einer Eigendynamik der Technik (ein Topos buergerlicher Ideologie seit dem 19. Jahrhundert, um die destruktive Dynamik der kapitalistischen Form zu maskieren), sondern aus den freien Zwecksetzungen einer selbst-bewussten Gesellschaft.
Es geht nicht um einen Moralismus, dass alle in falscher Unmittelbarkeit alles selber machen sollen (das kann nur in unsere Texte hineinlesen, wer sowieso die ganze Fragestellung abwehren will), sondern um die Perspektive sozialoekonomischer Terrains, auf denen Elemente einer Reproduktion (und sozialer Beziehungen) unabhaengig vom Zwangsgesetz des warenproduzierenden Systems entwickelt werden koennen. Deswegen muss nicht jeder sein Haus unmittelbar selber bauen, sondern eine bewusste Reflexion der materiellen Potenzen wird mittelbare und unmittelbare Reproduktionsbereiche nach Massgabe der praktischen Sinnhaftigkeit staffeln. Dabei werden aber nicht die einen die Karren schieben oder den Moertel mischen und die anderen kritische Theorie betreiben.
Laecherlich ist allerdings die typisch postmodernistische Utopie einer verantwortungslosen Totalautomatisierung, wo nur noch der Fruehstuecksroboter nach den Wuenschen fragt und die Probleme der gesellschaftlichen Reproduktion von konsumidiotischen Kretins an ein mechanistisches Elektronik-Pseudogehirn delegiert werden. Das waere die "Lustigkeit" der schoenen verbloedeten Zwerge in der "Zeitmaschine" von H.G. Wells. Es wundert uns allerdings gar nicht, dass saemtliche Negativutopien und Horrorvisionen der Moderne von postmodernen Naivlingen zunehmend positiv besetzt werden.
Frage 8: Ist das Konzept der "mikroelektronischen Naturalwirtschaft" eine neue Position? Robert Kurz hat in einem Papier vor zehn Jahren (Fetisch Unmittelbarkeit) auch noch genau das Gegenteil gesagt. Leitbild war damals eine Figur aus dem Roman "Die Unfaehigkeit erwachsen zu werden", die keine Ahnung von Computern hatte, was aber nichts ausmachte, da sie in ihrem Umfeld bestimmt jemanden finden wuerde, der damit umgehen kann. In dem neuen Aufsatz wird uns hingegen polytechnische Erziehung fuer alle angetragen. Gleichzeitig wird der konsumistische Umgang mit neuen Technologien kritisiert und behauptet, dass der CD-Player eine bedeutungslose Neuerung sei. Wir als Konsumenten bestreiten das.
Antwort: "Naturalwirtschaft" ist ein Hilfsbegriff, der zunaechst nichts weiter beinhaltet als die Abwesenheit von Warenproduktion, Markt, Geld etc. Dass diese Orientierung keine rueckwaertsgewandte oder "subsistenzwirtschaftliche" (im Sinne einer kruden Überlebensproduktion ohne "Springquellen des Reichtums") sein kann, sondern mit den fortgeschrittensten Produktivkraeften verbunden sein muss, war von Anfang an Krisis-Position. In der Auseinandersetzung mit den herrschenden Kategorien muessen auch neue Begriffe gefunden werden, selbst wenn es zunaechst meistens "Kampfbegriffe", Ironisierungen oder negative Bestimmungen sind. Es gibt eben noch keinen ausgereiften wertkritischen Begriffsapparat, weil die entsprechende kritische Theorie als Aufhebung des soziologistisch verkuerzten, wertimmanenten Marxismus erst noch im Entstehen ist (dies betrifft auch den Status von theoretischen Begriffen als solchen).
