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KOSOVO Antikriegsseite


FETISCH KOSOVO-KRIEG
VERDRÄNGT UND VERMARKTET

von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 30. Mai 1999


Teil B: WENN DIE MARKTMECHANISMEN GREIFEN

 

Reizthema Krieg: Und alle Experten müssen sich zu Wort melden. Die, die im Vordergrund ihre Statements abgeben, die, die abwarten, um auf dem vielleicht stattfindenden Höhepunkt des Krieges mit bewegender Stimme nach alter Machart, OSKAR MATZERATH aus 'Die Blechtrommel' auferstehen zu lassen, und die, die einherstolzieren und hindozieren.

Von den aufrichtigen Beweggründen einer solchen Haltung einmal abgesehen, ist diese Rolle natürlich die beste und bequemste: Man ist im Gespräch, obwohl man nicht mitspricht; man ist präsent, obwohl niemand einen sieht, man macht sich rar und wird doch beurteilt; man bringt sich ein, steigt wieder aus und in der Printmediendebatte ist immer ein Gegenspieler vorhanden. Schattenfiguren und Lichtfiguren geben sich die Hand: Die Sehnsucht der Medien nach Schwarzweißkonflikten ist damit gestillt. Klappern gehört zum Business, Medienpräsenz auch, und das Versagen der Kritiker, die politischehistorische Komplexe des Krieges nicht fein säuberlich zu trennen wissen, gebiert erneut ein ideales Vorspiel für die bald danach stattfindenden Diskussionen. Man muß dem Affen Zucker geben, einfach draufhauen: Nu so kann sich jeder sicher sein, daß die Kontroverse weiter verschärft wird, daß die öffentlichen Dispute zum eigentlichen Höhepunkt jeder Werbekampagne geraten. Peinlich und skandalös ist die Vorstellung, die die Medien im Rahmen ihrer 'Kriegsberichterstattung' abgeben. Hatten sie in ihrer langjährigen Volkspräsenz vielleicht etwas vergessen, übersehen?

Es gab immer Stimmen, die darauf verwiesen, daß der Kosovo-Konflikt nicht wie eine Plage hereingebrochen war, sondern von langer Hand über ein Jahrzehnt vorbereitet wurde. Man lese nur ERNST LOHOFFS' Der Dritte Weg in den Bürgerkrieg. Jugoslawien und das Ende der nachholenden Modernisierung'. Das Buch, bereits 1996 erschienen, weist darauf hin, daß den ethnischen Konflikten im Vielvölkerstaat in den vergangenen Jahren viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, daß der ökonomische Kollaps schon weit vor dem Ausbruch des Krieges begann, und daß die nachholende Moderninsierung nicht nur Jugoslawien, sondern vermutlich auch den gesamten Balkan in weitere Strudel der Neubesetzung nationaler Gegensätze führen wird.

Das tangierte die bürgerliche Presse wenig, die ehrliche Intentionen ablehnte, gleichzeitig mit erfolgsträchtiger Provokation ihren trockenen Schreibstil eingebildetermaßen unter's Volk mischte. Fragen nach dem Warum, nach den Intentionen eines Krieges und der Verantwortung der Individuen dürfen eben nicht gestellt werden. Der Streit in dieser Frage hat im Marketing etwas mit dem Ausschaltungsprozeß des Gehirns bei Übersensibilisierung zu tunwer will auch immer Tag für Tag an den Krieg erinnert werden? Selbst wenn sich eine Menge Niederträchtiges und Abscheuliches darin niederschlägt, will man irgendwo immer sein eigenes Süppchen kochen. Jeder ist absolut für seine Taten selbstverantwortlich: Die Quintessenz der Geschehnisse, die Grundannahme, jetzt nicht mehr ängstlich zu sein; denn die NATO wird es richten:

Ein allgemeines Selbstbildnis der Deutschen, die immer Befehlsempfänger waren, und den Untertanengeist favorisierten, das ist der Verhaltenskodex, der immer politisch korrekt sein sollte, anständig, und nicht zu vergessen, demokratisch. Darum ist es relativ leicht, Kriege als 'zum Leben gehörend' zu verstehen, ihn nicht zu ächten. Die Mottenkisten des Nachkriegsjournalismus haben sich gehaltenund erst dann, wenn viele Kriegsmonate ins Land gegangen sind, können die Zeitungen, die Historiker, die Journalisten, die TV-Macher der öffentlich-rechtlichen und der Privatsender, die Veranstalter von Diskussionsrunden, die Verlage, und, natürlich der Hauptakteur, der Krieg dem gebeutelten Menschen wieder eins überbraten: Man muß dabeigewesen sein, man muß sich geäußert haben, man wollte auch daran verdienen: Der 'Tanz um das Goldene Kalb' beginnt von vorn.

