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KOSOVO Antikriegsseite


Protest den Bombenwerfern

Von Jürgen Reents

Aufbruch und Erneuerung - Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert. Unter dieses Motto haben SPD und Grüne vor einem halben Jahr ihre Koalitions- vereinbarung gestellt. An den Anfang ihrer außenpolitischen Absichten schrieben sie einen Absatz mit nur vier Worten: Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Es ist lange nicht mehr so kompakt gelogen worden.

Der Krieg gegen Jugoslawien dauert fast sechs Wochen. Sechs Wochen, in denen Hunderte Menschen aus der Luft getötet, Tausende verletzt und Hunderttausenden ihre Arbeitsplätze zerbombt wurden. Dazu Brücken, Heizwerke, Wasserleitungen, Wohnhäuser, Flughäfen, Rundfunk- und Fern- sehsender. Und an jedem Abend sind zwei immer gleiche Sätze zu hören: Der Flüchtlingsstrom hat weiter zugenommen. Die NATO will ihre Luftangriffe verstärken. - Diese beiden Sätze haften genau so fest zusam- men, wie sie gesprochen werden. Die Bomben der NATO sind zum Schwung- rad von Flucht und Vertreibung geworden. Sie haben die Nationalismen auf dem Balkan nur befördert. Und auch in den Köpfen hierzulande.

»Jedes Kind, das auf der Flucht stirbt, zerrt an unseren Nerven«, schreibt der Soziologe Jürgen Habermas. Man kann ihm nicht wider- sprechen. Aber man muß ihn und alle anderen einäugigen Falken des Menschenrechts fragen: Zerren auch die von NATO-Bomben ermordeten Kinder in Surdulica an euren Nerven? Die Toten im Zug auf der Bistrica- Brücke, im Flüchtlingstreck bei Meja, in den Häusern von Novi Sad? Ihnen wird lakonisch ein Tut-uns-leid ins Grab gerufen, es war nur ein Versehen. So wie 1991 die US-Rakete, die in einem Bunker in Bagdad einschlug und nahezu 400 Menschen tötete. So wie 1988 die US-Rakete, mit der ein iranischer Ziviljumbo mit 290 Passagieren an Bord abge- schossen wurde.

Kaum jemand fragt indes, wie viele Menschen auftragsgemäß getötet werden - weil sie die Kleidung eines jugoslawischen Soldaten, einer Angestellten oder eines Hausmeisters in einem jugoslawischen Mi- nisterium tragen. Das Pech beider - der ungenau wie der genau gezielten - Opfer ist, daß sie Serben sind. In einer ansonsten eher kritischen Berliner Tageszeitung hieß es kürzlich: "Wie die Polizei mitteilte, mischten sich unter eine Demonstration von mehreren hundert Menschen mehrere Serben." Fällt es noch auf, was hier in die Köpfe dringt?

Vor allem aber sind es die beständigen Vergleiche mit dem Nazi-Regime, die Behauptungen von Konzentrationslager und Völkermord, mit denen die Bombenwerfer ihre Moral rechtfertigen. Wenn es so ist... ja, wenn es so ist! Schröder, Scharping und Fischer haben in Windeseile die Lektion gelernt, die PR-Strategen in den USA schon lange vertreiben: «Schnel- ligkeit ist entscheidend... Es ist die erste Behauptung, die wirklich zählt. Alle Dementis sind völlig unwirksam.« So James Harff, PR-Berater des Pentagon im April 1993 im französischen Fernsehen. Zum Wahrheits- gehalt von Informationen während des Bosnien-Konflikts offenbarte er: "Wir haben die Existenz der Todeslager in Bosnien nicht überprüft, wir haben einfach in der Öffentlichkeit verbreitet, daß 'Newsday' dies bestätigt... Wir sind Profis. Wir hatten eine Aufgabe und wir haben sie gemacht."

Der Vorwurf, daß gegenüber dem Elend der kosovo-albanischen Flüchtlinge gleichgültig sei, wer diesen Krieg ablehnt, ist zynisch. Schröder, Scharping und Fischer ist zu entgegnen: Zeigen Sie uns die Bombe, die das Leid eines Flüchtlings gemildert hat.

Nach fast sechs Wochen Krieg bleibt offen, wie lange die Luftangriffe noch fortgesetzt werden. Daß Rußland sich jetzt als Lenkwaffe der NATO- Diplomatie aufrichten läßt, ist nicht nur vom IWF gut bezahlt, sondern hat für die Kriegsallianz Vorteile in jeder Hinsicht: Sollte Jugoslawien sich trotz russischer Vermittlungsversuche einer Stationierung fremder Truppen verweigern, werden die Risiken der NATO für die weitere Eskala- tion dennoch geringer. Sollte es aber eine erfolgreiche russische Ver- mittlung geben, wird insbesondere die Bundesregierung den Friedenserfolg für sich reklamieren.

Am 1. Mai stehen im allgemeinen soziale Forderungen im Vordergrund. In diesem Jahr wird der Protest gegen die Bombenwerfer daneben rücken.

aus: ND, v. 30. April 1999

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