Materialien für
einen neuen Antiimperialismus, Berlin Überlegungen
zum Krieg in Kosovo
In den ersten
Kriegstagen gab es auch innerhalb der radikalen Linken einiges an Verunsicherung, was die
Haltung gegenüber dem Krieg in Kosovo anbelangt. Allerdings war schnell klar, daß wir
uns solche Verunsicherung nicht sehr lange leisten könnten. Die Ereignisse haben sich
zugespitzt und könnten sich in noch viel dramatischerer Weise zuspitzen, und auf einen
umfangreichen und lange anhaltenden Kriegszustand hinauslaufen. Wer darunter zuallererst
und am allermeisten zu leiden hat und haben wird, dürfte klar sein. Die Bevölkerung in
Serbien, im Kosovo, in Mazedonien, Albanien, Bosnien usw.
Aber auch, wenn es zu einem schnellen Ende der Kriegshandlungen gekommen wäre, (was
von Anfang an unwahrscheinlich war) könnten wir uns nicht beruhigt zurück lehnen und
durch unser Nichtverhalten, den Kriegseinsatz der BRD und Nato rechtfertigen, die
angeblich, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, den Krieg führt(e).
Die durch den erstmaligen Kriegseinsatz der Bundeswehr hervorgerufenen Veränderungen
innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft, werden gravierend sein, sie werden nicht
einfach wieder rückgängig zu machen sein, und sie werden die Spielräume politischer und
sozialer Auseinandersetzungen weiter einschränken. Das ist zumindest eine sich
aufdrängende Befürchtung, schaut man sich den Verlauf der Auseinandersetzungen der
letzten Wochen an. Bis tief in die vierte Kriegswoche hinein, ist es außer bei den
Ostermärschen, zu keinerlei größeren Demonstrationen gegen den Krieg gekommen. Von
einer radikalen Linken ist bislang kaum etwas zu hören. Einige waren zumindest in den
ersten Kriegstagen verunsichert, ob den Vertreibungen damit nicht doch ein Ende gesetzt
werden könnte. Zudem will man nicht als Fürsprecher eines serbischen Nationalismus
mißverstanden werden. Andere versuchen das Thema Nationalismus möglichst außen vor zu
lassen, weil sie darin eine Schwächung der Proteste gegen den Nato Einsatz sehen (wodurch
sich die erst genannten bestätigt fühlen könnten) und offenbaren damit das Dilemma
einer Linken deren Verhältnis zu nationalistischen (Befreiungs) -bewegungen noch immer
von deren Beziehungen zur ehemaligen SU, bzw. einer marxistisch- leninistischen Rhetorik
abhängt.
Auch wenn sich in den bürgerlichen Medien die uneingeschränkte Zustimmung zum
Vorgehen der Nato relativiert hat, gibt es kaum ernsthafte Zweifel und eine dem
entsprechende Berichterstattung zur Notwendigkeit der Nato- Angriffe. Einzig dann, wenn
Flüchtlingszüge unmittelbar durch Nato- Bomben getroffen werden, wächst der
Rechtfertigungsdruck. Ansonsten floriert das Geschäft mit der Instrumentalisierung der
Flüchtlinge. Wer behauptet, die Nato- Bomben hätten das Ausmaß der Flüchtlingsströme
erst hervorgerufen, der "verrät" zwar hie und da "das Vaterland",
eine besondere vaterländische Mobilisierung für den Krieg ist trotzdem nicht zu
erkennen. Die Akzeptanz für den deutschen Kriegseinsatz wird ja gerade dadurch
geschaffen, daß er so zerknirscht, innerlich zerrissen und von Seelenplagen gepeinigt
daher kommt (wenn auch der Tonfall von Schröder und Fischer sich da schon verändert hat,
und Schröder an Ostern an die deutschen Soldaten denkt, "die von Italien aus ihre
Pflicht erfüllen" ARD - Interview).
