butback.gif (224 Byte)

KOSOVO Antikriegsseite


FETISCH KOSOVO-KRIEG
VERDRÄNGT UND VERMARKTET
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 30.Mai 1999

Teil A: KRIEG BLEIBT POPULÄR

Wenn es ihn nicht geben würde, müßte man ihn glatt erfinden. Der Kosovo-Krieg: Die derzeitige Gegenwart ist undenkbar ohne ihn. Die Medien, die Öffentlichkeit, die PR, Autoren, Verlage, Männer, Mächte und Monopole profitieren von ihm. Der Krieg füllt die Seiten der Zeitungen, des Feuilletons, der Dossiers, Leitartikel und Leserbriefe, Online-AntiKriegsseiten -alles inklusive. Sendeminuten im Hörfunk, Fernsehen, Kino, Diskussionen, Live-Übertragungen aus den Flüchtlingsregionen, Gesprächsrunden, Foren: Er besänftigt, er erfüllt bedürftige Seelen, befriedigt Seelenheil, pathetisch, mit gehobener Stimme und immerwährender Allgegenwärtigkeit. Er füllt nicht zuletzt die Kassen von Produzenten, Regisseuren, Schauspielern, Journalisten, Politikern, Militärs, Autoren und vielen anderen.

Man könnte sich sogar vorstellen, daß eines Tages SYLVESTER STALLONE oder ARNOLD SCHWARZENEGGER eine Story mit Namen 'Ein Gespenst am Balkan Friday Killers' drehen könnten. Der Krieg scheint zur Notwendigkeit geworden zu sein, und die Kultur der Gegenwart hat ihn dahingehend auch begriffen: Er ist zum wichtigsten Gegenstand der derzeitigen Politik geworden, einer Politik, die auf sog. Wertmaßstäbe setzt, und jede/r sollte sich fragen, woraus sie sich gerade im Krieg zusammensetzt, und welche Folgen und nachträgliche Wirkungen das Tun auf dem Balkan hat? Wie langweilig wäre es doch, wenn es den Krieg nicht geben würde!

Wie schwer würde sich doch der gesamte Überbau tun, wenn man nicht gegen den Krieg anschreiben, wenn man sich nicht an ihm reiben, anstacheln, sich messen und scheitern könnte! Der Krieg als Dauerduell der Fraktionen: Was wäre die Politik ohne das Kosovo? Ethische Grundsatzdebatten, Individuen, Kirche und Staat gleichermaßen: Der Adrenalinhaushalt steigt und bringt das Blut so richtig in Wallungen. Wenn er geschieht, dann verdeckt, versteckt, das wahre Ausmaß der Zerstörungen verschleiernd, verharmlosend. Da er uns nicht betrifft und die Krähenwinkel-Solidarität allenfalls den zerschundenen Schienenbeinen eines Fußballers gilt, ist der Reflex blitzartig: Für die 'Freiheit' kommen wir aus Furcht und Not heraus -unfaßliche selbstmörderische Unlogik der ganzen Warenkultur.

Krieg ist seit jeher eine heikle Angelegenheit gewesen und am Ende stand nach einem Frieden Schuld, Verdrängung, Scham, Lüge, Entsetzen, das Feilschen um Gebiete, Versklavung ein tautologischer Selbstzweck. Und er ist nicht immer nur 'Arroganz der Macht' gewesen, sondern ein Geschwür, das plötzlich aufbrach: Im Hintergrund die Amnesie; kollektive Trauerreaktion, doch nur dort, wo der emotionale Part den Weg der Vermarktung, des Geschäftemachens, des Geldverdienens, des Prestigegewinns beschritt.

Mit dem Kosovo-Krieg findet eine merkwürdige und interessante Verschiebung im Kopf statt: Es ist das Vorgeben des Nichtwissens, der Entschuldigung, die eigene Verantwortung durch Lügen, Entrüstung, oder historische Bezüge, die man nicht kennt, zu verdrängen, zu verleugnen, daß er zur neuen Kulthandlung geworden ist.

