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KOSOVO Antikriegsseite


DAS FERNSEHEN DIE MEGAMASCHINE DES KRIEGES
von DIETMAR KESTEN, GELSENKIRCHEN, 5. MAI 1999

Ein Gewinner des Kosovo-Krieges steht fest, ganz gleich wie der Krieg dort ausgehen wird: Das Fernsehen, das den Krieg in die guten Stuben der Bevölkerung transportiert.

Fernsehen ist fester Bestandteil heutigen Lebens, wie das Pentagon und die weltweite (amerikanische-) Waffenindustrie.

Beides gilt in zweierlei Hinsicht: Weil die Geräte und die Waffen, die Menschen vernichten, allgegenwärtig sind und weil Fernsehen nicht allein zu verbringende Zeit bedeutet, sondern auch zu erlebende Zeit, kann breites Einvernehmen herrschen: An Bildern aus dem Krieg soll es nicht mangeln; denn Bilder über den Krieg zu verschiedenen Tageszeiten ist Vergnügen. Die Gegenstände werden Zeichen und die Zeichen deuten auf etwas hin: Auf Mord, Verbrechen, auf Realität, auf Wahrnehmung, aber auch auf Verdrängung und Negierung, wenn in den Wohnzimmern zum Kriege geplaudert oder Gebäck gereicht wird. Fernsehen ist Wirklichkeit und Sprache, filmisch illustriert, das 'Sehen' bestimmter Gefühle, Schrecken, Schmerz oder Freude; Sinnbilder der Verwandlung, die es betreibt.

Fernsehen handelt nach einem bestimmten Plan; es 'geschieht' wie im Kino durch Maskenspiel, durch versteinerte Minen, gestenreiche Handlungen, verbitterter Charaktere und freundlich lächelnden Soldaten. Fernsehen nimmt die Welt durch seine optische Apparatur wahr. Es ist wie Kino hybrides Filmgewächs, Gesellschaftsintrige, ein Bilderrätsel, Kunst, Eros und Tod; ein Geniestreich, wenn daran gedacht wird, daß es jetzt auch Kriegstourismus gibt.

RICHARD GERE inmitten der Kosovo-Flüchtlingeein ausgeklüngeltes Zeichen, ein tragigkomischer Tausch. Dem Schein nach klammern wir uns an die Bilder, statt den darin versteckten Indizien zu folgen. Mit dieser Sichtschau tritt das Unverständnis auf den Plan, weil wir im falschen Film sitzen, und der moralische Impetus einen Kontrakt mit dem Zuschauer eingeht, der seinen Blick nur scheinbar schärft, weil ihm das Fernsehen die Initiativen abnimmt, den Langeweiletod, möglicherweise sogar den Sinn den Lebens.

Manche Dinge sieht man im Zeitraffer; die stürmische Pracht der Kameras, wenn sie die Jets auf den Flugzeugträgern abfilmen die Architektur der Zeit, in Sequenzen unterteilt, vierundzwanzig Stunden am Tag, moderne Kunst zwischen reinen Formen und unreinen Gegenständen; ein Duell zwischen dem Objektiv und den unzähligen Schrecken, die es festhält, ablichtet, belichtet; ein Fernsehbild pro Sekunde, rund um die Uhr, keine Dämmerung, keine Stille, kein Dunkel.

Fernsehen ist pefekter Konsum, bequem, pädagogisches Vorbild, Verhängnis: Hier stirbt man den schnellen Tod; ein Kosovo-Flüchtling, der einen Infarkt vor laufenden Kameras bekommt, kann selbst das Ablebenals Endpunkt des Leidens seines Lebenslaufes gedeutetnoch als tiefen Kamerablick erscheinen lassen.

Der qualvolle, der überhebliche Geist, Kraft und Fülle das Fernsehen als Tatmensch von antikischem Zuschritt. Wenn es an den Grenzen aufmarschiert, durch die Räume stampft, durch die Zeltstädte, die für sie nur Aufbauten sind, wirkt der Tyrann in seinem Palast.

Die Architektur seines Bildes ist Herrschaft, Unterwerfung der Natur unter die Gesetze der Form.

