Kurve
Wustrow / Kirchstr.14 / 29462 Wustrow
Argumentationshilfe zur Krise auf dem Balkan
- Warum hat die gewaltfreie Bewegung bei der Beilegung des
Kosov@-Konflikts versagt?
- Im Kosov@ hat es seit der Aufhebung der Autonomierechte im
Jahre 1989 durch die serbische Regierung eine gewaltfreie Bewegung für die Rechte der
Kosov@- AlbanerInnen gegeben. Sie stand im Schatten des Krieges in Bosnien und erfuhr nur
wenig internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung, so wie schon in den Jahrzehnten
zuvor die Proteste der Serben in Kosov@ gegen ihre Verdrängung nicht gehört wurden. Es
wurde Milosevic überlassen, sich diese Proteste für seine Zwecke politisch anzueignen.
Als die mit Waffengewalt für die Autonomie der Kosovaren aktive UCK vor knapp zwei Jahren
immer mehr Zulauf erhielt, stellte sie den Interessenvertretungsanspruch der gewaltfrei
agierenden Parteien in Frage. In den Verhandlungen der vergangenen Monate wurde die UCK
diplomatisch aufgewertet und ihren Vertretern der Eindruck vermittelt, daß die NATO sie
bei ihrem Kampf für ein unabhängiges Kosov@ unterstützen würden. Der Griff zur Waffe
erweckt die Illusion, in einem Konflikt schnell handlungsfähig zu werden und Ergebnisse
zu erzielen. Dagegen sind Erfolge gewaltfreien Handelns in der Verminderung von Gewalt,
der Verhinderung von Kampfhandlungen, dem Schutz von Menschenrechten naturgemäß wenig
sichtbar und meßbar. Weder der Einsatz von Waffen noch der von gewaltfreien Methoden
stellt sicher, daß schnell Erfolge in der Konfliktlösung erzielt werden.
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- Gab es keine anderen Versuche, den Konflikt zu regeln?
- Ein jahrzehntelanger Konflikt eskalierte zunächst 1981 und
erneut 1989. Internationale Diplomatie hat diese Krisenregion zunächst weitgehend
vernachlässigt. Bereits seit Beginn der 90er Jahre befaßten sich Friedensorganisationen
wie das Balkan Peace Team und die War Resisters International mit dem Kosov@ und bemühten
sich darum, Unterstützung für gewaltfreie Strategien zu mobilisieren. Erst seit gut
einem Jahr jedoch wird intensiver unter Beteiligung internationaler Organisationen
verhandelt. Zuletzt hatte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) eine Friedensmission im Kosov@, die als Puffer zunehmend wirksamer wurde. Die
Verhandlungen in Rambouillet schienen zunächst auf eine Einigung in Fragen des
politischen Status der Region hinzusteuern, scheiterten jedoch an der von den Westmächten
vertretenen Forderung einer Stationierung von NATO- Truppen statt der OSZE-BeobachterInnen
in der Bundesrepublik Jugoslawien. Hier wollte Belgrad unter Verweis auf seine staatliche
Eigenständigkeit nicht einlenken.
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- Warum mußte die NATO eingreifen, um die Rechte der
AlbanerInnen zu verteidigen?
- Das Eingreifen der NATO ist nur vordergründig durch das
Leiden der Zivilbevölkerung des Kosov@ motiviert. Dieses Leiden ist durch die
Luftangriffe der NATO nur noch verschärft worden. Ein verbrecherisches System konnte so
leichter als ohne den Kriegsschleier Pläne der Vertreibung der AlbanerInnen durchsetzen.
Nach Einsetzen der Bombenflüge hat sich der Umfang der Fluchtbewegungen in die
Nachbarländer vervielfacht. Nun fliehen AlbanerInnen und SerbInnen vor der Gewalt der
Auseinandersetzungen auf dem Boden und den Bombenangriffen. Die NATO hat ihr Angriffsziel
innerhalb der ersten Wochen des Angriffs mehrmals umdefiniert. Ursprünglich sollte
Milosevic gezwungen werden, das Abkommen von Rambouillet zu unterzeichnen, dann hieß es,
es ginge darum, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, dann sollten die
jugoslawischen Streitkräfte geschwächt werden und nun soll die Rückkehr der
Flüchtlinge gesichert und der Abzug der jugoslawischen Militärkräfte aus Kosov@
erreicht werden. Die militärische Präsenz der NATO in Kosov@ ist Ergebnis aller dieser
Ziele.
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- Welche Alternativen gab es zum NATO-Einsatzbefehl?
- Daß uns jetzt glaubhaft gemacht werden soll, daß es nur die
Alternativen "Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen" und
"Militäreinsatz" gegeben habe, ist Bestandteil von Rechtfertigungsstrategien.
Das politische und militärische Handeln von NATO-Staaten in anderen Konflikten wie z.B.
in der Türkei/Kurdistan oder im Irak macht deutlich, daß das Wohl der KosovarInnen nicht
die Hauptmotivation für den Einsatzbefehl gewesen sein kann. Wer Menschenrechte und
Minderheitenrechte schützen will, muß an den Verhandlungstisch drängen und auf
politischen sowie juristischen Instrumenten der Streitbeilegung bestehen. Wie alles
Handeln in Konflikten, ist dies oft nicht einfach, unter Umständen langwierig und nicht
immer erfolgreich. Eine wirkliche Alternative ist die langfristig angelegte Unterstützung
der demokratischen Kräfte überall auf dem Balkan (in Bosnien Herzegowina, Kroatien,
Jugoslawien, Mazedonien und Kosov@)
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- Was hätte rechtzeitig mit gewaltfreien Mitteln getan
werden können?
