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KOSOVO Antikriegsseite


GELSENKIRCHEN, 8. JUNI 1999

DIE GROSSE ARMUT DER FRIEDENSERZIEHUNG
"NIE WIEDER!" MIT EINEM BEIN IM ABGRUND

von DIETMAR KESTEN  

Die Verleugnung des Krieges gehört wie die Verneinung des Todes in die Kategorie der Selbsttäuschung, der Verspottung des Unsichtbaren, des Hasses gegen unangenehme Wirklichkeiten -in dieser Beschränktheit des menschlichen Geistes bezüglich auf die Jetztzeit und ihre Umgebung liegt eine Ursache für viele nationale und rassistisch motivierter Kriege. Deshalb vergräbt der Mensch diese Tatsache in den Abgrund seines Unterbewußtseins, wo alle geheimen Ängste aufgespeichert sind, wo nur der Mutige besteht, auch dann, wenn die Identität den Wandel mit der Zeit verschlafen hat.

'Nationaler Mut', den die ganze Galerie der Politiker einfordert, der für SCHRÖDER gleichbedeutend mit dem Einsatz von 'Friedenstruppen' der Bundeswehr im Kosovo ist, oder für FISCHER die UN-Resolution über die Stationierung der KFOR, wird auf einer Verheimlichung aufgebaut, ist in Wahrheit instinktiver Ausdruck von Furcht und verzweifeltem Ausbruch unter dem Druck die wohlige Sicherheit der Träume zu verlassen.

Den Gedanken an die eigene Schicksalsstunde von sich weisen, ist hier im gewissen Sinne identisch mit der ablehnenden Haltung, die unkriegerische Nationen dem Krieg gegenüber einnehmen. Das wird nicht auf sich selbst bezogen, sondern nur auf andere Menschen und auf andere Nationen.

Krieg ist ein Teil des Lebens und seine Rolle in der nationalen Existenz steht fest und ist vermutlich in gewisser Weise durch die Entwicklung des modernen Kapitalismus zur kurzen Zeitfrage geworden. Menschliche Worthülsen berühren diese Rolle nicht, noch ändert eine materielle Entwicklung der Dinge seine Erscheinung. Weil der Krieg zum Grundprinzip eines jeden nationalen Lebens geworden ist, muß auch die Bereitschaft entsprechend sein, ihn zu fordern, zu akzeptieren, ihn durchzuführen, an ihm zu partizipieren, ihn zu verdammen, ihn in die Hände anderer zu legen. Da hilft keine Verachtung, keine Verneinung! Da hilft auch kein Versuch, ihn durch menschliches Geschrei zu überwinden, selbst nicht bei denen, die ihn als 'Deutsches Dilemma' geißeln.

Während die G-8 Beratung in die Offensive geht, und eine UN-Resolution über den Abzug der serbischen Truppen als unabdingbar für den diplomatischen Erfolg angesehen wird, fragt sich niemand, ob die Politik der Staatsmänner das Schicksal von Kriegen zum Guten oder zum Schlechten beeinflussen kann? Macht sich nicht nebenher jenes starke Gegengewicht einer dauernden Ausgleichung der internationalen Beziehungen geltend, das nicht von Staatsmännern bestimmt wird, sondern von Bedingungen, über die sie keine Kontrolle haben, sie nicht haben wollen, und gegen die sie keine Verteidigungsmöglichkeiten finden außer der einen: Ihre Politik immer wieder dieser Gegebenheit anzupassen? So und nicht anders sollte die Militärpolik einer Nation gesehen werden.

Weil die Kriegswahrscheinlichkeiten zuund nicht abnehmen, wird auch höchste außenpolitische Wachsamkeit nicht verhindern können, daß ein Zustand der Bereitschaft, ihn zu führen, aufrechterhalten wird. Da hilft der Maßstab 'Nie wieder' eigentlich nicht mehr weiter, da der Krieg so nicht ignoriert wird, und die Erziehung zu 'Nie wieder' allenfalls in die Dogmenschublade der immerwährenden 'moralischen Keule' gehört. Der Kosovo-Krieg hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen, auf dem man so sicher zu stehen glaubte. Die militärische Entwicklung trägt dem wenig Rechnung, sie überfordert uns, weil sie weiß, daß wir verdrängen können, selbst wenn wir taub sind, wird sie unsere Sprachlosigkeit nicht hören. Und die Alltäglichkeit des Lebens gipfelt in jenen seelischen Trümmern, die selbst die klarsten Entscheidungen 'dafür' oder 'dagegen' zu sein, als vorübergehende Charakterlosigkeit zu deuten vermag. Es scheint unmöglich, daß die Masse eines Volkes, die in ihrer Tagesordnung aufgeht, im voraus sagen kann, wann es zum Kriege kommt, und wo und wodurch er entstehen wird.