Was immer gefilmt wird, verfällt der Gravitation und der Phantasie: Was man nicht sieht, kann man sich vorstellen. Aber man keinen Schmerz sehen, es kann keinen Schmerz empfinden, fühlen, sich mit ihm identifizieren. Darin liegt ein gewisser Trost, und auch wieder nicht; denn das Bildergeflecht hält die tödlichen Diagnosen fest die Paranoia des kriegerischen Wahns.

Die Geschichten, die das Fernsehen bebildert und grobschlächtig in die gesamte Menschheitstragödie einfügt, sind die Ideen der Moderne, die im Staub liegen, und wie alte Kleidung aus der Mode kommen.

Mode ist jedoch auch museal. Und die Epoche des Fernsehens war von Anfang an allumfassend, vielfältig, vor allem billig. Eine Epoche hatte ohne Namen begonnen, mit allen früheren Epochen ihr Spiel getrieben, bis sie sich an die Schutthaufen der alten Museumsprojekte erinnerte, an die Bausteine, ihre Symbole, Figuren; alles mögliche. Es mußte gedanklich ausgebildet werden, verkündet. Gedankenund Lebensabläufe hatten nun festgelegte Strukturen, vielarmig und durch mehrere Schichten des Menschen hindurch; durch Räume, die sich in unzählige Richtungen verzweigen und an die entlegendsten Orte der Wahrnehmung gelangten und der Wahrheit und alles miteiander verband. Das 'fremde Leben' erweckte Träume, das versöhnlich stimmte; die Einheit im zwischenmenschlichen Zusammenleben war der stiftenden Kamera vorbehalten.

Sie konnte zwischen Krieg und Freude, zwischen Untergang und Auferstehung, zwischen offenen Geschwüren und dem Lageplan der Schmerzen vermitteln.

Mit ihrem Blick sponnen gleichzeitig ihre Spinnen seltsame Fäden in die Tiefen des Bildes, die von den Einzelheiten, den Splittern der Dinge magisch angezogen wurden. Hier treffen sich Raum und Zeit Träume und Konsum, die Erfüllung für viele Menschen, die nicht im Bereich ihrer Lebensmöglichkeiten liegen.

Hier kann das Fernsehen auch bestens den Krieg transportieren, die Dinge vermessen, den Raum des Lebens aus dem Objekt herauslösen, es quasi verabsolutieren.

Das kann nur das Fernsehen tun, indem es alle Räume praktisch fixiert, antike und moderne Architekturen, abstrakte und moderne Kunst, den Beginn der Warenproduktion und ein vielleicht bereits jetzt schon sich ankündigendes sinnbildhaftes schreckliches Ende.

Es ist auch 'Krieg der Sterne', Spionagesatelit, Aufklärer, Undercover, Diplomat, Friedensstifter, elektronisches Computergehirn, Waffenfetischist und bewegender Entwurf für die Menschen, die es in konsumierende Monaden verwandelt.

Um Bedürfnisse zu stillen, muß es in die letzten kommunikativen Bereiche vordringen. Es bietet auf der höchsten Stufe der Moderne Shoppingund SexChannels an, Psycho-Talkshows, nahezu vollständiges mediales vermitteltes Leben. Der 'Tempel der Vernunft', ist eine gewaltige Kuppel mit Menschenmassen als Unterbau.

Die mageren Jahre ohne Krieg, sind dank ihm nun vorbei. Es hat die Berichterstattung über den Krieg minutiös geplant, ihn irgendwie auch vorbereitet, wenn an die unzähligen Berichterstattungen aus Rambouillet gedacht wird, an die Sprecher aus der NATO-Befehlszentrale, an die ultimativen Erklärungen und an die Kameradivisionen vor den Flugplätzen, von denen Tornados starten sollten.

