1 Die
Unstimmigkeiten des Auseineinandergehens und Verschränkens sind
herausragende Grunderfahrungen beim Begreifen des Internets. Wir sind
konfrontiert mit Widersprüchen und Ambivalenzen, Antinomien oder
Paradoxien. Die Leitkonzeptionen und Paradigmata, Ideologien und Verständnismuster
vom Netz strukturieren sich danach, auf welche Seite die Betrachter oder
Akteure sich schlagen oder in aller Kurzatmigkeit gesetzt werden. Anders als
bei der Betrachtung der alten Gesellschaftsbauten und ihren Medien ist dabei
die Wegstrecke zu solchen Verstrickungen verblüffend kurz, weshalb die
Meinungen zur Sache Netz in der Fläche unmässig differenziert und
im Einzelnen schnell verfestigt - und bodenlos - sind, fest gebunden an
Konzepte von Raum, Bewegung, Zeit oder Zeichen. Noch sind die Bilderfelder
der Internet Dreams präsent und ob ihre Macht angesichts der Veralltäglichung
der Technik nur auf den ersten Blick abgenommen hat, Cyberspace also noch
kein alter Hut geworden ist1, bliebe zu klären.
Es gibt welche, zum Beispiel Amerikaner wie Edward J. Valauskas, die überzeugt
und sogar national träumen. Das Internet, schrieb der amerikanische
Netzunternehmer und -experte jüngst in der elektronischen Zeitschrift "First
Monday", "is the best and most original American contribution to
the world since jazz. Like really, really good jazz, the Internet is
individualistic, inventive, thoughtful, rebellious, stunning, and even
humorous. Like jazz, it appeals to the anarchist in us all.... Indeed if the
Internet were alive and well in the 18th century British colonies, Benjamin
Franklin would not have been working a printing press but instead would have
been the moderator of the alt.dump-king-George newsgroup with Thomas
Jefferson and others using to anonymous remailers as daily contributors to
the newsgroup. Of course, the newsgroup would have been banned in England,
increasing its popularity on the continent, especially in France."2
Nun, da ist es wieder, das Versprechen der neuen Technik auf revolutionäre
Effekte. Ihre Dezentralität mache die Netztechnik anschlussfähig
an Thomas Jefferson oder Miles Davis, nicht aber an King George. Solche Großmythen
des großtechnischen Systems Internet mitsamt den daran geknüpften
Projektionen haben freilich eine profane Bodenhaftung.
2 Sie rekurrieren auf vertraute
Metaphern zumeist aus dem Natur- oder Technikbereich, deren praktischer
Zweck es ist, neue Technik oder Maschinerie durch Anrufung des
mitschwingenden vertrauten Kontextes handhabbar und in begrenztem Umfang
interpretationsfähig und begreifbar zu machen. Solche Metaphern, die an den
Zeichen und Symbolen des Interfaces (der Software) zwischen Mensch und
Computer anknüpfen, müssen stringent und für eine gewisse
Zeit beständig sein, wenn sie durch das Bereitstellen kognitiver Karten
Komplexität reduzieren und die Performance des Technikgebrauchs
optimieren sollen3. Sie sind die Schlüsselsprache
des graphischen Interface des Computers. Sie soll die scheinbare
Unendlichkeit des Informationsraums vorstellbar machen. Wer die ästhetische
Kontrolle des Interface erobert hat, prägt die Orientierungs- und
Aktionskultur im Dataspace4. Die
kognitive Komplexitätsreduktion (Debatin) durch Metaphern ist ständig
im Fluß, die Metaphern sind Knüpfstellen für Mythen, an die
sich flottierende Projektionen heften. So wurde der Mythos von der Allmacht
der Medien durch das Internet neu befeuert: da generierte die Macht der
Pornografie im Handumdrehen die reale Vergewaltigung5.
Das neue großtechnische System nicht (nur...) als Medium, sondern als
Informationsraum zu konzipieren meint, als Kern der Sache den
technikgenerierten Transfer der Bewegungs- und Raumfunktionalität
aufzufassen6. Die Strukturmetaphern des
Internets lesen sich daher über die Raummetaphorik eines Netzes7
und die Bewegung in diesem Raum oder in einer Landschaft, in der Orte und Plätze
miteinander verknüpft sind8.
Die Bewegung im Netzraum wird gefaßt mit Sozialmetaphern. Die Bewegung
wird gefaßt mit dem Konzept des Reisens, da gibt es Abkürzungen -
den Shortcut - , den Reiseführer, manchmal auch Start und Ziel. Vor
allem aber geht es vordergründig um das Surfen9,
Browsen und Navigieren - eine in Richtung Kontrollzuwachs und Gerichtetheit
aufsteigende Begriffslinie, die mit Verbindungsvorstellungen operieren muss
- also Strassen oder Routen, der Infobahn also10.
Dass solche Anrufungen des Raums zugleich Zeitvorstellungen provozieren,
zeigt die Rede vom Information Highway: mitschwingt der Weg in "nach
vorne", in die Cyberfuture, in das "Informationsnirwana"
(Rohrer), die Bewegung im Raum mutiert zur Bewegung in der Zeit11.
Diese Bewegungsmetaphern knüpfen an klassische geometrische oder
mechanische Raumvorstellungen an und operieren im vertrauten topographischen
Modell des Verkehrsnetzes in einer Landschaft. Tatsächlich aber sieht
das Konzept des Cyberspace, des Hyperraums oder Informationsraums hier einen
virtuellen sozialen "Zusatzraum" (Faßler) aus einem
relationalen Netzwerk von Kommunikationen, das sich über eine Struktur der
Knoten, Links und Adressen realisiert12.
Die metaphorische Strukturierung des Informationsraums folgt demgegenüber
- metaphernfunktionsgerecht aber fälschlicherweise - diesem vertrauten
topographischen Modell und operiert mit sozialgeographischen Metaphern - in
erster Linie mit der Stadtmetaphorik. Hier gibt es bevölkerte Sites
(also Plätze oder Standorte), Städte13
und Domänen und bewohnte Gebäude oder Dörfer14
und vor allem ein Home. Die Suchmaschine "Alta Vista" zählte
am 14. März 1998 21,3 millionenfach das Wort "Homepage", zu
deren "Besuch" ich und du, wir alle, weltweit, vom "Gastgeber"
(Host) als "Gast" "eingeladen" sind - "Visit the
White House"15. Hier wird
einerseits mit der "Page", der Seite, auf die Metaphernwelt der
Gutenberggalaxis zurückgegriffen und der Aspekt der Dauer, Unvergänglichkeit
und Ordnung betont, die dem Druck ja eigen ist. Zugleich wird das
Eigentumsverhältnis des Hauses angerufen, zusätzlich mit den
Begriffen "Sicherheit" und "Intimität" konnotiert,
oftmals sich differenzierend in Richtung auf "Raum" (-> im Sinne
von "room", Zimmer) und eine dauerhafte Platznahme im Fluß der
Daten versucht. Der Blick durch die Windows16
dieses Hauses führt uns die vielfältigsten Identitätsmodelle
vor, denn die Homepage ist der Versuch, kohärente (eben nicht
fragmentierte!) Identität konzentriert durch die elaborierte Konstruktion
eines oft tiefenschichtigen Sozialkontextes zu visualisieren17.
Das "Heim" ist gegenüber anderen sozialgeographischen
Metaphern - global village und globales Dorf, digital city oder internet
community - unvergleichlich präsent in den maschinellen Wortzählwerken:
dieses insgesamt ein rundes Dutzend weiterer Metaphern zählen Alta
Vista oder Hotbot gerade gut 300 000mal. Die Homepage, ein Zuhause mit
Eigenordnung, kalkulierbar, kontrollierbar, sicher, dauerhaft, unterscheidbar -
fast scheint es, als sei die Homepage der bodenlose Realitätsanker der
Subjekte in der flüchtigen Welt des Cyberspace, das mächtige
Gegengewicht zur Magie des Mausklicks auf den Link, auch der vermittelnde Überbau
zur Mutter aller Metaphern aus der Welt der Benutzerschnittstellen, dem
Desktop, dem Schreibtisch mitsamt dem Folder, der Aktenmappe und den dazu
gehörenden Icons und Bookmarks, den Lesezeichen, mit denen besondere Pages,
also Seiten markiert werden, die dann im Papierkorb landen.