Das ist die eigentliche Gefährlichkeit und sollte uns angst machen. Gewöhnung und Verweichlichung hat sehr viel mit Wahrnehmungsverlustigkeit zu tun. In ihr ist das Ende der eigenen Abwesenheit angelegt, genererell bei politischen Fragen höchsten Ranges. Sie sind nur dann relevant, wenn tatsächlich die Gefährdung der eigenen Existenz in Frage steht.

Eine 'Nachkriegsgeneration' wird immer eine solche bleiben, da sie selbst unter diesem Blickwinkel eine 'Kriegsgeneration' ist, auch dann, wenn a priori Krieg und Völkermord verbannt zu sein scheinen. Zwar tragen Vorbereitungen auf Kriege zunächst allgemeinen Charakter, werden aber in ihrer Durchführung von den Massen bestimmt, selbst dann, wenn sie nicht direkt daran beteiligt sind.

Nichts ist also ungewiß oder geheimnisvoll, weder der Prozeß des nationalen Werdens oder Vergehens, noch die Gesetzgebung der nationalen Verteidigung oder der sog. 'Volkswille', auch nicht, was die Richtung eines Krieges betrifft, aus der er zu erwarten ist, noch was die ungefähre Zeit seines Ausbruchs anbelangt. Die Schnelligkeit dieser Veränderung wird kaum bewußt wahrgenommen. Bei den Militärs ist das anders: Wenn am Abend die Sonne untergeht, ist die politische und militärische Lage nicht mehr genau so wie am Morgen. Da das Subjekt in seinen eigenen Angelegenheiten versunken ist, wird es kriegerische Ereignisse wenn sie überhaupt wahrgenommen werden in derselben Weise betrachten, wie man den Lauf eines Stromes zu betrachten hat, oder die Veränderung der Sternenbilder am Nachthimmel. Es sieht diesen Ablauf nur als Teilausschnitt seiner eigenen begrenzten Welt, aber niemals als sich veränderndes nationales Ereignis.

So bitter auch die Erkenntnis einer Hilflosigkeit ist, die selbst von keinem Hoffnungsträger verändert werden kann, die den Menschen so gerne in das Blendwerk des 'ewigen Friedens' hineinführen möchten, wird die Staatsperspektive immer bleiben: Stück für Stück durch Kriege und Eroberung, durch die brutale Anwendung physischer Gewalt zu versuchen, seine Staatsgebiete zu erweitern. 50 Jahre ohne Krieg bedeuten gar nichts; denn augenscheinlich ist die Brutalität der nationalen Entwicklungen eine Tatsache, so wie es im Leben der Menschen untereinader wenig gibt, was nicht brutal wäre.

Nationen konnten nur durch ethnische und geistige Ausgrenzungen entstehen. Dafür wurden Kriege geführt. Das Entstehen von Stämmen oder Staaten war ausschließlich das Ergebnis ihrer physischen Kraft, und wenn ein Rückschlag eintrat, oder der Versuch eines solchen, dann war das Ergebnis entweder innere Auflösung oder politische Zerstörung, wobei die aufgeteilten Länder in den Besitz ihrer Eroberer übergingen.

Auf fast ähnliche Weise konnte das Deutsche Reich aufgebaut werden. Und: Als z. B. die Handelsmacht Venedig und Genua auf Portugal und Spanien überging, hatten die beiden Mächte durch ihre Entdeckungen und Eroberungen praktisch die ganze Welt zwischen sich aufgeteilt. Doch dann begann in Portugal bald der militärische Zerfall und mit JOHANNES III. nahm es seinen endgültigen Abschied aus der Reihe der herrschenden Mächte. In früheren Jahrhunderten war die Jagd auf Staaten und der Raub von Staaten mehr das Ergebnis menschlicher Gier nach persönlicher Beute und hing sicherlich mit der Entwicklung der Produktivkräfte, der Produktionsbedingungen zusammen, der sozialökonomischen Basis und der Errichtung der verschiedenen (Militär-)Staaten, des militärischen Geräts, der Reiterei, der Heere, der Söldner, insgesamt des Militärwesens. Infolgedessen blieb sie beschränkt.

