Theodor W. Adorno
ERZIEHUNG NACH AUSCHWITZ
aus: Stichworte, Kritische Modelle 2
edition Suhrkamp 347, Ffm 1969, S.85-101
Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die
allererste an Erziehung. Sie geht so sehr jeglicher anderen
voran, dass ich weder glaube, sie begruenden zu muessen noch zu
sollen. Ich kann nicht verstehen, dass man mit ihr bis heute so
wenig sich abgegeben hat. Sie zu begruenden haette erwas
Ungeheuerliches angesichts des Ungeheuerlichen, das sich
zutrug. Dass man aber die Forderung, und was sie an Fragen
aufwirft, so wenig sich bewusst macht, zeigt, dass das
Ungeheuerliche nicht in die Menschen eingedrungen ist, Symptom
dessen, dass die Moeglichkeit der Wiederholung, was den
Bewusstseins- und Unbewusstseinsstand der Menschen anlangt,
fortbesteht. Jede Debatte ueber Erziehungsideale ist nichtig
und gleichgueltig diesem einen gegenueber, dass Auschwitz nicht
sich wiederhole. Es war die Barbarei, gegen die alle Erziehung
geht. Man spricht vom drohenden Rueckfall in die Barbarei. Aber
er droht nicht, Auschwitz war er; Barbarei besteht fort,
solange die Bedingungen, die jenen Rueckfall zeitigten,
wesentlich fortdauern. Das ist das ganze Grauen. Der
gesellschaftliche Druck lastet weiter, trotz aller
unsichtbarkeit der Not heute. Er treibt die Menschen zu dem
Unsaeglichen, das in Auschwitz nach weltgeschichtlichem Mass
kulminierte. Unter den einsichten von Freud, die wahrhaft auch
in Kultur und Soziologie hineinreichen, scheint mir eine der
tiefsten die, dass die Zivilisation ihrerseits das
Antizivilisatorische hervorbringt und es zunehmend verstaerkt.
Seine Schriften "Das Unbehagen in der Kultur" und
"Massenpsychologie und Ich-Analyse" vverdienten die
alllerweiteste Verbreitung gerade im Zusammenhang mit
Auschwitz. Wenn im Zivilisationsprinzip selbst die Barbarei
angelegt ist, dann hat es etwas Desperates, dagegen
aufzubegehren.
Die Besinnung darauf, wie die Wiederkehr von Auschwitz zu
verhindern sei, wird verduestert ddavon, dass man dieses
Desperaten sich bewusst sein muss, wenn man nicht der
idealistischen Phrase verfallen will. Trotzdem ist es zu
versuchen, auch angesichts dessen, dass die Grundstruktur der
Gesellschaft und damit ihre Angehoerigen, die es dahin gebracht
haben, heute die gleichen siond wie vor 25 Jahren. milionen
schuldloser Menschen - die Zahlen zu nennen oder gar darueber
zu feilschen, ist bereits menschenunwuerdig - wurden planvoll
ermordet. Das ist von keinem Lebendigen als
Oberflaechenphaenomen, als Abirrung vom Lauf der Geschichte
abzutun, die gegenueber der grossen Tendnz des Fortschritts,
der Aufklaerung, der vermeintlich zunehmenden Humanitaet nicht
in Betracht kaeme. Dass es sich ereignete, ist selbst Ausdruck
einer ueberaus maechtigen gesellschaftlichen Tendenz. Ich
moechte ddabei auf eine Tatsache hinweisen, die sehr
charakteristisch in Deutschland kaum bekannt zu sein scheint,
obwohl ein Bestseller wie "Die 40 Tage des Musa Dagh"
von
werfel seinen stoff daraus zog. Schon im ersten Weltkrieg haben
die Tuerken - die sogenannte Jungtuerkische Bewegung unter der
fuehrung von Enver Pascha und Talaat Pascha - weit ueber eine
Million Armenier ermorden lassen. Hoechste deutsche
militaerische und auch Regierungsstellen haben offensichtlich
davon gewusst, aber es strikt geheimgehalten. Der Voelkermord
hat seine Wurzel in jener Resurrektion des angriffslustigen
Nationalismus, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in vielen
Laendern sich zutrug.
Man wird weiter die Erwaegung nicht von sich abweisen koennen,
dass die Erfindung der Atombombe, die buchstaeblich mit einem
Schlag hunderttausende ausloeschen kann, in denselben
geschichtlichen Zusammenhang hineingehoert wie der Voelkermord.
Die sprunghafte Bevoelkerungszunahme heute nennt man gern
Bevoelkerungsexplosion: es sieht so aus, als ob die
historische Fatalitaet fuer die Bevoelkerungsexplosion auch
Gegenexplosionen, die Toetung ganzer Bevoelkerungen, bereit
haette. Das nur, um anzudeuten, wie sehr die Kraefte, gegen die
man angehen muss, solche des Zuges der Weltgeschichte sind.
Da die Moeglichkeit, die objektiven, naemlich
gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen, die solche
Ereignisse ausbrueten, zu veraendern, heute aufs aeusserste
beschraenkt ist, sind Versuche, der Wiederholung
entgegenzuarbeiten, notwendig auf die subjektive Seite
abgedraengt. Damit meine ich wesentlich auch die Psychologie
des Menschen, die so etwas tut. Ich glaube nicht, dass es viel
huelfe, an ewige Werte zu appellieren, ueber die gerade jene,
die fuer solche Untaten anfaellig sind, nur die Achseln zucken
wuerden; glaube auch nicht, Aufklaerung darueber, welche
positiven Qualittaeten die verfolgten Minderheiten besitzen,
koennte viel nutzen. Die Wurzeln sind in den Verfolgern zu
suchen, nicht in den Opfern, die man unter den armseligsten
Vorwaenden hat ermorden lassen. Noetig ist, was ich unter
diesem Aspekt einmal die Wendung aufs Subjekt genannt habe. Man
muss die Mechanismen erkennen, die die Menschen so machen, dass
sie solcher Taten faaehig werden, muss ihnen selbst diese
Mechanismen aufzeigen und zu verhindern trachten, dass sie
abermals so werden, indem man ein allgemeines Bewusstsein
solcher Mechanismen erweckt. Nicht die Ermordeten sind
schuldig, nicht einmal in dem sophistischen und karikierten
Sinn, in dem manche es heute noch konstruieren moechten.
