"Das Gewissen
sagt rigoros Nein zum Dienst mit der Waffe"
Reserveoffizier der Bundeswehr beruft sich auf Grundgesetz
Rainer Hertel, Reserveoffizier der Bundeswehr aus Homberg {Niederrhein), hat
am 15. April beim Kreiswehrersatzamt Essen unter Berufung auf Artikel 4 Grundgesetz die
Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer beantragt. Mit folgender Begründung:
Krieg ist kein Mittel ernstlicher Konfliktlösung, sondern in Wahrheit nur ein
Mittel der Vernichtung. Vernichtung heißt, etwas zu Nichts machen, zunichte machen. Wer
mit Gewalt die Idee verfolgt, eine Seite der Konfliktfaktoren zu Nichts zu machen, kann
nicht Frieden zwischen den Konfliktparteien schaffen. Wer also Krieg führt, zielt in
polarisierender Agitation lediglich darauf ab, einen "Pol" auszulöschen.
Frieden schaffen heißt aber, die verschiedenen "Pole" in eine gedeihliche
Harmonie zu bringen, ein Zusammenexistieren und Zusammenwirken von Verschiedenheit zu
"vollenden" - zu einem erfüllten Ganzen zu machen.
Krieg vollendet nicht - Krieg zerfetzt.
Als ich 1967 meinen Eid geleistet habe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu
dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, tat ich
das im Bewußtsein, nicht etwa auf eine Regierung oder auf eine Instanz, an welche
Souveränitätsanteile abgegeben wurden, vereidigt zu werden, sondern auf die Verfassung
der Bundesrepublik Deutschland. Ich war mir angesichts der verfassungsmäßig erklärten
und garantierten Grundwerte in Deutschland damals sicher, daß ich einen Dienst mit der
Waffe im unabwendbaren Fall der Verteidigung eben dieser Werte und dieses Volkes in dem
Bewußtsein, gleichwohl dabei schuldig zu werden, leisten könnte.
Diese Sicherheit ist mir abhanden gekommen. Mein Vertrauen in die strenge
Bindung des Eides an den Verteidigungsfall als einzige Gewaltoption hat mein Gewissen nie
beruhigen können, aber es hat eine Bereitschaft zur persönlichen Schuldannahme
begründet. Es ist in den letzten Wochen bis zur Unkenntlichkeit zerbombt worden. Der
Einsatz der Bundeswehr im Rahmen eines amerikanisierten Kriegsführungsstils der NATO im
Kosovo hat mir zu meinem Entsetzen gezeigt, daß die Gewaltoptionen ohne Rücksicht auf
das persönliche Gewissen des Soldaten und die strikte Bindung an das Grundgesetz nach
fremden Interessenlagen unkontrolliert erweitert werden können.
Da das Vertrauen erloschen ist, lieg das persönliche Gewissen offen und sagt
rigoros Nein zum Dienst mit der Waffe.
Neues Deutschland, 19. April 1999, Seite 2