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KOSOVO Antikriegsseite


GELSENKIRCHEN, 25. 04. 1999

DER UNTERTAN PROKLAMATION EINES ZEITGEMÄßEN DOGMAS

von DIETMAR KESTEN

Als RUDOLF SCHARPING erklärte, daß der Krieg gegen MILOSEVIC "noch Monate dauern könnte", dachte ich unwillkürlich an an HEINRICH MANNs Roman "Der Untertan", der zum erstem Mal 1918 erschien.

Als Diagnose der Gültigkeit kann er in vielen Bereichen heute sicherlich noch angewandt werden, wenn man statt "Untertan", Opportunist, Mitläufer, Wellenreiter, oder Konformist setzt. Sieht man vom damaligen Zeitkostüm ab, von der literarischen Schreibkunst, dann könnte der Roman ebensogut 1933, 1945, 1980 oder 1999 gespielt haben.

Ganz gleichgültig, wie er auch interpretiert wird, Herr DIEDERICH HEßLING, die Romanfigur, ist eine typisch deutsche Figur der Obrigkeitsstaatlichkeit, ohne Mut, ohne Zivilcourage, immer unterwürfig, in sich bemitleidenswert, doch immer bereit, sich mit den "allerhöchsten Handlungen", der "Staatsmoral", der gnadenlosen Unterwürfigkeit zu identifizieren. TUCHOLSKY soll über "Der Untertan" gesagt haben, daß dieses Buch "das Herbarium des deutschen Mannes" sei, "in seiner Sucht, zu befehlen und zu gehorchen, in seiner Roheit und in seiner Religiosität, in seiner Erfolganbeterei und in seiner namenlosen Zivilfeigheit".

Die politische Wüste vegetiert; die gesamte Geschichte wird von SCHARPING in einem Satz zusammengefaßt; der "moderne Mensch" löst den Widerspruch seiner Zeit dadurch, daß er in die ewige Tragik seiner Geschicke abdriftet, und rationale Antworten, die ihn aus den Einrichtungen der Sklaverei herausholen könnten, erscheinen angesichts dieser Äußerung absurd: Die "allerhöchste Handlung" wird von einer "starken Autorität" in Szene gesetzt, und der unterwürfige Mensch reagiert auf diese existentielle Widersprüchlichkeit nicht; identifiziert sich mit der typisch deutschen Figur, die MANN so vortrefflich beschrieben hat.

Doch der Krieg geht weiter, und er wird begleitet von den falschen Versprechungen des baldigen Sieges, von falschen Beteuerungen der eigenen Schuldlosigkeit, von falschen Friedensangeboten und heuchlerischen Angeboten hinsichtlich der Friedensbedingungen. Je länger sich der Krieg hinzieht, stellt sich die Fage: Wie ist es möglich, daß Millionen Menschen dem "Beistandspakt" huldigen, um unschuldige Menschen anderer Völker zu töten und sich selbst töten zu lassen, wenn nicht heute, dann morgen?

Die ewig krude Philosophie des "Erstschlages"!

Wofür kämpfen sie eigentlich; wie ist ist es möglich, daß beide Seiten glauben, sie kämpften für "Frieden und Freiheit"; wie konnte der Krieg ausbrechen, wo doch jeder behauptete, er habe ihn nicht gewollt; wie ist es möglich, daß der Krieg die Erhaltung des eigenen Gebietes und die Eroberung anderer Gebiete zur Voraussetzung hat, wo doch beide Seiten behaupten, es gehe ihnen nicht um Eroberung, sondern nur um die Erhaltung ihres eigenen Gebietes und dessen Unantastbarkeit? Wenn aber, wie sich zwischenzeitlich hereausstellte, beide Seiten durch Eroberung den "Ruhm" ihrer politischen und militärischen Führer anzeigen wollen, wie ist es dann möglich, daß Millionen Menschen sich auf die eine oder ander Seite schlagen; zustimmend oder ablehnend, sich selbst zu Zuschauern degradieren lassen?