Schuldig sind allein die, welche besinnungslos ihren Hass und
ihre Angriffswut an ihnen ausgelassen haben. Solcher
Besinnungslosigkeit ist enntgegenzuarbeiten, die Menschen sind
ddavon abzubringen, ohne Reflexion auff sich selbst nach aussen
zu schlagen. Erziehung waere sinnvoll ueberhaupt nur als eine
zu kritischer Selbstreflexion. Da aber die Charaktere
insgesamt, auch die, welche im spaeteren Leben die Untaten
veruebten, nnach den Kenntnissen der Tiefenpsychologie schon in
der fruehen Kindheit sich bilden, so hat Erziehung, welche die
Wiederholung verhindern will, auf die fruehe Kindheit sich zu
konzentrieren. Ich nannte Ihnen Freuds These vom Unbehagen in
der Kultur. Sie ist aber umfassender noch, als er sie verstand;
vor allem, weil unterdessen der zivilistorische Druck, den er
beobachtet hat, sich bis zum Unertraeglichen vervielfachte.
Damit haben auch die Tendenzen zur Explosion, auf die er
aufmerksam machte, eine Gewalt angenommen, die er kaum absehen
konnte. Das Unbehagen in der Kultur hat jedoch - as Freud nicht
verkannte, wenn er dem auch nicht konkret nachging - seine
soziale Seite. Man kann von der Klaustrophobie der Menschheit
in der verwalteten Welt reden, einem Gefuehl des
Eingesperrtseins in einem durch und durch vergesellschafteten,
netzhaft dicht gesponnenen Zusammenhang. Je dichter das Netz,
desto mehr will man heraus, waehrend gerade seine Dichte
verwehrt, dass man herauskann. Das verstaerkt die Wut gegen die
Zivilisation. Gewalttaetig und irrational wird gegen sie
aufbegehrt.
Ein Schema, das in der Geschichte aller Verfolgungen sich
bestaetigt hat, ist, dass die Wut gegen die Schwachen sich
richtet, vor allem gegen die, welche man als gesellchaftlich
schwach und zugleich - mit Recht oder Unrecht - als gluecklich
empfindet. Soziologisch moechte ich wagen, dem hinzuzufuegen,
dass unsere Gesellschaft, waehrend sie immer mehr sich
integriert, zugleich Zerfallstendenzen ausbruetet. Diese
Zerfallstendenzen sind, dicht unter der Oberflaeche des
geordneten, zivilistorischen Lebens, aeusserst weit
fortgeschritten. Der Druck des herrschenden Allgemeinen auf
alles Besondere, die einzzelnen Menschen und die einzelnen
Institutionen, hat eine Tendenz, das Besondere und Einzelne
samt seiner Widerstandskraft zu zertruemmern. Mit ihrer
Identitaet und ihrer Widerstandskraft buessen die Menschen auch
die Qualitaeten ein, kraft deren sie es vermoechten, dem sich
entgegenzustemmen, was zu irgendeiner Zeit wieder zur Untat
lockt. Vielleicht sind sie kaum noch faehig zu widerstehen,
wenn ihnen von etablierten Maechten befohlen wird, dass sie es
abermals tun, solange es nur im Namen irgenwelcher halb- oder
gar nicht geglaubter Ideale geschieht.
Spreche ich von der Erziehung nach Auschwitz, so meine ich zwei
Bereiche: einmal Erziehung in der Kindheit, zumal der fruehen;
dann allgemeine Aufklaerung, die ein geistiges, kulturelles und
gesellschaftliches Klima schafft, das eine Wiederholung nicht
zulaesst, ein Klima also, in dem die Motive, die zu dem Grauen
gefuehrt haben, einigermassen bewusst werden. Ich kann mir
selbstverstaendlich nicht anmassen, den Plan einer solchen
Erziehung auch nur im Umriss zu entwerfen. Aber ich moechte
wenigstens einige Nervenpunkte bezeichnen. Vielfach hat man -
etwa in Amerika - den autoritaetsglaeubigen deutschen Geist
fuer den Nationalsozialismus und auch fuer Auschwitz
verantwortlich gemacht. Ich halte diese Erklaerung fuer zu
oberflaechlich, obwoohl bei uns, wie in vielen anderen
Laendern, autoritaere Verhaltensweisen und blinde Autoritaet
viel zaeher ueberdauern, als man es unter Bedingungen formaler
Demokratie gern Wort hat. Eher ist anzunehmen, dass der
Faschismus und das Entsetzen, das er bereitete, damit
zusammenhaengen, dass die alten, etablierten Autoritaeten des
Kaiserreichs zerfallen, gestuerzt waren, nicht aber die
Menschen psychologisch schon bereit, sich selbst zu bestimmen.
Sie zeigten der Freiheit, die ihnen in den Schoss fiel, nicht
sich gewachsen. Darum haben dann die Autoritaetsstrukturen jene
destruktive und - wenn ich so sagen darf - irre Dimension
angenommen, die sie vorher nicht hatten, jedenfalls nicht
offenbarten. Denkt man daran, wie Besuche irgendwelcher
Potentaten, die politisch gar keine reale Funktion mehr haben,
zu ekstatischen Ausbruechen ganzer Bevoelkerungen fuehren, so
ist der Verdacht wohl begruendet, dass das autoritaere
Potential nach wie vor weit staerker ist, als man denken
sollte. Ich moechte aber nachdruecklich betonen, dass die
Wiederkehr oder Nichtwiederkehr des Faschismus im
entscheidenden keine psychologische, sondern eine
gesellschaftliche Frage ist. Vom Psychologischen rede ich nur
deshalb soviel, weil die anderen, wesentlicheren Momente dem
Willen gerade der Erziehung weitgehend entrueckt sind, wenn
nicht dem Eingriff des Einzelnen ueberhaupt.
