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KOSOVO Antikriegsseite


Die NATO auf dem Weg in den Krieg/Ruin

Das Gemetzel im Kosovo und die US/NATO-Luftangriffe - die unweigerlich, wie wir begründen werden, in einer demütigenden Niederlage oder in der Eskalation zu einem voll entfesselten Bodenkrieg enden werden - stellen eine der größten Herausforderungen dieser Generation für die Prinzipien der Linken, für politische Courage und moralisches Rückgrat dar. Die meisten von uns waren in ihrem Leben noch nie einer solchen Situation eines scheinbar totalen Konflikts zwischen gegensätzlichen Imperativen ausgesetzt: der Notwendigkeit sofortiger Aktionen zum Stopp des Genozids einerseits und der Notwendigkeit sich imperialistischen Interventionen zu widersetzen und sie zu stoppen andererseits.

Against the Current

Wenn wir unsere Argumente hier vortragen, sind wir uns als Redakteurinnen und Redakteure von Against the Current bewusst, dass wir auf heftige Ablehnung bei einigen unserer Leser und Freundinnen stoßen werden - Differenzen in der Analyse der Ereignisse und bei den zu ziehenden Schlussfolgerungen. Worauf wir bestehen, ist, dass alle, die sich an dieser Debatte beteiligen, als Individuen oder als organisierte politische Strömung, sich ernsthaft den Konsequenzen ihrer jeweiligen Positionen stellen - und wir werden diese Regel auch auf uns anwenden.

Während wir uns gegen diesen Krieg stellen - die derzeitigen NATO-Bomben auf Jugoslawien und der zwangsläufig bereits geplante Bodenkrieg mit Besetzung des Landes -, müssen wir in diesem Fall zugleich auch einige der "konstruktiven Alternativen" zur Militärintervention zurückweisen, wie sie von der Friedensbewegung oft vertreten werden. Sich hinter dem Ruf nach einer "verhandelten Friedenslösung" oder einem "Frieden schaffenden Eingreifen der Vereinten Nationen" oder der Werbung für pazifistische Illusionen irgendwelcher gewaltloser Konfliktlösungen zu verstecken, ist hier moralisch inakzeptabel: Im realen Leben können sie nichts anderes bedeuten, als die Hände in den Schoß zu legen, während die serbischen Kräfte die Entvölkerung des Kosovo vollenden, wonach Milosevic Verhandlungen über einen "Frieden" natürlich gelassen entgegensehen könnte.

Das wirklich lähmende Dilemma, vor dem die Friedensbewegung steht, muss offen ausgesprochen werden. Es darf nicht mit wohlklingenden Phrasen übertüncht werden, die, selbst unbeabsichtigt, nur die Praktiken des Slobodan Milosevic und der mit ihm verbündeten Gangster verdecken, die "ethnische Säuberung" am Rand des Völkermords.

Tatsache ist: Den Genozid zu stoppen erfordert nicht "Konfliktlösung", sondern die Niederlage der Täter. Allgemeiner gesagt müssen sie besiegt werden, bevor sie ihren Apparat zum Massenmord aufgebaut haben. Nirgends ist dies wahrer als im Fall des Kosovo. Der Genozid im Kosovo hätte sich schon vor Jahren verhindern lassen durch eine Niederlage der Gangster in ihrem letzten Krieg in Bosnien. Was damals, seit 1991 erforderlich gewesen wäre, das waren nicht NATO-Bomben oder -Invasionen. Es hätte ausgereicht, einfach der Republik von Bosnien-Herzegowina das Recht zu gewähren, sich selbst gegen die "ethnische Säuberung" zu bewaffnen, die zum Ziel hatte, den kleinen gemischt-ethnischen Staat zu zerstören. Doch der Westen verhängte ein Waffenembargo im Namen der "Verhinderung einer Ausweitung des Krieges" und überließ die unbewaffnete bosnische Zivilbevölkerung den Angriffen von Milosevics "Jugoslawischer Nationalarmee" sowie serbischen und kroatischen Paramilitärs. Zum Schluss wurde Bosnien in ein Militärbündnis mit Kroatien gezwungen, um sein physisches Überleben zu sichern.