Um der Eitelkeit willen, sich abschlachten zu lassen; den Kampf als persönliches Erlebnis anzeigend, gleichwohl mit einem ironischen Lächeln auf den den Lippen, daß es nichts gibt, das die "deutschen Helden" vernichten könne. Aus SCHARPING sprich die Stimme der "Vernunft", des "Wirklichkeitssinns", inmitten des aberwitzigen Hassses -was für eine Erleuchtung! Ensteht der Krieg durch einen sinnlosen Zufall, oder ist er die Folge bestimmter gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, die ihren eigenen Gesetzen folgen und die man verstehen, ja voraussagen kann, wenn man die Natur dieser Gesetze erkennt. Krieg in der kompromißlosesten Form ist die mechanische Kunst des Handelns, als politischer Zweck gedeutet: Entweder den Gegener ganz zu vernichten, seine Staatenexistenz aufzuheben, oder ihm bei Friedensverhandlungen Bedingungen vorzuschreiben. In beiden Fällen muß es immer die Absicht sein, die feindlichen Kräfte zu lähmen, daß er entweder gar nicht oder nicht ohne Gefahr seiner gesamte Existenz ihn fortsetzen kann; die gegebene Tatsache im Leben der Völker und Staaten. Ohne Reue werden diese Grundsätze CLAUSEWITZ als "geschlossene Gedankenführung" aus Bonn präsentiert, ohne die Frage nach dessen Sinn, Recht oder Unrechtmäßigkeit aufzuwerfen.

Vermutlich könnte auch "Der Untertan" hervorheben, daß der Krieg in das Gebiet des gesellschaftlichen Leben gehört, und daß im Zeitalter der Menschenrechte, der UN, des 50. Geburtstages der NATO, der Osterweiterung, der "neuen Aufgabenbereiche" mittelbar gestorben wird, den Bestand an überschüssigen Menschen in peripheren Zonen durch Unterversorgung zu dezimieren. Die Flüchtlingsdramen aus dem Kosovo beweisen die Wertlosigkeit der dort Lebenden für die Profitgesellschaft. Die profitabelste Lösung ist der schnelle Tod von eben diesen Menschen, und Waffenexporte aus der Vergangenheit und durch versagende Diplomatie, die die Henker hofiert hatten, helfen mit, sie nur als "Material" zu identifizieren, das ein für alle mal nicht mehr benötigt wird. Krieg ist ein Konflikt, der sich blutig löst; wer kann ungeschehen machen, was geschehen ist, verleugnen, verdrehen, verschweigen wir Geschichte. Und im 21. Jahrhundert weiß keiner mehr, was der Fall war. Wir sind die historischen Bedingungen seiner Zeit, Lebenswirklichkeit, seine "positiven Lehren" aufsaugend, als gehe es um Lebensempfindungen und Geistesrichtungen. Wir sind die Räder unserer eigenen Fälschung; wir sind Komplizen des Krieges, die den Bruch mit ihm nicht begriffen haben; wir stehen nicht am Ende der völligen Unterwerfung unter ihn, sondern erst am Anfang.

Am Ende des Jahrhunderts schickt er sich an, mehr Wirklichkeit zu werden, als es hätte angenommen werden können. Wer atmet da noch auf, bei dem Gedanken, daß Kriegsgeschichte, die für eine Weile der Politik aus den Fängen glitt, Ideologie ist, und sie sich mit den Militärs in Pose anschickt, so wunderschön wieder in Gang zu kommen? Das Feld der Kriegsgeschichte ist wieder für die Bewegungen der Völker relevant geworden; und im Gegensatz zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird diese depressionsträchtige Mythologie sich in der Schlußphase mit einem spektakulären Aufflammen von uns verabschieden, um dann mit einer Erhöhung aller Einsätze das 21. Jahrhundet einzuläuten. Wir sind Roboter des Vergessens, Gauner und Verräter, denen nichts heilig ist, neidisch und bösartig, zu Tränen gerührt, wir wägen das Schlechte und das Gute, Mitleid und Zärtichkeit und doch sind andere uns gleichgültig. Krieg ist die Kunst der Politik, die Kunst der Politik ist der Dilettantismus, zu befeheln, zu gehorchen, anzubeten, sich selber gegenüber der Umwelt zu verbergen: Das Vernichtungsprinzip, das dem Krieg zugrunde liegt, muß die Lebendigkeit von Geschichte in Zweifel ziehen können angesichts dessen, was sich gerade vor unseren Augen abspielt. Aus der Nähe betrachtet, ist das Ereignis mysteriös.