Vielfach wird von Wohlmeinenden, die nicht moechten, dass es
noch einmal so komme, der Begriff der Bindung zitiert. Dass die
Menschen keine Bindung mehr haetten, sei verantwortlich fuer
das, was dda vorging. Tatsaechlich haengt der
Autoritaetsverlust, eine der Bedingungen des sadistisch-
autoritaeren Grauens, damit zusammen. Fuer den gesunden
Menschenverstand ist es plausibel, Bindungen anzurufen, die dem
Sadistischen, Destruktiven, Zerstoererischen Einhalt tun durch
ein nachdrueckliches "Du sollst nicht". Trotzdem halte
ich es
fuer eine Illusion, dass die Berufung auf Bindung oder gar die
Forderung, man solle wieder Bindungen eingehen, damit es besser
in der Welt und in den Menschen ausschaue, im Ernst frommt. Die
Unwahrheit von Bindungen, die man fordert, nur damit sie irgend
etwas - und sei es auch Gutes - bewirken, ohne dass sie in sich
selbst von den Menschen noch als substantiell erfahren werden,
wird sehr rasch gefuehlt. Erstaunlich, wie prompt selbst die
toerichtesten und naivsten Menschen reagieren, wenn es ums
Aufspueren von Schwaechen des Besseren geht. Leicht werden die
sogenannten Bindungen entweder zum Gesinnungspass - man nimmt
sie an, um sich als ein zuverlaessiger Buerger auszuweisen -
oder sie produzieren gehaessige Rancune, psychologisch das
Gegenteil dessen, wofuer sie aufgeboten werden. Sie bedeuten
Heteronomie, ein sich abhaengig machen von Geboten, von Normen,
die sich nicht vor der eigenen Vernunft des Individuums
verantworten. Was die Psychologie Ueber-Ich nennt, das Wissen,
wird im Namen von Bindung durch aeussere, unverbindliche,
auswechselbare Autoritaeten ersetzt, so wie man es nach dem
Zusammenbruch des Dritten Reiches auch in Deutschland recht
deutlich hat beobachten koennen. Gerade die Bereitschaft, mit
der Macht es zu halten und aeusserlich dem, was staerker ist,
als Norm sich zu beugen, ist aber die sinnesart der
Quaelgeister, die nicht mehr aufkommen soll. Deswegen ist die
Empfehlung der Bindung so fatal Menschen, die sie mehr oder
minder freiwillig annehmen, werden in eine Art von permanentem
Befehlsnotstand versetzt. Die einzig wahrhafte Kraft gegen das
Prinzip von Auschwitz waere Autonomie, wenn ich den Kantischen
Ausdruck verwenden darf; die Kraft zur Reflexion, zur
Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.
Mich hat einmal eine Erfahrung sehr erschreckt: ich las auf
einer Reise an den Bodensee eine badische Zeitung, in der ueber
das Sartre-Stueck "Tote ohne Begraebnis" berichtet
wurde, das
die furchtbarsten Dinge darstellt. Dem Kritiker war das Stueck
offensichtlich unbehaglich. Aber er hat dies Unbehagen nicht
mit dem Grauen der Sache, die das Grauen unserer Welt ist,
erklaert, sondern hat es so gedreht, dass wir gegenueber einer
Haltung wie der Sartres, der damit sich abgebe, doch - ich
moechte beinahe sagen - einen Sinn fuer etwas Hoeheres haetten:
dass wir die Sinnlosigkeit des Grauens nicht anerkennen
koennten. Kurz: der Kritiker wollte sich durch edles
existentielles Gerede der Konfrontation mit dem Grauen
entziehen. Nicht zuletzt darin liegt die Gefahr, dass es sich
wiederhole, dass man es nicht an sich herankommen laesst und
den, der auch nur davon spricht, von sich wegschiebt, als waere
er, wofern er es ungemildert tut, der Schuldige, nicht die
Taeter.
Beim Problem von Autoritaet und Barbarei draengt sich mir ein
Aspekt auf, der im allgemeinen kaum beachtet wird. Auf ihn
verweist eine Bemerkung in dem Buch "Der SS-Staat" von
Eugen
Kogon, ddas zenttrale Einsichten zu dem gesamten Komplex
enthaelt und das von der Wissenschaft und Paedagogik laengst
nicht so absorbiert wird, wie es absorbiert zu werden
verdiente. Kogon sagt, die Quaelgeister des
Konzzentrationslagers, in dem er selbst Jahre verbracht hat,
seien zum groessten Teil juengere Bauernsoehne gewesen. Die
immer noch fortdauernde kulturelle Differenz von Stadt und Land
ist eine, wenn auch gewiss nicht die einzige und wichtigste,
der Bedingungen des Grauens. Jeder Hochmut gegenueber der
Landbevoelkerung ist mir fern. Ich weiss, dass kein Mensch
etwas dafuer kann, ob er ein Staedter ist oder im Dorf gross
wird. Ich registriere dabei nur, dass wahrscheinlich die
Entbarbarisierung auf dem platten Land noch weniger als sonstwo
gelungen ist. Auch das Fernsehen und die anderen Massenmedien
haben wohl an dem Zustand des mit der Kultur nicht ganz
Mitgekommenseins nicht allzuviel geaendert. Mir scheint es
richtiger, das auszusprechen und dem entgegenzuwirken, als
senntimental irgendwelche besonderenj Qualitaeten des
Landlebenss, die verlorenzugehen drohen, anzupreisen. Ich gehe
so weit, die Entbarbarisierung des Landes fuer eines der
wichtigsten Erziehungsziele zu halten. Sie setzt allerdings ein
Studium des Bewusstseins und Unbewusstseins der Bevoelkerung
dort voraus. Vor allem auch wird man sich zu beschaeftigen
haben mit dem Aufprall der modernen Massenmedien auf einen
Bewusstseinsstand, der den des buergerlichen Kulturliberalismus
des 19. Jahrhunderts laengst noch nicht erreicht hat.