Jetzt haben die Imperialisten genau den Krieg, den sie durch ihren verräterischen Betrug an den Bosniern "verhindern" wollten. Es ist ein durch und durch reaktionärer Krieg, in dem die Regierenden der USA und Westeuropas ihren eigenen Bevölkerungen immer größere Lügen auftischen müssen:

  • Lügen zur Übertreibung des "großen militärischen Erfolge" und zur Verschleierung der Verluste unter der Zivilbevölkerung
  • Lügen zur Tarnung des vollen Ausmaßes der Eskalation und der Besetzung, die vorbereitet werden müssen, um diesen Krieg zu gewinnen
  • Lügen zur Umschreibung der Geschichte um die Tatsache vergessen zu machen, dass der Westen die ganzen 90er Jahre hindurch Milosevics Schlächtereien und innere Repression ermöglichte, weil sie ihn als Schlüssel zur "Stabilität" des Balkans betrachteten.

KATASTROPHE BAHNT SICH AN

Es gibt ein wichtiges Antikriegsargument, das unserer Meinung nach richtig und wichtig, aber etwas mehrschneidig ist: dass der Beginn der NATO-Bombenangriffe die Kosovo-Krise verschlimmert habe. Es wird neben vielen anderen von Edward Said[1] vertreten. Mit der ihm eigenen Klarheit und Leidenschaft sagt er: "Die Konsequenzen waren einfach nicht durchdacht, d.h. die Gewissheit, dass die serbischen Kräfte auf die NATO-Bombardierungen reagieren würden durch Intensivierung ihrer Angriffe auf albanische Zivilisten, durch mehr ethnische Säuberung, durch mehr Flüchtlinge, durch noch mehr Probleme für die Zukunft."

Es ist sicher richtig, dass sich der Strom der Flüchtlinge, die Berichte von Massenentvölkerungen und dem Abbrennen von Dörfern sowie die nur allzu glaubwürdigen Berichte über Selektionen männlicher Flüchtlinge für Massenerschießungen beschleunigten, als die Bombardierungen begannen. Aber man darf das Argument nicht überbewerten. Die Angriffe des serbischen Regimes zur Zerstörung der kosovo-albanischen Bevölkerung hatten da bereits begonnen.

Alles deutet darauf hin, dass dies kein Akt blinder Wut angesichts der Provokation durch das US/NATO-Militär war. Dieses gigantische Verbrechen gegen die Menschlichkeit war vielmehr eine systematisch geplante und integrierte Operation, koordiniert zwischen regulärem serbischen Militär, Polizei und paramilitärischen Kräften. In Wahrheit wurde die Planung und Umsetzung dieser Operation nicht durch die Bombardierung Jugoslawiens, sondern durch die jahrelangen ständigen Versuche zynischer Übereinkünfte mit dem Milosevic-Regime ermöglicht und beschleunigt. Dies scheint uns der entscheidende Ausgangspunkt für eine Analyse der Balkankatastrophe zu sein und wir werden in Kürze darauf zurückkommen.

Es gibt ein weiteres Antikriegsargument, das uns in diesem Fall nicht wesentlich erscheint, obwohl es wahr ist, nämlich dass die Bomben, "wenn sie irgend etwas erreicht haben, dann eine Stärkung des Milosevic-Regimes. Alle Serben meinen, daß ihr Land ungerechtfertigt angegriffen wird, und durch den feigen Krieg aus der Luft fühlen sie sich als Verfolgte." (Edward Said).

Auch dies stimmt. Wir sollten uns daran erinnern, dass die bewundernswerten Antikriegskämpfe der demokratischen Opposition Jugoslawiens Anfang der 90er Jahre im Verhältnis zur Bevölkerungszahl größere Mobilisierungen hervorbrachten als die Proteste gegen den Vietnamkrieg in den USA. Und dieses stolze Erbe der Opposition gegen Milosevic war der erste "Kollateralschaden" der Bombardierungen.

Aber auch diesmal müssen wir den harten Fakten ins Auge sehen: Niemand kann sich vorstellen, dass diese Opposition heute in ihrem geschlagenen und korrumpierten Zustand (mit Teilen ihrer Führung an Milosevics Kabinettstisch) irgendein ernsthaftes Hindernis für Massaker und Entvölkerung im Kosovo bedeuten könnte.

