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KOSOVO Antikriegsseite


GELSENKIRCHEN, 5. Juni 1999

DER KRIEG IST DER KÖNIG DES GEISTES
JEDER FRIEDENSPLAN IST TRÜGERISCH

von DIETMAR KESTEN

Viele hatten darauf hingewiesen, daß man mit MILOSEVIC nicht mehr verhandeln könne, daß er für einen Frieden nicht mehr zur Verfügung steht, und daß ein Friedensplan ohne ihn abgeschlossen werden müsse.

Jetzt ist es genau wieder umgekehrt und die Parteiund Lagerzugehörigkeit des Predigers spielt keine Rolle mehr. Die menschliche Empörung wird nach dem Jugoslawien-Krieg wie einer Sanduhr gleichen. Wenn sie abgelaufen ist, ist der Krieg, das Elend, die Tragik, das Blutvergießen vergessen, vergessen gemacht, umfunktioniert. Sobald die Bombenangriffe eingestellt sind, wird jeder wieder auf die humanistischen Parolen hereinfallen, wachsen die Siegeschancen des langfristig angelegten Plans, den Balkan zum Aufmarschgebiet für die Profitinteressen des Kapitals zu machen.

Aus ehemaligen Verzweifelungen werden auf einmal wieder Stabilitätsmodelle; aus dem Widerspruchsgeist erwachsen Wachstumsraten; idelle Werte liegen im dunkeln oder sind verraten. Jeder Krieg ist insgeheim die Flucht in das bedrängte Gemüt; wir denken über ihn nicht nach, sondern leiten ihn in die Wege; er ist das universelle Modell für eine Gesellschaftsordnung, die sich so gerne als 'universalis civilitas humani generis' verstehen möchte eine schwache Hoffnung angesichts des drohenden Verderbens.

Es hat etwas Symbolisches an sich, daß im 20. Jahrhundert das Augenmaß für das Drunter und Drüber verlorengegangen ist: Im Archiv der Vergessenheit schmachten wir in den Franziskanerklöstern, wie der Spanier MENDIETA, der 1587 den apokalyptischen Untergang mit den Worten geißelte: 'Wir müssen auf Erden friedfertig leben, alle Nöte, Gewalt und Ungerechtigkeiten verdammen'. Die 'klassische Mäßigung'? Mit dem Krieg ist kein Staat und keine Politik zu machen; aber Politik gebiert Krieg und der Krieg lebt nicht von Versprechungen, sondern von sichtbarem Handeln. Er ist keine fixe Idee mehr, der Gerechte und Ungerechte in Hoffnungsträger oder Verschwörer einteilt; er ist die blinde Konstellation der ersten Stunde, und jede neue Generation bildet sich mit ihm ihre eigenen 'Freiheitsideale', die es zu verwirklichen und zu verteidigen gilt.

Die Kriegsverherrlicher, die Mitläufer, die Wellenreiter, die stummen Zeugen, die Daheimgebliebenen, die, die sich aus Angst verkrochen und versteckt haben, die Reformer, die Rebellen, die Windmühlenkämpfer und Bombasten; sie alle haben ihre Rolle ausgespielt. Sie plappern vor sich hin und erleben das paradoxe Kriegsschauspiel inmitten von Lammbraten, Osterstaus, Flutkatastrophen und Vulkanausbrüchen im Fersehen.

Dem Gegner jede Vernünftigkeit absprechen, sich selber aber als in der politische Ideengeschichte Europas stehend, zu begreifen, das ist die 'gesittete' Gesellschaftsordnung, die wie ein Fluch auf uns lastet. Menschliches Elend zu beseitigen, mit Klarheit und den letzten Zielen vor Augen, ist die Theorie zur Ausführung zu bringen. In allen Fällen setzt das menschliches Einverständnis voraus, in einer entlegenen Welt die Neugierde anzusammeln und ein Schiff nach einem neuen Modell zu bauen.

Doch das Dilemma besteht in der Phantasterei, in der tragischen Spannung zwischen dem Guten und dem Bösen, in der Form des Kompromisses, den wir mit unserem Geist zu schließen bereit sind, wenn er die Gefahr seiner eigenen Veröffentlichung scheut. Leider hat der Krieg wenig Respekt für die Zartbesaiteten, für die spitzfindigen Kritiken, für Gedeih und Verderb. Er erlebt immer und wir mit ihm sein eigenes und wechselvolles Schicksal.