Auf der Strukturmetaphorik von Raum, Netz und Landschaft bauen dann
normative Funktionsmetaphern auf, dem Verständnis des Netzes als
Wissensmedium entspringen die Metaphern vom Gedächtnis (Brain) und dem
Netz als gigantischer Bibliothek, organisiert von Bricoleuren und
Ingenieuren; wo es um politische Freiheit geht, werden die Agora oder die
last frontier der Netizen beschworen, wo endlich die wirtschaftliche
Handlungsfreiheit des cyberbusiness zum Thema wird, bekommt der
elektronische Marktplatz sein metaphorisches Recht, der mit seinen
systematisch desorientierenden Shopping Malls den Umbau des Netzes in eine "virtuelle
Werbebroschüre mit integraler Einkaufstüte" (Mazenauer)
begleitet. Die Metapher vom elektronische Markt assoziiert Austauschhandeln,
Transaktionen, bezieht sich dabei aber nicht auf die Informationen (d.h. das
bewegte Gut selbst, den Gebrauchswert), sondern auf die Warenförmigkeit,
die es in der elektronischen Welt herzustellen gelten: jede/r könne
produzieren, distribuieren, tauschen, konsumieren, also bei der Sache
gewinnen. Die hier unterstellte Selbstregulierung anzukoppeln an liberale
Ideologien des freien Marktgeschehens und der "Selbstregulierung" der
Agora ist nur ein kleiner Schritt. Endlich werden zahlreiche
Rollenbeschreibungen der Netzsubjekte18
entwickelt: User, Newbies, Einsteiger, Lurkers, Freaks, Nerds, Digerati, den
elektronischen Butler und die elektronischen Gemeinschaften wie die Internet
community etc.19. Alle diese Metaphern
liefern Bedeutungen, Verständnisse oder Handlungsmodelle und selektieren
auch: auf eine Art zu sehen heißt auch, im "Netzwerk von Verweisen"
(Foucault) auf andere Arten nicht zu sehen.20
Die drei Bewegungsmetaphern des Browsens, Surfens und Navigierens summiert
unser Alta Vista - Zählwerk auf stattliche 2,1 Millionen Vorkommen.
Allerdings steht dem gegenüber ein Zählergebnis von schon 1,2
Millionen zu einem einzigen weiteren Begriff: dem Wort "Password"
oder "Passwort". Der Erfahrung der Grenzenlosigkeit des
Cyberspace, des Raumüberflusses, der das klassische Verständnis der
Struktur des Raums als Verhältnis zwischen Zentrum und Periphere
sinnlos macht, dieser Erfahrung hat sich offenbar zunehmend die neue
Erfahrung der Begrenzung hinzugesellt21.
Was geschieht, wenn sich soziale Subjekte im Sozialraum Internet bewegen und
wie wird die Verschränkung von Begrenzung und Entgrenzung bearbeitet?
Was überhaupt zeichnet den Informationsraum aus, was seine Grenzen?
Warum ist die Rede von Netzräumen so gängig, nicht aber die von
Netzorten oder Netzplätzen?
3 Ein denkbarer Ansatz wäre,
Raum als das Abstraktere zu fassen, dessen soziale Identität durch
Praxis, also Aneignung sich bilden muss. In der Aneignung transformiert sich
ein Raum in den Ort. Zu Orten mutierte Netzräume bekommen
Eigenbezeichnungen, denn die Verortung spielt eine Rolle bei der Konstruktion
sozialer und kultureller Identität. Ein Raum wird ein Ort durch
Realisierung von Richtungsvektoren und Zeitvariablen durch Bewegung: die
Straße ohne mobile Elemente ist noch kein Ort, die Stadt wird nur
durch die örtliche Praxis, also die räumlichen Bewegungen der Bewohner
zur Stadt22.
Das Surfen und Browsen oder das Flanieren der Datendandys: ist das nun
Aneignung, Transformation des Netzraums in idenditätsbildende
Sozialorte?
Das ist fraglich - und im Fehlen der Rede von den Netzorten im Kontrast zum
Informations- oder Hyperraum zeigt sich das schon an.
Nicht bloß, weil beständige Orte knapp sind, im Durchschnitt jede
Webseite nicht älter als 44 Tage wird23
und nicht mehr als vier Seiten pro Websitebesuch aufgerufen werden und so
schon zeitökonomisch der Gedanke der Identitätsbildung merkwürdig
scheint. Eigentlich will niemand mehr lesen. Die Zeit wird kurz gehalten im
Cyberspace und ist sie erst demontiert, strukturiert sie auch nicht mehr den
Raum, es zählt allein die Bewegung.
In der Click-Trough-Bewegung des Websurfers fungiert der Raum allerdings bloß
als Durchgang. Es wird durch den Raum gesurft. Dieser hat somit seine
Identität durch den Verweis auf etwas anderes, davor- oder nachher
Gesetztes - als Transit. Seine Identität als Ort entsteht nicht aus
etwas, was ihn jenseits dessen, auf was er verweist, auszeichnet - er ist
insofern ein Nicht-Ort24 (Augé),
das "generalisierte Irgendwo" (Joshua Meyrowitz), das Augé als
immer stärker hervortretendes Merkmal der weltlichen Realräume
identifiziert hat - ob es um Flughäfen oder Durchgangslager geht. Die
spurenlose Bewegung im unendlich scheinenden Cyberspace hinterläßt
zwar einen Datenschatten, aber er ist nicht von Dauer und vor allem praktisch
unbemerkt. Die Spuren verwischen sich: gleichsam ein ständig neu sich
leerender Strand. Der Informationsraum als Nicht-Ort ist ein Raum ohne
Begegnung - der Moment der Nähe ist kurz - oft Sekunden -, der Abschied
ohne jede Dramatik, die Bewegung konsequenzlos, bis auf den Datenschatten,
natürlich. Nicht-Orte haben nach Augé keine Identität, Relation
und Geschichte. Als Durchgangs-, Transit und Bewegungsraum ist der
Cyberspace ein neuer globaler Archetyp des Nicht-Ortes. Der neue Raum des
Cyberspace ist ein historischer Sprung im Bildungsprozess der
Agglomerationen der Nicht-Orte des Verkehrs und der Einkaufszentren und der
Strände und der Durchgangslager25.
Und Nicht-Orte sind übrigens das "Gegenteil der Utopie"26, sie integrieren die alten Orte nicht.
4 Wer sich im Cybertransit bewegt,
muss sich zuvor allerdings identifizieren: eine Million Aufforderungen zur
Abgabe eines Passworts und zuvor die Selbstadressierung beim Login ins
System. Was geschieht mit der sozialen Identität, ist sie - zum Beispiel
als E-Mailadresse - beim Zugang ausgewiesen? Bleibt sie, wenn dann der Raum
durchmessen wird? Könnte nicht der Kampf um die Frage der Netzidentität,
um Privacy und Datenschutz als Indiz für das Verschwinden all jener
Identitäten in den Nicht-Orten gelten, die sich nicht über den
Vorgang der Bewegung bestimmen? Welche residuale (oder originäre)
Sozialkategorien der Bewegung bleiben oder entstehen?
Selbstredend bringt diese Welt höchst aktivistische Propagandisten und
Schreihälse, Märchenerzähler, Prediger und Verwalter der
Bewegung hervor, ihr Credo ist: "Information want`s to be free" - "Wir
glauben an den ungefähren Konsens und den running code". Sie sind
beredte Repräsentanten und Organisatoren der fluiden Cybersociety,
nicht aber deren paradigmatisches Personal. Wo unterschieden wird zwischen
Zentrum und Peripherie - das eine von Freaks, Nerds oder Digeratis bewohnt, die
andere bevölkert von Newbies und Einsteigern27
- dann geht es um diffuse Kulturpopulationen, deren bewegungstypische
Figuration demgegenüber weitaus typischer ist. Benjamin hat
den Spaziergänger als zentrale Symbolfigur der Bewegung in der modernen
Stadt identifiziert. Wer sich hier trifft, ist nebeneinander, nicht miteinander.
Man bedarf einander nicht: "Der Zweck der eigenen Anwesenheit würde
nicht im geringsten darunter leiden, würden alle anderen dort
verschwinden oder wären sie überhaupt nicht erst dagewesen."28 Wenn doch agiert wird, dann um
Begegnungen zu vermeiden. Der Spaziergänger ist keiner, der interagiert, er
lebt in einer "Gesellschaft von Oberflächen."29
Auf der Cybermall ist vollends alles in ein Objekt des flanierenden Blicks
verwandelt worden, nichts spiegelt oder blickt zurück. Es wird
hingesehen, nicht gesehen - der Blick mutiert zum Schnappschuß auf die
präsentierten Oberflächen und Entblößungen: consumer`s
world at your fingertip. Doch nicht nur der Spaziergänger findet sein
virtuelles Korrelat im Websurfer und -browser. Zygmunt Baumann erinnert in
seinen 1997 erschienenen Essays über "Flaneure, Spieler und
Touristen" an einen Fluch der frühen Moderne, den Vagabunden, der
herrenlos war, also jenseits des überwachten Raums. Diese erratische
Figur zu kontrollieren war deswegen ein Problem, weil seine Bewegungen
unvorhersehbar waren - er hatte kein Ziel und keine Route und wußte
selbst nicht, wie lange er an einem Ort bleiben wird und was er als nächstes
tut - Where do you want to go today? "Der Vagabund" so Baumann, "entscheidet
an der Kreuzung, wohin er sich wendet, er wählt den nächsten
Aufenthalt, indem er die Namen auf den Straßenschildern liest."30 Wo das Bild der Vagabundenrolle auf den
Cyberspace nicht mehr paßt, ist der Geschmack der Herkunft: er kann
beim Vagabunden gelesen werden, beim Cybervagabunden nicht. Auch der Tourist
oder Reisende formiert die Kultur der virtuellen Bewegung. Auch er läßt
sich nicht ein, gehört nicht dazu, schaut zu, ist ein passiver Gaffer,
ein Lurker, läßt sich bestenfalls zur Interaktion mit seinesgleichen
animieren, bleibt also routiniert fremd gegenüber der Welt, die er
besucht, an der ihn bloß interessiert, ob sie "interessant"
ist. Da geht es um Geschmack. Und schließlich hat sich der bürgerliche
Typus des Spielers zum Sozialexperimentator entfaltet, der im "Hunger
nach Kostümen" (Nietzsche)31
seine virtuelle Existenz in den MUD`s und Selbstadressierungen
experimentell - demonstrativ in vielfältige Maskierungen und
Geschlechter- oder Sozialimages verflüssigt und die sozialkonstruktive
Grundformel des Cyberspace - "under construction" - zur kundigen
Maxime virtueller Präsenz erhebt32.