Auch hier war der entscheidende Faktor, der die einst so vielversprechende demokratische Opposition gegen Milosevic scheitern ließ, nicht das NATO-Bombardement. Es war vielmehr die unablässige westliche Politik, Milosevic aufzuwerten, sein Regime zu legitimieren und seine Abenteuer zu belohnen: im Kosovo (die Aberkennung der regionalen Autonomie 1989), beim Krieg gegen Kroatien und bei der ethnischen Säuberung und Vergewaltigung Bosnien-Herzegowinas, jedes mörderischer als das vorherige und mit dem schlussendlichen Höhepunkt der Katastrophe im Kosovo 1998-1999.

Alles, was der Westen in diesem Jahrzehnt unternommen hat, konnte dieses Regime nur beständig und unbeweglich, sogar unersetzbar erscheinen lassen. Das war tatsächlich die wahre Lehre des Dayton-Abkommens, das die Zerstückelung Bosniens festschrieb (nachdem dessen Armee begonnen hatte, den Krieg zu gewinnen), und das Ziel des bröckeligen Abkommens von Rambouillet, das das Recht der albanischen Kosovari auf Selbstbestimmung ausdrücklich ausklammerte.

Die Fakten der unmittelbaren Auswirkungen der NATO-Bomben auf das Schicksal der demokratischen Kräfte Jugoslawiens und auf die Beschleunigung von Tötungen und Entvölkerung im Kosovo sind wichtig, aber nicht wirklich entscheidend. Nach allen Berichten begrüßen die Flüchtlinge, die aus dem Kosovo fliehen, die Bombardierungen und würden sie gerne intensiviert sehen. Als Sozialistinnen und revolutionäre Gegner des Imperialismus müssen wir uns der Frage stellen, die die meisten einfachen Menschen am allermeisten beschäftigt: Soll die Welt den Genozid nicht stoppen?

DIE POLITIK DIESES KRIEGES

Unsere Antwort muss damit beginnen, die zahllosen Genozide und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzuzählen, bei denen die USA selbst Täter oder Unterstützer waren: Guatemala, Indonesien und Ost-Timor, Indochina, der Hunger der Menschen im Irak heute. […] Es sollte auch nicht vergessen werden, dass die von den Vereinigten Staaten organisierte sadistische Quälerei der irakischen Bevölkerung mit der Verkündung des Ziel der Befreiung Kuwaits von der mörderischen Besetzung durch Saddam Hussein begann. Dieser Fall beleuchtet einen wesentlichen Grund, sich gegen den jetzigen Krieg zu stellen: Jede Öffnung für "humanitäre Intervention" öffnet den Weg für die schrecklichsten Konsequenzen, die für die gutgläubigen Menschen, die solche Interventionen anfangs unterstützten, völlig unerwartet und unkontrollierbar sind.

Es ist wahr, dass im Falle Kosovos die Politik der USA und Westeuropas das Regime ermöglichte, das das Massaker organisierte, aber sie war nicht direkt Täterin oder Unterstützerin. Aber welche Ergebnisse würden den USA und der NATO das Recht geben, als Retter und Garanten der Stabilität aufzutreten? Wir denken, dass die schlimmsten Schrecken das wahrscheinlichste Ergebnis sein werden.

Unserer Meinung nach ist der gegenwärtige Krieg eine Auseinandersetzung zwischen zwei bösartigen Relikten, früheren Partnern im Kalten Krieg, die jetzt zu Feinden geworden sind:

  • die NATO, die von den USA vor 50 Jahren gegründete Allianz zur Sicherung der Hegemonie Washingtons im antikommunistischen Kreuzzug des Kalten Kriegs
  • das restjugoslawische Regime von Slobodan Milosevic, einem zum serbischen Nationalisten gewendeten Stalinisten und Gottvater der "ethnischen Säuberung".