Die Lust am Krieg ist nicht nur in Deutschland vorhanden, überall auf der Welt soll es immer ein bißchen mehr 'Schmerz' sein. Sollte man etwa sagen, daß der Zeitgeist förmlich nach dieser Form, dem Leben ein Ende zu bereiten, schreit und schreibt? Der publizistische Reflex, den das Wort 'Krieg' auslöst, ist ein Grund; der ewige Zwang, sich rechtfertigen zu müssen, aber gleichzeitig im Leiden bereits auch schon so etwas wie eine perverse Lust, eine Gier nach mehr zu empfinden ist sicher ein weiterer Grund. Exklusivrechte des Leidens für sich gepachtet zu haben so artikuliert sich Volkes Stimme in so manchen Kommentaren, und über Umwegen: 'Zeugnis aus dem Kosovo Eingeschlossene schildern das Grauen', so betitelt DIE ZEIT vom 27. Mai ihre eigenwillige Sichtweise. Da ist von 'Bestandsaufnahme' die Rede, Gesprächen über Satellitentelefone, Feldlazaretten, Zivilisten, UCK-Kämpfern usw. Das sieht natürlich gut aus in der internationalen Öffentlichkeit. Auch wenn das Ganze eine Lüge ist, ein Leben mit und durch den Fetisch Krieg.

Ein seliges Geben und Nehmen, ein wechselseitiger Nutzeffekt darum geht es doch eigentlich: Das Zelebrieren der Wiederauferstehung aus der Asche der Krematorien. Die Medien sind zu Platzhaltern des Krieges geworden, ob wir das wollen oder nicht. Irgendwann beginnen wir (bereitwillig) mitzuspielen. Sind wir nicht die Klagemauer, der Beichtstuhl? Wo beginnt der Mißbrauch der Berichterstattung über den Krieg, wo endet das Bedürfnis, sich mit ihm auseinanderzusetzen -mit dem Schmerz, mit dem Drang, etwas davon in der Öffentlichkeit zu vermitteln? Alle kreisen wir in der einen oder anderen Weise um unsere seelische Mitte: Krieg!

Nicht nur die Macher der Medien, sondern auch all die anderen, die vernetzt sind, suchen dieses Spiel und verstricken sich gegenseitig in Abhängigkeiten, lesen die Zeilen, die geschrieben werden, die eigenen; die vielen Bücher zum Krieg, sortieren Material, das für Artikel und Aufsätze benötigt wird, versuchen den Schrecken zu bannen, indem sie ihn beschreiben, in Worte fassen. Bis alles zerfließt! Alle verdienen klammheimlich, verbittert oder genuin marktmäßig erschlossen an der ganz außerordentlich willkommenen Möglichkeit, sich darzustellen. Kann das normal sein? Ich bin mir sicher: Die vielen 'Kriegstagebücher', die erscheinen, werden geschrieben, um den größtmöglichen Gewinn herauszuschlagen.

Immer nur Krieg. Jeden Tag beim Schreiben, beim Lesen; toller Autor, spannend: 'Vor den Serben geflohen', 'Die Lehren des Friedens', 'Bevor der erste Schnee fiel' -geschrieben wird über Verdrängung und Vermarktung, Abgründe tun sich auf. Je länger man schreibt, desto schwächer wird die Wut. Statt dessen ein Kopfschütteln, ein Staunen. Der Versuch, sich davon zu distanzieren. Immer weiter weg scheint er innerlich zu wandern. Aber wohin? Salbungsvoll geschrieben, mit der Moralkeule, etwas was niemand versteht, nicht verstehen, nur provozieren will, aus welchen Gründen auch immer das was wir anderen vorwerfen, sind wir selbst. Wie ein kultureller Ebola-Virus, so sind die Medien in uns eingedrungen. Krieg ist ein Spektakel geworden, er hat sich in einen Ableger des Showbusiness umgewandelt. Es geht vor allem darum, ein Publikum zu erreichen und dessen Bedürfnisse zu befriedigen.