Es geht einher mit einem von bisher keiner Seite identifizierten "geschichtlichen" Objekt. Wenn es auftaucht, ist es zweifellos eine dramtische Wendung; aber was wird aus ihm, wenn es tatsächlich und endgültig aufgetaut ist? "Deutschland werde alle wichtigen Entscheidungen der NATO mittragen", so SCHRÖDER am 25. 04. 1999. Ein gefährliches Unternehmen, daß die Bodentruppen abdeckt, und gegen jedweder bisherigen Negierung DIE Methode der Kriegsführung ist, um den "Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen" (CLAUSEWITZ). Der Untertanengeist führt diese Begriffe bis zum Äußersten. Vorstellungen, Wirklichkeit, Logik und Praxis sind nun keine Spekulationen mehr, keine "Träumerei" abgetakelter Militärs, eine Vermutung mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad. Solle die "Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens" tatsächlich eher Realität bekommen, als es der Abschluß der Feldzüge aus dem Golf, oder aus dem Bosnien-Krieg erahnen ließe? Der Westen ist nur noch eine Verwahranstalt für Kriegsgerät und Kriegsideologie. Er ist die Deponie für "Freiheitund Menschenrechte", wie eine Tiefkühlkost, um, wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist, diesen Zustand durch die absolute Verflüssigung zu charakterisieren. Die ursprüngliche "Gewaltsamkeit seines Elements" wird somit zu einer Verwaltungsangelegenheit, die ähnlich der Tiefkühlkost das Staatsleben berührt, bis die Idee der "Freiheit" in den schönen Tod, den Leichensäcken einmündet. Die Gedenkfeiern zur NATO haben das sehr gut gezeigt: Kein Verbrechen ist perfekt es muß immer noch perfekter gemacht werden. Man wird den neuen Kulturentwurf mit Wiederbelebungsversuchen ausstatten, dem Versuch, postmodernen Krieg zu rehabilitieren.

Krieg ist fremdbetriebene, psychotrope und pornographische Erregung; ihn zu ändern hieße, auch den Untertanengeist zu verändern, die Kriegsgeschichte zu beenden, sie ineinanderzuschieben, um den Druckabfall aufzuhalten.

Nun ist er jedoch "ein politischer Akt", eine "Fortsetzung des politischen Verkehrs", ein "Durchführen desselben mit anderen Mitteln" (CLAUSEWITZ). Kriegsgeschichte macht nicht zweimal das gleiche Angebot. Wenn das "Reich des Bösens" zusammengeschlagen werden soll, dann muß sie mit den menschlichen Verhältnissen umgehen können. Wie sie das tut, ist dem politischen Zustand eines Staates zu entnehmen, seinen despotischen Gesetzgebern, die das Verhältnis von Politik und Krieg in einen inneren Zusammenhang stellen, und um der Priorität willen letzteren als den großartigsten und entschiedendsten Akt eines Urteils zu feiern. Die rückwirkende Tranparenz der Zeichen der Moderne beschleunigt die Kriegsverbrechen, die Katastrophen, die barbarischen Unfälle, sogar die Wiederentdeckung des pornographischen im Kriegalles, was bisher von der Zensur unterschlagen wurde, feiert ebenso sein Comeback wie der Rest der ganzen Welt. Immer ist es die Ideen-Halluzination, die Wiederkehr des Verdrängten, einschließlich der schlimmsten Verkümmerungen des Geistes, des Banalsten, des Abklatsches, was in der Kriegskultur einen Namen hat und um dessenwillen es keine Grenzen mehr geben wird: Der Mensch in der Stunde der Wahrheit, die schon einmal geschlagen hat, friert selbst die Bewegung seiner eigenen Geschichte ein, er konserviert sie, und weil seine eigene Eiszeit auch Teil seines weltgeschichtlichen Erben ist, praktiziert er "kriegerische Tugenden" im Alltag. Er geht ganz und gar darin auf, in die Rollen zu schlüpfen, die der Staat ihm auferlegt. Wer in dieser "Aufrichtigkeit" dem Staat gegenüber lebt, sollte sich allerdings fragen, welche Wendung denn die Geschichte aufgrund der aktuellen Ereignisse nimmt? Sie geht nicht nur auf ihr Ende zu, sondern bleibt auf halbem Wege stehen, um dann die systematische Auslöschung zu betreiben. Wir sind drauf und dran, das ganze 20. Jahrhundert mit dem Krieg zu tilgen, nicht im Sinne eines Sprungs der Geschichte nach vorne, sondern in einer Art der begeisterten Trauerarbeit sie noch einmal zu durchleben. Die Kriegsgeschicht in der Phase der Modernität ist Restauration, Regression, Rehabilitation, Wiederaufleben der alten Gesetze, der Macht des Stärkeren, der alten Unterschiede, der Einzigartigkeiten und Religionen, ein Sinneswandel selbst auf der Ebene aller Sitten und Gebräuche -der gewaltige Prozeß noch vor dem Ende des 20. Jahrhunderts, in geheimer Hoffnung, daß die Köpfe der Militärs das neue Jahrtausend nicht wieder bei Null beginnen lassen werden. Wenn aber alles durch den Krieg in den Anfangszustand zurückversetzt wird, drängt mit Macht die Frage nach vorn: Wohin?? Zurück ins Elend. in die Katastrophe, ohne Heimat, Haus und Hof, ohne Integrität, ohne Identität, ohne Zustimmung, Liebe, Wohlbehagen und körperlicher Unversehrtheit?