Als Nicht-Ort der Reisenden und Spaziergänger, Flaneure und Vagabunden,
Surfer, Spieler, Browser, Lurker und Experimentatoren bleibt der Cyberspace
ein nur über die Bewegung präsenter Raum und wenn jene, die sich
hier bewegen, sich begegnen, dann sind die Begegnungen fragmentarisch oder
episodisch, also konsequenzlos, oftmals mit Absicht. Ein anderer sozialer
Kosmos mit einer großen Leichtigkeit der Kontakte, reduzierter
Komplexität sozialer Beziehungen und der Möglichkeit sanktionsloser
Regression. Von einer wechselseitigen Abhängigkeit, der Interaktionen
vorausgehen und die bindungshaft bei ihnen entsteht und sich zur
gegenseitigen Verantwortung entwickeln könnte, ist nicht die Rede. Der
Angelpunkt solcher "postmodernen Lebensstrategie", die Baumann
anhand von Sozialkategorien wie dem Spaziergänger oder Touristen entwickelt
hat, "heißt nicht Identitätsbildung, sondern Vermeidung
jeglicher Festlegung."33
5 Die Bestimmung des Raums,
nur als Transit, als Nicht-Ort zu fungieren, wird ermöglicht durch die
Endlosigkeit der Bewegung, die scheinbar von keinen Grenzen aufgehalten
wird. Der Raum scheint unendlich aneigenbar. Die Magie der Metapher Cyberspace
gründet in der - freilich illusionären - Grenzenlosigkeit des
Informationsraums, dessen Population sich im Gespinst der Daten zur twilight
zone eigentümlich entlokalisierter und interaktionsloser,
transitorischer, flüchtiger Netzgesellschaften, virtueller
Bewegungsgesellschaften kompiliert. Zu den ideologische Formen solcher
Bewegungsgesellschaften als einem ersten Typus virtueller Vergesellschaftung gehören
liberale Neuland- ebenso wie sozialdarwinistische Frontiernetzmythen,
technoliberale Klassenlosigkeitsideologien und Gleichheitsrethoriken ebenso
wie die Ideen der Expansion und des grenzenlosen Wachstums.
6 Auch die Schwächung
traditioneller Grenzen in der wirklichen Welt ist ein Gang und Gäbe
diskutierter Vorgang: da Grenzerhaltung als Systemerhaltung gilt, ist ihre
Transformation systemrelevant. Traditionelle Grenzen werden geschwächt, die
Inklusionsbedingungen sind weich: Kommunikations- und Überwachungstechnologien
spielen bei der Unterminierung der physikalischen, geografischen, räumlichen
und rechtlichen Grenzen, die das Individuum, Gruppen, Wohnungen, Städte,
Regionen und Nationalstaaten als distinkte Entitäten definiert haben.
Das betrifft die physikalisch / räumlichen / geografischen
Grenzziehungen, da große Einheiten neu entstehen bzw. an Gewicht gewinnen
und Migrationsprozesse dazu führen, dass etwa durch doppelte Staatsbürgerschaften
oder Briefwahlen auf eine Aufweichung der Standortbindungen reflektiert
wird. Hier reflektiert sich Umstellung der modernen Selbstwahrnehmung von
Universalität zu Globalität. Universalität meinte das
Moderne-Projekt der Menschheitsselbstherrschaft durch Vernunft, Globalität
meint die Praxis McDonalds und der generalisierten Konformität
(Castoriadis).34 Globalisierung als
zeitdiagnostische Kategorie meint den Prozeß der Entstehung einer
neuen Epochenbestimmung: das Zeitalter der Globalisierung also. In den
Debatten der Politik spielt die Schließung des Raums eine prominente
Rolle, spätestens wenn es um territoriale Nutzungsrechte und
Eigentumsrechte an Grund und Boden geht35.
Historisch ist der moderne bürgerliche Staat als Territorialstaat
entstanden, innerhalb dessen die Regelung als allgemein bestimmter
Angelegenheiten durch "policing" anstelle gewaltförmiger
Realisierung des Willens Privater stand. Nunmehr ist "Telepolitik",
also etwa auch "Teledestabilisierung" territorialer Macht möglich,
was impliziert die Vergleichgültigung territorialer Grenzen, die im
Bereich der Kommunikation eine Erfindung des 19. Jahrhunderts war36. Die hier einsetzende Entstaatlichung
der Politik ist somit der Ausbildung der starken imperialistischen Staaten
von Beginn an eingeschrieben. Die am Ende des Jahrhunderts vielfach vermerkte
Fiktionalisierung der Staatssouveränität geht einher mit der
Fiktionalisierung der Volkssouveränität und der Entwertung
demokratischer Selbstgesetzgebung: "Im Zuge der Globalisierung...hat
sich das Problem des Kapitalismus von der Ungleichheit auf die Exklusion
oder den Ausschluß von der Kommunikation verschoben."37
Es kommt zum "Ausschluß von Millionen von Körpern aus allen
gesellschaftlichen Kommunikationen"38.
Inklusion heißt: dazugehören. Bewerkstelligt wurde das im Bereich
des alten Nationalstaats durch das Recht. Mittlerweile gibt es ein
Weltrecht, wo die Staaten keine Herren der Verträge mehr sind, das
nicht einklagbar und erzwingbar ist und remoralisiert wurde, wie das Beispiel
des Sicherheitsrats zeigt. Das polykontexturale Recht hat keine zentrale
Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, es mangelt ihm an formaler Rationalität
und Kohärenz (und insofern erinnert es an das Feudalrecht), es ist ein
politikfernes Recht ohne Verfassung, Demokratie, Hierarchie von unten, eine
Herrschaft ohne Herrscher und Gesetz. Es ist "unkoordiniert,
selbstbezogen, chaotisch, expansiv und imperialistisch" (Teubner). Dazu
gehört die Zersetzung der nationalen oder kulturellen Souveränität
über Publizität. Die Entstehung globaler politischer Öffentlichkeit
hängt ab von Massenmedien mit globaler Reichweite, der Entstehung einer
Vielfalt von Öffentlichkeiten und ihren Entstehungsbedingungen. Zum Öffentlichkeitsbegriff
gehört die Unbestimmtheit des Publikums und Kommunikation in einem
Kontext, der das Publikum einschließt, die Rede ist dann von einem im
kommunikativen Handeln erzeugten sozialen Raum, der sich im Falle der
Moderne in den Raum zwischen Staat und Gesellschaft schiebt. Hinzu kommt, dass
die Kommunizierenden sich selbst wichtig sind. Was nun globale Medien
erzeugen, ist kein Raum, sondern eine Vernetzung, Publizität ohne Öffentlichkeit,
Kommunikation ohne Kritik. Die Schwächung traditioneller Grenzen
betrifft weiter die Begrenzungen der Sinne, deren Funktion als Medium der
Unterscheidung und Beurteilung mit ihrer technologisch gestützten
Relativierung schwindet. Das betrifft die Zeit, die Unterscheidungen zwischen
Vergangenheit und Zukunft liefert und damit zwischen dem Bekannten und
Unbekannten; die Explosion der Dokumentation der Gegenwart weitet den Zugang
zur bekannten Vergangenheit ebenso fast unermeßlich aus wie sie die
Differenz, den Zeitpuffer zwischen Geschehen und Ereigniskommunikation auf
Sekunden reduziert39. Das betrifft
endlich die Grenzen des Körpers und des Selbst: Schattenbilder der
Individuen kompilieren sich zur Dossiergesellschaft.40
Im Bereich der Medien geht die Rede von den Grenzauflösungen zugleich
einher mit der Konstruktion funktionaler Komplementaritäten im Mix
neuer und alter Medien: Broad- versus Narrowcasting, Push- versus Pull,
Homogenität versus Heterogenität, Territorialität versus
Nonterritorialität, Mono- versus Bidirektionalität, Professionalität
und Expertentum versus Laientum, Aktualität versus Gedächtnis,
Kommerzialität versus Nonkommerzialität, Individualisierung versus
Depersonalisierung.41
7 Grenzenlosigkeit ist allerdings
Illusion, die mit der fehlgehenden Erfahrung zu tun hat, Cyberspace sei ein
"unentdecktes Land", das es zu "erobern" gelte.