Der Fernsehkonsument saß dabei nicht auf der sicheren Erde, sondern mitten im Raum, bis ihn die Nachrichten vom 'unglaublichen' erreichten. Die NATO flog die ersten Einsätze, und die seltsame Verformung dessen, was man als Lebenswirklichkeit begreift, trat ein: Die nächste Nähe. Mitten im Geschehen gibt es keine Kontakte mit der Außenwelt, keinen Austausch, keine Auseinandersetzung es gilt der Sieg über das Individuum. Die weite Welt des Krieges rückt immer näher die Nähe ist es, die zu ausweglosen Schauplätzen geworden ist. Heckenschützen lauern hinter Fassaden, und das Fernsehen setzt diese allabendliche Show geradezu mustergültig um: Massentrauer um fremde Menschen, äußerst beruhigend, und weil man nicht selbst betroffen ist, kann der verzweifelte Herold sich in aller Ruhe mit den Spendenkonten des Videotextes auseinandersetzen. Ein Heranpirschern zwischen strategischen Interessen und Vorausahnung; Übersättigung und Herzesleid. Hier lauern keine Feinde, hier gibt es keinen MILOSEVIC; amerikanische und deutsche Politiker gleichermaßen Bombenfetischisten; Amerikaner und Europäer untergehakt -Nachrichten von serbischen Zivilisten, die im NATOBombenhagel sterben, werden der Moral entsprechend in Fußnoten abgehandelt und durch die Kosovo-Flüchtlinge ersetzt: Hilflose Gesten der Megamaschine. Wenn gestorben wird, dann werden Daumen gedrückt, die Faust erhoben, das Mitleid eingefordert, selbt dann, wenn Hilfsgüter nicht an den Bestimmungsort gelangen, und von der Bürokratie unter fragwürdigen Angaben von den Wareneingangslisten gestrichen werden: Zerschnittene Barmherzigkeit in einer unbarmherzigen Zeit.

Krieg ist ein Krieg der Bilder, der Projektionen, des Fernsehens und der Presse.

Jede Einstellung macht bewußt, daß der unaufhörliche Fluß von Bildern, Zeichen der Zeit sind. Sie zeigen etwas an: Eine andere Zeit, die kommende Zeit, die Zeit des 21. Jahrhunderts, die Zeit die aus den Fugen gerät, wie das Zifferblatt der Uhr, wenn sie in Unordnung gerät. Ein Bild zuviel und die Magie beginnt das ist genau der Moment, in dem der Fernsehzuschauer auf die Uhr sieht; denn Krieg ist Verpackung. Zwischen Gummibärchen und Elmex führt die NATO ihren Krieg, und jede Trauernachricht über das Flüchtlingselend ist schnellstens in 'Verstehen sie Spaß' umgesetzt: Fernsehen ist Film für Fortgeschrittene. Hier verläßt der Konsument nicht nach 2 Stunden den Sessel, sondern geht zum Eisschrank, um sich den Krieg zu versüßen, anderen den Gnadenschuß zu überlassen. Ganz gleich, wie und wann der Krieg ausgehen wird: Für das Fernsehen und die Militärs hat es sich gelohnt, ihn geführt zu haben, so zynisch das klingen mag. Besser als jedes Manöver führt der Kosovo-Krieg vor Augen, daß Bilder, die gezeigt werden, wenn sie verblassen, Bilder von einem alten Krieg sind, Bilder, die zur Blindheit werden, und dazwischen liegt vielleicht die Botschaft, die niemanden mehr erreicht, weil die Bilder vom Sehen mit der Botschaft eines Toten zu tun haben: Wenn sie ankäme, wäre der Krieg zu Ende. Man muß eine Weile hinschauen, um zu begreifen, wie widersinnig das ist.

Fernsehen ist Obsession, die Obsession der ganzen Menschheit. Fernsehen ist düster, verschroben, nichts als Zirkus, bloßes Theater. Fernsehen ist das Kino schlechthin. Fernsehen vermittelt, daß die NATO-Armeen nach dem Krieg umund aufrüsten müssen, denn dazu, wird es heißen, zwinge die Lehre des Balkans.