Krieg ist in dieser neuzeitlichen Form populär geworden. Man verehrt ihn als Fetisch, als anbetungswürdigen Gegenstand, durch den erst die Identität des einzelnen und die des Kollektivs bestätigt und geformt zu werden scheint.

Und gleichzeitig wird er gerade durch die Fetischisierung auf Abstand gehalten, wird er beiseite geschoben, werden vor allem die Emotionen, die eigene Fassungslosigkeit, das Schuldund Schamgefühl in die unterste Schublade der Seele gepackt. Indem man über 'ästhetische Probleme' der Kriegsdarstellung spricht, erteilt man sich selber Absolution.

Und Sieger, das ist die Kehrseite der Medaille, dürfen keine Emotionen zeigen; sie dürfen sich nicht ärgern, sie dürfen sich nicht aufregen, dürfen keine Schwächen zeigen; nur die Stärken sind gefragt. Sie dürfen nicht schimpfen, toben, höchstens 'empfindsame' Gefühle zeigen; sie dürfen traurig lächeln, melancholisch-versonnen blicken, sie dürfen mitleiden, und wenn sie könnten, auch Schmerz empfinden.

Es ist mehr als bezeichnend und auffallend, daß in der öffentlichen Diskussion über den Kosovo-Krieg Masken getragen werden, die durchaus zu Wutausbrüchen Anlaß geben können, in Aggressivität umschlagen, jedoch das eigene Eismeer in unseren Seelen aufzuhacken, dafür fehlt der Mut, Mut, sich mit unserer näheren gesellschaftlichen Umgebung zu befassen, die salbungsvollen Sprachgirlanden der NATO-Sprecher in Brüssel als konterkariert zu verurteilen, die deutschen Verbeugungen vor den Auftritten der Matadore für höchst problematisch zu haltendie alle den Krieg als Folie betrachten, und vor seinem Hintergrund wird primär die nächste Werbekampagne vorbereitet. Wofür, das ist egal, oder doch nicht; denn die Befähigung zum politischen Weitblick -das Leitmotiv aller Dispute -, haben augenscheinlich die gepachtet, die von Woche zu Woche dem deutsche Publikum die Medienlandschaft als 'stilvoll' verkaufen, die sie bereits jahrzehntelang wie ein Monopol für sich gepachtet haben.  

Ein ZEIT-Dossier mit GRASS, eine Beilage mit WALSER, HANDKE darf zu Wort kommen, ExKanzler SCHMIDT, ein Interview mit FISCHER, SCHARPING äußert sich im SPIEGEL, KOSCHNICK im FOCUS; Begleitartikel, die uns buchstäblich um die Ohren gehauen werden. Die FAZ, die FRANKFURTER RUNDSCHAU und die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG reagieren prompt. Neben DGB-Schulte darf sich JOSEF JOFFE äußern; zwei Artikel zum selben Thema auf einer Seite -Pround Kontra -, das ist geradezu ein ideales Signal für die Leser, daß es sich um Abhandlungen mit äußerst brisanten, gar spannenden und aktuellen Thematiken handeln muß. NORBERT FREI vom Institut für Zeitgeschichte ist ebenso vertreten wie RICHARD HERZINGER. MATTHIAS RÜB läßt den Balkan-Express rollen, und der eine und andere 'glanzvolle' Historiker erhebt mahnend die Stimme. Ein Verfahren, dessen sich jeder gerne bedient, um den Meinungsstreit in einer wichtigen Sache innerund außerhalb der Redaktionen transparent zu machen, um sich auch schon für eine Nachkriegszeit optimal zu positionieren.

Als Logo für die 'Arbeiten im Original' dient ein Foto einer brennenden Häuserwand; und unter vielen anderen Kuriositäten erschien schnell aus der Feder von THOMAS SCHMID (Herausgeber) 'Krieg im Kosovo'. Das macht man so: Äußerst geschicktes ProductPlacement. Indem man also bereits vor Erscheinen eines Buches eine Diskussion anzettelt, indem man sich auf Ondits und Halbgewißheiten verläßt, erreicht man zweierlei; zum einen einen Bekanntheitsgrad des Vermarktungsproduktes, der dazu führt, daß es bei seinem Erscheinen wie ein bereits liebgewordenes Möbelstück in die Wohnung gestellt werden muß, weil es praktisch bereits zum eigenen Leben dazugehört, zum anderen daß die Diskussion auf alle Fälle nur den Grad der Seriosität erreicht, den alle noch mitverfolgen können.