Cyberspace ist ein geschlossenes System, in dem nur entdeckt werden kann,
was schon gefunden wurde. Das Netz "präsentiert eine Totalität
ohne auch nur die Möglichkeit eines Jenseits, einen immanenten Raum, in
dem der Akteur nur mit bekannten Elementen interagieren kann"42, denn jede Verbindung und Adressierung,
die im Netz existiert, wurde sozial konstruiert. Was aber, wenn in diesem
geschlossenen System selbst die Bewegung haltmacht, Paßwörter
verlangt und Grenzen errichtet werden, die Internet Zone sich in unendlich viele
Intranet Zones verwandelt? Wenn die Rede vom Informationsraum auf Bewegungs-
und Raumfunktionalität abstellt, dann geht es bei der Thematisierung
virtueller Macht um die Beeinflussung oder Gestaltung dieser Funktionalitäten.43
8
Die Ziehung von Grenzen ist ein grundlegender politischer Vorgang - für
Danilon Zolo ist sie der ""politische Urmechanismus, der
Sicherheit produziert, indem er die Komplexität der Umwelt reduziert",
was geschieht durch die "Festlegung einer internen / externen
Trennungslinie."44 Im Cyberspace
nun gibt es Grenzziehungen, die im Vergleich zur realen Welt ganz unschwer
gezogen werden können: durch Namensgebung (Domain-System) und
Clusterbildung von Adressen, Labeling, spezielle Paßwörter,
Eintrittsgebühren oder, vor allem, Softwareprotokolle ("Das
Internet ist Software" - Ethan Katsh). Insbesondere die rasche
Ausbreitung von Filtersoftware hat hier zu einer dramatischen Ausweitung von
Selektion und einer Dezentralisierung von Kontrolle - also Grenzziehung - geführt45.
Inhalte oder Verhaltensweisen, die in einem Informationsraum akzeptiert und
möglich sind, können im nächsten nicht gelten. Nun sind
solche Grenzziehungen bislang noch durchlässig, umgehbar, zeitweilig -
also relativ.46 Entscheidungen, die
Machtverhältnisse in einem gegebenen Informationsraum regulieren, kann
sich der Netizen mehr oder weniger entziehen, indem * er schweigt,
* eine neue Identität annimmt, * sich anonymisiert
* einen neuen Informationsraum nach seinem Gusto aufmacht * oder
den virtuellen Raum verläßt. Eintritttskosten und
Austrittskosten sind also noch relativ gering. Während in der
wirklichen Staatenwelt die Realisierung politischer Zielsetzungen wie auch die
Rechtsdurchsetzung letztendlich auf die Fähigkeit zur Ausübung
physischer Gewalt bauen können, ist im Informationsraum die
Durchsetzungsfähigkeit, also Gültigkeit der Regeln und
Normierungen auf Zustimmung angewiesen; sie kann nicht mit Zwang sanktioniert
werden. Sanktionen verbleiben symbolisch. Es ist also sehr zweifelhaft, daß
der Netzraum ein Platz für zwingend folgenreiche Entscheidungen ist,
denen sich die Betroffenen nicht entziehen können: "Abwanderung"
(Hirschman), Exit, also Rückzug aus einer Beziehung mit einer Person
oder Organisation (also einfaches Fortgehen), ist möglich, das Netz hat
- im Unterschied zum realen Staat - noch immer einen vergleichsweise leicht zu
erreichenden Ausgang47. Exit "ist
eine wesenhaft private und typischerweise stumme Handlungsweise. Man kann
sie allein vollführen, es ist nicht nötig, sie mit irgend jemand
zu besprechen. Abwanderung ist daher eine minimalistische Art, Opposition
auszudrücken - man geht fort, ohne sich mit anderen abzustimmen, ohne
Geräusch, "im Schutze der Nacht."48
Abwanderung ist eine private Entscheidung und ein privates Gut. Doch
freilich wird die Umsetzung dieser Entscheidung zunehmend schwieriger, den
die Grenzen des Cyberspace werden rapide massiv, sozial und technisch. So
dass zugleich und offenbar zunehmend notwendig wird eine aufwendige, womöglich
politische Aktion, Professionalität, technisches Wissen, einen Kampf um
Bewegung, um die Chance, Reisender und Spaziergänger, Flaneur und
Vagabund, Surfer, Spieler, Browser, Lurker und Experimentator sein zu können.
Hier ergibt sich eine eigentümliche Verschränkung: die Analyse
Hirschmans nennt neben dem "Exit" noch die Handlungtypen "Voice",
also Protest, Opposition und "Loyalty", also Arbeit am Konsens.
Eine Netz, das im Zeichen elaborierter Massivgrenzen Netzaktivismus - "Voice"
- nachgerade zur Bedingung des Rechts auf "Exit" macht, muss mit
einem bewegungsgesellschaftlichen Personal rechnen, das den Maximen
postmoderner Lebensstrategien nur noch schwer folgen vermag, in womöglich
also ein anderer virtueller Vergesellschaftstypus aufscheint. Welche
Struktur nun nimmt im Cyberspace der dritte Handlungstypus - Loyalty - an unter
der Bedingung einer politischen Ordnung, welcher die Implementationsmacht
realstaatlicher Mächte fehlt? Johnson sieht sie in einem "Regime
von Privatverträgen"49, das den
Netzraum strukturiere. Gegenwärtig können Netzidentitäten überall
hergestellt werden; im Prinzip können "Netzregister" überall
auf der Welt geschaffen werden und Registrierungen können mit einer
Verpflichtung auf die Gesetzeslage am Ort der Registratur verbunden sein - oder
auch nicht. Gegenwärtig sind die Bedingungen der Identitätsbildung
sehr unterschiedlich; die meisten Personen erhalten diese Identität (in
Form einer E-Mailadresse oder Web Space) durch einen Provider, mit dem sie
einen Vertrag abschließen, der sehr detaillierte Regelungen enthält
wie etwa AOL oder faktisch überhaupt keine Informationen über die
Realpersonen verlangen. Es müsse aber ein international verbindlicher und
vergleichbarer Set von Verpflichtungen geschaffen werden, eine Art
Grundgesetz, das Selbstregulierung ermöglicht: Kontrakte über die
Abgrenzung des Netzraums zwischen Providern, Gebührenregelungen,
Sicherheit, Konfliktaustragsregelungen, Regelungen zur Verhinderungen von
kriminellen Handlungen50, Öffentlichkeit
der Regelungen. Johnson sieht in der Bildung von Onlineidentität
(Adressen) den Kern für Mitwirkung - und: "For starters, the power
of the registries to banish users provides a much more effective enforcement
tool than might otherweise be available to any particular government.
Moreover, the contractual regime decentralizes (and largely privatizes) all
the costs of enforcement and dispute resolution."51
Hier revitalisiert sich die alte liberale Konzeption,
allgemeingesellschaftliche Angelegenheiten durch Vertragsregelungen zwischen
Privaten politikfrei arrangieren und halten zu können.
9 Doch daneben gibt es eben nun und
krass aufwachsend einen anderen Vergesellschaftungstypus, ein Netz der Netze
mit massiven, für das weit überwiegende Gros der User und
Userinnen unüberwindbaren Grenzziehungen: zwischen Domänen und Sites
und Pages und Groups und Listen, ohne Voice und Exit, aber mit Loyalty. Auch
zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren, Gesehenem und Ignoriertem. Dieses Netz
der Netze ist ein Ortsnetz. Das Netz der 57 % Onliners, die nach einer
Umfrage von Business Week immer dieselben Sites aufsuchen, statt
herumzuwandern52. Das Netz, dessen
Territorium eine Handvoll Metropolen planiert53.
Das Netz, das Bewegung überraschungsfrei in der Abteilung "What`s
New on this Site?" stillegt. Das Netz, aus dem unser Zählwerk Alta
Vista 21 millionenfach "Homepage", 241 000fach "Firewall"
und 7 millionenfach "Office" liest - und gemeint ist nicht nur das
bekannte Softwarepaket. Das Netz der Konstruktion, nicht der Option der
Identität. Das Netz des under construction und nicht des Multitasking.
Das bewegungsarme, grenzbewußte, stationäre
Arbeit-und-Leben-Netz. Das Netz der institutionellen Realkulturen, der Gebührenregelungen,
des Sicherheitsmanagements, der Konfliktaustragsregelungen und der
elaborierten Anticrimesoftware. Das Vorstadtnetz, sicher für Familien und
Kinder und natürlich auch sicher für Beamte. Das Netz ungleicher
und differenter Identitäten der Personen und Gruppen, Institutionen und
Organisationen. Das Community-Netz54.