Einmal in den Geist eingedrungen, wird er formbar und findet sich schnell in den kleinsten Details der weitverästelten imaginären Denkstruktur zurecht; er ist in der komplexen Ästethik des Kopfes beheimatet und drückt sich in der Sprache aus doch für verzweifelte Inbrunst oder drängende politische Leidenschaften fehlt ihm jeglicher Handlungsbedarf: Ist erst seine Geduld am Ende, gibt es keinen Raum mehr für Mehrdeutigkeiten; es beginnt das Trachten nach der 'stahlharten' Gestalt, nach den Männern in ihren Tarnanzügen, nach den Tarnkappenbombern, nach den Piloten, nach den Bomben und Marschflugkörpern, nach dem Punkt, wo das Wissen um ihn die Vollkommenheit und die Bereitschaft unserer Maßlosigkeit, dem Treiben zuzusehen, die äußerste Grenze erreicht: Den gegenwärtigen kriegerischen Verhältnissen nicht abzuschwören und die Verlockungen der 'freien' Welt anzunehmen.

Wir haben noch Zeit genug, diese Welt zu zerstören, und die alten Königreiche inmitten der teuflischen Fähigkeit der Aura des Geistes wie einen Skandal zu feiern. Je mehr sich die Kriegserrungenschaften steigern, desto absoluter werden seine Ideen. Der liberale Staat, in dem die Rechtschaffenheit haust, bemächtigt sich mit ihm die 'Ära unseres Parlaments', das als wahrhaftiger Triumph der Erneuerung gilt, auf verborgene Weise mit Eifer und Ungetüm auf schnelle und festzuschreibende Resultate drängt. Die Selbstbekenntnisse der alten poltischen Romantik: Der bürgerliche Demokrat ist unbeleckt, und daher ohne Bedeutung, er darf ruhig weiterträumen! Die Zukunft, die als Gegenwart verachtet wird, erhält die Absolution, und voller Eifer und Wagemut werden diese Werke mit unserem Blut besiegelt: Das ist unser Streben und unser Ziel die verzehrenden Flammen, die sich nach außen wenden; das geheime Millennium, magisch-religiöse Paraphonie, der Fall, das Gelübde. An die Stelle der brüderlichen Bekenntnisse tritt die phantastische Utopie, die keine wirkliche Einsicht in die historischen Bedingungen verschafft; der prophetische Weitblick bringt als Endziel die apokalyptische Endzeitstimmung: Ade ihr noblen Träume!

Zerstörung ist die logische Wirklichkeit, das subjektive gefärbte Konstruktive des menschlichen Geistes, der Stoff der Geschichte. Sie gibt den Auftakt zur Freisetzung der soziologischen Zwangsläufigkeiten so gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem Spekulieren und der Anarchie, zwischen sozialer Ordnung und spekulativer Phantasterei. Verheißungen waren immer nur eine Art hedonistischer Übersteigerung, ein Gegengewicht zur Destruktion des Alltags. Der Gesellschaft ist die grundsätzliche und allumfassende Liebe ausgegangen; wer Stumpfsinn sät, der hat die Sehnsucht absorbiert, so wie es die ältere Menschheit getan hat, mit Selbstsucht, ohne den Sinn für das Neuedie lieblose Vergangenheit, das Undenkbare, die mögliche Einsamkeit der Herzen. Sie wird ein Geheimnis, die Zukunft. Das kommt uns albern und fad vor, von Grund aus reaktionär; statt visionärer Traumbilder erhalten wir ein geheimes Millennium. Schaue in die dunklen Wolken am Horizont, und es wird uns bange vor dem Niedergang der Erde.

Deutscher Krieg! Dort, wo wir uns aus dem Weg geträumt haben, demselben Widerspruch verfallen waren, wie die Einheimischen, Strand, Sonne, Adria, Drinks, Sex eine alles verschlingende Zentralisierung der öffentlichen Gewalt, die wenn sie ensteht, zur systematischen Ausmerzung des Individuums wird, sich über Regeln und Prinzipien hinwegsetztinquisitorische Gedankenpolizei.

