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Dokument vom 25.02.1999  

Plenarprotokoll 14/022
22. Sitzung, Bonn, Donnerstag, den 25. Februarr 1999

Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner in der Debatte ist der Minister des Auswärtigen, Joseph Fischer.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich freue mich, daß sich nach den Gesprächen am gestrigen Tag ein breiter Konsens abzeichnet. Im Namen der Bundesregierung kann ich hier nur noch einmal betonen, daß es für uns angesichts der schwierigen politischen Situation und angesichts der schwierigen Situation, in der dieser Einsatz stattfinden wird, eine Selbstverständlichkeit ist, den Oppositionsparteien, wenn sie Nachfragen haben oder Präzisierungen wünschen, zu antworten. Ich freue mich, daß es auf Grund der Gespräche, die wir geführt haben, gelungen ist, die Fragen befriedigend beantworten zu können und hier im Hause zu einer möglichst breiten Beschlußgrundlage zu kommen.

Heute haben wir eine wichtige Antwort auf die Verhandlungen in Rambouillet zu geben. Die Verhandlungen in Rambouillet stehen in einem direkten Kausalzusammenhang zur Entwicklung der Situation im Kosovo. Lassen Sie mich daher hier nochmals darauf hinweisen, daß wir einen weitergehenden Beschluß zu fassen haben. Der erste diesbezügliche Beschluß wurde vom 13. Deutschen Bundestag kurz vor dem Auslaufen der Legislaturperiode gefaßt. Damals war es möglich, mit der Androhung von Luftschlägen der NATO, die uns allen sehr schwergefallen ist, eine Vereinbarung zwischen der Regierung in Belgrad und dem Sondergesandten der Vereinigten Staaten, Herrn Holbrooke, zu erreichen. Es war gelungen, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, die Menschen aus den Bergen und aus den Wäldern vor Einbruch des Winters in Behausungen – darum handelt es sich im wesentlichen; viele ihrer Wohnungen und Häuser waren zerstört – zurückzubringen. Auf diese Weise konnte eine humanitäre Katastrophe abgewendet werden.

Die Implementierung des politischen Friedens, also die Durchsetzung eines regionalen und demokratischen Autonomiestatuts, ist allerdings nicht gelungen. Demnach ist es nicht gelungen, den Frieden durchzusetzen. Ein Aufflackern der Kämpfe bis hin zum Massaker von Racak mußte dann die internationale Staatengemeinschaft dazu zwingen, den Weg zum Frieden am Boden zuerst gegen und hoffentlich dann auch mit den Beteiligten zu erreichen.

In Rambouillet wurde der Versuch gemacht, die Akzeptanz beider Seiten zu einem Weg des Friedens zu erreichen. Für die internationale Staatengemeinschaft und vor allen Dingen für die Europäer ist es wichtig, zu begreifen: Wir werden diesem Konflikt, wenn wir wegschauen, nicht entkommen können, sondern wie in Bosnien wird dann das Drama – das Morden, die Zerstörungen und die Flüchtlinge – letztendlich zum Hinschauen und dann zum Handeln zwingen. Die Erfahrungen in Bosnien veranlassen, ja nötigen die internationale Staatengemeinschaft dazu, jetzt in diesen Konflikt friedensstiftend einzugreifen. Genau darüber fassen wir heute den Beschluß.

Glauben Sie mir, in den vergangenen Wochen waren für mich persönlich die Stunden am letzten Samstag in Rambouillet, als es völlig offen war, ob es Krieg oder Frieden heißt, die schwierigsten. Nachdem ich dort auf die Intransigenz der Beteiligten, vor allen Dingen von Vertretern der Regierung aus Belgrad, gestoßen bin und mitbekommen habe, wie hier ganz offensichtlich bei zahlreichen Beteiligten nicht das Schicksal der Menschen und nicht das Interesse am Frieden, sondern der Machterhalt im Vordergrund stehen und wie Gewalt, Mord und Krieg ganz selbstverständlich als Mittel der Politik in das Kalkül einbezogen werden, sage ich Ihnen: Wegschauen bedeutet die Akzeptanz dieser mörderischen Logik. Das dürfen und können wir uns nicht erlauben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Ich möchte mich hier dem Dank, den der Bundesverteidigungsminister ausgesprochen hat, ausdrücklich anschließen, denn ich weiß, welche Arbeit die Verhandlungspartner geleistet haben und wie wichtig es war, daß Rußland an diesem Prozeß beteiligt war und ist. Nachdrücklich füge ich hinzu: Ich möchte in diesen Dank auch und gerade die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wegen ihres nun wirklich rund um die Uhr gehenden Einsatzes bei den Verhandlungen in Rambouillet mit einschließen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der F.D.P. sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der PDS)