- Seit Beginn der Krise in den 80er Jahren verweisen
Friedensorganisationen auf nicht-militärische Mittel der De-Eskalation und der
Gewaltprävention: eine langfristig angelegte Balkan-Konferenz unter Beteiligung der
Nachbarländer, westlicher Industrieländer, Rußlands und internationaler Organisationen;
Hilfe bei der wirtschaftlichen Entwicklung von Serbien und Montenegro; eine Stärkung der
demokratischen Opposition und der gewaltfreien Bewegungen in Serbien und im Kosov@;
unabhängige Beobachtung und Dokumentation der Menschenrechtssituation; Stärkung von
Kompetenzen in Konfliktbearbeitung auf allen gesellschaftlichen Ebenen; Schutz von
Flüchtlingen aus der Region; Aufwertung ziviler Instrumente internationaler
Streitbeilegung; glaubwürdige Neutralität zu Statusfragen unter Hintanstellung eigener
wirtschaftlicher, innenpolitischer und geopolitischer Interessen durch westliche
Industrieländer; Einbeziehung Rußlands in diplomatische Bemühungen.
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- Ist Frieden in einer Region, in der so viele ethnische und
religiöse Gruppen aufeinanderprallen überhaupt möglich?
- Ja, wenn Frieden einhergeht mit Wahrung der Menschenrechte und
einem Bemühen um eine konstruktive Streitkultur. Daß uns der Konflikt auf dem Balkan oft
irrational und unverständlich erscheint, liegt an der mangelhaften Informationspolitik
und daran, daß Mythen wie die "Irrationalität und Undurchsichtigkeit" der
Menschen auf dem Balkan gerne eingesetzt werden, um die eigene Interessenpolitik dort zu
verklären. Auch SerbInnen, BosnierInnen und AlbanerInnen treffen im gleichen Maße wie
wir rationale Entscheidungen. National-ethnisch oder religiös definierte Kleinstaaten
gefährden eher den Frieden als daß sie ihn gewährleisten.
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- Können die Bombenangriffe jetzt überhaupt noch beendet
werden, ohne daß der Fehlschlag vorprogrammiert ist?
- Die gegenwärtige Situation ist bereits ein Fehlschlag
internationaler Diplomatie. Wenn militärische Wege weiter beschritten werden, könnte das
Regime in Belgrad vielleicht irgendwann einmal einlenken. Die materielle, psychische,
soziale Zerstörung wird jedoch zunehmen und in ihrer Wirkung langfristige Folgen zeigen.
Es gibt keine vertretbare Alternative dazu, statt der Risiken des Kriegführens zu den
sicher nicht wenig risikoreichen Versuchen von Diplomatie und Verhandlung zurückzukehren.
Fortgesetzte Luftangriffe bergen die Gefahr weiterer Eskalation.
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- Wie ist ein menschenverachtendes Regime mit gewaltfreien
Mitteln zu stoppen?
- Auch totalitäre Regime sind auf die Zusammenarbeit der
Bevölkerung angewiesen. Gewaltfreiheit als aktives und couragiertes Instrument des
Eintretens gegen Unrecht ist ein geeignetes Mittel, diese Zusammenarbeit aufzukündigen.
Die Erfolge der Frauenproteste in der Berliner Rosenstraße 1943 und die gewaltfreie
Rettungsaktion für die jüdische Bevölkerung Dänemarks haben gezeigt, daß selbst gegen
Tyrannen wie Hitler Gewaltfreiheit Erfolg haben kann. Von außen können solche Versuche
solidarisch unterstützt werden. Der Aufbau ziviler Strukturen muß langfristig angelegt
werden. Während Milosevic' Regime hat es immer wieder breite Proteste gegeben. Zum
Beispiel vor zwei Jahren, als hunderttausende auf den Straßen gegen Wahlbetrug
protestierten. Die nächsten Wahlen wurden von der gesamten demokratischen Opposition
boykottiert - trotzdem haben die westlichen Staaten diese Wahlen anerkannt. Die jetzige
jugoslawische Bundesregierung hat dadurch ihre Legitimation erhalten. Ein
menschenverachtendes Regime kann nur von unten, aus der eigenen Gesellschaft heraus
verändert werden. Die Kräfte, die in Jugoslawien dafür eingetreten sind, haben kaum
Unterstützung und Aufmerksamkeit bekommen. Dieser langwierige Prozeß ist jetzt durch die
NATO Intervention gänzlich erstickt.
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- Welche politischen Ziele verfolgt die NATO?
- Die NATO versucht, mit Hilfe der Kosov@-Krise ihre seit etwa
1989/1991 anhaltende Legitimitätskrise zu überwinden und sich von einem
Verteidigungsbündnis zu einer internationalen Militärmacht zu entwickeln. Die
US-amerikanischen Bedenken gegenüber europäischen Institutionen des Interessenausgleichs
wie z.B. der OSZE, in der Rußland eine wichtige Rolle spielt, und gegenüber den
UN-Mechanismen haben sicherlich bei Entscheidungen ein großes Gewicht.
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- Was hat die Bundesregierung von ihrer Beteiligung am Krieg?
- Nach außen kann eine rot-grüne Regierung Bündnistreue
nachweisen. Nach innen wird die Regierung ihres entschlossenen Auftretens wegen gelobt,
während sie noch vor einem Monat aufgrund von Entscheidungsschwäche
(Staatsbürgerschaftsrecht, Steuerreform) und Uneinigkeit und mangelnder Professionalität
(Rücktritt Lafontaines) im Kreuzfeuer der Kritik stand.
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