Und alles beginnt von vorn: Die Flugzeuge, Schiffe und Waffen für den nächsten Krieg, für das 21. Jahrhundert; der Westen wird siegen, weil er die Großmachtfürsten besiegt hat, und wir werden dafür zahlen, für den Wiederaufbau Serbiens mit Spendenkonten, versteht sich für die Rückkehr der Kosovo-Flüchtlinge, für die Kredite an Mazedonien, Albanien, Montenegro, für neue Waffensysteme, für die Gis auf dem Balkan, für 'Friedenstruppen' und für die Milliarden von Dollars zur Auffüllung der Bomben und Raketenarsenale. Alpträume, ästhetisch hingerichtet, die Wirklichkeit durch eine unsichtbare Mauer getrennt: Mit gnadenloser Gewalt, todesstarr, blicken uns seine Augen an, das Weltspektakel um uns herum, und es wendet sich auch an die animalischen Zeugen, die interviewt werden; sie sind das Rätsel, das Geheimnis, wenn sie mal menschlich wirken, aber für Menschen sind sie viel zu gut. Der Beginn von KAFKAs 'Die Verwandlung': Jede Filmvision ist ein Vorwand, eine zuverläsige Quelle obwohl sie keine ist , die Kostümierung des Weltmarktes vor die Kameras zu holen, Bilder von Freunden, Erinnerungen, Gesichter, Landschaften und Elendquartiere, und wo noch ein Blickwinkel frei ist, hat sich die Werbung, das Schöngeistige, der Sport, die Unterhaltung, die Erotik eingenistet: Puppen, Statuetten, Nippes, Pokale, Damen ohne Unterleib, Busen, Bilder, laute kleine Kameras aus Plastik. Erinnerungen werden eingerichtet und zugeschnitten. Zehn Jahre seines Lebens verbringt ein Erwachsener mit dem Fernsehen. Das ist auch jede Menge an Zeit, die mit dem Krieg verbracht wird: Es ist ein mysteriöses Ding, das Mutanten erzeugt, die Welt zerstört. Es ist im sozialen Umfeld wichtiger geworden als die Jahreszeiten, als ein Spaziergang, ein Buch, eine Begegnung, ein Gefühl. Schon bei dem Gedanken, daß das Fernsehen den Menschen dient, die nicht wissen, wie sie ihr Leben verbringen sollen, daß es solche überhaupt gibt, bei diesem Gedanken überläuft es einen eiskalt. Die Graumsamkeit, die Hartnäckigkeit, mit der einen das Fernsehen anstarrt, mit der es erbarmungslos jede Peinlichkeit, jeden Moment der Scham und des Unbehagens fixiert, diese ständige Examens-Atmossphäre; die in all seinen kretinenhaften Spielen herrscht, ist die plumpe Geselligkeit, die uns ein Leben lang begleiten wird, wie FAUST vom MEPHISTO begleitet wurde. Fernsehen ist der Psychoanalytiker der Welt, es ist ein Meisterstück der Ungleichzeitigkeiten des Lebens, mal dreht sich das Uhrwerk fünfzig Jahre zurück, dann erleben wir die aktuelle Gegenwartskatastrophe, ein Interview. Kurz darauf springt der Zeiger wieder auf Null. Die schiere Bilderkette wird vom Kameraauge fixiert.

Fernsehen kann mit jedem großen Unternehmen mithalten; es ist Wachstumsindustrie, Profitmaschine, Warenkultur, Barbarei, Dämon und Enzyklopädist.

Auf dem Bildschirm ist die Welt, in die der Zuschauer eintritt, in jedem Moment schon fertig, vollendet. Es gibt eine Lebenskraft des Fernsehlebens: Die Programmbedienung das ist der Grund, warum verschwommene Flächen und verschwommene Motive in die Leichtigkeit des Klaren eintreten können, weil nun alles von den Figuren abhängig ist, die sie erzeugt, der Stoff, aus dem die Helden sind. Fernsehen zwingt den Figuren jene alten Vorstellungen vom Schicksal wieder auf, die das Reich des Kitsches für sie parat hält: Hollywood in Belgrad: Man wollte, es wäre Nacht, und die NATO kommt! Wenn sie kommt, gerät das Bild in Bewegung. Der Boden erzittert, zerstörte Häuser, zusammengebombte Brücken, brennende Tabakfabriken das Bild kippt ins Schwarzweiße -die Tage des Terrors kommen ins Fernsehen, montiert aus Originalaufnahmen nach nachgedrehtem Material. Da gelingt es dem Fernsehen, was die weltweite Politik nicht erreichen kann: Die Versöhnung von Story und Geschichte. Es nimmt alles auf, was aufzunehmen ist. Jedes Bild kann als Schuß bezeichnet werden; denn er nimmt uns vom Bildschirm, fügt uns nahtlos in das nächste Programm ein. Und nach dem Duell: Das Lachen, das Sterbender Bann bricht.