Das Individuum wurde durch die Nation ersetzt, und die Moderne sah sich gezwungen, seine politische Untergebenheit als etwas notwendiges zu betrachten, es in einer Reuse von Zivilisation und Fortschrittsglauben einzufangen. In alten Tagen war es der spontane Raubzug von Einzelpersonen, die Geschichte machten, heute ist es exakt der vorbereitete Kampf, der mit ihm geführt wird, zum Zwecke der Stabilität, der Erweiterung von Nationen. Damalige Raubzüge waren nicht unbedingt Kriege im herkömmlichen Sinne. Kriege wurden erst dort zu Kriegen, wo die Nationen die letzte Ausbeutung der Natur und die Unterjochung anderer als ihren vordringlichsten Kampf betrachteten. Diese kriegerischen Auseinandersetzungen mußten von Jahrhundert zu Jahrhundert zunehmen, nicht nur durch das Gewicht der stetig wachsenden (Über-)Bevölkerung, sondern auch durch die Entwicklung der Wissenschaften, spezieller der Kriegswissenschaften und womöglich auch der zunehmende Gier der gesellschaftlichen Monaden.

Unvermeidlichkeit von Kriegen gibt es nicht. Sie kann auch nicht aus den äußeren Erscheinungen ihrer unmittelbaren Ursachen abgeleitet werden. Sie sofern sie als definierbar erscheinen haben mit dem wahren Grund des Krieges nichts zu tun, und haben auch, so seltsam das klingen mag, nur wenigen Einfluß auf die kriegerischen Handlungen von Staaten. Die eigentlichen Ursachen von Kriegen dürften feststehen, sind m. E. unverrückbar, auch wenn sie sich unter der Analyse des Betrachters unterschiedlich darstellen, die sichtbaren und unmittelbaren Ursachen von Kriegen sind aber nur Oberflächen-Erscheinungen, die kommen und gehen wie der Rauch hinund herflutet über einem Vulkan. Aber auf diesem Kommen und Gehen unwesentlicher Erscheinungen gründet sich die falsche Theorie der Möglichkeit eines friedlichen Ausgleiches, oder der Parolen, die sich im 'Nie wieder'! usw. gegen den Krieg wenden. Mit der wachsenden Kompliziertheit der Moderne und der Zunahme des Einflusses der Massenmedien und Vernetzung, des Schwindens der Volksmeinung, und der Tatsache, immer weniger dazu beizutragen, daß Regierungs-Entscheidungen das eigene Leben nachhaltig verändern könnten, verschwindet auch der Gedanke, den Krieg real zu ächten.

Im Gegenteil: Die individuellen Elemente, Staaten und Nationen zu Kriegen anzuhalten, wachsen immer mehr; nur die unmittelbaren Anlässe, jene letzten Ursachen, die den Frieden zwischen Nationen zusammenbrechen lassen, ändern sich von einer Zeitepoche zur anderen. Je mehr die Macht der Staatsführung auf die Volksmeinung steigt, desto mehr schwindet die Weisheit der Staatsmänner, die sich mit Außenpolitk befassen. Weil das so ist, nimmt es nicht wunder, daß Außenpolitik immer kriegerischen Zwecken diente. Außenpolitik ist zumindest kriegerisches Handeln, wenn nicht sogar Kriegspolitik, da in Friedenszeiten eine Politik verkauft werden muß, die sich an den Prinzipien der Nation zu orientieren hat. Ein Ergebnis mit ruchloser Wirkung ist damit festgelegt.

Die Urteile heutiger Politiker über Kriege sind daher auch nicht klüger als die durchschnittliche Auffassung des Volkes. Sie glauben einfach daran, daß sie Kriege nach eigenem Ermessen konstruieren können, weil die Regierung die zur Kriegsführung notwendigen Mittel besitzt und anwendet. Und sie meinen auch, sie irgendwann einfach wieder auszusetzen, sie zu begrenzen, wenn nicht näher definierte 'Aufträge' erfüllt sind. In dieser satten Schläfrigkeit der Selbsttäuschung versunken, schauen sie mit Selbstgefälligkeit auf ihre Umwelt herab und hüllen über die Parteipolitik Bürger und Nation gleichermaßen in die giftigen Nebel ein, versuchen in diesem Gewoge eine eigene Welt vorzutäuschen, angefüllt mit allem, was zeitlich und falsch ist, vorübergehend und brüchig bis dann der Tag kommt, an dem der Sturm des Krieges diese Nebelwelt des Betrugs zerreißt und das wurmstichige Gebilde in seinen Wogen verschlingt. Das läßt erahnen, daß die geheimnisvollen und unbekannten Mächte, Kriege zur Achterbahn der Persönlichkeit werden lassen.