Insgeheim ist jedes Outing willkommene PR für ein neues Buch, für eine Fernsehserie, für politische Gruppen, für Spendenkonten. Gleichzeitig wird die Notwendigkeit suggeriert, sich mit Literatur einzudecken, eine Zeitung zu abonnieren oder sich wie im Kino, dem Versuch hinzugeben, Bilder zu transportieren: Eine merkwürdige Form des Masochismus! Es ist fast so, als ob man nicht mehr ruhig leben könnte, wenn man nicht erfährt, wie der Streifen nun ausgeht. Klangvolle Namen geistern durch den Blätterwald. Und andere profitieren davon. Ihre Artikel erhöhen gleichzeitig ihren eigenen Marktwert. Die seit über 2 Monaten dauernde Diskussion über den Krieg scheint sich 'durchhecheln' zu wollen. Erst erwies sich das Informationsbedürfnis wichtiger als die Fußballergebnisse von Dienstags -oder Mittwochsspielen; nach 4 Wochen Krieg konnte man in der BILD-Zeitung bereits wiede eine barbusige Dame erblicken, und nach 6 Wochen Krieg gab es in der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN ZEITUNG keine Titelschlagzeile mehr.

Ein Lehrbeispiel dafür, wie öffentliche Interessensofern sie welche sind manipuliert werden, und wie ein scheinbares allgemeines Interesse am Krieg bereits überschritten sein kann. 'Den König spielen immer die anderen', soll der umstrittene GUSTAF GRÜNDGENS einmal gesagt haben.

Interpretiert kann das heißen, daß es eine 'königliche Haltung' im Krieg nicht gibt, und indem man sich in einer bestimmten Art und Weise dem Krieg gegenüber verhält, wird erst deutlich, wer König ist und wer nicht. Erst die Debatte um den Krieg macht die einen zu überaus wichtigen und besonderen Figuren, die anderen zu weniger wichtigen.

Der Medienzirkus entwickelt sich als Selbstläufer, vieles, wenn nicht sogar das meiste, ist gesteuert. Einen allgemeinen Konsens in dieser überaus wichtigen Frage (nicht nur für die Zukunft des Balkans, auch für die Zukunft der Welt) gibt es nicht; auf der einen Seite wird äußerst emotional, auf vielen anderen sachlich argumentiert. Beide Seiten scheinen nicht begriffen zu haben, daß selbst die Emotionalisierung eines Themas nicht immer die Begreifbarkeit auch der monströsesten Inhalte ermöglicht; denn es fehlt der tatsächliche Blick, um die Sachverhalte, um die es sich dreht, in ihren Abläufen betrachten zu können Krieg wird ja nicht dem Zuschauer begreifbar gemacht, sondern man beginnt zu moralisieren und gleichzeitig fiktional zu ästhetisieren. Wissenschaft und Moral, Tatsachenbeschreibung und Fiction-Dramaturgie sind miteinander verbunden und das ist der eigentliche PR-Trick! Zufall? Leider war es so, daß bevor der eigentliche Ausbruch des Konflikts begann, er längst die Bühne betreten hatte, durch die Hintertür, damit das bewährte Mittel der Spannung, das man von Horror-Movies kennt, stetig gesteigert werden konnte. So wurde die beste Werbung erreicht -der Blick des Betrachtenden konnte frei werden für den ersten Eindruck über den Krieg und er konnte die Gleichmacherei geißeln und ein Unrecht anprangern.Welches da gemeint war, das war zunächst unwichtig; mit Erfolg, wie sich zeigen sollte. Allein schon die Aufmacher der Presse glichen einer Kampfansage: 'Rambouillet gescheitert', 'NATO zu Luftangriffen in wenigen Stunden bereit', 'Kosovo-Vermittlung Holbrookes in Belgrad erneut gescheitert', 'Ausländer verlassen Jugoslawien', 'NATO-Luftangriffe erwartet', 'Kosovo-Krieg' entbrennt', usw.