Der hochgelobte, von Fischer eingebrachte, "deutsche Friedensplan", dient
einerseits dazu, die Gefahr einer weiteren Destabilisierung Russlands und eines dadurch
wahrscheinlicher werdenden russischen Kriegseintritts, entgegen zu wirken, und
andererseits sich innenpolitisch den Rücken frei zu halten. Militärisch wird dennoch der
Einsatz von Bodentruppen vorbereitet. Politisch- propagandistisch changiert man zwischen
Ablehnung und Verständnis für die Nöte beschränkter Kriegsführungsmöglichkeiten. Die
TAZ hat ihn schon mehrmals offen gefordert ("Der Plan, den Krieg in der
südserbischen Provinz durch gezielte Schläge aus der Luft zu beenden, ist gescheitert.
Und damit steht ob man das gut findet oder nicht der Einsatz von
Bodentruppen auf der Tagesordnung. Mit allen Risiken für den Weltfrieden". R. Rossig
TAZ v. 14.4.99). Die Schaffung eines Flüchtlingskorridors könnte der Türöffner, der
Granatenbeschuß auf die UCK- Stellungen in Albanien durch die serbische Armee (oder
ähnliches) könnte der Anlaß sein. Sicherlich gibt es hier Widersprüche innerhalb der
"Allianz". Albright hat mittlerweile angemahnt, daß, wer wie Deutschland den
Zerfall Jugoslawiens Anfang der 90er Jahre entscheidend forciert hat, heute nicht vor
einer umfassenden militärischen Intervention zurück schrecken darf, was sie den
Deutschen damals schon gesagt hätte (laut eines Korrespondentenberichts aus Washington).
Als hegemonial angelegtes Projekt militärischer Einhegung sozialer Kämpfe,
emanzipiert sich die Nato (neue Nato- Strategie) von bisherigen, durch UN, Völker- und
Kriegsrecht festgelegten (wie auch immer unzureichenden) Restriktionen. Die BRD
emanzipiert sich im Prozeß der sogenannten Normalisierung von den so empfundenen
"Altlasten" deutscher Geschichte, um sich in Zukunft auch unmittelbar
kriegsmäßig am hegemonialen Zugriff auf die Verwertungsbedingungen
("Einflußsphären") beteiligen zu können.
Gegenüber Rußland dokumentiert die Nato ihre Bereitschaft, selbst unter dem Risiko
eines russischen Kriegseintritts, als Ordnungsfaktor im Balkan einzugreifen. Darin steckt
der Hinweis, dies gegebenenfalls in den südlichen GUS Staaten oder im Kaukasus ebenfalls
zu tun, sollte das russische Regime und die instabilen ehemaligen Sowjetrepubliken nicht
endlich die IWF und anderen Kredite dazu nutzen, den Modernisierungsangriff gegen die
zählebigen Hemmnisse einer verschärften Verwertungsordnug effektiv ein zusetzten.
Im Zusammenhang der "geostrategischen Absicherung ihrer Interessen" steht
beispielsweise auch der anvisierte sog. "eurasische Korridor" (Transport
Corridor Europe-Caucasus-Asia, Traceca- Programm der EU, der Bau von Häfen, Straßen,
Eisenbahnlinien, Pipelines, Schaffung eines Luftkorridors). "Man spricht bereits von
einer neuen Runde des "Großen Spiels", um die Anziehungskraft deutlich zu
machen, die dieses Gebiet (Zentralasien, das Kaspische Meer, der Kaukasus), das lange Zeit
als exklusiv russische Einflußsphäre galt, auf die multinationalen Konzerne bzw. die
westlichen Staaten ausübt". Le Monde diplomatique v. 12.6.98) Mit dem Krieg in
Kosovo setzt die Nato auch ein Zeichen dafür, wie sie zukünftig in Krisenregionen
gegebenenfalls vorzugehen gedenkt.
Woher kommt die Verunsicherung?