Der Abgesang an einen desorietierenden Verlust der Horizontlinie muß so eine drastische Einschränkung des Gesichtsfeldes mit sich bringen; die vertraute Mischung von Rigorismus und Mystizismus. Man trifft auf eine menschliche Seele der bildhaften Denkmodelle, wenn der verwandte Widerstandsgeist gegen alles rebbeliert. Doch genug, wie spielen Komödie, wenn wir uns mit der zitternden Kompaßnadel zurechtfinden müssen, die uns den Weg weisen könnte. Wie weit haben wir uns entfernt, von dem Trümmerhaufen, den sie am Horizont hinterlasssen hat? Die Zukunft wird gefährlich 'terra incognita' bleiben müssen, weil das Schiff gesunken ist, daß die Kultur dem Schicksal ausgesetzt ist, in furchbarer Agonie zu sterben.

Der Traum erstarrt zum Dogma, die Geschichte ist Dogma, spektakulärer Aufruhr, statt partieller Veränderung, die die Gewaltanwendung als Nebenschauplatz einordnet, die maßvolle Hoffnung, statt den maßlosen Zorn setzt, die mit Bitterkeit lebt, aber ohne bürokratische Zwänge, das Unvollkommene akzeptiert, sich vom Unvollständigen fern hält, die den Fanatismus schlägt und die Furcht als Startzeichen zum Fanal versteht. Es ist merkwürdig, was mit diesen unfertigen 'Nebeln der Phantasie' geschieht!

Genauso sieht heute die Auseinandersetzung in der Weltpolitik aus: Es ist der Kampf um Definition und Interpretation, in dem alle dieselbe Sprache sprechen, aber jeder Satz, jedes Wort, jeder Buchstabe mehrere Bedeutungen hat, gewichtige Bedeutungsunterschiede, die darauf verweisen, daß abends in der Zitadelle noch Licht brennt jedes Verb wird unregelmäßig kunjugiert. Die Moderne kommt mit einem einzigen Wörterbuch nicht aus sie vergewaltigt die Träume, die Philosophie, die Gesellschaftssysteme die höchsten Prinzipien werden nach einem Schlüssel prinzipiert -pseudostaatlicher Fanatismus wird zu einem System erhoben, wo die Individuen zu Instrumenten des Staates werden, in den monolithischen Parteien erniedrigt sind.

Man braucht kein Linguist zu sein, kein Semantiker, um zu erkennen, zu erahnen, zu erlesen, warum es sich widersprechende Konjunktionen gibt, die uns verraten: Die Sprache ist ein Doppel, eine Schattenseele der gesamten Struktur der Wirklichkeit. Sie ist voller Haß, voller Neid und von Machtgier getrieben. Und wenn tatsächliche Entscheidungen ausfallen, erscheint die Eidesformel der Tyrannen: Schuldhafte Vieldeutigkeit der Wörter. Alle Begriffe tragen zwei Gesichter, und die Züge ändern sich, verschieben sich mit den jeweiligen Standpunkten. Beide Gesichter in den Griff zu bekommen, ist die Kunst, der Sucher der Kamera, er gibt den Augenblick des klaren, unbestechlichen Konterfeis frei die Wirklichkeit selbst ist nicht relativ, da draußen existiert der Krieg, in einem Bild, das wir uns machen, das es wiederzugeben gilt.

Das ewig gleiche Stigma der verwandschaftlichen Nähe der politischen Grammatik und der Übungssätze hat den Ursprung im wirklichen Geflecht von Motiven und Meinungen. Das zu leugnen oder zu ignorieren heißt, die Auseinandersetzung um den Stil auf die Ebene der endlosen und unfruchbaren Polemik zu reduzieren, bei der kein ehrliches Wort mehr gesagt, geschrieben und weitergegeben wird.

Wer das Böse nur im Bösen erkennt, wird nie die Fähigkeiten durchschauen, sich als Gutes zu maskieren. Der Fürst der Finsternis, der politische Verblender, der vehexte Führer verdankt seine Siege weniger seiner satanischen Fähigkeiten als der Aura tragischer Größe, die ihn als gefallenen Engel im Licht der Warenproduktion umgibt.

Eine falsche Lehre läßt sich nicht widerlegen sie beruht auf der Überzeugung, daß der Fehler, das Falsche, richtig ist. Dies scheint bestenfalls die halbe Wahrheit zu sein; denn oft genug ist es ja das Schicksal des gesellschaftsfähigen Denkens, daß im Verlauf seiner Erniedrigung die Massen tiefes Leid erfahren müssen menschliche Hofnung und gesellschaftlicher Fortschritt, die Relevanz der Apokalyptik, der ewige König des Kopfes. Es scheint, daß die Menschen seit jeher versucht haben, einige ihrer höchst moralischen und politischen Ziele mit den Gewittern der Moderne, mit den Zornesblitzen zu verwirklichen. Der Geist soll aus der Flasche entweichen, frei schweben, ohne jahrhundertelang weiter unterdrückt zu vegitieren.