Was die Frage des polytechnischen Wissens angeht, so halten wir das Aufgreifen dieses Gedankens aus dem Arbeiterbewegungs-Marxismus unter dem neuen wertkritischen Vorzeichen auf dem Niveau der mikroelektronischen Produktivkraefte durchaus fuer diskutierenswert. Dabei geht es um die Vermittlung eines breiten Grundlagenwissens von Produktions- und Kulturtechniken, was ja keineswegs heisst, dass nun alle zu Computerspezialisten werden sollen. Wichtig ist gerade der Impetus gegen eine enge Spezialisierung und vor allem gegen eine Monopolisierung von technologischem Wissen, wie sie gegenwaertig in allen Laendern vor allem bei der mikroelektronischen Schluesseltechnologie zu beobachten ist.
Wenn die Potenzen dieser neuen Produktivkraefte nicht wenigstens in ihrer Anwendungsfaehigkeit verallgemeinert werden, koennen sie auch nicht ausreichend fuer eine Aufhebungsbewegung gegen das warenproduzierende System mobilisiert werden, die z.B. auch alte Menschen, alleinerziehende Muetter, weibliche Jugendliche usw. einbeziehen muss. Schon jetzt droht im postmodernen Kontext die Herausbildung des systemimmanenten Interessen-Standpunkts einer Art elitaeren, ueberwiegend maennlichen "Informationsarbeiterklasse", die sich als "besserverdienend" und "drueberstehend" imaginiert (selbst wenn die meisten dieser Leute in Wirklichkeit prekaere Flexi-Existenzen fristen).
Zu einem kritischen Umgang mit den Potenzen der Mikroelektronik gehoert es allerdings auch, sich nicht selber als blosse "Konsumenten" zu definieren und sich nicht wie dressierte Koeter auf ein permanentes Wurstschnappen nach allen Moden und Neuerungen programmieren zu lassen, die das kapitalistische Marketing ausheckt. Dass die CD kein gravierender qualitativer Fortschritt gegenueber der LP gewesen sei, ist dem (vielleicht geschmaecklerischen) Raesonnement von diversen Musik-Gourmets entnommen. Ob dieses eher zufaellige Beispiel nun zutrifft oder nicht - es erscheint uns zumindest als verdaechtig, dass es nicht als beilaeufige Bemerkung beilaeufig aufgenommen wird, sondern von verschiedenen Seiten ein muendliches und schriftliches Aufjaulen hervorgerufen hat, als waere damit eine zentrale theoretische Aussage gemacht worden. Das deutet darauf hin, dass hier gar nicht die technologische Sinnhaftigkeit der CD das Problem ist, sondern ein Bewusstsein getroffen wurde, das sich apriori "identitaer" an die Zyklen kapitalistischer Konsumtechniken und Moden gebunden hat.
Frage 9: Enthalten die letzten Nummern der Krisis nicht eine falsche Kritik an bestimmten Formen des Hedonismus, die nicht die bornierten Zuege herausarbeitet, wie dies Guenther Jacob versucht, sondern Erscheinungen von einem kulturkonservativen Standpunkt aus kritisiert? Hat Guenther Jacob mit der Kritik am Krisis-Ansatz in diesem Punkt nicht recht?
Antwort: Der seit den 80er Jahren grassierende sogenannte Hedonismus ist genauso abstrakt wie die kapitalistische "Arbeit" und nur deren Kehrseite. Dieser Hedonismus ist unreflektiert, oberflaechlich und luegt sich um die kapitalistischen Vermittlungsformen des Konsums systematisch herum. Gesoffen, gefeiert und Popmusik gehoert wurde auch schon vor der sogenannten 89er Generation, ohne dass man/frau jedoch auf den Gedanken gekommen waere, diese banalen Genuesse mit "gesellschaftstheoretischen" Grossbegriffen auszustaffieren oder gar zu einer Art Strategie aufzublasen. Die Poplinke moechte anscheinend noch aus der Art ihres Einkaufens einen kritischen Akt halluzinieren. Wer ausgerechnet in der postmodernen kasinokapitalistischen "Erlebnisgesellschaft" mit quasi revolutionaerem Gestus "die Party" durchsetzen moechte, gibt doch nur eine laecherliche Figur ab.
