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KOSOVO Antikriegsseite


Quelle: Newsgroup bln.politik

Gert Julius
stellv. AfA Landesvorsitzender
Friedrich-Wilhelm-Str. 50
12301 Berlin
Tel/Fax: 030/753 87 82
Funk: 0170/215 70 36

Berlin, den 13.Mai 1999

Offener Brief

Landesvorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) Müllerstraße 163 12353 Berlin

Rücktritt vom Amt und Austritt

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

nach 31- jähriger Mitgliedschaft in der SPD trete ich mit sofortiger Wirkung von den Wahlämtern des stellvertretenden Landesvorsitzenden, des Kreisvorsitzenden für Berlin-Tempelhof, des Delegierten der LAK der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA) in der SPD zurück und erkläre gleichzeitig ebenfalls mit sofortiger Wirkung meinen Austritt aus der Partei. Die bis zum 30.06.99 gezahlten Beiträge bitte ich, als Spende für sozialdemokratische Politik zu verwenden.

Diese Entscheidung ist für mich unausweichlich, weil ich nach dem Rücktritt des Genossen Lafontaine als Parteivorsitzenden und der Wahl Gerhard Schröders in dieses Amt, keine Chance mehr sehe, in dieser Partei für sozialdemokratische Politik einzutreten und diese durch- zusetzen.

Ein weiterer und der wesentlichste Grund meines Austritts ist der unter Führung der sozialdemokratischen Regierungsmitglieder im Rahmen der NATO begonnene Angriffskrieg gegen das Volk der Bundesrepublik Jugoslawien und der diese Politik unterstützende Beschluss des letzten Bundesparteitages der SPD.

Die SPD-Führung, der Bundesparteitag und die Mehrheit der SPD- Fraktion ttragen damit zum Bruch des Völkerrechts und des Rechts der Bundesrepublik Deutschland bei. Diese Entscheidung kann und will ich weder mittragen noch mitverantworten.

Völkerrechtswidrig ist dieser Krieg weil Art. 39 der UN-Charta einen Waffengang nur dann zuläst, wenn ein Staat angegriffen wird. Ein Angriff der Bundesrepublik Jugoslawien auf die Bundesrepublik Deutschland oder ein anderes Mitgliedsland der NATO liegt nicht vor.

Völkerrechtswidrig ist dieser Krieg auch deshalb weil entsprechen Art. 53 der UN-Charta keine Ermächtigung des Sicherheitsrats der UN vorliegt.

Völkerrechtswidrig ist dieser Krieg auch weil im 2 plus 4 Vertrag eine derartige Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen wird.

Völkerrechtswidrig war der Beginn des Angriffskrieges der NATO am 24.03.99 dadurch, daß selbst Art. 5 des NATO-Vertrages zu diesem Zeitpunkt, Kriege ausschließlich zur Verteidigung zuließ.

Grundgesetzwidrig ist dieser Krieg weil Art. 26, Abs 1. und Art. 87a GG, Angriffskriege verbieten und gem. | 80 StGB unter Strafe stellen.

Dieser von einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung befohlene Krieg ist m. E. ein Bruch mit grundsätzlichen sozialdemokratischen Posi- tionen und dem Berliner Grundsatzprogramm der SPD aus dem Jahre 1989 in dem wörtlich festgelegt wurde: "Der Krieg darf kein Mittel der Politik sein".

Ich, als demokratisch gewählter DGB Ortskartellvorsitzender, fühle mich in diesem Sinne verbunden mit den 10tausenden Gewerkschaftskolleginnen und Kollegen, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die auf den Oster- märchen, am 1. Mai und auf unzähligen Friedensdemonstrationen eindrucks- voll mit Transparenten und verbal für den "Stopp der Bombardierung und gegen den Krieg in Jugoslawien" demonstriert und diese friedenserhaltenen Forderungen mit ihrer Unterschrift auf unzähligen Protestaufrufen unter- stützt haben.

Ich kann es auch nicht mit meiner humanitären Grundeinstellung nicht vereinbaren, daß die Führung, die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten der SPD und des Bundesparteitages damit einverstanden waren, daß Menschen in der Bundesrepublik Jugoslawien durch für mich sinnlose Bombenabwürfe vom Leben in den Tod befördert werden und wende mich daher als Sozial- demokrat ab von dieser "neuen SPD", weil ich entsetzt darüber bin, daß sich die Partei von ihrem eigenen Grundsatzprogramm und somit auch von mir entfernt hat.