Etwas Außergewöhnliches passierte die sich wiederholende Geschichte preßte sie ein in die Rebellionen und Revolten der Geist aus der Flasche mutierte zur Regression, und am Ende war er wieder eingesperrt die Ironie der Geschichte, härter und unterdrückter als alle Könige vorher. Was die Griechen 'Hybris' nannten, maßloser Ehrgeiz und Hochmut, daß die Menschen wie Götter auf einem Olymp leben wollten, auf den Gipfeln der Welt, mit gestohlenem Feuer das wurde ihnen zum Verhängnis. PASCAL formulierte: 'Der Mensch ist weder Engel noch Tier; und das Unglück ist, daß, wer Engel sein will, Tier wird.' So sehen die Häuptlinge und Anführer aus, die simplen Halunken, die Fanatiker und die tyrannischen Heuchler, die den Umsturz wollen, aber ihre Führung in die Hände von gedungenen Mördern legen. Sie sind Opfer ihrer eigenen Opferbereitschaft, ihrer eigenen Abscheu, des Ekels, der Desillusion, der Reue, der Hoffnung.

Da darf es niemand verwundern, daß der reißende Strom der Ereignisse ein erhebendes Erlebnis ist; doch sobald das Grollen des Jahrhunderts aufzieht, prophezeit die Welt, daß die Lavamasse zu strömen beginnt ein entsetzliches Bild, wie paralysiert. Wie wirkt sich eine tosende Lawine aus, die verschlingt und vernichtet? Das Elend am eigenen Leib, der einschlägige Wortschatz der Kalamitäten. Man rekrutiert etweder auf das elementare Wirken der Naturgewalten oder auf die raffinierten Formulierungen der Semantik das Wort ersetzt die Sache. Wenn alles im zweifelhaften Sinne erneuert wird, und geändert und dieses falsche, dreckige, schreckliche Leben auf einmal gerecht, sauber, rein, fröhlich und schön werden sollte, dann formiert sich im rasenden Strom der Gezeiten die Veränderung in den Gesichern: In der Uferscholle saß die Kröte, die Grausamkeit ward angelegt, getäuscht, der Sog reißt die Würdigen in die Tiefe, während die Unwürdigen trockenes Land erreichen.

Ob man sie also als Auslöser der Sturzflut zu verstehen hat?

Im Wegbereiten des Wahnsinns weicht nicht nur das Beste dem Schlimmen, in der Hitze verwandelt sich das Beste in sein Gegenteil: Mut führt zur Schwäche und Tugend zum Verbrechen. Die Allegorie, die Kröte als der ideologische Zyklus der grausamsten Vernichtung aller Gegner; der ScholleFanatismus der späten Überzeugung. Jede Erfahrung verändert den Menschen, die schlechtesten am nachhaltigsten, die, die nur einen Gedanken im Kopf haben bestreichen damit auf geniale Weise ihren ganzen Körper und ihr Fanatismus wird noch nach Jahrzehnten und Jahrthunderten gefeiert.

Ehrliche Empörung und Sympathie ist wie Schwanenflaum, wie eine Bettdecke, die den Körper bedeckt, den Kopf frei läßt. Wenn uns die Leiden unseres Kopfes als maßlos vorkommen, dann ist der Tiefpunkt erreicht, die Verzweiflungstäter tauchen also in dem Augenblick auf, da man neue Hoffnung schöpft, da ein friedlicher Wandel plötzlich möglich und erreichbar erscheint. Sind diese Auftritte nicht tragisch? Man setzt sich mit denen zusammen, die für den Feuersturm verantwortlich sind, für die Ungewitter, die Rom in Asche legten bis Babylon aus den Hirnen verschwand; die Vorläufer der Bürgerkriege und die Nachbeter der Volksaufstände.