Man/frau koennte den Eindruck gewinnen, dass da einige 80er-Jahre-sozialisierte Faschings-Ideologen sich den Popanz eines laengst versunkenen altvaeterlichen und sauertoepfischen 50-er-Jahre-Kapitalismus als Gegenstand der Kritik imaginieren, bloss um sich nicht mit ihrer eigenen postmodernen, kapitalistisch globalisierten Lebenswelt auseinandersetzen zu muessen. Das Spielchen einer Pseudokritik durch Überaffirmation ist doch laengst ausgespielt und hat sich ad absurdum gefuehrt. Es war der konsum-positivistischen Ideologie der "Marxistischen Gruppe" aus alt-68er Zeiten wuerdig, unkritisch die kapitalistischen Beduerfnisse mobilisieren zu wollen, die dann der Kapitalismus selber nicht erfuellen koenne. Wenn sich heute diese primitive "Revolutionstheorie" in postmoderner und popkulturalistischer Verkleidung weiter fortpflanzt, koennen wir nur sagen, dass ihre Mitlaeufer jedenfalls in der Werbebranche besser aufgehoben waeren als in wertkritischen Zusammenhaengen.
Jedes Erstsemester und jeder Feuilleton-Redakteur, der/die ein wenig Popkulturalismus und Dekonstruktivismus aufgeschnueffelt hat, glaubt heute mit dem Vorwurf des "Kulturkonservatismus" oder "Kulturpessimismus" um sich werfen zu koennen, um der eigenen kulturindustriellen Mitmacherei den Glorienschein einer besonders aparten Kritik verleihen zu koennen. Tatsaechlich kulturkonservativ waere es, die sogenannte Hochkultur gegen die Popkultur einzufordern und/oder die ungefaehr mit dem 1. Weltkrieg kaputt gegangene Bildungsbuergerei des 19. Jahrhunderts gegen die spaetkapitalistische Massenkultur reanimieren zu wollen. Solche Haltungen werden heute kaum noch eingenommen, weder in der Linken noch im kapitalistischen Betrieb selber. Schon die Mittelstufe beschaeftigt sich doch nach Lehrplan im Deutschunterricht mit kulturindustriellen Poperzeugnissen. Der angebliche Kulturkonservatismus ist wieder nur ein anachronistischer Popanz der Postmodernisten, die selber einen ordinaeren und affirmativen Kulturpositivismus pflegen. Das ist nur die Kehrseite der kulturpessimistischen Medaille.
Im Gegensatz dazu ist Wertkritik potentiell auch radikale Kulturkritik, und zwar an der gesamten Geschichte und Struktur kapitalistischer Kulturentwicklung (sowohl der sogenannten Hoch- als auch der Massenkultur). Soweit Adorno in seiner Kultur- oder ueberhaupt Gesellschaftskritik konservative Elemente enthaelt und teilweise das (bildungsbuergerliche) scheinsouveraene Zirkulations-Subjekt einer imaginierten Vergangenheit idealisiert, haben wir dies in der Krisis zum Missfallen von ISF und "Bahamas" bereits ausfuehrlich kritisiert. Adorno geht aber in diesen kulturkonservativen Momenten nicht auf, und viele seiner kulturkritischen Äusserungen passen auf den heutigen seichten "linken" Postmodernismus wie die Faust aufs Auge. Aus unserer Sicht ist die Kulturkritik als Moment der Wertkritik weiterzuentwickeln und auf die heutige postmoderne Massenkultur auszudehnen. Dazu gehoert die historische Analyse der "Inwertsetzung" von Kultur als industrieller Gegenstand kapitalistischer Produktion, die Kritik der Warenaesthetik, die Kritik eines aesthetisierenden Konsumismus im Kontext kapitalistischer Medialisierung usw.
