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KOSOVO Antikriegsseite


Warum die Ostdeutschen gegen den Krieg sind

von Friedrich Schorlemmer

Ein Erschrecken geht durchs Land. Die Mehrheit der Ostdeutschen sind gegen den Krieg! Und alle orakeln, warum. Schämen sollen sie sich, weil sie damit zeigen, daß sie noch nicht demokratiefähig sind, höre ich. Auf solche Weise kann man die deutsche Einheit erfolgreich in Frage stellen. Der tiefere Grund für die Ablehnung von Krieg liegt darin, daß Ostdeutsche die Teilungsstrafe vierzig Jahre lang allein gezahlt haben, die Kriegsfolgen länger und intensiver spürten, einschließlich der jahrelang außerordentlich belastenden Besetzung durch die Russen. Und ihnen wurde unablässig die Folgen des von Deutschen angezettelten Weges vor Augen geführt, bis sie - quasi kollektiv - zu dem Schluß kamen: „Nie wieder Krieg von deutschem Boden."

Der zweite Grund ist, daß viele Ostdeutsche wohl vierzig Jahre lang mit Propaganda gefüttert wurden und im Kalten Krieg - anders als die Westdeutschen - in die Lage versetzt wurden, jeweils beide Seiten wahrzunehmen. Die eigene Wirklichkeit mußten sie zwangsläufig wahrnehmen, von den gleichgeschalteten Zeitungen bis zu den unablässigen Schulungen. Freiwillig hörten sie Abend für Abend Westradio und sahen später Westfernehen, so daß sie sich ein Bild von beiden Seiten machten. Das schult kritisches Unterscheidugnsvermögen.

Nun gibt es nur noch eine Seite und im Krieg einen gewissen Zwang zur Einigkeit. Aber die geschickten Propagandalügen der Militärs durchschauen Ostdeutsche offensichtlich leichter, weil sie selber vielen platteren Propagandalügen aufgesessen waren. Und je hehrer das Ziel ist, mit dem Bombardements gerechtfertigt sind, desto mißtrauischer werden Ostdeutsche. Da sie in den Fängen einer Großmacht lebten, die die Bündnistreue über alles setzte und das besondere Vasallentum der Ostdeutschen gegenüber ihrer Großmacht erlebt habne, sind sie skeptisch gegen der letzten verbliebenen Großmacht und einer Vasallen- und Bündnistreue der Deutschen. Besonders die hochmoralilschen Rechtfertigungen machen Ostdeutsche mißtrauisch, hatten sie doch erlebt, daß man in Prag einmarschiert war, um den Frieden und den Sozialismus zu retten, ebenso in Afghanistan. Und auch die Mauer hatte man aus reiner Friedensliebe gebaut....

Dabei ist das Meinungsbild recht widersprüchlich, denn es gibt nicht wenige alte SED-Kader, bis hin zu den Verfechtern der historischen Friedensmission der Nationalen Volksarmee, die nun besonders pazifistisch auftreten und all ihre Friedenspropaganda bestätigt sehen, indem sie betonen, daß sie einst verhindert hätten, daß es je zu einem Krieg kommt, also wirkliche „Friedensmacht" waren, während die NATO jetzt ihr wahres Wesen als eine Kriegsmacht des Imperialismus zeigt. Sie streifen ihre rote militaristische Vergangenheit einfach ab und gefallen sich in einem besonders hehren pazifistischen Pathos. Hinzu kommt bei fast allen Ostdeutschen eine gewisse Schulung, die nicht nur die Parteigänger der SED erreichte: Welche Interessen stecken hinter diesem Krieg? Was ist das mit der Rüstungslobby und der Beschaffung von Akzeptanz für die Rüstung durch Krieg? Wer solche Fragen stellt, bezweifelt, daß es nur um die menschenrechte für die vertriebenen, gepeinigten Kosovaren geht.

