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Faustrecht verletzt das Friedensgebot

Anhörung der PDS-Bundestagsfraktion zum Krieg gegen Jugoslawien und zur neuen NATO-Strategie

Von Claus Dümde

Mit dem Aggressionskrieg gegen Jugoslawien praktiziert die NATO bereits ihre neue Strategie. Durch die Beteiligung der Bundesrepublik wird das Friedensgebot des Grundgesetzes verletzt. Das war das Fazit einer Anhörung der PDS-Bundestagsfraktion am Montag in Berlin.

"Der Grundkonsens der Nachkriegszeit besteht nicht mehr: Von Deutschland geht wieder Krieg aus." Unumwunden leitete Vize-Fraktionschef Wolfgang Gehrcke die Anhörung von Verfassungs-, Völker- und Strafrechts- sowie Militärexperten ein. Im Bundestag trage heute der Verweis auf das Völkerrecht Zwischenrufe ein, doch "nicht formal zu diskutieren"; der Bundeskanzler konstruiere ein "Nothilferecht", das zweifelhaft sei.

"Nothilfe" sei auf den einzelnen Bürger zugeschnitten, weder auf Staaten noch Bündnisse, betonte Prof. Dr. Martin Kutscha. Er verwies darauf, daß bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes vor 50 Jahren ursprünglich nicht nur ein Verdikt des Angriffskrieges, sondern des Krieges überhaupt geplant war. Artikel 24 sei an der UNO-Definition der Aggression von 1974 zu messen. Danach, so Prof. Dr. Bernhard Graefrath, ist die Anwendung von Gewalt in den internationalen Beziehungen nur als Notwehr gegen einen bewaffneten Angriff oder mit dem Mandat des UN-Sicherheitsrates erlaubt. Der vielbenutzte Begriff der "humanitären Intervention" sei nur politische Zweckpropaganda, kein Instrument des Völkerrechts. Dort gebe es solche Ausnahmen vom Gewaltverbot nicht, wegen der Gefahr des Mißbrauchs; denn sie würden ja nur vom Stärkeren gegen den Schwächeren gebraucht. Allein der UNO-Sicherheitsrat könnte das unter Berufung auf Artikel 39 der UN-Charta beschließen, wenn er in Menschenrechtsverletzungen eine Gefahr für den Weltfrieden sieht. Deshalb habe z.B. der Internationale Gerichtshof die USA wegen ihrer Intervention gegen Nikaragua verurteilt.

Viel zu wenig, so Kutscha, werde im Hinblick auf das Friedensgebot des Grundgesetzes ein zweiter Normenkranz beachtet: In Artikel 87a ist die Bundeswehr als "reine Verteidigungsarmee" konzipiert. Zwar ist nach Artikel 24 ihr Einsatz auch im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme zulässig, doch nur nach deren Regeln. Dies treffe aber auf den Krieg der NATO gegen Jugoslawien nicht zu, denn sie sei in ihrem Vertrag auf Verteidigung festgelegt. Ausdrücklich, so Graefrath, werde darin das Präjudiz der UNO anerkannt.

Die auf der Jubiläumstagung des Paktes beschlossene neue Strategie stelle jedoch einen Bruch des NATO-Vertrags dar, betonte Gehrcke. Denn damit, so Graefrath, solle offenbar das Völkerrechtssystem der UNO durch Ex-USA-Präsident Bushs "Neue Weltordnung", eine globale Interventionsstrategie ersetzt werden: "Die NATO hat sich nicht nur nach Osten erweitert, sondern droht mit der Anwendung von Gewalt, wenn dies den Interessen der NATO entspricht." Deshalb könne diese Änderung der Ziel- setzung der NATO nicht ohne Zustimmung des Bundestages wirksam werden.

Genau dies ist aber offenkundig beabsichtigt. Die PDS-Fraktion plant deshalb Schritte, um das zu verhindern. Denn der mit dem Krieg gegen Jugoslawien praktizierte Verstoß gegen das Friedensgebot des Grundgesetzes könnte sonst permanent werden. Prof. Kutscha sieht folgende Gefahr: Artikel 26 wird zwar nicht geändert, aber durch "verfassungswidriges Verfassungsrecht" ersetzt, indem man Artikel 24 so weit interpretiert, daß Artikel 26 außer Kraft gesetzt wird. "Wenn wir dieses Recht Schleifen", so warnte der Verfassungsrechtler, "entsteht ja nicht neues Völkerrecht, sondern wird ersetzt durch Faust- oder Sheriff-Recht."

Für Prof. Dr. Hermann Klenner ist die NATO-Aggression gegen Jugoslawien "eigentlich ein Krieg gegen die Völkerrechtsordnung der Gegenwart, die Ergebnis des schrecklichsten Krieges der Neuzeit ist". Die vermeintliche Alternative entweder NATO-Krieg oder Politik von Milosevic sei falsch. Denn der Schutz von Minderheiten habe, wenn auch zögernd, im Völkerrecht Einzug gehalten. Darin seien eine Reihe von Ansprüchen fixiert: das Recht, sich zu einer ethnischen Minderheit zu bekennen, die ethnische Identität zu definieren und zu behaupten; das Recht auf die eigene Sprache; bestimmte politische Rechte wie Vereinigungsfreiheit für politische Organisationen der Minderheit und Schutz vor Diskriminierung; ja sogar das Recht auf eine gewisse Privilegierung. Doch in keinem Dokument werde ein Sezessionsrecht definiert. Selbstbestimmungsrecht der Völker heiße nicht Selbstbestimmung einer Ethnie, sondern der Mehrheit des Volkes - gemäß dem Demokratiegebot.

Daß der Schutz von Minderheitenrechten keine ausschließlich innerstaatliche Angelegenheit ist, unterstrich Dr. Hans Voß. So gebe es im Rahmen der OSZE Langzeitmissionen in 15 Staaten. Eine war bis 1992 auch in Kosovo, ist erst abgezogen, nachdem Jugoslawien aus der OSZE "rausgeboxt" wurde. Auch die 1998 erneut ins Spiel gekommenen OSZE-Beobachter hätten in der Provinz eine "gute Wirkung" gehabt. Doch sie wurden durch den angekündigten NATO-Luftkrieg vertrieben.

"Was die NATO macht, ist schlichtes Unrecht", so Klenner. Und Admiral a.D. Elmar Schmähling konstatierte überdies "massenhafte Verletzung des Kriegsvölkerrechts" durch Bomben- und Raketenangriffe auf nur angeblich "legitime militärische Ziele".

Angesichts dessen, daß die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien sowohl gegen das Völkerrecht als auch gegen das Grundgesetz verstößt und in § 80 Strafgesetzbuch mit Haft von zehn Jahren bis lebenslänglich bedroht ist, wollen Juristen dagegen auch weiterhin mit Strafanzeigen und Klagen vorgehen - trotz der Weigerung der Bundesanwaltschaft, gegen den Bundeskanzler sowie Außen- und Verteidigungsminister zu ermitteln. Denn mit ihrer Begründung dafür kehre sie "zur Rechtfertigung der Kreuzzüge züruck", befand Rechtanwältin Gül Pinar aus Hamburg.

Neues Deutschland, 19.05.1999, Seite 5

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