Die Show endet mit einer Titelstory; Bilder aus Belgrad, zerstückelte Menschen, zerbombte Donaubrücken. Und nebenan: Gewalttätige Teenager mit einer Videokamera, wie sie ein Opfer mißhandeln, während das Publikum applaudiert. Fetisch Krieg, Geld verdienen mit dem Krieg eine Konstruktion der Erinnerung. Er wird als ideologisches Mittel mißbraucht, seine Opfer werden beschmutzt, indem man sie für die eigenen politischen Zwecke medial gestaltet. Alleinige Rechte für Fotos, Videos, Gesprächen mit Vertretern der UCK usw. All das läuft auf einen Ablaßhandel hinaus, auf Wiedergutmachungszahlungen. Das kennzeichnet die Bilder. 'Respektable' Partner hier muß der Krieg integrative Funktion übernehmen. Als Opfer säßen wir im Zweifelsfall alle in einem Boot. Der Krieg ist für alle da, das macht keinen Unterschied zwischen den Prinzipien des Shobusiness, der Werbung, der öffentlichen Meinung in Gestalt der Printmedien, des ganzen Wirtschaftslebens. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes 'Fuß gefaßt' und hat mit seiner eigenen Logik das Image der unterschiedlichsten Rollenträger unserer Gesellschaft geradezu diktiert. Das entscheidende Medium in diesem Entertainment ist natürlich das Fernsehen, das als erstes Nachrichten zur Unterhaltung machte und damit das Entertainment zum einzigen Maßstab erhob, einem Gebot, dem sich allmählich auch die Printmedien beugen mußten, die eifrig daran mitwirken, Nachrichten in 'personality stories' in 'Geschichten', in 'Kriegsgeschichten' zu verwandeln, die den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion routinemäßig beiseite schieben. Jeder Krieg muß glaubhaft beschrieben werden. Das ist die umfassende Botschaft. Deswegen sind auch PR-Produktmanager überall auf der Welt tätig und bereiten eine Werbekampagne nach der anderen vor, wie bei 'SchindlersListe', dem SPIELBERG-Film über den Holocaust. Welche Wirkungen sie haben können, zeigt die Vermarktung des Films. Er soll letztlich ausschlaggebend dafür gewesen sein, daß Präsident CLINTON amerikanische Truppen nach Bosnien-Herzegowina sandte.

Da wirken diese Unternehmen aus der Erinnerung heraus zwangsuniformiert; der Krieg wird damit zu einem digital übersichtlichen, leicht handlebaren Informationskonvolut, das sich im Zeitalter des binären Systems auf simple Strukturen reduzieren läßt.

Fetisch Krieg eine andere Fom von Geschichtenerzählung. Für die Multimedia-Generation, die sich wohl mehr an den technischen Möglichkeiten dieses modernsten Archivs berauschen kann, ist diese Inszenierung onlinemäßig und digitalisiert für immer und ewig gespeichert: Wer läßt sich vom wirklichen Schrecken beeindrucken, wird die Vermarktung des Kriegs zum Zauberlehrling? Da die Überlebenden ihre persönlichen Schicksale erzählen werden, treten die Toten, die nicht mehr für sich sprechen können, zwangsläufig in den Hintergrund.

So ist auch Krieg zum Film geworden: Hier zählen nur noch die selbsternannten Fremdenführer, die Originalschauplätze, Kriegstouristen, Besucherzuwachs, Dokumentarfilme. Das wird zwischen dem heutigen Betrachter und dem historischen Ereignis eine Distanz schaffen, die den Dokumenten schon eine Ästhetik des Ungeheuerlichen verleihen wird. Tote haben in der Strategie des Marktes mehrere Vorteile: Sie lassen sich besser ausbeuten; man kann sie mit falschen Tönen betrauern, sie beweinen, ohne daß sie sich dagegen wehren können; sie lassen sich für allerlei Zwecke einspannen, die nicht immer im Interesse dieser Toten sind. Sie sind mit einem Wort, pflegeleichter als die Überlebenden. Lebende Menschen können immer Einspruch erheben -wie unangenehm, wie lästig! An dieser letztlich entdramatisierten Form wird die Vergangenheitsbewältigung partizipieren. Es werden eine ganze Reihe von Buchtiteln den Markt überschwemmen. Und man wird sich fragen müssen: Wer wird diese Werke eigentlich lesen? Wahrscheinlich niemand! Vielleicht ein paar Hundert, die noch über genügend Geld verfügen, um sie sich zu kaufen, oder die, die sie benötigen, um ihre Analysen zusammenzuschreiben. So war es immer. Warum sollte es in diesen Tagen anders sein? So verhielt es sich beim Golf-Krieg, beim Bosnien-Krieg, mit all den Kriegen, die in literarischer Form 'Wiedergutmachung' anzeigen sollten.