- Es handelt sich in Serbien um ein autoritär totalitäres Regime, das
Oppositionsbewegungen rigide unterdrückt, nationalistisch und chauvinistisch agiert, eine
ethnisierende Politik bis hin zu Massaker und Vertreibung betreibt. Diese
Charakterisierung ist zutreffend und deshalb darf der Protest gegen den Krieg, nicht als
Zustimmung für das diktatorische serbische Regime umdeutbar sein.
- Der Kosovo war eine Region Jugoslawiens, der seit 1945 vom Zentralstaat, aus
unterschiedlichen Gründen mal mehr, mal weniger Autonomie zugestanden wurde und gegen die
sich, mit der Verschärfung der wirtschaftlichen Krise in Jugoslawien Anfang der 80er
Jahre, der serbische Nationalismus massiv richtete. Gleichzeitig tauchten in Zusammenhang
mit sozialen Kämpfen in Kosovo ebenfalls albanisch-nationalistische Parolen auf: wie
"Kosovo den Kosovaren"
- Die Ethnisierung des Sozialen hat in Ex- Jugoslawien mit Hilfe der sog. Ethnischen
Säuberungen, und in den Strategien ihrer Ermöglichung eine neue Dimension erreicht.
Insbesondere die BRD hat durch ihre (nicht nur) Annerkennungspolitik, gegenüber Kroatien,
Slowenien und Bosnien einen erheblichen Anteil am Funktionieren dieser ethnisierenden, und
nationalisierenden Gewalt.
- Der Prozeß dieser kriegsmäßigen Ethnisierung erleichtert die Durchsetzung
patriarchaler Ansprüche in neuen Formen, er unterminiert die Stellung und Stärke der
Frauen, die sie in den ehemaligen (ebenfalls patriarchalischen)
Reproduktionszuammenhängen noch hatten.
- Eine der wenigen, wenn nicht die einzige Möglichkeit, sich diesem Mechanismus der
Ethnisierung, durch geplante und gezielte Massaker an hierüber serbisierten,
kroatisierten, usw. Bevölkerungsteilen und den Kriegsauseinandersetzungen zu entziehen,
war damals wie heute die Flucht. Damals wie heute erschweren und behindern aber die
selbsternannten Verhinderer einer humanitären Katastrophe genauso gezielt und bewußt,
eben diese Fluchtmöglichkeiten. Deserteure der jugoslawischen Armee wurden abgeschoben,
die Grenzen wie wir alle wissen zu kaum mehr zu überwindenden Hindernissen ausgebaut, das
Recht auf Asyl faktisch abgeschafft.
Wie kommen Linke zu der Ansicht der Nato, den USA und der EU ginge es um die
Verhinderung einer humanitären Katastrophe?
- Auch wenn die Verantwortung für die derzeitige Vertreibung und die Massaker im Kosovo,
beim serbischen Regime liegt, so war den Kriegsstrategen der Nato ebenfalls klar, daß ein
totalitäres Regime, daß auf ethnische Säuberungen setzt, kaum eine bessere Gelegenheit
haben wird diese durchzusetzen und vor der "eigenen" Bevölkerung zu
legitimieren, als im Falle eines gegen ihn geführten (nicht erklärten) Krieges.
- "Jeder kennt die Begrenzung dessen, was man mit Luftangriffen allein machen
kann", so ein namentlich nicht genannter Nato- Stratege in der FR. v. 3.4.98. Je mehr
über das Abkommen von Rambouillet an die Öffentlichkeit gelangte, um so deutlicher
wurde, daß die Nato den Krieg wollte. Sie hatte die Verhandlungsführung darauf angelegt,
ihn als unausweichlich erscheinen zu lassen. Denn nirgendwo auf der Welt gibt es ein
Regime, ob im demokratischen oder totalitär- autokratischen Gewand, daß seine
Souveränität freiwillig abtritt. Und es war den erfahrenen Kriegsstrategen klar, daß
das serbische Regime im Schatten der Luftangriffe seine Vertreibungspolitik intensivieren
würde. Sie wußten, daß Luftangriffe im Zusammenhang des Kosovo- Konflikts, anders als
im Zusammenhang mit Dayton, eine allgemeine Katastrophe nach sich ziehen würden (vgl. Le
Monde diplomatique v. 4/ u. 11/ 98). Hieraus ist nur eine Schlußfolgerung möglich: das
Ausmaß des Mordens und der Vertreibung im Kosovo, ist von den Nato- Verbündeten
zumindest bewußt in Kauf genommen worden.