UNVERMEIDLICHE AUSDEHNUNG DES KRIEGES

Wir stellen uns gegen den Krieg der NATO im früheren Jugoslawien, erstens weil wir Gegner der NATO selbst sind - wegen ihrer speziellen Natur ist sie und kann sie nichts anders sein als eine Maschine zur imperialistischen Beherrschung. Die NATO wurde 1949 gegründet, als die wirtschaftliche Hegemonie der USA absolut unangetastet war, als sie die Entscheidungen für Europa traf, als ihre militärischen Muskeln und ihr Atomschirm Washington zum Garanten der Rekonstruktion des Kapitalismus in [West-] Europa und zum Aufseher über die Umwandlung der alten europäischen Kolonialreiche machten.[2]

Viel hat sich in einem halben Jahrhundert geändert. Der frühere Feind, die Sowjetunion, ist verschwunden, und der US-Kapitalismus sieht sich ernsthaften wirtschaftlichen Rivalen gegenüber. Doch vermittels ihrer einzigartigen Fähigkeit, Militäroperationen größten Ausmaßes zu organisieren, versuchen die USA in diesem Krieg mit Rest-Jugoslawien ihre Fähigkeit bestätigt zu sehen, immer noch das letzte Wort zu haben.

Derselbe Wunsch nach Aufrechterhaltung der US-Hegemonie liegt hinter der aggressiven Unterstützung der neuen NATO-Mitglieder Polen, Ungarn und Tschechien, obwohl von dem fast völlig zertrümmerten postsowjetischen Russland keinerlei militärische Bedrohung mehr ausgeht. Angeblich ist die US-"Führerschaft" eine unerlässliche Voraussetzung zur Erhaltung der Stabilität. Stattdessen stärkt die Ausdehnung der NATO den rechten russischen Nationalismus, während sich im bitteren Beispiel des Balkans die US-"Führerschaft" als moralisch und politisch bankrott erweist, wie sie hin und her tappst, während die Zivilbevölkerung verteidigungslos der Vernichtung ausgesetzt ist, ohne die brutalen "ethnischen Säuberungen" vorhersehen oder gar verhindern zu können.

Zum zweiten muss dieser Krieg, nachdem er einmal begonnen hat, fast unvermeidlich in einer vollständigen Besetzung des Balkans und einer Neuzeichnung seiner Landkarte enden. In diesem Prozess werden die Rechte aller Völker, einschließlich der Kosovari, auf Selbstbestimmung brutal den Eroberungszielen untergeordnet werden.

Wenn wir das sagen, erkennen wir an, dass die Kosovari selber die NATO-Intervention unterstützen und zweifellos ausgeweitet sehen wollen. Unser Hauptstreit ist gar nicht der mit den Opfern, die verständlicherweise Hilfe aus jeder erdenklichen Quelle suchen, sondern eher mit jenen Unterstützern dieses Krieges, die nicht sehen wollen, zu welchen Konsequenzen er höchstwahrscheinlich führen wird.

Anders als einige Apologeten des Belgrader Regimes vertreten wir nicht die Ansicht, dass dieser Krieg vom US-Imperialismus als Teil seines Plans, Jugoslawien "aufzubrechen", von langer Hand geplant war. Wenn überhaupt kann man sagen, daß die Vereinigten Staaten weniger als (beispielsweise) Deutschland darauf bedacht waren, Kroatien und Slowenien zur Lostrennung von Jugoslawien zu ermuntern, und daß Washington zweifellos wenig Einwände gegen Milosevics Groserbien-Pläne hatte, solange sie nur mit nicht zuviel "allgemeiner Instabilität" verbunden waren.

Es scheint, dass NATO und Vereinigte Staaten diesen Krieg überhaupt nicht erwarten haben, und, vom Scheitern ihrer diplomatischen Winkelzüge und militärischen Bluffs überrascht, ohne die erforderliche militärische und politische Vorbereitung in den Krieg gezogen sind.

Offensichtlich scheiterten die Balkanexperten des US-Außenministeriums daran, die offensichtlichste Tatsache zu erkennen: Wenn das serbische Regime den Kosovo gegen den Willen seiner zu 90% albanischen Bevölkerung halten wollte, dann musste es die Hälfte oder mehr der zwei Millionen Kosovari töten oder vertreiben.

Nur die Sorte Experten, die beruflich auf das Auskungeln von Abkommen mit Milosevic festgelegt waren, konnte die vorausgeplante Eskalation von Repression zu Entvölkerung im Kosovo übersehen. Aber nach ihrem Scheitern, Milosevics Zustimmung in Rambouillet zu sichern oder ihn mit der Drohung von Luftschlägen abzuschrecken, sah sich die NATO plötzlich vor die Wahl zwischen zwei gleichermaßen potentiell katastrophalen Optionen gestellt. Sie hätte ihre erklärte Verpflichtung gegenüber den Kosovari im Wesentlichen zurückziehen können - eine Alternative, die Clinton und seine europäischen sozialdemokratischen Partner Blair, Jospin und Schröder nicht einmal denken wollten, hätte sie doch eine unglaubliche Niederlage bedeutet, die ihre Regierungen diskreditiert und die Einheit und wahrscheinlich sogar das Überleben der NATO in Frage gestellt hätte.