Um diesen zustand zu veraendern, duerfte das normale, auf dem
Land vielfach sehr problematische Volksschulsystem nicht
ausreichen. Ich ddaechte an eine Reihe von Moeglichkeiten. Eine
waere - ich improvisiere -, dass Fernsehsendungen geplant
werden unter Beruecksichtigung von Nervenpunkten jenes
spezifischen Bewusstseinszustands. Dann koennte ich mir
vorstellen, dass etwas wie mobile Erziehungsgruppen und -
kolonnen von Freiwilligen gebildet werden, dass sie aufs Land
fahren und in Diskussionen, Kursen und zusaetzlichem Unterricht
versuchen, die bedrohlichsten Luecken auszufuellen. Ich
verkenne dabei freilich nicht, dass solche Menschen sich
schwerlich sehr beliebt machen werden. Aber es wird dann doch
ein kleiner Kreis um sie sich bilden, der anspricht, und von
dort koennte es vielleicht ausstrahlen.
Kein Missverstaendnis allerdings sollte darueber aufkommen,
dass die archaische Neigung zur Gewalt auch in staedtischen
Zentren, gerade in den grossen, sich findet.
Regressionstendsenzen - will sagen, Menschen mit verdrueckt
sadistischen Zuegen - werden von der gesellschaftlichen
Gesamttendenz heute ueberall hervorgebracht. Dabei moechte ich
an das verquere und pathogene Verhaeltnis zum Koerper erinnern,
das Horkheimer und ich in der "Dialektik der
Aufklaerung"
dargestellt haben. Ueberall dort, wo Bewusstsein verstuemmelt
ist, wird es in unfreier, zur Gewaltttat neigender Gestalt auf
den Koerper und die Sphaere des Koerperlichen zurueckgeworfen.
Man muss nur bei einem bestimmten Typus von Ungebildeten einmal
darauf achten, wie bereits ihre Sprache - vor allem, wenn
irgendetwwas ausgesetzt oder beanstandet wird - ins Drohende
uebergeht, als waeren die Sprachgesten solche von kaum
kontrollierter koerperlicher Gewalt. Hier muesste man wohl auch
die Rolle des Sports studieren, die von einer kritischen
Ssozialpsychologie wohl noch kaum zureichend erkannt wurde. Der
Sport ist doppeldeutig: auf der einen Seite kann er
antibarbarisch und antisadistisch wirken durch fair play,
Ritterlichkeit, Ruecksicht auf den Schwaecheren. Andererseits
kann er in manchen seiner Arten und vor allem in Personen, die
nicht selbst der Anstrengung und Disziplin des Sports sich
aussetzen, sondern bloss zusehen; in jenen, die auf dem
Sportfeld zu bruellen pflegen. Solche Doppeldeutigkeit waere
systematisch zu analysieren. Soweit Erziehung darauf Einfluss
hat, waeren die Ergebnisse aufs Sportleben anzuwenden.
All das haengt mehr oder weniger mit der alten
autoritaetsgebundenen Struktur zusammen, mit Verhaltensweisen -
ich haette beinah gesagt - des guten alten autoritaeren
Charakters. Was aber Auschwitz hervorbringt, die fuer die Welt
von Auschwitz charakteristischen Typen, sind vermutlich ein
Neues. Sie bezeichnen auf der einen Seite die blinde
Identifikation mit dem Kollektiv. Auf der anderen sind sie
danach zugeschnitten, Massen, Kollektive zu manipulieren, so
wie die Himmler, Hoess, Eichmann. Fuer das Allerwichtzigste
gegenueber der Gefahr einer Wiederholung halte ich, der
blindenVormacht aller Kollektive entgegenzuarbeiten, den
Widerstand gegen sie ddadurch zu steigern, dass man das Problem
der Kollektivierung ins Licht rueckt. Das ist nicht so
abstrakt, wie es angesichts der Leidenschaft gerade junger, dem
Bewusstsein nach progressiver Menschen, sich in irgend etwas
einzugliedern, klingt. Anknuepfen liesse sich an das Leiden,
dasw die Kollektive zunaechst allen Individuen, die in sie
aufgenommen werden, zufuegen. Man braucht nur an die eigenen
ersten Erfahrungen in der Schule zu denken. Anzugehen waere
gegen jene Art folk-ways, Volkssitten, Initiationsriten
jeglicher Gestalt, die einem Menschen physischen Schmerz - oft
bis zum Unertraeglichen - antun als Preis dafuer, dass er sich
als Dazugehoeriger, als einer des Kollektivs fuehlen darf. Das
Boese von Gebraeuchen wie die Rauhnaechte und das
Haberfeldtreiben und wie derlei beliebte bodenstaendige Sitten
sonst heissen moegen, ist eine unmittelbare Vorform der
nationalsozialistischen Gewalttat. Kein Zufall, dass die Nazis
solche Scheusslichkeiten unter dem Namen "Brauchtum"
verherrlicht und gepflegt haben. Die Wissenschaft haette hier
eine hoechst aktuelle Aufgabe. Sie koennte die Tendenz der
Volkskunde, die von den Nationalsozialisten begeistert
beschlagnahmt wurde, energisch umwenden, um dem zugleich
brutalen und gespenstischen Ueberleben dieser Volksfreuden zu
steuern.
In dieser gesamten Sphaere geht es um ein vorgebliches Ideal, das
in
der traditionellen Erziehung auch sonst eine erhebliche Rolle
spielt,
das der Haerte. Es kann auch noch, schmachvoll genug, auf einen
Ausspruch von Nietzsche sich berufen, obwohl er wahrhaft etwas
anderes
meinte. Ich erinnere daran, dass der fuerchterliche Boger
waehrend der
Auschwitz-Verhandlung einen Ausbruch hatte, der gipfelte in einer
Lobrede auf Erziehung durch Disziplin durch Haerte. Sie sei
notwendig,
um den ihm richtig erscheinenden Typus vom Menschen
hervorzubringen.
