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KOSOVO Antikriegsseite


György Konrad «Treppenrede»

Basler Zeitung, 10. Mai 1999, Nr. 107, S. 3
8. Mai 1999, 54. Jahrestag des alliierten Sieges über Hitler-Deutschland:   Tausende von Menschen protestierten am Samstag auf dem Berliner   Gendarmenmarkt gegen den «Angriffskrieg» der Nato. Gleichentags wandte  sich der ungarische Schriftsteller György Konrad, Präsident der Akademie  der Künste in Berlin, mit einer geistreichen, stellenweise sarkastischen  und doch fein abgewogenen «Treppenrede» an die Besucher der Akademie.  Äusserer Anlass war der Auftakt zu einer auf mehrere Monate angelegten  Veranstaltungsreihe, die in der deutschen Hauptstadt unter dem Titel  «Budapest-Berlin 99» das ungarische Kulturschaffen vorstellt. Am Samstag  lasen die ungarischen Schriftsteller Peter Esterhazy und Dezsö Tandori;  die Akademie-Gäste kamen auch in Genuss einer Hommage an Mischa   Spoliansky, Komponist populärer Kabarettrevuen in den 20er Jahren. Ihm   entlieh Konrad den Titel der Treppenrede: «Es liegt in der Luft was   Idiotisches...».

Auch heute abend, wie zu Beginn einer jeden langen Nacht, wünsche ich  Ihnen gute Laune à la hongroise. «Gott segne den Ungarn mit guter Laune,  Überfluss», so lautet die erste Zeile der ungarischen Nationalhymne. In   seiner schlechten Laune betet der Mensch um gute Laune.

Von György Konrad

An diesem langen Wochenende nun sind Sie gezwungen, einer humanitären ungarischen Okkupation ins Auge zu sehen. Die Akademie und ihre lieben Gäste werden alles tun, damit diese Besatzung keine schrecklichen Erinnerungen hinterlässt, vielmehr zu weiteren wechselseitigen Manövern zu Luft und zu Lande animiert.

Hier sind die grossen Kanonen der ungarischen Literatur, sie verfügen über genügend Munition, nach ihrem Einsatz wird kein Gesicht ohne ein Lächeln bleiben. Sie sind gekommen, und sie werden wieder gehen, auf solche Besatzungen drängt unsere Akademie, Städte brauchen solche Kontakte.

Gemeinsames Merkmal der heute abend auftretenden und sich ansonsten stark voneinander unterscheidenden Künstler ist ihr Klarblick, sie sind nicht leicht zu täuschen, grosse Worte durchschauen sie. Eine mit dem Beruf einhergehende Verpflichtung und dort, wo der Mensch auf jede nur erdenkliche Weise betrogen worden ist, eine instinktive Selbstverteidigung.

Zum Galgenhumor bedarf es auch eines Galgens, nicht unbedingt eines, der unmittelbar über uns emporragt, sondern der Erinnerung an seinen Anblick.

Städte, in denen Freunde leben

Dass dem Menschen vieles widerfahren kann, womit er nicht gerechnet hat und was für ihn schlimm ist, diese Erfahrung hat im Donaubecken Wurzeln geschlagen. Die Amplitude zwischen Weinen und Lachen, Plage und Fest schwingt weit aus, jeder der heute abend in Augenschein zu nehmenden und zu hörenden Künstler weiss etwas Unverwechselbares von einer Existenz unter extremen Bedingungen.

Wenn einer den schwarzen Humor ebenso mag wie italienischen Espresso, dann braucht es dazu noch etwas, was Mischa Spoliansky, der jetzt hundert Jahre alt wäre, wie folgt formuliert hat: «Es liegt in der Luft was Idiotisches...».

Bomben liegen in der Luft, der mächtigste Mann der Welt verspricht im Radio, sie noch unerbittlicher abzuwerfen, auf Städte, in denen Freunde von mir leben, die in keiner Weise schuldiger sind als wir. Eines nur möchte ich anmerken, nämlich dass ich dem nicht zugestimmt habe.