Wenn man an 1789 denkt und 1917, an BONAPARTE und STALIN denkt, bleibt nur noch Trauer für die geopferten Generationen übrig. Der zu hohe Preis für utopische Träume, der sich durch die Geschichte zieht, ist der der momentanen weltpolitischen Konstellation, und ein nicht zufälliger Krieg ward begleitet mit dem großen Aufzug des Welttheaters. Aber wer hat diese Konstellation tatsächlich verstanden? Die, die Glanzleistungen (?) der Diplomatie bewundern, die, die in ATHISAARI die weiße Taube sehen, oder die, die Kompromisse als Zeichen willensschwachen Zögerns und der Bereitschaft zum Verrat interpretieren? Stets ist es das Pflichtgefühl als Variante eines skrupellosen Fanatismus, daß die Politik umschließt -es sind immer nur die anderen, denen abverlangt wird, daß sie sich Mäßigung und Umsicht auferlegen. Der Mensch glaubt, er mache die Geschichte, die ihm zugedacht ist.

Es war RENAN, der sagte, daß 'es oft die Fanatiker sind, und nicht immer die Feingeister, welche den richtigen Anfang finden für die Lösungen der Zukunftsprobleme'. Er ist auf Zerstörung aus. Er hat den Krieg vergöttert und wird ihn vergöttern; er hat nicht nur Feuer gelegt, er will alles in Asche sehen. Der himmlische Donner und das irdische Beben -solange bis seine Wünsche befriedigt sind, und rücksichtslos folgt eine kriegerische Phase der nächsten: Ein Ende gibt es nicht, der Extremismus besteht in Permanenz. Daruf baut dann der denkende Mensch fast zwangsweise seine hehren Gedankengebäude auf, um seine Empfindungen und Handlungen gegenüber dem Krieg auf ein Gerüst zu stellen: Das wird allgemein unter Ideologie gefaßt. Nur so ist zu verstehen, weshalb er in kleinkarierter Selbstsüchtigkeit befangen bleibt, warum die gegenerischen Lager jeden gesellschaftlichen Idealismus zermürben, verwässern, entmutigen oder monopolisieren.

Jeder Friede ist trügerisch, egal von wem er geschlossen wird, unter welchen Bedingungen er gebaut ist. Immer wieder werden Flammen den Tempel in Brand setzen, es wird zum Königsmord kommen und erneut sind die Kontinente in Aufruhr versetzt. Die Gratwanderung: Kein versöhnlicher Balanceakt! Bezeichnenderweise durchleben wir diese Phase wieder seit Jahrzehnten, die Fähigkeit zur 'konservativen Erneuerung', zur harmonischen Verbindung mit den Institutionen; der wilden Drang nach Maßhaltung ist bereits die erste Andeutung von metaphysischer Haarspalterei.

Die große Lehre des Parlamentarismus: Es gibt nichts Schöneres als jeder Gedanke der Erneuerung, jenes Zusammentreffen zwischen Beständigkeit und Wandel, der auch in den Staatsverfassungen niedergelegt ist. Die andere Seite wird immer verschwiegen: Er muß den anderen angst machen, und er muß vorgeben, selber Angst zu haben. Es ist letztlich das listige Spiel mit der Macht und der Arroganz, von Kraft und Druck gewürzt, von kurzen, auf das Tagesgeschehen abgestimmte Statements, das Erfolg hat. Wenn CLARK, SHEA oder SCHARPING von Einschlägen und Treffern reden, kommt es einem so vor, als ob sie von WALLENSTEIN sprechen, von der EDDA, von Schwerttod und Mordgift.

Die Bildsprache des Krieges hat sich durch die Jahrhunderte hinweg nicht verändert: Operationstherapien und Feldlazarette sind eben blutige Bandagen, wo abgesägte Gliedmaße und pestbefallene Todeskandidaten nur so herumliegen. Ist es abwegig, daß diese Impressionen wie Bakterien und Bazillen immer wieder nach oben drängen? Wenn heftig und aus Angst Zugeständnisse gemacht werden, was soll dann anders dabei herauskommen als unzulängliche und fehlerhafte Politik? Leider wird die Mehrzahl aller Verbesserungen im Frieden das menschliche Los nicht entscheidend verändern. Das Kosovo bleibt zerstört, die haßerfüllten Proklamationen wollen mythisch-mystisch versteckt werden, zum Krimskram der Männerheimära gehören weitere gewichtige Möbel. Und die Menschen? Zurück in die absolute Herrscherklasse!!