- Wir müssen uns mit der Möglichkeit vertraut machen, daß dieser Prozeß der
Vertreibung und der damit verbundenen Auflösung der alten, sich einer Modernisierung
widersetzenden sozialen Zusammenhänge (den Menschen werden sämtliche Dokumente
abgenommen, ihre Familien werden auseinandergerissen, sie können nicht mehr
"beweisen" wer sie sind, woher sie kommen und was ihnen einmal gehörte, sofern
es nicht sowieso zerstört ist) durchaus ein Kriegsziel nicht nur des serbischen Regimes,
sondern ebenfalls der Nato- Strategen ist. Denn die Verwertungsbedingungen auf dem Balkan
lassen sich erst dann profitabel verbessern, wenn die bisherigen sozial- ökonomischen
Zusammenhänge radikal über den Haufen geworfen worden sind.
- Flucht heißt nicht nur, den Versuch zu unternehmen, sich der Gewalt zu entziehen,
sondern heißt insbesondere, die ehemaligen sozialen Strukturen aufgeben zu müssen
im Krieg zwangsmobilisiert zu werden und, sofern man überhaupt wieder zurückkehren kann,
unter weitaus schlechteren Bedingungen leben und arbeiten zu müssen. Aus Sicht des
Kapitals ein Versuch, günstigere Verwertungsbedingungen durchzusetzen.
- Krieg und Vertreibung sind aus der Sicht des Kapitals noch nie eine "humanitäre
Katastrophe" gewesen, sondern immer ein Versuch Blockierungen der Akkumulation,
soziale Antagonismen und innere Hemmnisse, durch Mobilisierungs- und Innovationsoffensiven
zu überwinden. Auch wenn nicht klar absehbar ist und sie selbst nicht wissen, worauf es
genau hinaus läuft. Und Krieg ist immer mit einer ungehemmten Freisetzung patriarchaler
Gewalt verbunden, die sich über Tötung, Vergewaltigung und Erniedrigung rekonstruiert.
- Die Nato-Partner, allen voran die BRD, hatten schon im Jugoslawienkrieg durch ihre
Annerkennungs- und Flüchtlingspolitik, durch die ökonomische Anbindung von Slowenien und
Teile Kroatiens, sein Interesse an der Zerstörung des jugoslawischen ökonomisch-sozialen
Zusammenhangs deutlich gemacht. Die Anbindung an das europäische Wertschöpfungsgefälle
konnte nur gelingen in dem Maße, wie die alten Strukturen der spezifischen jugoslawischen
Arbeiterselbstverwaltung in Zusammenhang mit den Subsistenzbasen auf dem Land, durch eine
Politik der Vertreibung aufgelöst wurden. Voraussetzung dieser Vertreibungspolitik und
der Auflösung starker sozialer Bindungen mit ihren Aneignungsforderungen, waren die
letztlich erfolgreichen Strategien der Ethnisierung. In deren kriegsförmigen Durchsetzung
erfolgte die patriarchale Restrukturierung der jugoslawischen Gesellschaft.