Was Guenther Jacob betrifft, so hat er zwar einige gute Analysen an bestimmten popkulturellen Bornierungen geliefert, die jedoch immer an der empirisch-soziologischen Oberflaeche blieben. Das liegt daran, dass er nie bis zur Kritik der gesellschaftlichen Wertform und ihres "automatischen Subjekts" gelangen konnte, sondern gerade er einer ist, der den alten wertimmanenten Klassen-Soziologismus nur durch kulturalistisch-dekonstruktivistische Erweiterungen "ergaenzt" hat. Begriffe wie "Warenaesthetik" oder "oekonomische Mystifikationen" etc. stehen in solchen Texten wie Fremdkoerper und sind mit der eigentlichen Argumentation systematisch unvermittelt, zumal inzwischen unter dem Vorzeichen der dekonstruktivistischen Mode-Ideologie das fuer uns zentrale Problem des Fetischismus explizit entsorgt wurde.
Das ganze Gequatsche vom angeblich "gestiegenen Reichtum der Subjekte an Faehigkeiten und Beduerfnissen" ausgerechnet innerhalb der Kulturindustrie ist einfach himmelschreiend unwahr. Eine oberflaechliche Kritik auf der Erscheinungsebene entwertet sich auf die Dauer selbst, wenn sie die Wesensfrage der kapitalistischen Konstitution wegblendet und in der Hauptsache affirmativ und kulturpositivistisch mitschwimmt. Im Gegensatz dazu plaedieren wir dafuer, den Begriff der Verweigerung neu zu ueberdenken und zu mobilisieren. Dazu koennte auch die bewusste Entwicklung einer Anti-Kultur gehoeren, die sich von der Kulturindustrie absetzt und sie sabotiert, statt in sie emanzipatorische Potentiale hineinzuluegen.
Frage 10: Kommen wir zu den konkreten Projekten, die in dem Artikel von Robert Kurz vorgeschlagen werden. Genannt sind vor allem drei Punkte: Gruendung von Konsumgenossenschaften, Wohnungsbaugenossenschaften und selbstverwaltete Kneipen. Koennt Ihr nochmal erlaeutern, wieso es sich bei diesen Projekten, die ja alle schon versucht wurden, nicht nur um gesellschaftliche Nischenprojekte handelt, sondern sie diesmal groessere gesellschaftliche Wirkung erzielen koennen? Ausserdem sind solche Projekte bisher immer an ihren selbst gesteckten Anspruechen gescheitert. Wieso soll dies jetzt besser klappen?
Antwort: Genausogut haette Ihr fragen koennen, warum die Krisis zur Wahl der CDU oder zum Eintritt in die Handwerkskammer aufgefordert hat. Das steht naemlich ebensowenig in dem angesprochenen Krisis-Artikel zur Aufhebungsfrage wie der Vorschlag, "selbstverwaltete Kneipen" zu gruenden. Anscheinend habt Ihr einen anderen Text gelesen. Eine Kneipe ist bekanntlich ein Unternehmen auf dem Dienstleistungsmarkt, um etwas zu verkaufen. Ungefaehr die Haelfte des Artikels von Robert Kurz zu Anti-Ökonomie und Anti-Politik kritisiert genau die Gruendung von Kleinunternehmen oder Genossenschaften fuer eine alternative Marktteilnahme grundsaetzlich als Sackgasse. Um eine transformatorische Perspektive fuer die Aufhebung des warenproduzierenden Systems zu gewinnen, ist die Überwindung der gesellschaftlichen Vermittlungsform (Wert, Ware, Geld) entscheidend, was in der Geschichte der Arbeiterbewegung weder in der staats- noch in der genossenschafts-sozialistischen Variante jemals ernsthaft zur Debatte stand.