Das sichere Netz.55 Das Stadtnetz.56 Das Staatsnetz.57
Das Netz ohne Bilder- und Textkritik. Das Netz, das Machtverteilung auch
über stabile Sichtbarkeit und ein Ineinanderfliessen netzvermittelter
wie importierter Reputation regelt.58
Das Netz, mit Registratur und ID: ob dies Warenzeichen, digitale Unterschriften
oder fälschungssichere E-Mailadressen sind. Wer sich diese Konventionen
und Regimes legitimer Identitätsbildung nicht zu eigen macht, wird
exkludiert und der Konsens über die Adressierung wird hier zu einer
zentralen Differenzierungslinie in der Gesellschaftsstruktur des Netzes
zwischen der legitimen und illegitimen, offiziellen und inoffizielle
Gesellschaft. Eine inoffizielle Netzgesellschaft, in hastiger, auch flüchtiger
Bewegung, eine Flucht- und Exklusions- und Exitgesellschaft, die sich mischt
mit der eingangs skizzierten Bewegungsgesellschaft des Nicht-Orts Cyberspace.
10 Mit diesem starken, realitätsfesten,
anschlußfähigen Netz aber sind wir nun in ein globales Ortsnetz
mitsamt einer ganz anderen Netzgesellschaft geraten - wenig flüchtig,
dafür ungeheuer vervielfältigt, natürlich virtuell, ganz hübsch.
Allerdings vermutlich ohne wirklich guten Jazz und keinem Jobangebot an
Benjamin Franklin, die alt.dump-king-George-newsgroup zu moderieren.
1 "Cyberspace ist ein alter Hut", so Elisabeth
Holzleithner, Viktor Mayer-Schönberger: DECONSTRUCTING CYBERLAW. URL:
dpub36.pub.sbg.ac.at/kwt/HOSCH_P.HTM 2 Edward J.
Valauskas: Lex Networkia: Understanding the Internet Community, in: First
Monday 4/1996, http://www.firstmonday.dk/issues/issue4/valauskas/index.html
3 Elissa D. Smilowitz: Do Metaphors Make Web Browsers
Easier to Use? URL: www.baddesigns.com/mswebcnf.htm. Die ausgezeichnete
Schrift von Steven Johnson: Interface Culture, New York 1997, S.6
charakterisiert das Interface-Design als Fusion von Kunst und Technologie.
Die Visualisierung des Computerinterface war Doug Engelbarts Frage 1968.
4 Für die nicht zu überschätzende Bedeutung
der Interfacekontrolle steht der Kampf zwischen Microsoft und dem
Justizministerium der USA (bzw. zahlreicher US-Bundesstaaten) um den
MSN-Icon im Windows-Menue oder um das "erste Bild" nach dem
Einschalten des Computers, siehe Netly News v. 26.5.1998
(http://cgi.pathfinder.com/netly/ editorial/0,1012,2013,00. html). Der Kampf um
Selektion (Filterung ->"Individualisierung" der Angebote) setzt
dies auf einer anderen Ebene fort: hier geht es um Datenorganisation nach
Bedeutung. 5 Überhaupt werden Machtvorstellungen
evoziert wie etwa jene, dass sich Dinge der Welt quantifizieren lassen: Faßler
zum Beispiel teilt uns mit, dass "zur Zeit bereits 1015 Bit des
Weltwissens elektronisch gespeichert sind", Manfred Faßler,
Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik online 2/1997, S.4-9, URL:
www.gep.de /medienpraktisch /amedienp /mp2-97/2-97fass.htm
6 Vgl. Jörg Müller: Virtuelle Körper. Aspekte
sozialer Körperlichkeit im Cyberspace, FS II 96-105 Berlin 1996
7 Tim Berners-Lee und Robert Cailliau benutzten den Begriff im
November 1990 um die globale Konnektivität und insbesondere eine
spezifische Form der Arbeitsteilung und Wissensdistribution zu beschreiben:
die Wahl des Begriffs "Web" sollte die Art der Wissensorganisation
charakterisieren: "This forming of a web of information nodes rather
than a hierarchical tree or an ordered list is the basic concept behind
hypertext. The network of links is called a web." Zur Netzassoziation
gehört die "Spinne" - im Spinnennetz sind die Opfer gefangen,
eine negativ besetzte Konnotation, die sich in der Rede von der Netzdroge
fortsetzt. Viren sind mittlerweile nur noch negativ besetzt - von der durch
sie bewirkten Erkrankung der Technik ist nicht die Rede, zuweilen aber von
Seuchen. 8 Vgl. Bernhard Debatin: Metaphern und
Mythen des Internet (1997). URL:
www.uni-leipzig.de/ebatin/German/NetMet.htm. Metaphern sind mächtig, weil
sie auch eine Differenz thematisieren; es geht nicht um Gleichsetzung.
9 Der Begriff "Surfing the Internet" tauchte nach
Angaben von Ute Hoffmann erstmals bei Jean Armour Polly in einem Artikel der
Wilson Library Bulletin im Juni 1992 auf, siehe
http://www.promo.net/gut/bm_gut08.htm#4 (Ask Dr. Internet). Johnsohn weist
zu Recht auf die Differenz zwischen Zapping und Surfing hin: "A channel
surfer hops back and forth between different channels because she`s bored. A Web
surfer clicks on a link because she`s interested." (Interface Culture,
S.109). Das Interesse muss freilich spezifiziert werden: geht es um zufällig-zielloses
Browsen oder um Suchstrategien, die durchaus Elemente der Offenheit und
Ziellosigkeit einschliessen können? S. Lara D. Catledge, James E.
Pitkow: Characterizing Browsing Strategies in the World-Wide Web,
http://www.igd.fhg.de/www/www9 ...Patterns.Paper4.formatted.html
10 Da die "Infobahn" als Bewegungsmetapher nicht den
Inhalt und die Formbestimmung des Prozesses, sondern bloß diesen
selbst thematisiert, somit den Besitz oder die Verteilung der Information,
auch ihre Transaktion, Kommunikation, das interpretierende Austauschhandeln
also, ignoriert, ist sie blind gegenüber Zerstörung und der durch
sie provozierten Restrukturierung von Räumen. Dem Netsurfer oder Webcrawler
auf der Datenautobahn ist die Bewegung nicht nur die Hauptsache - sie ist
alles. Das ist das Magische des Mausklicks auf den Hyptertextlink. Indem er
verbindet, synthetisiert und fragmentiert er - dies gegen Johnsons Gegenüberstellung
von Fragmentierung und Synthese (Interface Culture, S.111). Aber zunächst
geht es nicht um Adressierung (z.B. eine Bookmarkliste) sondern um
Verbindung. 11 Tim Rohrer: Conceptual Blending on the
Information Highway: How Metaphorical Inferences Work, Amsterdam 1997 URL:
http:// metaphor.uoregon.edu/iclacnf4.htm. Da das, was auf der Infobahn
transportiert wird, als Informationsgut bestimmt wird (genauer: als Ware,
die in ein Eigentumsverhältnis verwickelt ist), ist ihr Diebstahl natürlich
ein Akt der Piraterie und es bedarf der Polizei. Neben dem Verkehrssystem
ist das Elektrizitätsnetz eine weitere, aber weniger verbreitete
Referenz im Metaphernspektrum des Internets, wo der Zugang zum Strom der
Elektrizität als Zugang zum Fluß der Informationen evoziert wird.
12 "Cyberspace is a completely spatialized
visualization of all information in global information processing systems,
along pathways provided by present and future communication networks,
enabling full copresence and interaction of multiple users, allowing input
and output from and to the full human sensorium, permitting simulations of
real and virtual realities, remote data collection and control through
telepresence, and total integration and intercommunication with a full range of
intelligent products and environments in real space" - Benedikt,
Michael, ed. Cyberspace: First Steps. Cambridge, MA: MIT Press, 1991.