Dies Erziehungsbild der Haerte, an das viele glauben moegen, ohne
darueber nachzudenken, ist durch und durch verkehrt. Die
Vorstellung,
Maennlichkeit bestehe in einem Hoechstmass an Ertragenkoennen,
wurde
laengst zum Deckbild eines Masochismus, der - wie die Psychologie
dartat - mit dem Sadismus nur allzu leicht sich zusammenfindet.
Das
gepriesene Hart-Sein, zu dem da erzogen werden soll, bedeutet
Gleichgueltigkeit gegen den Schmerz schlechthin. Dabei wird
zwischen
dem eigenen und dem anderer nicht einmal so sehr fest
unterschieden.
Wer hart ist gegen sich, der erkauft sich das Recht, hart auch
gegen
andere zu sein, und raecht sich fuer den Schmerz, dessen Regungen
er
nicht zeigen durfte, die er verdraengen musste. Dieser
Mechanismus ist
ebenso bewusst zu machen wie eine Erziehung zu foerdern, die
nicht,
wie frueher, auch noch Praemien auf den Schmerz setzt und aufdie
Faehigkeit Schmerzen auszuhalten. Mit anderen Worten: Erziehung
muesste Ernst machen mitt einem Gedanken, der der Philosophie
keineswegs fremd ist: dass man die Angst nicht verdraengen soll.
Wenn
Angst nicht verdraengt wird, wenn man sich gestattet, real so
viel
Angst zu haben, wie diese Realitaet Angst verdient, dann wird
gerade
dadurch doch manches von dem zerstoererischen Effekt der
unbewussten
und verschobenen Angst vershwinden.
Menschen, die blind in Kollektive sich einordnen, machen sich
selber
schon zu etwas wie Material, loeschen sich als selbstbestimmte
Wesen
aus. Dazu passt die Bereitschaft, andere als amorphe Masse zu
behandeln. Ich habe die, welche sich so verhalten, in der
"Authoritarian Personality" den manipulativen Charakter
genannt, und
zwar zu einer Zeit, als das Tagebuch von Hoess oder die
Aufzeichnungen
von Eichmann noch gar nicht bekannt waren. Meine Beschreibungen
des
manipulativen Charakters datieren auf die letzten Jahre des 2.
Weltkrieges zurueck. Manchmal vermoegen Sozialpsychologie und
Soziologie Begriffe zu konstruieren, die erst spaeter ganz sich
bewahrheiten. Der manipulative Charakter - jeder kann das aus den
Quellen kontrollieren, die ueber jene Nazifuehrer zur Verfuegung
stehen - zeichnet sich aus durch Organisationswut, durch
Unfaehigkeit,
ueberhaupt unmittelbare menschliche Erfahrungen zu machen, durch
eine
gewisse Art von Emotionslosigkeit, durch ueberwertigen Realismus.
er
will um jeden Preis angebliche, wenn auch wahnhafte Realpolitik
betreiben. Er denkt oder wuenscht nicht eine Sekunde lang die
welt
anders, als sie ist, besessen vom Willen of doing things, Dinge
zu
tun, gleichgueltig gegen den Inhalt solchen Tuns. Er macht aus
der
Taetigkeit, der Aktivitaet, der sogenannten efficiency als
solcher
einen Kultus, der in der Reklame fuer den aktiven Menschen
anklingt.
Dieser Typ ist unterdessen - wenn meine Beobachtungen mich nicht
truegen und manche soziologische Untersuchungen Verallgemeinerung
gestatten - viel weiter verbreitet als man denken koennte. Was
damals
nur eininge Nazimonstren exemplifizierten, wird man heute
feststellen
koennen an sehr zahlreichen Menschen, etwa jugendlichen
Verbrechern,
Bandenfuehrern und aehnlichen, von denen man jeden Tag in der
Zeitung
liest. Haette ich diesen Typus des manipulativen Charakters auf
eine
Formel zu bringen - vielleicht soll man es nicht, aber zur
Verstaendigung mag es doch gut sein -, so wuerde ich ihn den
Typus des
verdinglichten Bewusstseins nennen. Erst haben die Menschen, die
so
geartet sind, sich selber gewissermassen den Dingen
gleichgemacht.
Dann machen sie, wenn es ihnen moeglich ist, die anderen den
Dingen
gleich. Der Ausdruck "fertigmachen", ebenso populaer in
der Welt
jjugendlicher Rowdies wie in der der Nazis, drueckt das sehr
genau
aus. Menschen definiert dieser Ausdruck "fertigmachen"
als im
doppelten Sinn zugerichtete Dinge. Die Folter ist nach der
Einsicht
von Max Horkheimer die in Regie genommene und gewissermasssen
beschleunigte Anpassung des Menschen an die Kollektive. Etwas
davon
liegt im Geist der Zeit, sowenig es auch mi Geist zu tun hat. Ich
zitiere bloss das vor dem letzten Krieg gesprochene Wort von Paul
Valéry, die Unmenschlichkeit habe eine grosse Zukunft. Besonders
schwer ist es, dagegen anzugehen, weil jene manipulativen
Menschen,
die zu erfahrungen eigentlich nicht faehig sind, eben deshalb
Zuege
von Unansprechbarkeit aufweisen, die sie mit gewissen
Geisteskranken
und psychotischen Charakteren, den Schizoiden verbinden.
Bei Versuchen, der Wiederholung von Auschwitz entgegenzuwirken,
schiene es mir wesentlich, zunaechst Klarheit darueber zu
schaffen,
wie der manipulative Charakter zustande kommt, um dann durch
Veraenderung der Bedingungen sein Entstehen, so gut es geht, zu
verhindern. Ich moechte einen konkreten Vorschlag machen: die
Schuldigen von Auschwitz mit allen der Wissenschaft zur
Verfuegung
stehenden Methoden, insbesondere mit langjaehrigen
Psychoanalysen, zu
studieren, um moeglicherweise herauszubringen, wie ein Mensch so
wird.