Und dieser Zustand tauber Anspannung und bewegungsloser Panik gipfelt in der starren Aufgeregtheit, die schon wieder die allernächste Erinnerung ist; die Identifikation mit der Faszination des Bösen oder der Triumph des Guten über die Mächte der Finsternis. Dazwischen gibt es nichts; vielleicht die Geheimnisse der Perversion, oder die eines Gesichts. Deshalb entläßt es den Zuschauer immer mit einer Ermüdung. Er muß immer wieder einschalten, um sich einen neuen Schub zu holen, für den Rest des Lebens, das ihn lähmt, er muß in den Abgrund blicken, dem er gerade erwachend noch einmal entronnen ist. Und weil das Fernsehauge diese Diskrepanzen wahrnimmt, muß man nur auf ein einziges Organ verzichten: Auf das Gehirn! Man muß es gegen das 'Atelier der Häuslichkeit' eintauschen, gegen eine Apparatur des künstlichen Erwachens. Es ist so konstruiert, daß das starre Auge uns unsere eigenen unaufhörlichen Bewegungen vorgaukelt, während der Kopf stillsteht. Je perfekter diese Apparatur funktioniert, je stärker der Magnetismus ist, mit der unsere Wahrnehmung gefesselt wird, desto tiefer ist die Dunkelheit, in die alle Sinne eintauchen. Und endlich wird es Nacht. Fernsehen ist vollkommener Krieg; Krieg der Umnachtung, in dem alle Sinne grau sind. Es ist kein freundlicher Gegner; Fernsehen ist ein Feind mit zwei Ausgängen, einen in die vermeindliche Realität, einen anderen in den Schlaf. Erst wenn die reale Zeit, die von beiden Seiten auf uns einstürmt, vernichtet ist, wird es zu einem Reich, in dem man wahrlich konsumieren kann. Es ist nur eine schwache Metapher für den Zustand, der uns erreicht, wenn wir die Programmbedienung drücken. Durch einen Tastendruck erscheinen die unglaublichsten Dinge glaubhaft, für diese Unendlichkeit, die auf einer Nadelspitze balanciert. Mit der Manipulation der Wirklichkeit erscheint es uns als Montage, Demontage, Trick und Inszenierug theatralisches Zauberkino -Irrealität, das der versiegelten und zersplitterten Zeit. Im Fernsehen gibt es somit auch zwei Wirklichkeiten, die eine, die das Wirkliche leugnet, und die andere, die sie aufhebt und bejaht. Die erste Wahrheit ist die der Suggestion: Wir sollen glauben, was wir sehen. Nach diesem Prinzip arbeitet auch das Kino. Fernsehen und Kino ist nicht weit voneinander entfernt: Sich die Welt zu unterwerfen, danach arbeiten beide. Sie bedienen die Maschinerie der Moderne, deren Zweck auch darin besteht, Bilder zu produzieren, die die Wirklichkeit ersetzen (gemeinhin als Ablenkungsmannöver gedeutet); Surrogate, die die Phantasie zugleich lähmen und lenken, bis sie sich in jeden noch so monströsen Unsinn fügt.