Und in Anbetracht des literarischen Rangs der Autoren dürfte es den meisten Verlagen relativ egal sein, welcher ideologischen Seite oder politischen Sekte sie angehören; denn sie haben ein ökonomisch-fundiertes Interesse: Die Doppelmoral, historische Bedeutung, literarische Qualität; kommerzielle Beweggründe das wird vorherrschend sein. Die Wirkung der Werke -ein ständiges Schwanken zwischen pro und contra, zwischen Hoffnung und Enttäuschung. Auf den Schreibtischen werden sich Unterlagen und Notizen stapeln; die 'Schreibreise' beginnt; es wird wieder Sommer werden und Herbst; der Medienrummel um den Krieg wird verblassen, irgendeine Erinnerung wird sich verfestigen müssen.

Tagtäglich werden immer neue Details bekannt. Während über den Fetisch geschrieben wird, über die Vermarktung, deckt die Presse weiter auf, wird aus Geld noch mehr Geld gemacht die Affäre in Sachen Fetisch wird in einem regelmäßigen Turnus in den Medien stattfinden. Krieg ist in der Moderne tatsächlich zum Fetisch geworden, weil es leichter ist, um das 'Goldene Kalb' zu tanzen, als einem unsichtbaren Gott zu gehorchen. In diesem Kontext heißt das, daß es leichter ist, Millionenbeträge für die Errichtung von Flüchtingslagern auszugeben, als sich den Alpträumen der Überlebenden zu stellen.

Krieg erscheint nach all den vorhergangenen Ausführungen zunehmend als ein pures Mittel, Geld zu verdienen -dieses übelste aller Götzenidole wird bestmöglich verkauft und vermarktet. Selbst dieser Text ist paradoxerweise Teil dessen, was er geißelt und anprangert. Diese Doppelbödigkeit ist vielleicht auch die Tragik der Nachkriegsgeneration. Leider weiß ich nicht, wie man dem Ungeheuerlichen begegnet, den Schlächtern und Henkern, den ethnischen Säuberungen und dem Flüchtlingselend; wir haben keine Wege, keine Mittel und keine Methoden. Aber was einem bleibt, ist, es immer und immer wieder zu versuchen gegen die 'Kopfgeburt' anzuschreiben: Mit Vorsicht und Bedacht, mit Trauer, mit Respekt, mit Ehrlichkeit und mit dem Eingeständnis, voller Angst für die Zukunft ein bodenloses Terrain betreten zu müssen. Es wird also immer so weitergehen. Die da draußen werden wir nicht hören, weil sie uns nicht hören.

Jeder Krieg wird weiter im Kino, im Film, im Fernsehen, übers Internet und wo auch immer auftauchen, wir werden ihn mit unseren üblichen Sehgewohnheiten akzeptieren, werden dokumentarisches Material verarbeiten, vielleicht einen höchst dramatischen Beitrag zur Geschichtsschreibung und Aufklärung verfassen, man wird sich austauschen, auf die Erfahrungen des Kosovo-Krieges verweisen chaotische Zeiten, existentielle Bedrohungen. Sollte irgendwann aus den Tiefen unserer Seelen sich ein Verzweiflungsschrei Raum verschaffen, der die eigene Schamlosigkeit erzittern läßt, dann kann die Kriegsstory des Geldes neu geschrieben werden Solange jedoch die Sensationslüsternheit dem Cutter Anweisungen erteilt, ganz im Sinne der Medien, wird die Verfolgung sowohl der Opfer aber auch der Überlebenden durch die wachsende Gewinnspanne weiter gehen. 'Was, wenn die Welt eine Art -Show wäre! Was, wenn wir alle nur Talente wären...

Die große Show des Lebens! Jeder ein Schauspieler!
Was, wenn Unterhaltung der Sinn des Lebens wäre!

(PHILIP ROTH)    

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