Je stärker die Spannungen steigen, die immer neue Wünsche der Individuen hervorrufen, die ihnen zugleich Möglichkeiten zur Befriedigung verschaffen, wird die Teilnahme, irgendeinen Verhandlungsprozeß mit Skepsis zu verfolgen, abnehmen, da ihn der Kopf bereits ausgesetzt hat, und nur die aktuelle Maßnahme, Sieg oder Niederlage mit unverwechselbarem Bedürfnisrausch zu akzeptieren, zählt. Jede Nation baut sich ihr eigenes Denkmal und schreibt sich selbst ihre Grabinschrift. Aber das ist noch nicht alles: Denn wenn es den Frieden nicht auf Dauer gibt, dann sind zunehmende Friedensmöglichkeiten begrenzt -und Krieg ist dann nur noch eine Schaltung im Machtkreis: So ist er schrecklich in seiner Einfachheit.

Und während die Naivität der Menschen zunimmt, daß ein moderner Staat letztlich ohne Kriege auskommen wird, ziehen diejenigen den Nutzen daraus, die ihn nicht überwinden und Unwissenheiten über ihn anhäufen, durch eine Zunahme der Leichtgläubigkeit aufgewogen. Was hat diese Philosophie mit dem Kosovo-Krieg zu tun? Sie ist nicht mehr und nicht weniger als die Grundlage für die Aufrechterhaltung einer Herrschaft durch einen Militärapparat, der von beiden Seiten eingesetzt wird, und so restlose Unterwerfung unter einen Machtwillen darstellt! Die Schwächen der Menschen, in diesem Krieg ein kleines Häuflein Elend zu sein, ist gerade nicht deshalb Fakt, weil eher Mitleid für sich selbst erregt wird als für die, um die es eigentlich gehen müßte, sondern darum, weil eine Alternative angegeben werden müßte, der zunehmenden Gleichgültigkeit mit der Versinnbildlichung des Schreckens zu begegnen.

Das Wissen um die Ächtung zunehmender Eroberungen mit Todesfolge gibt es nicht; der Unterschied zwischen einem politischen Zustand und den bürgerlichen Rechten eines Individuums besteht schließlich auch nicht mehr, bis letztlich die Herrschenden und die Unterworfenen sich auf der gleichen kriegerischen Ebene begegnen. Die weit verbreitete Neigung, Frieden 'an sich' zu betrachten, weil er den Krieg negiert, ist die Ursache vieler Irrtümer, so als wenn man sagt, daß nichts im Lebe für sich allein existiert. So wie ein Individuum nur in einem gewissen Sinne Teil der Menschheit ist, so stellt auch der Frieden nur in einem gewissen Sinne eine Zusammenfassung dar. Er ist wie der Krieg in äußere Ursachen eingebettet, immer nur relativ und häufig dermaßen, daß er gewöhnlich fast nichts mehr mit jenen Faktoren gemeisam hat, mit denen wir mögliche Friedenszeiten begründet sehen.

Für immer und vorbei ist die Zeit, wo man sich die Zukunft mit ein paar Friedensträumen erkaufen wollte; oder einfach durch die Abtretung aus der Schutzzone einer Großmacht Stabilität erlagen konnte. Daran konnte die Menschheit sich nur einen kurzen Augenblick erfreuen: Die Illusion vom Frieden geht über in den Expansionsdrang der Nationen und Staaten und zwingt zur Eroberung. Sollte sich die Politik an einer Friedensordnung für das Kosovo erfreuen wollen, dann ist das natürlich wie der Krieg und seine Erscheinungen jammervoll. Die Tragweite dieser Tatsache wird genauso unorientiert bleiben, wie etwa der Versuch einer polititischen Neuorientierung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen nach der Bundestagswahl 1998. Diese Form des Selbstbetrugs war immer die zwangsläufige Ursache für jedweden Unmut, der aufkam, wenn etwa für den Aufbau eines Landes oder für die Heimkehr von Flüchtlingen eingetreten werden sollte. 'Nie wieder!' ist sicherlich als eine große Fehlleistung zu betrachten noch schlimmer wäre es, sich darüber erhaben zu fühlen und, mit einer gewissen Blindheit, die man anderen anlastet, sich mit Melancholie selbst zu beweihräuchern.

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