Oder die NATO konnte den Luftkrieg beginnen - aber wenn es den ersten Schlägen nicht gelang, eine serbische Kapitulation zu erreichen, dann gab es, wie jeder außer ein paar durch ihre Cruise-missile-Technologie selbsthypnotisierte Militärexperten erkennen konnte, keine andere Option als die Eskalation zu einem unaufhörlich größeren Krieg.

Mit jedem Tag, an dem sich das Ausmaß des Schreckens für die Kosovari und der unbeherrschbare Umfang des Flüchtlingselends ausweiteten, zwang der Krieg seinen Planern seine eigene Logik auf, statt umgekehrt. Um die NATO zu retten - natürlich ein wichtigeres Imperativ als die Kosovari zu retten - ist es notwendig, den Krieg durchzukämpfen und zu gewinnen.

Wenn die Flüchtlinge zurückkehren sollen, wie die NATO es verspricht, muss das jugoslawische Militär im Kosovo vollständig geschlagen sein und an der Rückkehr gehindert werden. Dieses Ziel erfordert die Zerstörung der serbischen Militärmacht und der Fähigkeiten Serbiens, diese Macht wieder aufzubauen. Deswegen muss nicht nur Serbiens bestehende Infrastruktur ausgelöscht, sondern auch seine Industriekapazität auf den Stand von vor dem Weltkrieg zurückgebombt werden.

Weiter muss eine umfangreiche Bodentruppe in den Kosovo geschickt werden, da die Luftwaffe alleine nicht die serbischen Truppen vertreiben kann, und um ein NATO-Protektorat im größten Teil des Kosovo zu schaffen (ein Teil bleibt vielleicht der serbischen Bevölkerung als Fluchtraum erhalten). Gewiss verspricht Clinton jeden Tag, dass er keine Bodentruppen senden wird, aber das hat dieselbe Glaubwürdigkeit wie seine Beteuerung, er habe "niemals sexuelle Beziehungen mit dieser Frau" gehabt - aber wenn die Lüge diesmal entlarvt wird, dann wird es "zu spät" sein.

Am Ende des Krieges müssen Serbien neue Grenzen mit Gewalt aufgezwungen werden. Ob nun die "Republika Srpska" in Bosnien sich mit Serbien zusammenschließen darf oder nicht, ob sich Montenegro von Rest-Jugoslawien löst oder nicht, ob man nun die Grenzen Mazedoniens gewaltsam "anpasst", um die albanischen Ambitionen einerseits und die griechischen Ansprüche andererseits zu erfüllen - all diese Entscheidungen werden von den Besatzungsmächten getroffen werden.

Es ist wenig wahrscheinlich (obwohl vielleicht in der Welt der Diplomatie eine Rolle für Russland gefunden wird, den Vermittler zu spielen), dass diese Vereinbarungen mit Milosevic und seinen Gangsterkumpanen getroffen werden können. Deswegen muss die Regierung von Rest-Jugoslawien, auch wenn eine Besetzung des serbischen Kernlands außer Diskussion steht, wahrscheinlich irgendwie entfernt werden, oder seine Bevölkerung wird demselben langanhaltenden Horror ausgesetzt wie das irakische Volk für sein unverzeihliches Verbrechen, von Saddam Hussein regiert zu werden.

Um es noch einmal zu wiederholen: Solche Ziele erfordern Krieg und eine Nachkriegsintervention auf gewissem Niveau mit Opfern und Kosten in einem Ausmaß, auf das die Bevölkerung der Vereinigten Staaten und der anderen NATO-Mächte absolut unvorbereitet sind. Kein Wunder dass weder Clinton noch seine europäischen Partner den Mut haben das zu tun, was demokratische Prinzipien verlangen: offen zu sagen, wohin ihr Kurs führt und ihre Parlamente zu bitten, eine Kriegserklärung zu diskutieren.