Krieg ist gleichsam die Formel eines Virus und einer Epedemie; und jede Reue ist in ihm ermüdend, wie auch das "gute Gewissen" dem Staat gegenüber ermüdend wirkt, wenn es symbolisch nur das Monopol der Götter über die Produktivität anerkennt, zügelt er seine eigenen Kräfte durch Schuldgefühle. Das Abbüßen der Geschichte beginnt, der Reumütige tritt zur Illustration zum gehorsame Sklaven auf, der auch Zuchtmeister ist, um immer wieder selbstgezeugten Sklaven den autoritären Odem einzuhauchen.

Die ganze Kriegsgeschichte ist voll davon. Doch über ihre Exesse hinaus ist die gesamte Bewegung der Moderne von ihr betroffen: Die Wiederverwendung alter Formeln, die Volksbegeisterung für die Rehabilitierung bis zu eklektischen Sentimentalitäten mit der Tendenz der niedrigen Auflösung und hoher Intensität für die eigene "Befreiung".

"Das Wesen des Krieges hat sich geändert, das Wesen der Politik hat sich geändert, so muß sich auch das Verhältnis der Politk zum Kriege ändern." (CLAUSEWITZ).

Entspricht diese Einforderung dem Mehr an Modernität, oder ist sie der Spannungsabfall zwischen Mühelosigkeit und Schnelligkeit dieser "Befreiung", vielleicht eine Auflösung von Energie in Wärme? Sicher, es erwärmt sich die Welt, weil die Pole schmelzen, aber nicht, weil ein Wärmeaustausch zwischen den Völkerrn stattfindet, die den Krieg geißeln.

So bleiben sie die Tragik des Krieges die niederste Form eben dieser Energie. Selbst wenn der Krieg weder geschichtlich noch modern wäre, ist er dem Inhalt nach ein Ereignis der Wiederaufbearbeitung der Phantasien des menschlichen Geistes, der Wiederverwendung der durchdachten Faustregel "Wenn einer fällt, dann stoße nach". Der Kapitalismus, die liberalen Zuschnitte der Menschenrechte auf die Marktwirtschaft, trägt den Sieg davon; keinesfalls mehr die ursprüngliche, historische und moderne Form der Marktwirtschaft, aber die bereinigte Version, bereinigt von all ihren Widersprüchen, nicht jedoch von seiner konflikthaften Infrastruktur des historischen Kapitalismus, eine moderne Marktwirtschaft, die von keiner sozialen Kraft mehr bekämpft wird, die keine innere Konkurrenz mehr antreibt, außer der eigenen, durch Kriege zu überleben, der keinen Impuls für die Zukunft gibt, nur transpolitische gähnende Leere. In diesem Vakuum der Finanzspekulationen und der virtuellen Börsenkrachs, der Ökonomie des Untergangs, ist der Krieg eingebettet, aus einer Verwerfung zwischen Basis und Überbau resultierend. Man könnte ihn als Produktion, als Markt, Gewinnanstalt bezeichnen, der unsere eigene, irreale Welt widerspiegelt; spekulativ, da er die Ideen der Produktion teilt, den Gewinn nicht entbehrt, den Fortschritt zerschlägt; er ist nicht mehr nur modern, sondern postmodern, weil sich seine überstürzenden Ereignisse und die darin verwickelten Völker als "historisches Ziel" kennzeichnen lassen. Krieg ist universell; Koordinierung von politischem Zweck, militärischen Mitteln, staatlichen Grundsätzen.