Und Sie? Obwohl ich Sie ursprünglich heute abend nicht mit diesen Gedanken an den Krieg belästigen wollte, möchte ich Sie bitten, darüber nachzudenken, ob es erlaubt ist, um Morde zu vergelten, andere zu töten, die nicht getötet haben.

Es ist natürlich, wenn der Künstler blutige und überstürzte Taten nicht billigen kann. Automatisiertes Töten ist eine schnelle Arbeit, Kunst eine langsame, ähnlich wie die Kindererziehung.

Bestrafung kann warten, Rettung und Versorgung nicht. Den humanitären Kämpfern und den für die Verteidigung der Menschenrechte eintretenden Regierungen könnten wir vorschlagen, den Flüchtlingen zwecks menschenwürdiger Versorgung nur so viel zu geben, wie ein einziger Bombentag kostet, nämlich fünfhundert Millionen Dollar.

Ionescos Nashörner

An diese dumme Sache nicht zu denken, ist mir nicht möglich, wegen der Nachbarschaft vielleicht kommt sie mir öfter in den Sinn; nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu denken ist gleichfalls schwer. Was soll der Mensch mit seinen Fragen anfangen? Was soll ich mit meinem Kopf tun, wenn er die hochtrabenden Worte, mit denen die schlechten Nachrichten begründet werden, nicht annimmt? Wohin rudern wir auf dem Hochwasser der Rhetorik? Wohin hat sich die zuverlässige und luzide Argumentation verkrochen? Wie kommt es dazu, dass nette, kluge Leute plötzlich den grössten Blödsinn von sich geben?

Sollte das eine Epidemie sein, wie sie vor zehn Jahren über das damalige Jugoslawien hereingebrochen ist? Danilo Kis sagte damals, plötzlich sei jeder ein Nashorn geworden. Erinnern wir uns an Ionescos Stück, an die rätselhafte Krankheit, durch die die Menschen sich in Nashörner verwandeln, wild werdend in gleich denkenden Rotten. Ich weiss nicht, ob dieser Verweis auf die tatsächlichen Nashörner nicht ungebührlich und verletzend ist. Jedenfalls ist dieses Stück, die Darstellung der Verwandlung, phantastisch.

Vor allem, meine Herren, bei der morgendlichen Rasur sollten wir im Spiegel sorgfältig prüfen, ob nicht gar in den eigenen Gesichtszügen so eine Art Ionescoscher Nashornvisage allmählich durchdringt. In Jugoslawien sind damals viele, nicht die Intelligenteren, sondern die Lauteren, ethnische Nationalisten geworden.

Und wir? Sind wir jetzt Nato-Nationalisten geworden? Hundertmal grösser sind wir als sie und können sie dennoch nicht schlagen? Und die Rede einiger radikaler Humanisten klingt schon so: Verrucht sind sie, tollwütig, ein verbrecherisches Volk, das nicht begreift, dass wir nur sein Bestes wollen, es bleibt uns keine andere Wahl, es gibt keine Alternative, wir müssen sie im Namen der Solidarität der Völker Europas plattwalzen. Dann werden wir ihnen vom Boden aufhelfen und sie umkneten.

Gespalten und paradox

Wie die tschechischen Schriftsteller zu diesem Krieg stünden, welchen Standpunkt ihre Kollegen dazu einnähmen, auf diese Frage sagt eine tschechische Autorin: zwiespältig, gemischt. Nun, das ist das Minimum, was von einem Schriftsteller erwartet werden kann, gespalten und paradox zu sein. Das ist unsere Aufgabe.