- Die kriegsmäßige Auflösung Jugoslawiens gehört zur unumgänglichen Vorgeschichte des
heutigen Kosovo- Krieges. (vgl. Materialien für einen neuen Antiimperialismus Nr. 6: Die
Ethnisierung des Sozialen, Berlin 1993, vergriffen, im Internet bei nadir)
- Der Kosovo- Krieg erklärt sich auch aus der Neubestimmung der Nato- Strategie nach dem
Ende des Ost-West Konflikts. Hierzu gehört die Verhinderung unerwünschter
Migrationsbewegungen genauso wie die Beseitigung unerwünschter Regimes. Unerwünscht sind
die Migrationsbewegungen aber vor allem, wenn sie bis in die europäischen Zentren
gelangen. Deshalb auch die "humanitären" Anstrengungen die Flüchtlinge in der
Region zu belassen.
- Das nur ein "Marshall"- Plan auf dem Balkan langfristig mehr
"Stabilität" bringen würde, war auch vor dem Krieg bekannt. Jetzt scheint
breite Einigkeit darüber zu bestehen, nach dem Krieg einen solchen initiieren zu müssen
(siehe EU- Finanzministerkonferenz am 17./18.4.99). Die geschätzten Kriegsschäden
belaufen sich für Jugoslawien bis zur vierten Kriegswoche auf ca. 180 Mrd. DM.
Anscheinend wurde eine kriegsmäßige Auflösung und Zerstörung, als Voraussetzung für
das Gelingen einer neuen Verwertungsordnung angesehen. So ließe sich auch das relative
Desinteresse der EU / BRD an der gemäßigten Fraktion eines Rugova im Kosovo und das
Gewähren lassen der militant nationalistischen UCK verstehen. (Ohne irgendwelchen
Verschwörungstheorien das Wort reden zu wollen, deutet einiges auf die Unterstützung der
UCK durch CIA und BND hin, siehe den Artikel von M. Chossudovsky, Department of Economics,
University of Ottawa, in partizan net). Marshall- Plan ist ein Euphemismus. Die
Bedingungen an Kreditvergabe und Investitionsvorhaben werden an Rigidität nichts zu
wünschen übrig lassen.
- Was das Ende des "unerwünschten" serbischen Regimes anbelangt, so ist noch
nicht ausgemacht, ob Milosevic die Auseinandersetzung politisch überleben wird. Die Krise
in Jugoslawien war jedenfalls vor dem Krieg für sein Regime bedrohlich genug. Der
Durchschnittslohn lag bei ca. 150.- DM im Monat, 80% der jugoslawischen Unternehmen
arbeiteten defizitär. (vgl. Le monde dipl: v. 16.4.99) In der von Gysi besuchten,
zerbombten Fabrik waren zu Hochzeiten 240000 Autos produziert worden. Vor dem Krieg waren
es gerade noch 8000 jährlich. Nichtsdestotrotz soll es der Arbeitsplatz von ca. 50000
gewesen sein, was das Ausmaß der verdeckten Arbeitslosigkeit deutlich macht. Auch
"der Nationalismus hat (te) keine Zugkraft mehr", so J. A. Derens, in "Ein
böses Erwachen für die Opfer des großserbischen Projekts" (ebd.). Zumindest
bislang scheint der Krieg der Machtstellung von Milosevic keinen Abbruch zu tun. Im
Gegenteil, einer radikalen Opposition wurde durch den Krieg vorläufig der Boden entzogen
(vgl. Äußerungen von 17 unabhängigen Basisinitiativen, kursiert als Flugblatt). Die
sogenannte demokratische Opposition wurde von Milosevic schon vorher zum Teil integriert
bzw. schlägt sich jetzt im Krieg auf seine Seite. Überhaupt scheint unklar, welche Art
von Regime eine, wie auch immer geartete Nachkriegsordnung ("Serbien muß einen Platz
in Europa haben", Nato- Sprecher J. Shea) durchsetzen soll.