Die von uns diskutierte Perspektive der "Entkoppelung" von der Warenform laeuft auf das exakte Gegenteil einer alternativen Marktteilnahme hinaus, naemlich auf die Organisation einer Herausnahme von bestimmten Bereichen der Reproduktion aus der Marktvermittlung. Also gewissermassen Genossenschaften (falls man/frau sie so nennen will), die nicht etwas kaufen, um es weiterbearbeitet zu verkaufen, sondern die umgekehrt zwar etwas kaufen oder sonstwie aneignen, aber um es fuer den eigenen Konsum aufzubereiten, ohne damit in den Markt zurueckzukehren. Es geht also darum, bestimmte (zunaechst direkt erreichbare) Elemente in der tiefgestaffelten Reproduktion, die unter dem kapitalisischen Verwertungsdruck der Markt uebernommen hat, diesem zu entreissen, um gewissermassen autonome sozialoekonomische Terrains zu schaffen, auf denen an die Stelle der Wertform eine Instanz direkter Selbstverstaendigung tritt. Die Erwaehnung von Konsum- und Wohnungsbaugenossenschaften stellte keinerlei unmittelbar praktischen Vorschlag dar, sondern diente nur zur Illustration der theoretischen Argumentation (auch um zu zeigen, dass es solche "umgekehrten" Formen nicht- warenfoermiger Bereiche wenigstens punktuell historisch schon gegeben hat, ohne dass dies allerdings der staatspolitizistisch fixierten sozialistischen Arbeiterbewegung bewusst geworden und theoretisch wie praktisch weiterentwickelt worden waere).
Ausserdem behandeln wir das "Entkoppelungs"-Thema grundsaetzlich gar nicht auf der Ebene einzelner Projekte "hier und heute", sondern einzig und allein als Teilperspektive fuer eine zukuenftige soziale Bewegung, die gleichzeitig den systemimmanenten Interessenkampf (Lohn, Arbeitszeitverkuerzung, Sozialtransfers etc.) mit umso haerteren Bandagen weiterfuehren koennte, wenn sie mit einem Entkoppelungs- und Aufhebungsziel vermittelt ist; das gilt auch fuer die Integration anderer Momente und weiterreichender Ziele hinsichtlich Geschlechterverhaeltnis, Antirassismus/Antinationalismus, transnationale Vernetzungen, Kritik des kapitalistischen Naturverhaeltnisses, Kampf um naturale Ressourcen und Formen "wilder Aneignung" usw. Es geht also nicht um angebliche "Nischenprojekte", sondern um einen wichtigen Aspekt der anzustrebenden Aufhebungsbewegung, die den alten (strukturell buergerlichen) Dualismus von "Politik" und warenfoermig konditionierter "Ökonomie", von Partei und Gewerkschaft usw. ueberwindet.
Natuerlich ist zu diesen Fragen einer Aufhebungsbewegung eine kritische Diskussion notwendig. Wir wollen keineswegs behaupten, dass wir das Problem mit dem blossen Aufwerfen des "Entkoppelungs"-Begriffs sozusagen ex cathedra definiert und geloest haetten. Keine Lust haben wir allerdings, uns auf die Dauer mit den bloss denunziatorischen Lesarten unserer theoretischen Versuche herumzuschlagen, die von postmodernistischen Standpunkten aus die Aufhebung der Warenform sowieso gar nicht ernsthaft diskutieren. Dass wir in den popkulturalistischen Milieus und dekonstruktivistischen Modediskursen nur pejorativ wahrgenommen werden, liegt in der Natur der Sache. Denn fuer ein scheinkritisches Surfen in den kapitalistischen Medien, Moden und Symbolwelten gibt die Wertkritik eben letzten Endes nichts her. Wir muessten uns fragen, was wir falsch gemacht haben, wenn ausgerechnet die "lebensaesthetische" Lifestyle-Linke auf die Wertkritik abfahren wuerde.
Frage 11: Eure Aufhebungsstrategie fusst auf Eurer Krisentheorie. Welche Auswirkungen haben Eure Vorschlaege jedoch, falls es doch nicht zum Kollaps kommt?
Antwort: Tatsaechliche Formen der "Entkoppelung" von der Warenform und/oder direkte Angriffe auf die Zwaenge des warenproduzierenden Systems koennen natuerlich scheitern, aber sie koennen per definitionem nicht in die herrschende Form integriert werden. Diese Integration ist nur moeglich, wenn die Kritik von "Arbeit" und Warenform preisgegeben wird oder (wie bei der gesamten bisherigen Linken) von vornherein gar nicht vorhanden war und weder theoretisch noch praktisch die eigene Vorgehensweise bestimmt hat.
