Verfolgt man die Berichterstattung zum NATO-Krieg gegen den Kosovo, müßte man
fast den Eindruck gewinnen, bei der NATO handele es sich um eine Art von organisiertem
Kampf für "das Gute". Das mächtigste Militärbündnis der Welt stellt sich
selbst dar und wird von der ganzen Medienlandschaft dargestellt als eine Gruppe von
Ländern, die der Not und dem Elend den Kampf ansagen. Die NATO versteht sich nämlich, so
hört man, als eine "Wertegemeinschaft". Und die Führungsmacht der NATO,
Amerika, versteht sich nicht mehr bloß als Weltpolizist, sondern auch als
Weltsozialarbeiter, der überall nach dem Rechten, bzw. den Menschenrechten, schaut.
Ein bißchen komisch ist das allerdings schon.
Denn erstens kann man leicht den Eindruck bekommen, daß der Westen ein
bißchen willkürlich vorgeht, wenn er irgendwo auf der Welt zur Anklage schreitet. Die
Unterdrückung der Kurden im NATO-Land Türkei z.B. hat bei den übrigen NATO-Staaten noch
nie so wirklich heftige Empörung ausgelöst.
Zweitens fällt noch etwas anderes auf. Die Not, der die NATO
gelegentlich den Kampf ansagt, ist immer schon eine besondere Sorte Not. Der Westen sieht
sich nicht durch jedes x-beliebige Elend herausgefordert, sondern allenfalls
dann, wenn er das jeweilige Elend als sog. Menschenrechtsverletzung einsortieren
will.
Das ist nicht das gleiche. Wenn es irgendwo auf der Welt Menschen einfach
nur schlecht geht, wenn sie verhungern oder an leicht zu behandelnden Krankheiten
krepieren, dann ruft das eben nie größere Entrüstungsstürme hervor. Für eine kleine
Hungerkatastrophe und für das tägliche Sterben in der dritten Welt gibt es auch keinen
regelmäßigen "ARD-Brennpunkt" nach der Tagesschau. Solange die Verhungernden
noch ein staatlich garantiertes Recht auf Privateigentum und freie Meinungsäußerung
haben, sind ihre Menschenrechte nämlich nicht verletzt.
Mißt die NATO also mit zweierlei Maß? Kämpft sie im Kosovo gegen das
Elend, während sie es woanders ignoriert? Muß man dem Westen vorwerfen, daß er nur auf
die Unterdrückung von Albanern reagiert, aber die Verletzung der Menschenrechte der
Kurden übersieht?
Diese Frage beantworten wir mit Nein, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens stört sich die NATO wenn sie einem Land Menschenrechtsverletzungen zur
Last legt nicht an irgendwelchen Übergriffen oder ethnischen Säuberungen. Sondern
die NATO stört sich an der Souveränität des Staates, den sie anklagt; die
Menschenrechte sind eine Waffe, um ihm seine Souveränität zu bestreiten. Die
Kritik zielt nicht auf Verbesserung der Lage für die Leute, sondern auf
Unterwerfung des Staates unter die westliche Oberaufsicht. Und zweitens sollte man
sich hüten, die "Beachtung der Menschenrechte" - also den Maßstab, den die
NATO an den Rest der Welt anlegt für sich zu übernehmen. Denn die Menschenrechte
sind überhaupt kein Kriterium, wie gut jemand leben kann. Sie enthalten überhaupt keinen
Anspruch auf ein materiell gutes Leben, sondern bestimmen lediglich negativ, wo die
Grenze der Mißhandlung der Leute durch den Staat liegt: Unmenschliche
Behandlung ist verboten, sagt der Staat in den Menschenrechten. Er verspricht die
weitestgehende Schonung seiner Untertanen. Sich darauf auch noch zu berufen, ist
sehr bescheiden.