Dieser Dank gilt selbstverständlich auch für den Repräsentanten des BMVg in Rambouillet, den ich an dieser Stelle nicht vergessen möchte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Weg zum Frieden ist beschritten. Wir sind heute so weit, daß wir eine Vereinbarung in den Händen halten, auf die sich die Kontaktgruppe geeinigt hat. Kapitel 2 und Kapitel 7 des Entwurfs werden von Rußland nicht akzeptiert, solange darunter nicht die Unterschrift der Bundesrepublik Jugoslawien steht. Im Klartext heißt dies: Rußland will im Moment nicht Druck auf die Bundesrepublik Jugoslawien ausüben, die militärische Implementierung zu akzeptieren; Rußland ist aber in dem Moment, in dem sie akzeptiert wird, bereit, sie nicht nur politisch mitzutragen, sondern sich dann auch an der Umsetzung – wie die öffentlichen Erklärungen aus Moskau mittlerweile zeigen – zu beteiligen. Ich sehe darin einen wesentlichen Fortschritt.

Hoffnungsvoll stimmt mich auch, daß Frankreich in einem informellen Treffen des Sicherheitsrates die Erklärung der Kontaktgruppe sofort zirkuliert hat. Daraufhin ist es unter Teilnahme Chinas – auch das ist ein wichtiges Signal – zu einer einstimmigen Unterstützung einer Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrates auf der Grundlage der Erklärung der Kontaktgruppe gekommen.

Was wir heute beschließen, ist der gemeinsame Einsatz von Bundeswehrsoldaten und Soldaten der Bündnispartner als Vorbereitung für die Umsetzung des Friedensabkommens. Dies ist eine ungewöhnliche und schwierige Situation für das Haus. Ich bin mir darüber im klaren. Aber diese Situation liegt nicht in der Verantwortung der Bundesregierung; wir konnten sie uns nicht aussuchen. Wir wären weiß Gott heilfroh, wir könnten heute sagen: Der Vertrag ist unterschrieben. – So müssen wir heute diesen Beschluß fassen. Denn was wäre die Alternative? Wenn wir diesen Beschluß heute nicht fassen würden, wäre die Folge, daß Belgrad einen Widerspruch im westlichen Bündnis vermuten würde, was wir nicht zulassen dürfen, und daß gleichzeitig die Kosovaren an der Entschlossenheit der NATO, ihr Versprechen zu halten, nämlich im Falle einer Unterschrift für die militärische und zivile Implementierung zu sorgen, zweifeln würden, so daß es nicht zu einer Unterschrift kommen würde.

Damit sind wir beim entscheidenden Punkt. Frieden im Kosovo ohne eine militärische Absicherung und ohne einen zivilen Beitrag der internationalen Staatengemeinschaft wird es nicht geben.

(Zustimmung bei der SPD)

Diese militärische Absicherung wird von den Kosovaren nur der NATO zugetraut. Jede andere Form der Absicherung würde von ihnen nicht akzeptiert werden und würde demnach nicht zu ihrer Unterschrift führen.

Die Kosovaren werden eine Implementierung selbst des besten Friedensvertrages durch die Bundesrepublik Jugoslawien, durch die jugoslawische Armee oder gar durch die serbische Sonderpolizei nicht akzeptieren. Keiner von uns würde dies auf Grund der blutigen Erfahrungen, die gemacht wurden, an deren Stelle akzeptieren.