Die zweite Wahrheit, die dämmernde, verhöhnende, bedrohende, totalitäre und verachtende Wahrheit ist die, die das Geschehen trennt. Denn Gegenwart des Fernsehens ist immer nur die Gegenwart des Vergangenen. Es verneint den zeitlichen Riß; denn es soll ja Realitätsbildend sein, Präsenz offenbaren, allgegenwärtig von allen Teilen der Welt berichten. Gerade dadurch wird es ganz gegenwärtig und ganz vereinnahmend. Da es die Bilder zerstückelt und nicht ruhig ausbreitet, gewinnt es das grausame Spiel mit der Zeit; und weil es gerne auf die Menschen verzichtet, ist das Glück, die Lust, das Spiel, die Freude auch obsolet. Fernsehen ist Abklatsch und Farce. Das, was aufbewahrt werden soll, zerbricht bereits schon wieder im ersten Ansatz PAWLOWsche Splitter und Stimuli, auf die wir mit eingeübten Reflexen reagieren werden, heute, morgen und übermorgen. Und sonst nur Schatten, Schemen am Tag. 'Night on Earth' Die Nacht, in der die Zeit lähmend verrinnt, dahinfließt zwischen den Kontinenten, den Meeren, den Inseln, der Städte. Es ist Nachtgeschichte der Überschneidung, der Gleichzeitigkeit. Die ganze eine Nacht der modernen Warenproduktion nur ein Sinnbild seiner Zeit, die wirklich vergeht. Jede Geschichte, die wir sehen, ist nur eine von unzähligen, die wir nie erfahren werden. Und dennoch geschieht etwas, das so nie wiederkehrt: Der Taumel der Sehnsüchte über Räume und Zeiten hinweg ist vorbei. Fernsehen ist ein Magnet, an dem selbst unsere kleinsten Einzelheiten hängenbleiben. Um Siege zu erringen, braucht es uns nur unsere Phantasie nehmen, die in unseren Sehnsüchten gespeichert sind und es erscheinen die Militärs, die Dummheit und die Gewalt. Fernsehen ist daher auch Kriegskino. Und wenn es nur eine halbe Stunde am Tag dauern würde, wäre der Krieg das Hauptereignis des Fernsehtages. Es redet über Soldatendinge, das ist ebenso simpel wie eintönig. Was dem Soldaten gefällt am... will ein Reporter wissen. 'Einfach cool' antwortet dieser auf die nicht zu Ende gestellte Frage. Auch wenn es ihm zuwider ist inmitten all der Flüchtlinge, aber er ist immer auf der Höhe der Situation; stets aus dem Hinterhalt agierend, wie verdorbene amerikanische Schulkinder, die mir nichts, dir nichts mal eben ein Massaker anrichten. Die jungen und alten Waffennarren, und ihr Alltag ist so nerventötend banal wie ein Auftritt der 'Backstreet Boys'. Dieses Krampflachen, mit dem das hohle Zwitschern der Totenschatten im homerischen Hades auf die Erde zurückgekehrt, begleitet jeden Satz der Bomberpiloten, wenn sie vor die Kameras treten, und die 'fehlgeleiteten' Bomben auf Zivilisten erklären wollen. Das Fernsehen ist dabei, wir sind dabei, und es ist der Ausdruck des Ausdruckslosen, ein Off-Ton der absoluten Gültigkeit, weil das Recht und der Einsatz für die Menschlichkeit auf ihrer Seite ist im Angesicht des Schrecklichen.

Das Fernsehen macht sein Publikum zu Killern. Die Werkzeuge liegen bereit: Pompöse Drehbücher, Produktionsfirmen, Aktienmehrheit und Programmrechte, Finanzmittel, Pay-Tv und Moderatoren jedes Trauma ist allgegenwärtig, wo es nicht vorhanden ist, wird es aufgespürt, mit der polternden Zeigefingermoral oder der journalistischen Neugier. Gibt es keine Gewalttat, muß die nächste vorbereitet werden; in jeder Szene kann munter massakriert werden, und es darf nicht verwundern, wenn ganze Heerscharen von Kindern übernächtigt Reste von Kino-Totalen, Videos, Fetzen von Trickfilmen, Hardcore, Acht-Milimeter-Material, Adler, Skorpione, Hakenkreuze, Pistolen und Messer morgens mit in die Schulen bringen. Wer einen Song in der Diskothek wählt, der einem anderen nicht gefällt, kann zusammengeschlagen werden Fernsehen hat diesen Malstrom begriffen und er taucht an tausend Stellen immer wieder auf; es ist ein Trip und ewig bluten die Bilder. Und wichtiger noch: Was gemeint ist bei den Bildern über Gewalt und ihre Abbilder, ist selbst eine Gewalttat, dermaßen, daß die visuelle Masse beliebig verschiebbar ist, wie ein Song, ein Sound, mal dicker, mal dünner aufgetragen, Liebe oder Zynismus gaukelt, Blutgier und Macht. Reiß der Bildschleier auf, und tritt die Botschaft ans Licht, dann weiß man, was Gewaltdarstellungen ausmachen: Der Höhepunkt einer langen Tradition findet VollendungBewußtseinsmassage. Das Fernsehen massiert uns weiter, Film um Film, Krieg um Krieg -Cooler ist nur der Tod!!  

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