Ein weiterer der Kriegsführung unterzuordnender Grund meines Austritts ist die Politik der Berliner SPD in der "Großen" Koalition. Es ist mit meinem sozialdemokratischen Selbstverständnis nicht länger zu verein- baren, daß die Berliner SPD an der Spitze mit Herrn Momper, Frau Fugmann-Heesing, Herrn Strieder und Herrn Böger durch den Verkauf öffentlichen Eigentums sozialdemokratische Grundwerte über Bord wirft und unter dem Diktat von Maastricht öffentliches Eigentum, das zur Daseinsfür- und vorsorge der Bevölkerung dient, verkauft und damit auch die grundgesetzliche Verpflichtung zur Erhaltung des Sozialen Bundes- staates konterkatiert. Ein unrühmliches beispiel ist der Bettenabbau und die Schließung von Krankenhäusern, die einen starken Personalabbau nach sich ziehen werden. Wo bleiben hier die Wahlkampfversprechen der Bundes- SPD, den Erfolg der Regierungspolitik von der Verringerung der Arbeits- losenzahlen abhängig zu machen ?

Als weiteres Beispiel erinnere ich an die kürzlichen Äußerungen des Pressesprechersder mit starkem Einsatz der SPD verkauften BEWAG, daß bis zum Jahr 2003 2300 Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Die meinem sozialdemokratischen Verständnis widersprechende ohne Not von der Führungsquadriga der SPD in Berlin in den letzten Wochen veröffentlichte Diskussion um den Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften würde einer neo- liberalen FDP gut anstehen.

Ich habe mich in der SPD als Gewerkschafter und vor allem als verant- wortliches AfA Vorstandsmitglied für die Verteidigung des Öffentlichen Dienstes, für den Erhalt der Arbeitsplätze und für ein sozial vereintes Berlin engagiert. Die "Antireformpolitik" und die Verkaufspolitik öffent- lichen Eigentums der SPD-Führung, sowie die Stellungnahmen von Führungs- kräften zum Ladenschlussgesetz, richten sich gegen die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dieser Stadt, die genau wie ich Mitglied der SPD sind oder sie gewählt habent. Ich bin davon überzeugt, daß auch die Berliner SPD keine Partnerin für den Erhalt sozialer Errungenschaften mehr sein will.

Letztendlich führt mich auch der Umgang der Berliner SPD mit der PDS zu meinem Entschluß. Ich erinnere, daß die SPD in den 70er jahren die damaligen Grünen aus der Politik ausgegrenzt hat, u. a. auch weil die CDU behauptete, daß die Grünen politikunfähig seien. Eine sanaloge Ausgrenzungspolitik betreiben Teile der Bundes-SPD und die Berliner SPD auch mit Wissen und/oder Vorsatz, daß diese Ausgrenzung in Berlin bei der zu erwartenden politischen Konstellation zu keinem Politikwechsel führen wird.Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Austritt vieler sozialdemokratischer denkender Genos- sinnen und Genossen.

Ich gehe diesen Schritt des Austritts aus der SPD schweren Herzens, weil ich 31 Jahre lang versucht habe, gemeinsam mit gleichgesinnten Genossinnen Genossen soziale und demokratische Politik am Leben zu erhalten und durchzusetzen.

ich bin davon überzeugt, daß diese Möglichkeit durch den Rücktritt Oskar Lafontains über Jahre hinaus verspielt wurde und das sozialdemokratische Politik nur noch außerhalb einer so deformierten SPD formuliert und durch- gesetzt werden kann. In diesem Sinne bleibe ich Sozialdemokrat.

Zusammengefaßt: Ich sehe z. Zt. keinen Platz in dem von den Bonner Modernisierern von denen ich die Herren Schröder, Hombach und Scharping als federführend betrachte, und ihren Berliner Vertretern eingeschlagenen Weg zu einer "neuen SPD" die von sozialdemokratischen Grundwerten nichts mehr übrig läßt.

Mein Gewissen läßt es jedenfalls nicht länger zu, für die vorgenannten politischen Entscheidungen der Partei mitverantwortlich gemacht zu werden.

Ich wünsche allen Mitgliedern der SPD ein sozialdemokratisches Erwachen in der SPD.

Mit freundlichen, sozialdemokratischen Grüßen

gez. Gert Julius

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