Diese Frage ist jedoch keine willkuerliche und zufaellige, von bloss moralischen Entscheidungen abhaengige, und daher auch dem Krisenproblem nicht aeusserlich; etwa nach dem agnostizistischen Standpunkt, dass im Prinzip alles moeglich sei und man/frau es lieber so genau nicht wissen will. Grundsaetzlich ist naemlich die radikale Wertkritik ueberhaupt nur als Krisentheorie formulierbar. Denn solange die Wertvergesellschaftung ihre temporaeren Durchsetzungskrisen noch durch neue weittragende Akkumulationsschuebe ueberwinden konnte und auch strukturell noch nicht ausentwickelt war, wurden die Fragen der Emanzipation zwangslaeufig wertimmanent formuliert. Insofern ist die Formulierung einer Wertkritik jenseits des Arbeiterbewegungs-Marxismus selber schon ein Krisenphaenomen.
Abgesehen davon und abgesehen von den evidenten Krisenerscheinungen der globalen strukturellen Überakkumulation muesste eine ernsthafte Anti-Krisen-Position aber auch selber akkumulations- und krisentheoretisch argumentieren. In dem blanken Raesonnement "Was waere, wenn es gar keine Krise gibt?" sehen wir eher den Wunsch als Vater des Gedankens. Im Klartext heisst das, es soll oder darf eigentlich gar keine "finale" Krise geben, weil dann auch die ganze schoene neue Welt des postmodernen Kulturalismus im Eimer waere. Eine solche Vogel-Strauss-Ideologie kommt freilich im Prinzip ganz ohne akkumulationstheoretische Argumentation aus und mit dieser Haltung wird wahrscheinlich auch dann noch gefragt, wo denn der Kollaps sei und ob er wohl jemals komme, wenn den Herrschaften bereits die Brocken um die Ohren fliegen.
Soweit die Postmodernisten aber eine anti-krisentheoretische Argumentation nachschieben, ist sie nicht nur widerwillig, sondern auch ausnehmend schwach: Sie laeuft entweder darauf hinaus, zusammen mit dem Bundeswissenschafts- Ministerium eine Art Software-Kapitalismus zu halluzinieren, dem es gelingen koennte, die industrielle Verausgabung von "Nerv, Muskel, Hirn" durch eine postindustrielle Reduktion auf "Hirn" zu ersetzen, wobei der gesamte Vermittlungsprozess der Mehrwertschoepfung ausgeblendet werden muss (eine solche Illusion formulierte Habermas schon in den 70er Jahren). Eine Anti-Krisenposition dieser Art waere denkbar als wertimmanenter Interessenstandpunkt jener schon erwaehnten prekaeren "Informationsarbeiterklasse".
Oder es wird im Namen des dekonstruktiven Anti-Essentialismus gleich das Problem der Wertsubstanz entsorgt, um (etwa mit der Argumentation von Baudrillard) die kapitalistische Illusion des Realwerdens einer Form ohne Inhalt positiv aufzugreifen und die Verewigungsmoeglichkeit des Kasinokapitalismus zu postulieren. In beiden Faellen muesste nicht nur endgueltig und explizit Abschied von der Marxschen Theorie, sondern auch von der Realitaet genommen werden (die es ja auf postmodernistisch gluecklicherweise gar nicht mehr gibt).
In seiner "linken", sich kritisch und weltlaeufig gebenden Erscheinungsform wird dieser Zeitgeist unserer Einschaetzung nach tatsaechlich demnaechst von weitergehenden Krisenprozessen plattgewalzt werden. Aber der Postmodernismus im weitesten Sinne ist ja auch ethnofaschistisch reinterpretierbar. Zumindest Baudrillard schreibt bereits eifrig in der Theoriezeitschrift der franzoesischen Rechtsradikalen. Die Nietzsche-Heidegger-Wurzel des Postmodernismus duerfte da noch mehr ueppige Blueten dieser Sorte treiben. Insofern koennte sich das postmoderne, dekonstruktivistische Ausweichen vor der Wertkritik noch fuerchterlich raechen.