Jeder auf der Linken, der die NATO-Aktionen begrüßt, ungeachtet des ehrlichen und ehrbaren Wunschs den Genozid zu stoppen, muss sich über diese Konsequenzen im Klaren sein. Ergebnis kann nur eine noch virulentere [bösartigere] NATO in der Zeit nach dem Kalten Krieg sein, die aus eigener (im Wesentlichen US-amerikanischer) Entscheidung interveniert, soweit ihre Macht reicht, d.h. praktisch überall.

KOSOVO JA - NATO NEIN!

Angesichts dieser Realitäten ist es für Sozialistinnen und Sozialisten unmöglich, der NATO-Operation Erfolg zu wünschen. Diesen Krieg zu unterstützen, kann jetzt nur bedeuten, den Imperialismus zu unterstützen. In der realen Welt können wir nicht unterscheiden und wählen zwischen angeblich wohlwollenden Militärinterventionen im Namen humanitärer Rettung und jenen, die für die nackte Vergrößerung des militärischen und politischen Profits geführt werden - denn letztere werden zwangsläufig und unaufhörlich den Vorwand für letztere liefern.

Das ist sogar im Kosovo der Fall, einem Krieg, den NATO und USA nicht "provozierten", sondern durch eine kriminelle Politik des appeasement [Beschwichtigung] zu verhindern suchten. Einmal begonnen ist dies unvermeidlich ein Krieg, in dem die NATO den Balkan besetzen und seine Landkarte neu zeichnen muss - auch wenn der Krieg selbst, egal ob er nun in einer weiteren "politischen Schlichtung" mit Milosevic oder in einem militärischen Debakel mit ernsten Opfern für die Invasoren endet, sich für die NATO als ihr selbstgewählter Weg in den Ruin erweisen sollte.

In der Einleitung haben wir betont, dass wir uns ernsthaft den Konsequenzen unserer eigenen Position stellen werden. Für uns ist der Ruin der NATO das einzig mögliche gute Ergebnis dieses schrecklichen menschlichen Holocausts. Unser kleiner Beitrag zur Niederlage der NATO muss sein, alles uns mögliche zu tun, sie in unserem eigenen Land zu entlarven und zu diskreditieren. Wir können der NATO keine "konstruktive Alternative" vorschlagen, außer die ihrer eigenen Auflösung.

Was auch immer weiter geschehen wird, das kosovarische und das serbische Volk haben schon verloren. Wenn die NATO ihre Niederlage akzeptiert und wieder einen Deal mit Milosevic aushandelt, werden die Kosovari als land- und heimatloses Volk zurückbleiben - die Palästinenser und Kurden des Balkan. Wenn die NATO am Ende Serbien doch überwältigt und ein militärisches Protektorat im Kosovo einrichtet, könnten die Flüchtlinge zurückkehren, doch würde ihr Überleben von einer unbegrenzten Besetzung mit allen damit verbundenen Konsequenzen für künftige Generationen abhängen.

Für die Serben haben die zehn Jahre Großserbien-Kampagne Milosevics eine nationale Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes geschaffen. Hunderttausende von Serben, die seit Jahrhunderten in Kroatien lebten und deren Wohlergehen Milosevics Vorwand für die Invasion Kroatiens 1991 war, wurden brutal aus ihren Häusern in der Krajina vertrieben, als Kroatien dies Gebiet zurückeroberte. Die Serben in der "Republika Srpska" sind ghettoisiert, die Serben im Kosovo werden keine Zukunft in einer NATO-Besatzungszone haben, und die Serben im serbischen Stammland haben den wirtschaftlichen Ruin und die Zerstörung aller Hoffnungen auf Demokratie erlebt.

WAS KÖNNEN WIR TUN?

Wir unterstützen das Recht der Kosovo-Albaner auf Selbstbestimmung. Niemand mit demokratischen Werten kann die Legitimität ihres Kampfes bestreiten, der ein Kampf für das physische und kulturelle Überleben wie für politische Rechte ist. Man kann sogar sagen, dass unter den Bedingungen eines drohenden Genozids oder der Massenvertreibung der Bevölkerung ein unabhängiges Kosovo die einzige realistische Alternative ist.