Im Anschluß an jeden Frieden wird es wieder Kriege, Aufstände, Blutvergießen und Bürgerkriege geben. Die Moderne scheint jede kostenlose Freude abgelegt zu haben und billigt offensichtlich nur jenen Fortschritt, wenn er mit irgendeinem Unglück erkauft wird. Die Ironien der Weltgeschichte: Die Exesse sind einkalkuliert inmitten von Haß, Unrecht und Gewalt der niedrigste Punkt der menschlichen Leidenschaften: Das Ergebnis gipfelt in den Intrigen und Interessenskämpfen. Selbst die besten Institutionen sind nicht gegen Verfall und Korruption gefeit. Deshalb werden sie versuchen, das Spannungsverhältnis zwischen menschlichen Idealen und sozialer Wirklichkeit zu ignorieren, wie weit sie den internationalen Geltungsanspruch stecken können, nach welchem Schlüssel sie Ethnien versklaven können, Regionen dem Erdboden gleich machen, Haben und Nichthaben verteilen und welche staatlichen Methoden von Unterdrückung und Gewalt am effektivsten aufeinander abgestimmt sind.

Der echte Prophet trifft mit seinen Worten jedesmal ins Schwarze, der falsche Prophet nicht jedesmal daneben. Das kann als Lehrsatz verstanden werden, der allerdings zu den absurdesten und reaktionärsten Schlußfolgerungen führen mag: Der Weg verläuft zwischen frischen Einsichten und faden Kompromissen, zwischen dem äußerlichen Risiko der Isolierung, Vergeltung oder Schlimmeren. Auf dieser Ebene kann schnell jeder zum Märtyrer oder Feigling werden. Wenn sogar die hehren Denker der Aufklärung aus verständlichen Gründen heraus sich den Täuschungsmannövern, den Trugschlüssen und den Notlösungen hingaben, darin Zuflucht nahmen, wer sollte dann heute seine Ansichten widerrrufen wollen?

MARX hatte behauptet, daß aus Schlechtem sich Gutes entwickelt und LUKACS hatte nie einen Zweifel daran gelassen, daß die utopische Erhebung die Zukunft überdauern wird. Hoffnungsphilosophie, eine Art elastische Moral, die helfen sollte, die Irrtümer der Marxismen leidenschaftlich zu verteidigen. Mit Hilfe der sogenannten Lehren kann weder die Vergangenheit noch die Gegenwart und was in der Zukunft geschieht, bleibt abzuwarten nach Klarheit für das heutige Schauspiel abgesucht werden. Etablierte Orthodoxien brechen unter der Findigkeit der Warenproduktion zusammen, Ketzerei und Intoleranz erwachen neu. Dem Historiker mag die Sicht auf MARXens Gesellschaftsanalyse als eine Abfassung des Meisterwerkes des 19. Jahrhunderts gelten und sie ist es, wenn daran gedacht wird, daß die 'armen Hunde' verteidigt werden müssen, die Opfer der ungerechten, intoleranten Behandlung des aufstrebenden Kapitalismus. Heute, da Verlogenheit, Verhetzung ganz üblich sind, täte es vielleicht ganz gut, von den feinsinnigen Interpretationen nur den Staatstrauerzug zu übernehmen, der uns zur pathetischen Klage verleiten könnte: Welch ein schreckliches Leben?

Schon MARX verstand nicht, warum sich die kriegerischen Gesellen mit den Narren zusammentun, und behauptete auch, daß eine weise Regierung manchmal etwas ignorieren müsse. Darum war sein Buch so gefährlich. Später verbrannte man vernünftige Schriften: Das Eingeständnis, daß man nicht intelligent genug ist, um darauf zu antworten. Die unschuldigen Opfer eines rauhen Zeitalters. Es gab immer nur Ende! Und das menschliche Dasein war nie Vorkämpfer oder Wegbereiter für die Freiheit. Jedem sogenannten Optimismus waren stets Tropfen der Bitterkeit beigemengt. Ideologische Zyklen, auf die immer der Fanatismus der modernen Geschichte der Philosophie folgte. Die Hetzjagden begannen eben in den Köpfen die Binsenweisheit jeder Utopisten und Antiutopisten. Selbst die Intellektuellen beteiligten sich daran, mit den Waffen, mit denen sie sich und ihre Brüder bekämpften. Warum mußten sie Spitzel werden, die sich der Staatsherrschaft unterordneten, und so selbstverständlich über den Frieden redeten, als ob es niemals etwas anderes gegeben hätte? Zu heucheln ist schlimm genug. Aber zu heucheln und Unheil anzurichten, das ist viel schlimmer, das ist die Höhe: Die alten Beschwörungsformeln des primitiven Wortzaubers um Meinungen zu diskreditieren. 'Die Krone der Schöpfung' hat einen unsicheren Gesichtskreis erreicht. Die Schicksalsstürme blasen nicht immer aus der erwarteten Richtung. Man sollte auch nicht glauben, daß es neue Zeichen und Symbole sind, die Schlagund Suggestivkraft absorbieren, um Quintessenzen einzuforden. Politischer Götzendienst und Wortglauben fristen ihr Dasein in den trüben Winkeln und Nischen der Menschheitsgeschichte. Das erfüllt in der Tat die Allzweckfunktion eines semantischen Signals der traditionellen Autoritätsstrukturen: Treue halten, für König und Vaterland sterben, gegen die Ungläubigkeit kämpfen. Auf allen Seiten ist das die Parole der meisten Ideologien: Opfer für den Staat bringen. Das läßt sich beliebig austauschen. Die Redseligkeit des Kopfes befruchtet sich auf üppigste Weise immer selbst; der selbsterzeugte Wortschwall wirkt wie Autohypnose. Natürlich ist daß das verinnerlichte Vokabular, der kritische Verstand wird abund die politische Windmaschine eingeschaltet.