13 Die virtuelle Gemeinschaft oder die digitale Stadt:
beides sind prothetische Metaphern, die Defizite der Realwelten
kompensieren. Es geht daher nicht nur darum, dass nach den Städten der
Stahl- und Schwerindustrie nun die urbanen Konstrukte des neuen Bitbusiness
entstehen und die alten Informationsräume entwertet, ja vernichtet
werden. Vielmehr revitalisiert die neue kommunikative Vergesellschaftung im
virtuellen Raum das Konzept des "öffentlichen Platzes"
jenseits von Arbeit und Wohnung, aus den neuen öffentlichen Räumen
erwächst eine neue kommunalförmige Oeffentlichkeit. Freilich: es
sind flüchtige Konstrukte, Städte der Dekonstruktion, schwacher
Grenzziehungen, zerbrochener Linearität - vielleicht ein Dementi einer um
den Zwang, sich Widersprüchen aussetzen zu müssen, gereinigten
Stadtkonzeption der Moderne. 14 Das Globale Village
war als Metapher zunächst gängig, bevor es durch die Urbanitätsmetapher
abgelöst wurde. 15 Siehe die Ergebnisse einer
Kurzrecherche bei Hot Bot und Alta Vista im Anhang. 16
Fenster, die einander überlappen und daher Tiefe imaginieren - dies die
weittragende Innovation Alan Kay`s (Xerox, 1972), welche in fundamentaler Weise
die Vorstellung vom Informationsraum generierte. Frames sind die
Fortentwicklung 17 und - häufig - durch ein Logo
konzentriert zu verdeutlichen und veralllgemeinerbar zu machen. Überwiegend
sind Bilder zentriert oder links plaziert, Texte rechts; Links sind seltener
rechts plaziert. Vgl. Eleanor Wynn, James E. Katz: Hyperbole over
Cyberspace: Self-presentation & Social Boundaries in Internet Home Pages
and Discourse, http://www.slis.indiana.edu/TIS/hyperbole.html. An die "Page"
schliessen dann im übrigen andere Begriffe an, die aus dem Druckbereich
stammen. 18 Fast nur im Zusammenhang mit der Identitätsfrage
taucht die Frage nach der Geschlechtsspezifik der Mythen auf.
19 S. Das Zentrum als Einheit, URL: http://
duplox.wz.berlin.de/ texte/ ding/ zentrumeinheit.html.
20 Lassen sich diese Mythen zu einem virtuellen Gesamtmythos
zusammenfassen? Debatin sieht ihn im Mythos der zeit- und grenzenlosen
Kommunikation. Die ideologiepolitische Relevanz der Metaphernbündel
liegt nicht nur darin, dass sie anschlussfähig sind an eine Fülle
von Legitimationsmustern in unterschiedlichsten Politikfeldern, sondern dass
sie auch den überzeugungskräftigen Kontext für eine mächtige
wirtschafts- und industriepolitische Kernargumentation bereitstellen, wonach der
zukünftige Reichtum der Nationen von einer hochentwickelten
Informationsinfrastruktur abhänge: amerikanische hard und soft power, überwabert
von Zeitgeistgerede à la "globaler Geist" (Kelly) und "Sturz
der Materie" (Dyson u.a., Magna Charta), das Gerhard Henschel jüngst
äußerst amüsant verspottet - leichthin freilich, weil er die
Wirklichkeit der Veränderungen konsequent ignoriert, s. Gerhard Henschel,
Cyberspacelyrik, in: Merkur 8/1998 S. 538ff. 21
Einen Realkontext eines solchen Widerspruchs - beschrieben mit dem Wort "Informationsexil"
- schildet William Wresch am Beispiel des Besitzers einer Compzterfirma in
Namibia: "He may put a movie into his VCR, but it won`t be a Namibian
movie - there is no such thing. He might curl up with a Namibian book, but he
won`t do it very often - only about half a dozen are published each year. He
could turn on the tube, but all he will see on it is American reruns and
government propaganda. He might pick up the phone and direct dial dozens of
friends in the United States or Germany, but he couldn`t call more than a
handful of people outside the capital city in his own country. In other
words, Schoeman has amazing access to some kinds of information, no access
at all to thers - eithwer the information doesn`t exist or he can`t get to
it." William Wresch: Disconnected. Haves and Have-nots in the Information
Age: Rutgers University Press, New Brunswick 1996, S. 2. Olu Oguibe spricht
von den Forsaken Geographies, den verlassenen Geographien, siehe Olu Oguibe:
Forsaken geographies. Cyberspace and the New Wolrd "Other", South
Florida 1996, URL: htttp:// eng.hss.cmu.edu/ internet/ oguibe
22 Allgemeiner noch die Charakteristik bei Christine Weiske,
Ute Hoffmann: Die Erlebniswelt als Stadt,
http://duplox.wz-berlin.de/texte/stadt/): "Orte sind Fixierungen im
Raum, die bestimt sind. Über seine Bestimmungen wird ein Ort "fest"
über die Dauer hinweg, mit der die Bestimmungen ihre Geltung behalten."
Dass - wie dort vorsichtig formuliert - die Ausbildung der Eigenschaft des
Immobilismus dann recht zwingend dazu führe, dass sich Orte in Immobilien
verwandeln, ist wenig nachvollziehbar. Immobilien sind Gebrauchswerte, die
sich verwerten. 23 Die Zeit 12/1998
24 Marc Augé: Orte und Nicht-Orte. Vorüberlegungen
zu einer Ethnologie der Einsamkeit. Fischer: Frankfurt 1994. Anders als
Manfred Faßler, Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik online
2/1997, S.4-9, URL: www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/mp2-97/2-97fass.htm:
"Das Netz hat keine eigene Sprache, keine eigenen Orte. Für jeden
und jede, die es nutzt, sieht es anders aus...Es gilt grundsätzlich,
dass "das Netz", also das Gefüge elektronischer,
computerbasierter Datenvermittlung, mit dem Beginn jeder Nutzung ein "besonderes
Gesicht" zeigt:" Das Netz ist das individuelle "Draußen"
auf dem eigenen Schreibtisch. Augé`s und Faßlers Rede ist
wieder zu unterscheiden vom Konzept der Atopien - der Unorte, die als
Abklatsch des Ortes existieren. 25 Orte gewinnen
auch überfallartig als Eingriff Kontur: Etwa die Zerstörung der
Zugangoberfläche Bildschirm, die noch Individualität (Kontrolle)
vorgibt, in Form der die Ordnung der Fläche brutal zerfetzenden
Fehlermeldung: Javascript als Eindringling. Oder die kaum merkliche Vervielfältigung
der Bildschirme. Die unmerkliche Mutation der Fläche in ein
Relevanzmodell durch Dreidimensionalisierung. 26 Augé,
S.130. Nicht-Orte sind kein Medium für "Tätigkeiten...die
sich auf eine allen gemeinsame Welt richten" (Hannah Arendt: Vita
activa oder Vom tätigen Leben, München 1994 S. 31, zitiert nach
Christine Weiske, Ute Hoffmann: Die Erlebniswelt als Stadt,
http://duplox.wz-berlin.de/texte/stadt/). Zwei postmoderne Utopien
existieren: die unendliche technologische Selbstreperaturfähigkeit der
Welt und ihre Selbstregulierung durch den neoliberal gefeierten Markt. Die
christlich-jüdische Kultur hatte immer mit den Erfahrungen der Ortlosigkeit
zu tun. Zur religiösen Verwurzelung und Praxis des Netzes s. Michael
Bauwens, Spirituality and Technology: Exploring the Relationship, First
Monday 1996 und David F. Noble: The Religion of Technology: The Divinity of
Man and the Spirit of Invention, New York 1997. 27
S. Das Zentrum als Einheit, URL: http:// duplox.wz.berlin.de/ texte/ ding/
zentrumeinheit.html. 28 Bauman, Zygmunt: Flaneure,
Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: 1997,
S.77 29 Baumann, S.153 30
Bauman, S. 154 31 Diese schöne Formulierung
verwendet Barbara Becker: Die Inszenierung von Identität: Körper,
Texte, Imaginäres, 1997. Sie kritisiert die üblichen scharfen
Trennungen zwischen virtuellen / realen Subjekten, Ich und Maske und denunziert
dies zu Recht als traditionelle Idee eines mit sich selbst identischen
Subjekts, besser: eines autonomen Individuums, mit dem im übrigen auch
die klassischen Entfremdungskonzepte unterlaufen werden: in der virtuellen
Welt fragmentierter Subjekte "bricht das Konzept der Entfremdung
zusammen" (Turkle). Tatsächlich sind, so Becker, Subjekte
symbolisch-mediale Konstrukte, deren Selbstinszenierung von realhistorischen
Inszenierungspraktiken und den über sie vermittelten Medien abhängt,
verdanken sich also "Imagination, Narration und Inszenierung"
(Becker) - alles historisch höchst variable und sich entwickelnde
Elemente. Ihre Kritik der verbreiteten Schärfe der Unterscheidung lässt
freilich keinen Raum mehr zur Erkenntnis historischer Entwicklungsbrüche.