Aber der absolut legitime Kampf der Kosovari ist nur ein Element in etwas, das zu einem größeren und reaktionären imperialistischen Krieg geworden ist. Die Vereinigten Staaten haben die Kosovari stets nur als Unterpfand für Verhandlungen benutzt, aber nie die Unabhängigkeit des Kosovo unterstützt - ja, sie haben sogar die Niederlage der Kosovo-Befreiungsarmee (UCK) 1998 ausdrücklich begrüßt, als das jugoslawische Militär seine ersten Angriffe startete. Aber auch abgesehen davon unterstützen wir nicht die "Befreiung" des Kosovo durch die Vernichtung von Städten und Menschen in Serbien seitens der NATO.

Wir meinen, dass es in dieser tragischen Situation mehrere "Kriege im Krieg" gibt, in denen Sozialistinnen und Sozialisten mit demokratischer Loyalität Stellung beziehen und manchmal kleine praktische Schritte unternehmen können:

  • Ganz offensichtlich können wir in keiner Weise den Kampf zwischen den Kosovo-Albanern und der jugoslawischen Armee beeinflussen. Aber es ist eine Frage des Prinzips, dass wir am Recht der Kosovari, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln für ihr Überleben zu kämpfen, festhalten, sei es durch die Bewegung zivilen Widerstands vor dem Krieg oder durch den Kampf der UCK. Die UCK selbst ist keine Kraft der Linken. Bestenfalls scheint sie politisch uneinheitlich zu sein und (wahrscheinlich deshalb) ihre Aussichten für einen Erfolg gegen Milosevics Armee weit zu überschätzen. Aber sie kämpft einen gerechten Krieg für Unabhängigkeit und gegen den stattfindenden Genozid.
  • Angesichts der Verantwortung des Imperialismus für diese Tragödie können wir nur fordern, dass alle Kosovo-Flüchtlinge sofort Asyl bekommen, wo immer sie hin wollen. Für die, die in die Vereinigten Staaten flüchten wollen, bedeutet dies das Recht, hierher [in die USA] zu kommen - mit vollem Aufenthalts- oder Bürgerrecht oder dem Recht zur Rückkehr in ihre Heimat, wann immer sie wollen -, und nicht diesen unaussprechlichen Plan, sie in Guam oder Guantanamo einzusperren.
  • Ebenso wichtig ist, dass wir alles in unserer Macht stehende tun, um den doppelt belagerten Aktivisten der demokratischen Opposition in Serbien die Hand zu reichen, die von der NATO aus der Luft bombardiert und vom Regime am Boden gejagt und in einige Fällen bedroht werden, sie zur serbischen Armee oder zu "ethnisch-säubernden" Paramilitärs im Kosovo einzuziehen.
    Sowohl die Imperialisten wie das Milosevic-Regime werden durch gegenseitige Schuldzuweisung versuchen, das Leiden der einfachen Menschen und die Zerstörung demokratischer Kräfte auszunutzen. Dank dem Internet und der Verbreitung, die internationale fortschrittliche Medien leisten können, haben die Dissidenten in Serbien eine gewisse Chance, weiter für sich selbst zu sprechen. Ihre unzensierten Stimmen müssen zu hören sein, und alle nur mögliche materielle und politische Solidarität muss ausgeweitet werden, wenn sie versuchen, eine demokratische Opposition wieder aufzubauen, die weder ein Wurmfortsatz von Milosevic noch ein Unterpfand des Imperialismus ist.
  • Und schließlich muss in dem militärischen Konflikt, der jetzt die Ruinen des früheren Jugoslawien beherrscht, ganz klar sein: es gibt keine Seite zu unterstützen, weder Milosevics völkermordenden Post-Stalinismus noch den NATO-Imperialismus. Keine Seite ist ein kleineres Übel. Freiheit für den Kosovo! Auflösung der NATO!

Übers.: Björn Mertens

Dieses Editorial erscheint in der US-amerikanischen Zeitschrift Against The Current Nr. 80 (Mai/Juni 1999), im Internet unter http://www.igc.apc.org/solidarity/indexATC.html.

Dieser Artikel erschien in Inprekorr Nr. 331

Fußnoten
[1] Edward Said, "Protecting the Kosovars," im Internet unter http://www.zmag.org/Zmag/saidkosovar.htm.

[2] Die NATO wurde am 4. April 1949 proklamiert. Die erste russische Atombombe detonierte am 23. September 1949 - d.Red.

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