Das, was jene an Gutem irgend noch tun koennen, ist, wenn sie
selbst,
in Widerspruch zu ihrer eigenen Charakterstruktur, etwas dazu
helfen,
dass es nicht noch einmal dazu komme. Das wuerde nur dann
geschehen,
wenn sie mitarbeiten wollten bei der Erforschung ihrer
Genese.Allerdings duerfte es schwierig sein, sie zum Reden zu
bringen;
um keinen Preis duerfte irgend etwas ihren eigenen Methoden
Verwandtes
angewendet werden, um zu lernen, wie sie so wurden. Einstweilen
jedenfalls fuehlen sie - eben in ihrem Kollektiv, im Gefuehl,
dass sie
allesamt alte Nazis sind - sich so geborgen, dass kaum einer auch
nur
Schuldgefuehle gezeigt hat. Aber vermutlich existieren auch in
ihnen,
oder wenigstens in manchen, psychologische Anknuepfungspunkte,
durch
die sich das aendern koennte, etwa ihr Narzissmus, schlicht
gesagt
ihre Eitelkeit. Sie moegen sich wichtig orkommen, wenn sie
hemmungslos
von sich sprechen koennen, so wie Eichmann, der ja offenbar ganze
Bibliotheken von Baendern einsprach. Schliesslich ist anzunehmen,
dass
auch in diesen Personen, wenn man tief genug graebt,
Restbestaende der
alten, hheute vielfach in Aufloesung befindlichen
Gewissensinstanz
vorhanden sind. Kennt man aber einmal die inneren und aeusseren
Bedingungen, die sie so machten - wenn ich hypothetisch
unterstellen
darf, dass man es tatsaechlich herausbringen kann -, dann lassen
sich
moeglicherweise doch praktische Folgerungen ziehen, dass es nicht
noch
einmal so werde. Ob der Versuch etwas hilft oder nicht, wird sich
erst
zeigen, wenn er unternommen ward; ich moechte ihn nicht
ueberschaetzen. Man muss sich vergegenwaertigen, dass aus derlei
Bedingungen Menschen nicht automatisch erklaert werden koennen.
Unter
gleichen Bedingungen wurden manche so und manche ganz anders.
Trotzdem
waere es der Muehe wert. Ein aufklaerendes Potential duerfte
allein
schon in der Fragestellung liegen, wie man so wurde. Denn es
gehoert
zu dem unheilvollen Bewusstseins- und Unbewusstseinszustand, dass
man
sein So-Sein - dass man so und nicht anders ist - faelschlich
fuer
Natur, fuer ein unabaenderlich Gegebenes haelt und nicht fuer ein
Gewordenes. Ich nannte den Begriff des verdinglichten
Bewusstseins.
Das ist aber vor allem eines, das gegen alles Geworden-Sein,
gegen
alle Einsicht in die eigene Bedingtheit sich abblendet und das,
was so
ist, absolut setzt. Wuerde dieser Zwangsmechanismus einmal
durchbrochen, waere - so daechte ich - doch einiges gewonnen.
Weiter sollte man im Zusammenhang mit dem verdinglichten
Bewusstsein
auch das Verhaeltnis zur Technik genau betrachten, und zwar
keineswegs
nur bei kleinen Gruppen. Es ist so doppeldeutig wie das zum
Sport, mit
dem es im uebrigen verwandt ist. Einerseits produziert jede
Epoche
diejenigen Charaktere - Typen der Verteilung von psychischer
Energie -
, die sie gesellschaftlich braucht. Eine Welt, in der die Technik
eine
solche Schluesselposition hat wie heute, bringt technologische,
auf
Technik eingestimmte Menschen hervor. Das hat seine gute
Rationalitaet: in ihrem engeren Bereich werden sie weniger sich
vormachen lassen, und das kann auch ins Allgemeinere hinaus
wirken.
Andererseits steckt im gegenwaertigen Verhaeltnis zur Technik
etwas
Uebertriebenes, Irrationales, Pathogenes. Das haengt zusammen mit
dem
"technologischen Schleier". Die Menschen sind geneigt,
die Technik
fuer die Sache selbst, fuer Selbstzweck, fuer eine Kraft eigenen
Wesens zu halten und darueber zu vergessen, dass sie der
verlaengerte
Arm der Menschen ist. Die Mittel - und Technik ist ein Inbegriff
von
Mitteln zur Selbsterhaltung der Gattung Mensch - werden
fetischisiert,
weil die Zwecke - ein menschenwuerdiges Leben - verdeckt und vom
Bewusstsein der Menschen abgeschnitten sind. Solange man das so
allgemein sagt, wie ich es eben formulierte, duerfte es
einleuchten.
Aber eine solche Hypothese ist noch viel zu abstrakt. Keineswegs
weiss
man bestimmt, wie die Fetischisierung der Technik in der
individuellen
Psychologie des einzelnen Menschen sich durchsetzt, wo die
Schwelle
ist zwischen einem rationalen Verhaeltnis zu ihr und jener
Ueberwertung, die schliesslich dazu fuehrt, dass einer, der ein
zugsystem auskluegelt, das die Opfer moeglichst schnell und
reibungslos nach Auschwitz bringt, darueber vergisst, was in
Auschwitz
mit ihnen geschieht. Bei ddem Typus, der zur Fetischisierung der
Technik neigt, handelt es sich, schlicht gesagt, um Menschen, die
nicht lieben koennen. Das ist nicht sentimental und nicht
moralisierend gemeint, sondern bezeichnet die mangelnde
libidinoese
Beziehung zu anderen Personen. Sie sind durch und durch kalt,
muessen
auch zuinnerst die Moeglichkeit von Liebe negieren, ihre Liebe
von
anderen Menschen vo vornherein, ehe sie sich nur entfaltet,
abziehen.