Vgl. auch Christoph Brönnimann: Interaktion im Cyberspace - Eine neue
Form des öffentlich-privaten Austauschs, Zürich Oktober 1997, URL:
www.unizh.ch/(cbro/goffm_v1.html 32 Wem dieses Bild
der Netzagierenden befremdlich passiv erscheint, der sei auf einen Versuch
des DIFF-Tübingen verwiesen, von dem Faßler berichtet: 90 % der
Nutzer lesen nur -> das ist Radiohören, es sind ROMS`s, Read Only
Members. 10,5 % beteiligen sich unregelmässig, 5 % bestreiten die Fülle
der Informations- und Kommunikationsleistungen -> das sind RAM`s, Radical
Active Members; s. Manfred Faßler, Sphinx `Netz` (I), in: Medienpädagogik
online 2/1997, S.4-9, URL:
www.gep.de/medienpraktisch/amedienp/mp2-97/2-97fass.htm. Andere Schätzungen
gehen demgegenüber von10-15 Millionen Medienaktiven aus (ca. 200 Mio
Webpages und ca. 1 Mio tägliche USENET-Botschaften), s. Hans Geser: Die
Neuerfindung der politischen Öffentlichkeit, Zürich 1998, URL:
http://socio.ch/intcom/t_hgeser06.htm. Vor allem wer mit hohen Geld- und
Zeitkosten kommuniziert, kalkuliert, fragt also nach den Effekten - und lässt
dann offenbar ziemlich oft das Ganze sein, erst recht, wenn er den Eindruck
hat, von Überlegenen beobachtet zu werden [Einerseits: 11 % der deutschen
Nutzer der Onlinedienste haben einen Hauptschulabschluss aber 41 % ein
Studium, s. Media-Perspektiven 11/1997 S.604ff.; andererseits ändert
sich das Nutzungs- und Navigationsverhalten drastisch, wenn ein Monitoring
bekannt wird, siehe Graham-Cumming, Hits and Miss-es.] 33
Baumann, Flaneure, S.146. Mit der Frage "Kann man denken, wenn man es
eilig hat?" deutet Pierre Bourdieu (Über das Fernsehen, Frankfurt
1998, S. 38) die Weiterungen des Problems an, die sich zum Beispiel in der
Entstehung neuer Subtypen von Medienintellektuellen ("Fast-Thinkers")
andeutet. 34 Bauman, Zygmunt: Flaneure, Spieler und
Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: 1997, S. 44f.
35 Getrud Koch: Die neue Drahtlosigkeit, in:
Dtsch.Z.Philos. 6/1997 S.922f. 36 Vgl. John B.
Thompson: Die Globalisierung der Kommunikation, in: Dtsch.Z.Philos. 6 (1996)
S.882. Die Realisierung der imperialistisch ausgreifenden Kommunikationsbedürfnisse
wurde durch neue Technologien ermöglicht, welche die Entkoppelung von
Kommunikation und physischen Nachrichtentransport bewerkstelligten. Thompson
skizziert als die drei Schlüsselentwicklungen der formativen Periode der
Medienglobalisierung die Entwicklung von Unterseekabeln, die Entstehung
internationaler Nachrichtenagenturen und die Bildung internationaler
Organisationen zur Aufteilung des elektromagnetischen Spektrums. Aber erst
1960 mit dem ersten gestationären Kommunikationssatellit wurde die
Radiowellenkommunikation endgültig global. Obwohl daher die Formierung
der globalen Kommunikationsordnung im letzten Jahrhundert begann, ist erst
in diesem Jahrhundert die Vervielfachung der Kanäle und Medien der
Globalisierungsdurchbruch: transnationale Kommunikationskonzerne, die sich aus
den Presseunternehmen des 19. Jahrhunderts herausgebildet hatten, sind
Hauptakteure des neuen, assymetrischen Systems, die im Weltmarkt operieren,
ihre Zentralen in der Triade (und Australien) haben in binnen kurzer Zeit
ausgedehnte privat kontrollierte Kommunikationsnetze gebildet haben.
Forciert wurde dieser Prozess durch den Einsatz hochentwickelter und
leistungsfähiger Kabelsysteme, die zunehmende Nutzung von Satelliten,
die eine erneute Emanzipation von einem Vorläufermedium, nämlich den
terestrischen Rundfunknetzen erlaubten, und die Verwendung digitaler
Verfahren, die Informationen intermedial konvertieren können. Mit den
Direct Broadcasting Satellites (DBS) haben sich endgültig
transnationale Verteilsysteme etabliert und die Zirkulationssphäre der
Medienprodukte und symbolischen Güter wird internationalisiert.
Zugangsmuster und offenbar erst recht Rezeptionsmuster sind dagegen weiterhin
stark differenziert nach Regionen und Schichten, wie etwa die Unterschiede
im Zugang zu TV und Radio belegen; es entsteht die Achse globalisierte
Verbreitung versus lokalisierter Aneignung. 37
Hauke Brunkhorst: Die Weltgesellschaft als Krise der Demokratie, in:
Dtsch.Z.Philos. 6 (1997) S.899 38 Hauke Brunkhorst:
Die Weltgesellschaft als Krise der Demokratie, in: Dtsch.Z.Philos. 6 (1997)
S.899. Da heisst es weiter: Das Wirtschaftssystem "kann die
Gesellschaft nicht steuern, aber es kann sie zerstören. Wenn es
zusammenbricht, bricht fast alles andere auch zusammen." Luhmann
verweist darauf, dass es im Exklusionsbereich auf die Körper der
Menschen ankommt. Sie zählen nicht mehr als Personen.
39 Wie sollen wir herausfinden, was wir sind, wenn wir fragen
nach dem, was wir nicht mehr sind - unter der Unterschied zwischen beidem
ist lichtgeschwind gesetzt? Wenn die Geschichte sich beschleunigt, die
Anzahl der nicht vorhergesehenen Ereignisse sich rapide vermehrt...
40 Vgl. Gary T. Marx: The Declining Significance of
Traditional Borders (and the Apearance of New Borders) in an Age of High
Technology, in: P. Drogue, Intelligent Environments, Elsevier Science 1997,
S. 484-494, URL: http://socsci.colorado.edu/arx/ascbord.html
41 Klassisch die Versammlung solcher Antipoden bei Hans Geser:
The System of Public Media in Transition, Rel.1.1. Zürich 10.12.1997,
URL: http://socio.ch/intcom/t_hgeser05.htm 42
Mark Nunes: What Space is Cyberspace? The Internet and Virtuality, in: David
Holmes (ed.): Virtual Politics. London 1997, S. 168. Das "Internet is
ultimately a tracing of a map of connectivity; one cannot 'create' new contacts
on the Internet." (S.173) 43 Vergleichbar Jörg
Müller: Virtuelle Körper. Aspekte sozialer Körperlichkeit im
Cyberspace, FS II 96-105 Berlin 1996: "Macht im Netz definiert sich über
Zugriffsrechte auf Daten bzw. Steuerung von Kommunikationsprozessen. In MUDs
besitzen normalsterbliche BenutzerInnen nur in begrenztem Maße das Recht,
die virtuelle Welt zu verändern. Im Regelfall ist dies auf die
Beschreibung des eigenen Charakters bzw. eigener Objekte beschränkt.
Ausgeschlossen sind z.B. die description-files anderer Benutzer bzw. deren
Objekte. Die Systemoperatoren der Host-Rechner hingegen haben zu allen der
individuellen Daten Zugang. In MUDs werden diese Zugriffsrechte auf die
Datenwelt übersetzt in das Ausmaß der Kontrolle über den
virtuellen Körper. Der Verlust der Zugriffsrechte markiert den Verlust
der Freiheit und Kontrolle über den virtuellen Körper, auf dessen
Beschreibungs- und Handlungsmöglichkeiten." Die Konzeption von
Macht wird verschiedene Formen und Reichweiten einbeziehen müssen:
Entscheidungen zur Durchsetzung eines politischen Willens, Situations- und
Akteurskontrolle (auch durch non-decisions), Kontextkontrolle durch Öffnung
oder Schließung von Handlungsmöglichkeiten, vgl. Peter Imbusch
(Hg.): Macht und Herrschaft, Opladen 1988 44 Zolo,
1997, S.66 45 Vgl. S. Jonathan Weinberg: Rating the
Net, 19 Hastings Comm/Ent L.J. 453 (1997).
http://www.msen.com/~weinberg/rating.htm. Die Entstehung der Filtersoftware
wird fast ausschließlich mit dem Verweis auf Kinder- und Jugendschutz begründet.
Während die Blockade des Zugangs zu Newsgroups leicht durch die
Namenskontrolle bewerkstelligt werden kann, ist die WWW-Blockade
komplizierter; dabei wird geschätzt, dass 5-8000 URL`s Sex-Sites sind
von ca. 37 Millionen URL`s. Am relevantesten ist das vom WWWC des MIT
entwickelte Projekt technischer Standards (Platform for Internet Content
Selection), bei dem es nicht um Interaktion, sondern um ihre Verhinderung ging:
Informationsanbieter sollten einen inhaltsbezogenen Informationsstandard
nutzen, um eine Möglichkeit zu schaffen, dass seitens der User
Interaktion verhindert würde (Elternkontrolle). Dabei geht es um
Gewalt, Nacktheit, Sex, Sprache. Der Gedanke ist die Pluralisierung der
Kontrolle. Blockiert werden auch mal Sites für Tierrechte und freies
Programmieren, Schwule und Lesben, feministische Diskussionsgruppen, Militärforschung,
Lexika oder Time Warner`s Pathfinder.com. 46 S.