- Ob die Konstellation eines Großalbanien, Großserbien und Großkroatien durchführbar
ist, was die (nochmalige) Aufsplitterung/Auflösung Bosnien - Herzegowinas, Montenegros
und Mazedoniens beinhalten würde, ob Kosowo geteilt werden wird, wofür sich schon seit
längerem auch die serbische Akademie der Wissenschaften ausgesprochen hat und dessen
Grenzverlauf ungefähr der Nato- Option der Schaffung eines Flüchtlingskorridors
entsprechen könnte, oder ob verschiedene Protektorat ähnliche Gebilde den Vorzug
erhalten, wird darauf ankommen, wie sich der Konflikt militärisch und politisch weiter
moderieren läßt. In jedem Fall wird es ein langfristiges "Engagement" von Nato
/ UN- Streitkräften geben.
- Die BRD ist dabei, ihre lang ersehnte neue Rolle auch als zukünftig wichtigste (?)
militärische Macht neben den USA praktisch einzuüben. Das hierbei noch Reibungsverluste
zu verzeichnen sind, ist nicht verwunderlich. Allerdings setzt sich die "neue
Mitte" überraschend schnell mit einer hegemonialen Aggressivität in Szene. Und die
Sozialdemokratie ist dabei sich auch als Trägerin einer verschärften Aggressivität nach
innen durchzusetzten. Aber zweifellos hätte sich das innerdeutsche Szenario bei einer
anderen Regierungskonstellation nicht grundlegend anders abgespielt. Aber in Deutschland
hat dabei Rot/Grün eine spezifische Funktion. Das merken auch einige Grüne. Monika
Knoche, grünes MdB wirft Fischer ein "ganz übles Geschäft der Rechtswende"
vor. Die "vermeintliche linke" Bundesregierung betreibe einen Tabubruch,,
"den sich eine CDU nicht hätte leisten können". (aus FR v. 19.4.99)
Tatsächlich, den ungeheuerlichen Versuch der Legitimierung des deutschen Kriegseinsatzes
mit der Verantwortung für Auschwitz, hätte sich ein CDU/CSU- Politiker wohl nicht so
unwidersprochen erlauben können.
- Sicher, es gab eine jahrelange Einstimmung in der BRD-Öffentlichkeit für einen
Kriegseinsatz der Bundeswehr. Dazu gehörten die Einsätze in Somalia und Bosnien, die
öffentlichen Gelöbnisse, genauso wie die Debatten um die "Entsorgung" der
deutschen Vergangenheit (Walser usw.) und die Art und Weise, wie sich Regierung und
Konzerne den Wiedergutmachungsansprüchen der Zwangsarbeiterinnen entledigen wollen. Heute
ist man sich darüber einig, daß der erste, auch von Deutschland aus geführte Krieg nach
1945, eine "Zäsur in der deutschen Geschichte" darstellt. Gerade deshalb ist es
so verwunderlich, daß von einer starken Anti- Kriegsbewegung (noch) wenig zu sehen ist.
Trotzdem liegt das Dilemma der EU und der Nato darin, daß die gesellschaftliche Akzeptanz
für den Krieg (hoffentlich) ein enges Zeitfenster vorgibt. Den Grünen steht spätestens
Mitte Mai eine ernste Zerreißprobe bevor. Falls es zum Einsatz von Bodentruppen kommt,
schon früher. Ob sich daraus Keimungen einer neuen außerparlamentarische Opposition
ergeben, bleibt abzuwarten. Wesentlich ist, ob es gelingt, neue Debatten über den
Imperialismus der Jahrtausendwende und die soziale Aggressivität in Europa zu initiieren.
Genauso wie praktische Initiativen voran zu treiben, die die nationalisierenden,
ethnisierenden und repatriarchalisierenden Beschränkungen überwinden könnten. Der Bezug
auf solche Initiativen wie den für Mai und Juni geplanten InterContinental Caravan, der
Initiative mehrerer Millionen Bauern und Bäuerinnen des Trikonts, deren Vertreterinnen
auch beim EU- Gipfel in Köln sein werden, wäre wünschenswert. Und selbstredend nicht
zuletzt jetzt sofort den Druck gegen den Krieg auf der Straße zu verstärken.
|