Was an Liebesfaehigkeit in ihnen irgend ueberlebt, muessen sie an
Mittel verwenden. Die vorurteilsvollen, autoritaetsgebundenen
Charaktere, mit denen wir es in der "Autoritarian
Personality" in
Berkeley zu tun hatten, lieferten manche Belege dafuer. Eine
Versruchsperson - das Wort ist selber schon ein Wort aus dem
verdinglichten Bewusstsein - sagte von sich: "I like nice
equipment"
(Ich hhabe huebsche Ausstattungen, huebsche Armaturen gern.),
ganz
gleichgueltig, welche Apparaturen das sind. Seine Liebe wurde von
Dingen, Maschinen als solchen absorbiert. Das Bestuerzende ist
dabei -
bestuerzend, weil es so hoffnungslos erscheinen laesst, dagegen
anzugehen -, dass dieser Trend mit dem der gesamten Zivilisation
verkoppelt ist. Ihn bekaempfen heisst soviel wie gegen den
Weltgeist
sein; aber damit wiederhole ich nur etwas, was ich zu Eingang als
den
duestersten Aspekt einer Erziehung gegen Auschwitz vvorwegnahm.
Ich sagte, jene Menschen seien in einer besonderen Weise kalt.
Wohl
sind ein paar Worte ueber Kaelte ueberhaupt erlaubt. Waere sie
nicht
ein Ggrundzug der Anthropologie, also der Beschaffenheit der
Menschen,
wie sie in unserer Gesellschaft tatsaechlich sind; waeren sie
also
nicht zutiefst gleichgueltig gegen das, was mit allen anderen
geschieht ausser den paar, mit denen sie eng und womoeglich durch
handgreifliche Interessen verbunden sind, so waere Auschwitz
nicht
moeglich gewesen, die Menschen haetten es dann nicht hingenommen.
Die
Gesellschaft in ihrer gegenwaertigen Gestalt - und wohl seit
Jahrtausenden - beruht nicht, wie seit Aristoteles ideologisch
unterstellt wurde, auf Anziehung, auf Attraktion, sondern auf der
Verfolgung des je eigenen Interesses gegen die Interessen aller
anderen. Das hat im Charakter der Menschen bis in ihr Innerstes
hinein
sich niedergeschlagen. Was dem widerspricht, der Herdentrieb der
sogenannten lonely crowd, der einsamen Menge, ist eine Reaktion
darauf, ein Sich-Zusammenrotten von Erkalteten, die die eigene
Kaelte
nicht ertragen, aber auch nicht sie aendern koennen. Jeder Mensch
heute, ohne jede Ausnahme, fuehlt sich zuwenig geliebt, weil
jeder
zuwenig lieben kann. Unfaehigkeit zur Identifikation war fraglos
die
wichtigste psyychologische Bedingung dafuer, dass so etwas wie
Auschwitz sich inmitten von einigermassen gesitteten und
harmlosenh
Menschen hat abspielen koennen. Was man so
"Mitlaeufertum" nennt, war
primaer Geschaeftsinteresse: dass man seinen eifgenen Vorteil vor
allem anderen und, um nur ja nicht sich zu gefaehrden, sich nicht
den
Mund verbrennt. Das ist ein allgemeines Gesetz des Bestehenden.
Das
Schweigen unter dem Terror war nur dessen Konsequenz. Die Kaelte
der
gesellschaftlichen Monade, des isolierten Konkurrenten, war als
Indifferenz gegen das Schicksal der anderen die Voraussetzung
dafuer,
dass nur ganz wenige sich regten. Das wissen die Folterknechte;
auch
darauf machen sie stets erneut die Probe.
Verstehen sie mich nicht falsch. Ich moechte nicht die Liebe
predigen.
Sie zu predigen, halte ich fuer vergeblich: keiner haette auch
nur das
Recht, sie zu predigen, weil der Mangel an Liebe - ich sagte es
schon
- ein Mangel aller Menschen ist ohne Ausnahme, so wie sie heute
existieren. Liebe predigen, setzt in denen, an die man sich
wendet,
bereits eine andere Charakterstruktur voraus als die, welche man
veraendern will. Denn die Menschen, die man lieben soll, sind ja
selber so, dass sie nicht lieben koennen, und darum ihrerseits
keineswegs so liebenswert. Es war einre der grossen, mit dem
Dog,a
nicht unmittelbar identischen Impulse des Christentums, die alles
durchdringende Kaelte zu tilgen. Aber dieser Versuch scheiterte;
wohl
darum, weil er nicht an die gesellschaftliche Ordnung ruehrte,
welche
die Kaelte produziert und reproduziert. Wahrscheinlich ist jene
Waerme
unter den Menschen, nach der alle sich sehnen, ausser in kurzen
Perioden und ganz kleinen Gruppen, mag sein auch unter manchen
friedlichen wilden, bis heute ueberhaupt noch nicht gewesen. Die
vielgeschmaehten Utopisten haben das gesehen. So hat Charles
Fourier
die Attraktion als ein durch menschenwuerdige gesellschaftliche
Ordnung erst herzustellendes bestimmt; auch erkannt, dass dieser
Zustand nur moeglich sei, wenn die Triebe der Menschen nicht
laenger
unterdrueckt sind, sondern erfuellt und freigegeben. Wenn irgend
etwas
helfen kann gegen Kaelte als Bedingung des Unheils, dann die
Einsicht
in ihre eigenen Bedingungen und der Versuch, vorwehnehmend im
individuellen Bereich diesen ihren Bedingungen
entgegenzuarbeiten. Man
moechtemeinen, je weniger in der Kindheit versagt wird, je besser
Kinder behandelt werden, umso mehr Chance sei. Aber auch hier
drohen
Illusionen. Kinder, die garnichts von der Grausamkeit und Haerte
des
Lebens ahnen, sind, einmal aus dem Geschuetzten entlassen, erst
recht
der Barbarei ausgesetzt. Vor allem aber kann man Eltern, die
selber
Produkte dieser Gesellschaft sind und ihre Male tragen, zur
waerme
nicht animieren. Die Aufforderung, den Kindern mehr Waerme zu
geben,
dreht die Waerme kuenstlich an und negiert sie dadurch. Ueberdies
laesst sich in beruflich vermittelten Verhaeltnissen wie dem von
Lehrer und Schueler, von Arzt und Patient, von Anwalt und Klient
Liebe
nicht fordern. Sie ist ein Unmittelbares und widerspricht
wesentlich
vermittelten Beziehungen. Der zuspruch zur Liebe - womoeglich
inder
imperativischen Form, dass man es soll - ist selber Bestandstueck
der
Ideologie, welche die Kaelte verewigt. ihm eignet das Zwanghafte,
Unterdrueckende, das der Liebesfaehigkeit entgegenwirkt. Das
erste
waere darum, der Kaelte zum Bewusstsein ihrer selbst zu
verhelfen, der
Gruende, warum sie wurde.