Brian Kahin, Charles Nesson (Hg.): Borders in Cyberspace, Cambridge-London
1997 47 Albert O. Hirschman: Exit, Voice and Loaylty,
1970: (dt. Übersetzt mit Abwanderung und Widerspruch); ders: Exit and
Voice: An Expanding Sphere of Influence, in: ders., Rival Views of Market
Society and Other Recent Essays, Cambridge Mass. 1992; ders.,
Selbstbefragung und Erkenntnis, Wien 1996. 48 Hirschmann,
Abwanderung, Widerspruch und das Schicksal der Deutschen Demokratischen
Republik, in: ders., Selbstbefragung, S. 45 49 "If
we do not establish a private, contractually based self-governance regime,
using the allocation of net identifiers as the fundamental legitimating and
enforcment mechanism, we will face the growth of concflicting,
gegraphically-based regulatory regimes", David R. Johnson, The Price of
Netizenship (12.11.1996), http://www.cli.org/pon.htm 50
Bemerkenswert, dass Johnson das Vorkommen von Kriminalität auf die
Beziehungen zwischen Providern und Usern beschränkt.
51 Johnson, Netizenship 52 "According
to a new Business Week /Harris Poll, 57% of those on the Net go to the same
sites repeatedly instead of wandering from one to the next. And of the 89%
who use E-mail, nearly one-third consider themselves part of an online
community. 42% of those involved in an online community say it is related to
their profession, while 35% say their community is a social group, and 18%
say it revolves around a hobby. Just as in the physical world, Net newbies
are gravitating to Web sites where they can find friends and feel
comfortable. Adding a way for web surfers to chat can consistently boosts
traffic on any Web site by as much as 50%." Nua Internet Surveys v. Apr 28
1997. 53 Vgl. John Graham-Cumming: Hits and Miss-es:
A Year Watching the Web,
http://proceedings.www6conf.org/HyperNews/get/Paper131.html, der für den
Zeitraum April und September/Novermber 1996 die Navigationsstrategien von
4000 WebnutzerInnen verfolgte, die 95 000 unterschiedliche URL`s besuchten:
die Hälfte des Verkehrs konsumierten 35 Sites, bei denen es um
Navigation (Suchmaschinen), Neuigkeiten, Sport und Geld ging. Vergleichbar
Thomas Berker: WWW-Nutzung an einer deutschen Hochschule - Computer, Sex und
eingeführte Namen, http://www.informatik.uni-frankfurt.de/erker/proto.html,
wonach Anfang 1998 3 % der von einem Teil der NetznutzerInnen der
Frankfirter Universität fast 30 000 frequentierten Server 50 Prozent
der Anfragen auf sich zogen und jede zehnte Anfrage einem der ersten 12
Server galten. Dabei geht es um Nachktheit, Computerbezogenes und um bereits
aus anderen Medien Bekanntes. 54 Eine Metapher - die
Internetgemeinschaft - wird üblicherweise definiert durch Hinweis auf
gemeinsame räumliche Beziehungen (Ko-Lokalität), soziale
Konventionen, ein Gefühl für Mitgliedschaft und Grenzen und durch
Interaktion, auch gewisse Formen der zeitlichen Kopräsenz - Merkmale
also, die Dauerhaftigkeit begründen. Netzwerkgemeinschaften setzen
voraus, dass ein dauerhafter Sinn für einen geteilten Raum / Ort
artikuliert wird. Dieser Sinn für Nähe wird in der Regel durch sprichwörtliche
Raummetaphern vermittelt, die räumliche Nähe vermitteln. Da Nutzer
reale und virtuelle Räume bewohnen, ist ein Zeichenmanagement
notwendig, das die Elemente (Personen, Praxen, Plätze) beider Räume
miteinander verknüpft, also Kohärenz herstellt. Geteilte
dauerhafte Räume erfordern räumliche Grenzen, sie strukturieren eine
virtuelle Geographie, in der distinkte Orte den Raum aufteilen. Der Raum
bietet auch eine Grenze für die geteilten Objekte. MUD`s bauen auf der
Raumstruktur auf, erschöpfen sich aber nicht darin (sieh
Kanalstruktur). Die Metaphern schließen an die Realwelt an, zum
Beispiel ein MUD, das sich als Büro arrangiert und diesen Bezug recht
spiegelbildlich wiedergeben sollte, also also Extension fungiert;
ErholungsMUD`s dagegen bauen auf der Differenz zum RL auf. Es wird also
nicht davon ausgegangen, dass technische und soziale Netzwerke
deckungsgleich sein müssen, wie dies im Forschungsverbund "Individualisierung
und Integration" formuliert wird. URL:
http://soziserv.unibe.ch/ii/virt_d.htm. 55 Hier geht
es um Chaos: ein Zustand, in dem alles möglich ist - wogegen im Zustand
der Ordnung bestimmte Möglichkeiten ausgeschlossen, andere
wahrscheinlich sind. Chaos als Zustand der Strukturlosigkeit - und die
Gesellschaft als Versuch, ihr zu entrinnen. Ordnungen, die im Netz durch
Ortsbesetzung und -Idenditätsbildung entstehen, sind extrem fragil: ihr
sekundenschneller Zerfall durch technische Mißoperation ist ständig
präsente Möglichkeit - Gesellschaftstod. 56
Die geschäftige Elaborierung virtueller Städte läuft auf
Zerstörung der Metapher, also auf Imitation hinaus, s. Andy Smith, Martin
Dodge, Simon Doyle: Virtual Cities on the World-Wide Web,
http://www.plannet.co.uk/olp/vcity.htm 57 Das die
Entfremdung vom politischen Raum reproduziert, wie das Beispiel der gov.news
zeigt, die bislang weitgehend als Medium staatlicher Information praktiziert
wird - durchaus entgegen der Absichten ihrer Gründer.
58 Entwickelt im Einzelnen als Zentrum-Peripherie-Verhältnis
anhand der Vernetzung durch Links (als strategische Wahlen und Setzung von
Kommunikationsagends) bzw. Zugriffsquoten bei Rainer Rilling: Internet und
Demokratie, WSI-Miteilungen 3/1997, was im übrigen bei den Beteiligten
zur ständigen Erneuerung der Einschaltquotenmentalität aus der
TV-Welt führt. Dieser Frage des Mehr- oder Weniger geht voraus die Frage
des drinnen oder draußen, vgl. Niklas Luhmann. Inklusion und
Exklusion, in: Helmut Berding (Hg.): Nationales Bewußtsein und
kollektive Idendität: Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins,
Frankfurt Suhrkamp 1994, S. 15-45 sowie Clemens Knobloch: Kalt ausgesperrt.
Neues über Inklusion und Exklusion, in: BdiP 4/1998, S. 473ff.
Begriff |
hotbot |
alta vista |
Raummetaphern / Begriffe |
|
|
space |
5 012 946 |
4 835 621 |
cyberspace |
472 091 |
303 968 |
page |
29 117 952 |
25 940 256 |
home page |
11 624 840 |
15 124 490 |
homepage |
4 808 311 |
6 179 304 |
Bewegungsmetaphern / Begriffe |
|
|
navigating navigate |
529 046 |
449 536 |
surfing surf |
774 933 |
713 381 |
browsing browse |
1 552 801 |
1 602 102 |
Lurking |
74 175 |
4 528 |
password |
1 155 225 |
1 208 211 |
Passwort |
21 537 |
25 943 |
Sozialmetaphern / Begriffe |
|
|
information society |
51 507 |
1 327 127 |
informationsgesellschaft |
14 153 |
12 202 |
wissensgesellschaft |
406 |
503 |
virtuelle gesellschaft |
87 |
782 |
* |
|
|
global village |
50 656 |
99 387 |
digital city |
16 480 |
13 890 |
virtual community |
26 140 |
19 222 |
electronic community |
9 087 |
6 047 |
net community |
18 219 |
16 647 |
digital community |
1 359 |
918 |
internet community |
203 974 |
62 665 |
globales dorf |
182 |
190 |
Internetgemeinde |
312 |
313 |
virtuelle gemeinschaft |
262 |
257 |
digitale stadt |
657 |
579 |
electronic marketplace |
30 600 |
113 493 |
* |
|
|
cyberpunk |
33 539 |
24 022 |
digerati |
7 378 |
3 642 |
user |
6 710 453 |
4 393 223 |
Nutzer |
27 574 |
32 577 |
netizen |
18 711 |
20 287 |
* |
|
|
Netiquette |
58 712 |
24 012 |
Netikette |
422 |
368 |
|
|
|
Politische Begriffe |
|
|
electronic democracy |
5 709 |
3 126 |
elektronische demokratie |
108 |
80 |
freedom |
1 186 078 |
869 596 |
democracy |
398 376 |
281 277 |
Demokratie |
21 721 |
20 402 |
Freiheit |
42 249 |
39 683 |
Gleichheit |
8 600 |
4 775 |
equality |
242 948 |
161 578 |
|
|
|
|
|
Rilling 14.3.1998 |
|