Er stellt Forderungen an uns, die er nicht leistet, aber wir zu leisten bereit sind, wenn es heißt in den Krieg zu ziehen. Er ist der Nullpunkt der zuivilen Energie, um, wie es scheint, in der paranoischen Hast auf den Endpunkt, das Wiederaufleben seiner eigenen Geschichte zu betreiben. Seine Träume darf man keineswegs für Tatsachen halten; denn er ist Tatsache in sich. Der verwirrende Zustand von Tauwetter, Erlösung und der kometenhafte Aufstieg des militärischen Denkens, der erstaunlichen Medienpräsenz, die die ganze Welt bereist, ist wie eine Religionsformel; es enthüllt sich das, was HEGEL " das in sich bewegliche Leben dessen, was tot ist" nennt. Wenn er die definitive Bereinigung aller Konflikte sein soll, alle negativen Ereignisse absorbiert, allen Schutt aus der Welt verschwinden lassen will, dann ist es doch nur die Politik des Weißwaschens und des Aufpolierens, woran sich sämtliche Nation mit Eifer beteiligen, sich dem nicht entziehen können, weil wir ihn mit unseren Mitteln erzeugen; selbst mit höchster moralischer Brisanz ihm Ruhm und Singularität verleihen.

Haben wir es eilig, vor der Schlußbilanz noch einmal unsere Maske zu lüften, die Jahre des Schweigens abzuwerfen, und das gnädige Ende des abgelaufenen Jahrhunderts mit ihm durchzusterben?

Was wir gerade erleben, kann uns nicht mehr durchatmen lassen. Uns wiederfährt sein chronologischer Sinn: Hier liegt das eigentliche Problem: Krieg ist die ganze Bewegung der Moderne, mal differenzierter, mal hoch auflösbar.

Sollte es eine Möglichkeit geben, ihm zu entgehen, eine Abkürzung einzuschlagen, und ihn nicht in die Zeit zu lassen, ihn vor dem Satz über das Ende der Geschichte einzuholen, dann wäre das ein wirklicher Sprung.

Der Bruch tritt nicht ein, stattdessen verfallen wir in eine "nekrospektive Melancholie" (HEIDEGGER), und weil alles so schlimm ist, alles noch mal durchzuleiden, um alles korrigieren zu wollen, alle vergangenen Ereignisse aus unserem Kopf zu verdrängen, traditionalisieren wir ihn, wenn er auch unbegreifbar ist; kein rückläufiger Prozess mehr er reicht uns die Hand bis zur trauten Eintracht der Gefühle, bis zur Strohhütte der Primitiven und dem ökonomischen Flirt mit seinem Ursprung.

Der Untertan beschreibt, wie wir die Annäherung an den Krieg vollzogen haben, wie die Moderne an Tempo zugelegt hat, wegen der Übertragung ihrer Keime auf uns. Da wr uns der historischen Situation ergeben, müssen fünfzig Jahre "Rückstand" überwunden werden, um in das Loch der Vergangenheit zurückzufallen. Ist er doch nicht mehr als die totalitäre Umschreibung für Geschichte, der umgekehrte Verhältnisse drohen: Die Tilgung aus den Büchern und Gedächtnissen.

Warum sollte man auch MANN einen Platz in den Büchern offenhalten, wenn seine Geschichte einen Meter neben uns sitzt? Eine neue Liste seiner Geschichte wird es nicht geben, es war nicht die erste und wird nicht die letzte gewesen sein, ein Clou ist sie allemal.

Alle neuralgischen Punkte des Krieges werden somit durch uns selbst beseitigt; ein unglaublicher Wetteifer beginnt: Jeder will der erste sein mit der Liquidierung der alten Schlacken, um möglichst noch vor dem Ende des Jahrhunderts als "wahrer" Staatsbürger auf dem Tableau der ORWELLschen Prophezeiungen zu erscheinen.

Wir könnten uns auch Mitesser im Gesicht entfernen: Es bleibt gleich: Krieg ist immer eine Schönheitsoperation, auch wenn er diesmal die Form der letzten Verfolgungsjagd angenommen hat. Das ganze Szenario sollte nicht nur einen Augenblick Trauer hervorrufen, sondern beständig, immer!!

Nicht deswegen, weil die diabolische Strategie des Kapitals den Rückfall amortisiert, sondern weil sein virusbedingter Effekt aus uns Schlangen gemacht hat. 

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