Denn wem gefällt es schon, wenn wild gewordene serbische Bewaffnete schutzlose Albaner vertreiben und gelegentlich sogar ermorden? Denn wem gefällt es schon, wenn auf Stadtbewohner, die uns ähneln, Bomben fallen auch wenn die Sendung nicht für sie bestimmt gewesen ist, sondern für ein Gebäude in der Nähe? Wem gefällt schon die ethnische Säuberung? Und wem gefällt schon das Bombardement?

Ein naiver Mensch sagt, ihm gefalle keines von beidem. Die selbstbewusste Nato-Elite sagt, als Strafe für ersteres billige sie letzteres. Dass Menschen, deren Sache es ist, die Anweisungen ihrer Vorgesetzten auszuführen, so denken, ist klar. Dass Menschen, die nicht viel denken, so denken, ist ebenfalls klar. Doch dass Menschen, die von Berufs wegen denken, dennoch Bombenanhänger geworden sind, darüber wundern wir uns für gewöhnlich. Oder vielleicht doch nicht? Worte treiben Unzucht

Lassen wir unseren Blick über geistige Karrieren schweifen, so haben mehrere Intellektuelle in jüngeren Jahren die Umerziehung der chinesischen Intelligenz, eine euphemistische Bezeichnung für das Konzentrationslager, gutgeheissen. Und jetzt würden sie die gesamte jugoslawische Gesellschaft umerziehen? Vielleicht in einem Umerziehungslager? Ein solches Lager zu machen ist natürlich schwierig. Am besten wäre es, mit Hilfe von Luftschlägen das ganze Land in ein Lager zu verwandeln, in dem Angst und Schrecken herrschen? Ich habe den Eindruck, diese radikalen Pädagogen haben noch nie während Bombenangriffen in einem Luftschutzkeller gesessen.

Von der Wahrheit bin ich vermutlich nicht weit weg, wenn ich behaupte, dass die Opfer eines gewaltsamen Todes im Verhältnis fünfzig zu fünfzig auf das Konto der serbischen Bewaffneten im Kosovo und der Luftangriffe der Nato gehen. Zum einen ist viel Schnaps nötig, zum anderen kühle und präzise Intelligenz.

Naive Moral wendet sich sowohl vom einen als auch vom anderen ab. Und schämt sich. Wo treiben unsere Worte Unzucht? Unsere Bomben sind Bumerange: Daheim haben sie das helle Gebäude der Begriffe und Werte zerstört. Wer gibt den Wörtern ihren Sinn zurück, sollte vielleicht wieder ein vorübergehender europäischer Frieden beginnen?

Schön und gut, die Politiker werden gewählt, doch das bewahrt sie nicht vor dummer Rede und dummen Entscheidungen. Sie müssen einer geistigen Aufsicht unterstellt werden.

Jetzt im Frühjahr haben wir keinen Grund zum Lachen gefunden. Meine Damen und Herren, vielleicht gelingt es ja im Herbst.

(Konrad trug die - in Ungarisch verfasste - Rede in deutscher Sprache vor. Die Übersetzung hatte Hans-Henning Paetzke besorgt.)

György Konrad  vo. «Derartige Sprengungen habe ich zum letztenmal 1944 erlebt, als sich die Deutschen an den Donaubrücken vergangen haben», erinnert sich György Konrad angesichts der Nato-Bombardierungen in Jugoslawien an seine Kindheit. Konrad wurde 1933 in Debrecen (Ungarn) geboren. Er studierte Literaturwissenschaft, Soziologie und Psychologie in Budapest. Neben der Tätigkeit als Fürsorger, Soziologe und Psychologe begann Konrad bald mit Schreiben. Sein Romandebüt «Der Besucher» (1969) fand internationale Anerkennung. 1978 bis 1988 war Konrad in Ungarn mit einem Publikationsverbot belegt. 1990 bis 1993 stand György Konrad dem internationalen Schriftstellerverband Pen vor, seit 1997 präsidiert er die Akademie der Künste in Berlin. Konrad ist Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels (1991).

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