Jedenfalls hat die Feindbildpropaganda der SED, in der alles in Gute und Böse, in Friedensfreunde und Kriegstreiber eingeteilt wurde, ein Bewußtsein hinterlassen, daß im Krieg die Kombattanten lügen und die Verbrechen der Gegenseite in dem Maße herausstellen, wie die eigenen Verbrechen kleingeredet, entschuldigt oder geleugnet werden. Und so lassen sie sich nicht auf eine einseitige Beurteilung der Vorgänge ein, die da lautet: Milosevic und die Serben müssen zur Einsicht gebombt werden, und bloß die Albaner sind Opfer. Ostdeutsche haben ein stärkeres Mitempfinden mit den Kindern in Belgrad, die Nacht für Nacht in die Bunker steigen müssen, und dies noch mehrere Wochen. Dies könnten auch die Langzeit- und Tiefenwirkungen einer bestimmten „Friedenspropaganda" der SED sein, die mehr in den Menschen hinterlassen hat, als die ganze anti-imperialistische Propaganda, in der der Frieden bewaffnet sein müßte und dem „Feind" alles Schlechte nachgesagt wurde. Die Friedenspropaganda bediente sich eindrücklicher Texte, die im Gedächtnis gebliben sind, wie das Fibel-Gedicht Bitten der Kinder von Bert Brecht. Häuser sollen nicht brennen/Bomber sollt man nicht kennen/die Nacht soll für den Schlaf sind/Leben soll keine Straf sein.

Und schließlich wissen Ostdeutsche in besonderer Weise, wie gefährlich selbst eine marode - und vielleicht gerade eine marode! - russische Armee sein kann. Ostdeutsche wünschen sich keine neuen Blockkonfrontation, die bloß weiter nach Osten verschoben ist, und sie haben in ausführlicher Weise zur Kenntnis nehmen müssen, was die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion an verbrannter Erde hinterlassen hatte. Die Furcht vor einem kommunistisch-nationalistischen Block in Rußland ist in Ostdeutschland offensichtlich größer als im Westen. Was die Selbstmandatierung der NATO anbelangt, so erinnern sich Ostdeutsche genauer an den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei. Und sie erinnern sich gleichzeitig positiv an die Wirkungen internationaler Institutionen wie der UNO, besonders der KSZE, die nicht unwesentlichen Anteil am friedlichen Umbruch haben sollte. Insofern halten Ostdeutsche viel von der Stärkung der UNO und ihrer Institutionen und von konfliktminimierenden Aktivitäten der OSZE. Jedenfalls sind sie nach all ihren Erfahrungen skeptisch, daß man etwas „Schlimmes" verhindern kann, indem man Mittel einsetzt, die selber schlimm sind. Einen nationalistischen Präsidenten und eine serbisch-nationalistische Stimmung zur Einsicht bomben zu wollen, hält die Mehrheit der Ostdeutschen aus humanitären, politischen und psychologischen Gründen für nicht angemessen. Dies alles bloß auf die Distanz der Ostdeutschen zur NATO und auf mangelnde Demokratiefähigkeit zurückzuführen, wäre gänzlich falsch. Schließlich ist es bemerkenswert, daß die unabhängige Friedensbewegung immer wieder auf den Widerspruch zwischen der Friedenspropaganda der SED-Führung und deren Sicherheitsorgane, Feindideologie und Priotität der Landesverteidigung hinweisen konnte. Und so finden sich die Friedensaktivisten von damals heute in einer unfreiwilligen Allianz mit Kommunisten und Postkommunisten, die nicht mehr die Macht haben, sich mit militärischen Mitteln für ihre Ideen einzusetzen und vielleicht gerade deshalb die pazifistischen Mittel zu preisen. Ob Letztere wirklich zu Pazifisten geworden sind, muß dahingestellt bleiben.

Wenn nun die PDS als einzige deutliche politische Stimme von Kriegsgegnern auftritt, müssen die anderen Parteien sich fragen, was sie runterbügeln und es der PDS geradezu erlauben und erleichtern, als moralische Stimme des Friedens zu fungieren. Wie tief das anti-kommunistische Feindbild reicht und wie sehr der Westen Denkmuster des Ostens praktiziert, die Ostdeutsche jahrzehntelang erlitten haben, zeigt sich, wenn Argumente gegen den Krieg, für ein sofortiges Aufhören der Bombardements und die Reaktivierung politischen Handelns als „Gysi-Argument" diffamiert wrden, als ob man sich von Gysi vorsagen lassen müßte, was man sich selber denkt: daß nämlich „keine einzige Bombe der NATO-Streitkräfte bisher einem einzigen Kosovaren geholfen hat - im Gegenteil". Jeden Tag weiterzubomben, „weil sonst Milosevic recht" bekäme und die NATO eine Niederlage erleiden würde, ist die Bankrotterklärung der Politik des Bündnisses. Wer erkannt hat, daß er in einer Sackgasse ist, muß nicht bis ans Ende der Sackgasse gehen, sondern muß Möglichkeiten suchen, umzukehren, um einen anderen Weg zu suchen!

Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen, als ob die alten nicht gelanget hätten. (Bert Brecht)

Quelle: http://www.dradio.de/cgi-bin/user/fm1004/es/feuilleton/283.htm Deutschlandradio vom 14.5.1999

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