Lassen sie mich zum Ende nur noch mit wenigen Worten eingehen auf
einige Moeglichkeiten der Bewusstmachung der subjektiven
Mechanismen
ueberhaupt, ohne die Auschwitz kaum waere. Kenntnis dieser
Mechanismen
ist not; ebenso auch die der stereotypen Abwehr, die ein solches
Bewusstsein blockiert. Wer heute noch sagt, es sei nicht so oder
nicht
ganz so schlimm gewesen, der verteidigt bereits, was geschah, und
waere fraglos bereit zuzusehen oder mitzutun, wenn es wieder
geschieht. Wenn rationale Aufklaerung auch - wie die Psychologie
genau
weiss - nicht gerade die unbewussten Mechanismen aufloest, so
kraeftigt sie wenigstens im Vorbewusstsein gewisse Gegeninstanzen
und
hilft ein klima bereiten, das dem Aeussersten unguenstig ist.
Wuerde
wirklich das gesamte kulturelle Bewusstsein durchdrungen von der
Ahnung des pathogenen Charakters der Zuege, die in Auschwitz zu
dem
Ihren kamen, so wuerden die Menschen jene zzuege vielleicht
besser
kontrollieren.
Weiter waere aufzuklaeren ueber die Moeglichkeit der Verschiebung
dessen, was in Auschwitz sich austobte. Morgen kann eine andere
Gruppe
drankommen als die juden, etwa die alten, die ja im 3.Reich
gerade
eben noch verschont wurden, oder die Intellektuellen, oder
einfach
abweichende Gruppen. Das Klima - ich deutete darauf hin -, das am
meisten solche Auferstehung foerdert, ist der wiedererwachende
Nationalismus. er ist deshalb so boese, weil er im Zeitalter der
internationalen Kommunikation und der uebernationalen bloecke
sich
selbst gar nicht mehr so recht glauben kann und sich ins Masslose
uebertreiben muss, um sich und anderen einzureden, er waere noch
substantiell.
Konkrete Moeglichkeiten des Widerstands waeren immerhin zu
zzeigen. Es
waere etwa auf die Geschichte der Euthanasiemorde einzugehen, die
in
Deutschland, dank des Widerstands dagegen, doch nicht in dem
ganzen
Umfang begangen wurden, in dem die Nationalsozialisten sie
geplant
hatten. Der Widerstand war auf die eigene Gruppe berschraenkt;
gerade
das ist ein besonders auffaelliges, weitverbreitetes Symptom der
universalen Kaelte. Sie ist aber, zu allem anderen, auch borniert
angesichts der Unersaettlichkeit, die im Prinzip der Verfolgungen
liegt. Schlechterdings jeder Mensch, der nicht gerade zu der
verfolgenden Gruppe dazugehoert, kann ereilt werden; es gibt also
ein
drastisches egoistisches Interesse, an das sich appellieren
liesse. -
schliesslich muesste man nach den spezifischen, geschichtlich
objektiven bedingungen der Verfolgungen fragen. sogenannte
nationale
Erneuerungsbewegungen in einem Zzeitalter, in dem der
Nationalismus
veraltet ist, sind offenbar besonders anfaellig fuer sadistische
Praktiken.
Aller politische Unterricht endlich sollte zzentriert sein darin,
dass
Auschwitz nicht sich wiederhole. Das waere moeglich nur, wenn
zumal er
ohne Angst, bei irgendwelchen Maechten anzustossen, offen mit
diesem
Allerwichtigsten sich beschaeftigt. Dazu muesste er in Soziologie
sich
verwandeln, also ueber das gesellschaftliche Kraeftespiel
belehren,
das hinter der Oberflaeche der politischen Formen seinen Ort hat.
Kritisch zu behandeln waere, um nur ein Modell zu geben, ein so
respektabler Begriff wie der der Staatsraison: indem man das
Recht des
Staates ueber das seiner Angehoerigen stellt, ist das Grauen
potentiell schon gesetzt.
Walter Benjamin fragte mich einmal in Paris wwaehrend der
Emigration,
als ich noch sporadisch nach Deutschland zurueckkehrte, ob es
denn
dort noch genug Folterknechte gaebe, die das von den Nazis
Befohlene
ausfuehrten. Es gab sie. Trotzdem hat die Frage ihr tiefes Recht.
Benjamin spuerte, dass die Menschen, die es tun, im Gegensatz zu
den
Schreibtischmoerdern und Ideologen, in widerspruch zu ihren
eigenen
unmittelbaren Interessen handeln, Moerder an sich selbst, indem
sie
die anderen ermorden. Ich fuerchte, durch Massnahmen auch einer
noch
so weit gespannten Erziehung wird es sich kaum verhindern lassen,
dass
Schreibtischmoerder nachwachsen. Aber dass es Menschen gibt, die
unten, eben als Knechte das tun, wodurch sie ihre eigene
Knechtschaft
verewigen und sich selbst entwuerdigen; dass es weiter Bogers und
Kaduks gebe, dagegen laesst sich doch durch Erziehung und
Aufklaerung
ein Weniges unternehmen.