Das dunkle Zentrum des deutschen Bewußtseins -es offenbarte sich Ende Februar/Anfang März: Als Antwort auf all die Artikel, Kritiken und Analysen, die erschienenund all das glich den berühmten Kampfansagen. Jede/r war aufgefordert, Vor-Bilder, Vor-Urteile, Überraschungseffekte, neue Eindrücke, falsche Bilder und provozierende Richtigkeiten Revue passieren zu lassen. 'Im deutschen Namen' -wie perfekt war doch die öffentliche Auseinandersetzung über den Krieg; reiner Automatismus der Medien. War es nicht kurios, daß sie eine emotionsgeladene Hinwendung zum Krieg erst gar nicht zuließen, und ist das nicht genau der Weg, der einst beschritten wurde, als 'Der Stürmer' radikalistisch die letzten Beispiele einer innerparteilichen Demokratie hinwegfegte und HITLER bedingungslose Loyalität zusicherte? Krieg ist immer auch die Wahrheit des common sense, auf jeden Fall die Wahrheit des Emotionalen, die auch dem aufgeklärtesten und distanziertesten Homo sapiens mehr zu Herzen gehen sollte als jede Versachlichung, exakte, hundertfach überprüfte, aber emotionslose wissenschaftliche Aussage.

Und: War es nicht offensichtlich, daß wieder einmal eine stillschweigende Aussöhnung mit Mördern, Verbrechern, Menschenschlächtern und Vergewaltigern gesucht wurde; hatte nicht jede internationale Gerichtsbarkeit mit TUDJMAN, KARADZIC, MLADIC, MILUTINOVIC, OJDANIC, STOJILJKOVIC, SAINOVIC, MILOSEVIC, den vielen bekannten Henkern aus dem Bosnien-Krieg im freien Fall ihre Anklagen fallen lassen? Der Blick in die Vergangenheit: Ein verurteilter Kriegsverbrecher, ein Mitläufer, welch eine Schande, wenn die eigentlichen Akteure unbestraft herumlaufen!! Krieg muß immer nach vorne gehen, alles andere wäre zu grob gemeißelt, zu simplifizierend.

Die Medien, der 'Kultivierte Agitator': Wenn sie sich wirklich einmal bewußt machen würden, was sie uns und der Menschheit angetan haben, dann müßten sie sich in Irrsinnige verwandeln. Irrsinnig ist es, daß die eigennützigen Interessen der Vermarktungsstrategien des Krieges sich allmählich im Laufe von Wochen und Monaten herauskristallisierten, bis sie endlich ihren Platz in diesem grauenvollen Schauspiel fanden. Der Krieg mußte einfach zelebriert werden; man mußte diesem Fetisch auf dem Altar der eigenen Eitelkeit seinen Anteil opfern, um bloß nicht aus der Bahn geworfen zu werden.

Am 18. März schrieb die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG: 'Die Serben verhandeln nicht ernsthaft...alle NATO Flugzeuge befinden sich in hoher Alarmbereitschaft'. Daneben gab es einen Bericht über die Prohibition 1920 in den USA und halbseitig darunter war es eine Werbung für den neuen 'Alfa Spider', unterlegt mit 'Endlich, Unendlich, Frei', die schnell nationale Gemüter ins 'Museum für deutsche Geschichte' beförderte: Eine arrogante und dumme Mischung aus Informationsbedürfnis, Informationsnotwendigkeit, eine ekelerregende Form von Lustgewinn: Sich am Thema zu reiben nur wegen einer Geltungssucht der 'Spezialisten' ein schal schmeckendes Gebräu ist dieser Whiskey von 1920; aber Appetit ruft der 'Alfa' hervor, der auf Leichenbergen vorfahren kann, vor sich hinfahrend zum eigenen und ewigen Ruhme seiner Macher.

nach oben