Soweit es sich um rhetorische Beschwörungsformeln handelt -was FISCHER auf dem Bündnis/Grünen-Sonderparteitag in Bielefeld bestens beherrschte-, fungieren sie als Handlungselemente, nicht als Koordination gemeinsamer Aktionen, nicht als Mittel zur Reflexion. Doch die politisch Hungrigen mußten sich seit jeher mit vergifteten Speisen zufrieden geben, mit schmaler Kost, ernährt von von den Abfällen der großen Gelage und schließlich wird man nach einem Vergleich nicht umhinkönnen, ein Paradebeispiel für die Beschränktheit des menschlichen Geistes zu formulieren. Da kann Kanzler SCHRÖDER wieder lächeln, den 'guten Tag für Europa' im Munde führen.

Aber all das wird die Expansion nach Osten nicht verhindern; denn jetzt muß das Kriegsgerät wieder auf Vordermann gebracht werden, ist Rüstungstechnik angesagt, müssen unzählige Summen an Dollars und DM bereit gestellt werden, damit der Wahnsinn die 'Auserwählten' im Zeitalter der Moderne erreicht. Zumeist wirkt das wie eine Aufführung in einem leeren Variete. Zur Darstellung gelangt ein lautstarkes Wehgeschrei, einige melodramatische Gedanken halten sich, denen man einfach ein buntes Kleid aus Metaphern umhängt, auf das die vorhersehbaren Grundstimmungen aufgenäht sind.

'Frieden ganz nah!' meint die BILD-Zeitung vom 4. Juni: Ein vertautes Muster beginnt sich abzuzeichnen. Die schicksalsschwere Frage wird von anderen gestellt, nicht von uns welche Antworten könnten wir auch geben? Die Lauserei der gesamten Reformbewegungen: Im elementaren Wirken des Staates liegt eine 'reinigende Kraft'. Die Brutalität im Denken lautet: In verantwortungsloser Weise mit Phrasen um sich zu werfen, die direkt aus den Moraltraktaten und der Staatsphilosophie stammen. Die Idee vom Menschen und seiner Zukunft lautet: 'Durch das Volk und für das Volk!' Wer vermag zu entdecken, daß wir uns nicht unserer Vergangenheit zu schämen brauchen? Sollten wir stolz in die Zukunft sehen, wo nur die Gewalt herrscht, die 'vom Volk angewandte Gewalt'´, die von den Führern organisiert und verfeinert wird? Die wechselvollen menschlichen Schicksale orientieren sich am Kult der Gewalt, an die dunklen Triebkräfte im Menschen selbst, die ihn zum erbitterten Fanatiker werden lassen.

Wenn sich diese große Metapher seit Jahrhunderten endlos lang wiederholt, dann kann getrost das Netzwerk menschlicher Hoffnungen begraben werden.

'Bauen werden wir morgen
Eine neu, saubere Stadt
Ganz ohne Sorgen
Wo schöne Menschen auf und ab gehen.
Wir werden alle stark sein
Und werden alle jung sein
Keine Tage der Tränen, keine Tage der
Angst mehr
Und keine unglücklichen Liebesaffären.
Wir werden uns in die Ruder legen
Für das Staatsschiff Und immer wird die Sonne scheinen.'

(W. H. AUDEN)

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