Frage 12: Kommen wir zu den moeglichen Gegnern einer Aufhebungsstrategie. Wer den letzten Aufsatz von Kurz in der Krisis liest, bekommt den Eindruck, dass das zentrale Problem dogmatische Linke und Buerokraten in von der SPD dominierten Verwaltungen sind. Gibt es nicht maechtigere und einflussreichere Kraefte, die einer gesellschaftlichen Veraenderung im Weg stehen?
Antwort: Institutionell sind natuerlich saemtliche Instanzen der Wertvergesellschaftung Gegner ihrer Aufhebung; Management, Staatsapparate und Kulturindustrie ebenso wie die in ihrer Charaktermaske verharrende und irrational auf neue Prosperitaetsschuebe wartende (in der Zwischenzeit Auslaender anzuendende) Lohnarbeit. Der Hinweis auf die einer Aufhebungsbewegung entgegenstehende kommunale Verwaltung (die bekanntlich in den Grossstaedten immer noch meistens von SPD-"Kanalarbeitern" dominiert ist) stand in einem bestimmten Kontext und bezog sich nur auf eine bestimmte Ebene.Es wurde damit also ueberhaupt nicht gesagt, dass die kapitalistischenInstanzen hoeherer Ordnung keine Gegner waeren; das waere ja voelliglaecherlich. Wie sich institutionelle Personen, Gruppen, Apparate und Instanzen imeinzelnen verhalten, welche Widersprueche und Konflikte auch innerhalb derApparate aufbrechen, das haengt letzten Endes von den Verlaufsformen der Kriseund der sozialen Bewegungen ab. Solche Risse und Konflikte koennen schon jetztfestgestellt werden, aber weil es keine emanzipatorische soziale Gegenbewegung gibt, verpuffen sie und verbleiben innerhalb der kapitalistischen Krisenverwaltung. Etwas ganz anderes ist die Auseinandersetzung innerhalb der kritischenTheorie selber um die Neuformulierung der Gesellschaftskritik. Die koennen wir doch nicht mit Kohl, Bluem, Schroeder oder Cromme und Kettensaegen-Stihl (demDIHT-Praesidenten) fuehren. Es handelt sich da um ganz verschiedene Ebenen von"Gegnerschaft" und es waere ziemlich absonderlich, sie durcheinander zu bringen.Dass die eigentliche gesellschaftliche Gegnerschaft nicht ausgetragen werden kann, weil die radikale Kritik auf die theoretische Sphaere zurueckgeworfen worden ist, kann nicht ernsthaft zum Argument gemuenzt werden, innerhalb der Theorie die notwendige Auseinandersetzung nicht zu fuehren.
Das ist im Gegenteil gerade die Bedingung, um nach dem vollzogenen Paradigmenwechsel wieder im groesseren Massstab gesellschaftlich wirksam zu werden, denn die Paralyse der Kritik haengt ja ursaechlich damit zusammen, dass die Aufhebung ihrer alten, inadaequaten Gestalt nicht ausreichend vollzogen und verallgemeinert wurde. Klar ist es aetzend und immer wieder persoenlich verletzend, wenn innerhalb der Linken von aussen zunaechst kaum unterscheidbare Positionen sich klopfen. Gruppendynamisch hat das etwas vom bekannten Gezaenk unter Exil-Intellektuellen. Soweit wie moeglich sollten Formen der Auseinandersetzung vermieden werden, die nur auf das Waschen schmutziger Waesche hinauslaufen.
Aber letzten Endes geht es um die inhaltliche Klaerung, die nicht durch "semantische Koexistenzen" erreicht werden kann. Fuer eine bestimmte historische Situation, eine bestimmte Frage, einen bestimmten Kontext gibt es nicht so viele Wahrheiten, wie Engel auf einer Nadelspitze Platz haben. Der postmoderne Relativismus, der auf gar nichts hinaus will, ist momentan auch in der Frage der Gegnerschaft als solcher der innere Hauptgegner kritischen Denkens.