Umgekehrt würde die Bundesrepublik Jugoslawien niemals akzeptieren, daß die Implementierung eines solchen Vertrages in den Händen der kosovarischen Seite liegt. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, daß sich die internationale Staatengemeinschaft bereit erklärt, diesen Vertrag zu implementieren. Mit dem heutigen Beschluß leisten wir daher einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung des kommenden Friedensvertrages.

Ich möchte dem Haus in der Frage, ob es dazu am 15. März kommen wird, meine ehrliche Einschätzung mitteilen. Wir werden alles versuchen und im Rahmen der Kontaktgruppe und der Vermittlertroika wie auch durch bilaterale Verhandlungen weiter daran arbeiten, zu einem Erfolg zu kommen, für den ich Ihnen hier aber keine verbindliche Zusicherung geben kann. Dies wäre fahrlässig und falsch. Angesichts der Ernsthaftigkeit der Situation ist es geboten, daß die Bundesregierung Klartext redet und sagt: Wir wollen alles versuchen, aber wir können nicht garantieren, daß wir am 15. März zu einem erfolgreichen Abschluß kommen.

Wir dürfen – der Bundesverteidigungsminister hat dies schon angesprochen – den Fehler, der nach Dayton begangen wurde, nicht wiederholen. Der Vertrag von Dayton war gut und alternativlos. Der Fehler lag nicht im Vertrag selbst. Er bestand vielmehr darin, daß der Prozeß nicht weiter vorangetrieben wurde. Was wir brauchen, ist – dem kann ich nur nachdrücklich zustimmen – eine Fortsetzung des Prozesses. Dies wird eine langfristige Verpflichtung vor allen Dingen für die
Europäer bezüglich der zivilen Implementierung bedeuten. Ich bin mir sicher: Wenn wir Erfolg haben werden und die Waffen schweigen, werden wir eine Bosnien-ähnliche Entwicklung erleben. Das heißt, daß das militärische Element nach und nach abgebaut werden kann. Nur, was wir brauchen, ist in der Tat ein langfristiges Gesamtkonzept, ein Stabilitätspakt für den südlichen Balkan, der eine langfristige Verpflichtung der internationalen Staatengemeinschaft und Europas verlangen wird, vor allen Dingen bei der Entwicklung zukunftsfähiger ziviler Strukturen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Wir können – da sind wir uns alle hier im Haus einig – die Soldaten aus Bosnien heute noch nicht abziehen. Wann wir sie je abziehen können, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt realistischerweise nicht absehbar. Wenn wir aber, wie am Beispiel Bosnien sichtbar, dort langfristig engagiert bleiben müssen, damit der Friede, die Nichtgewalt bestehenbleibt, dann können wir doch auch den nächsten Schritt tun und mit einem solchen Stabilitätspakt für den südlichen Balkan langfristig denken.

Eine Lösung für Bosnien, eine Rückkehr Serbiens in die Gemeinschaft der europäischen Völker, raus aus der Isolation, hin zu Demokratie und Frieden, eine Hilfe für Albanien, eine Zukunft für Makedonien, eine Lösung der Minderheitenkonflikte auf zivile, demokratische Art und Weise, eine regionale Sicherheitsarchitektur, eine regionale Architektur für Handel und wirtschaftliche Entwicklung – all das ist notwendig. Einfacher und billiger wird der Friede auf dem Balkan nicht zu erreichen sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Einfacher und kurzfristiger wird es nicht gehen.

Europa ist gegenwärtig zweigeteilt. Wenn wir auf den Balkan blicken, sehen wir das Europa der Vergangenheit, wenn wir nach Brüssel schauen, sehen wir das
Europa der Integration, das Europa der Zukunft; einerseits das Europa der Vergangenheit, der Kriege und der ethnischen Säuberungen, andererseits das Europa der Zukunft, der Integration und, Gott sei Dank, des Verschwindens des Krieges als Mittel der Politik, das Europa der engen Kooperation, das Überwinden und Auflösen von Grenzen. Wir werden den südlichen Balkan hin zum Europa der Integration entwickeln müssen. Voraussetzung dafür ist aber, daß im Kosovo die Waffen schweigen. Dazu können wir heute mit dem Beschluß des Hauses einen entscheidenden Beitrag leisten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)


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