Dokumentiert von dietz@koma.free.de (Karl Dietz) am 20 Apr 99
15:07:00 +0100 Was sagt die Sozialistische
Internationale zum Krieg?
Von Stefan Prodew, Sofia
Zur Person: Prof. Stefan Prodew, Publizist und Buchautor, ist
Chefredakteurder Tageszeitung der Bukgarischen Sozialistischen Partei "Duma"
Vorwort: Die Rechtsregierung Bulgariens befuerwortet
Ueberflugrechtefuer NATO- Bomber. Die linke Opposition ist dagegen - und kannim uebrigen
die Kriegslust westeuropaeischer Sozialdemokratennicht begreifen.
Der Artikel: Die ueberwiegende Anzahl der NATO-Laender hat
linke Regierungen,und Friedensliebe ist im Prinzip ein charakteristisches Merkmallinker
Politik. Jede sozialistische und sozialdemokratische Partei verteidigt normalerweise den
Humanismus und die Gleichberechtigung in den aussenpolitischen Beziehungen. Es ist kein
Zufall, dass injedem linken Programm Frieden und soziale Entwicklung der Gesell- schaft
verbunden sind.
Es ist unmoeglich, fuer soziale Gerechtigkeit einzutreten und
gleich- zeitig einen europaeischen Konflikt mit Waffengewalt entscheiden zu wollen. Doch
in bestimmten Augenblicken bekommt diese Logik Spruenge, und wir werden Zeugen eines
vollstaendigen Kollapses.
So war es im Ersten Weltkrieg, als viele sozialdemokratische
Parteiendie imperialistischen Kriegstreiber unterstuetzten. So ist es auchheute beim
Konflikt in Kosovo, wo nahezu alle linken Regierungen dieaggressive Politik der NATO
gegenueber Jugoslawien unterstuetzen.
Trotz der von ihnen deklarierten anitmilitaristischen
Gesinnung,die ihnen geholfen hatte, an die Macht zu kommen, sind sie bereit, einen
zynischen Krieg zu fuehren.
Es ist schon absurd, wie die regierenden Linken in
Groszbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und anderswo die nationale Souverae-
nitaet eines Stattes niederwalzen im Namen eines illusorischen gesamt- europaeischen
Interesses.
Bisher unbekannt ist die Haltung der Sozialistischen
Internationale(SI) zum Jugoslawien-Krieg. Viele ihrer Mitglieder, die im Augenblick Europa
regieren, stellen sie vor eine schwere Pruefung. Wenn die SI der NATO Unterstuetzung gibt
und sich mit deren aggressivenAbsichten solidarisiert, wird ihre Autoritaet unvermeidlich
einen Schlagerleiden.
In einem Augenblick wie dem heutigen muessten das linke
Europa und seine Regierungen auf die Stimme der Vernunft hoeren. SERBIEN ist nicht IRAK.
Es hielt nicht nur Hitler, sondern auch Stalin stand, seinen schweren, doch mannhaften Weg
einer linken Alternative aufbauend. Wenn die NATO Serbien ihrem Willen unterwerfen will,
werden wir Zeugeneines neuen Vietnam sein. Doch diesmal wird Vietnam nicht am anderen Ende
der Welt liegen.
Was werden die sozialistischen und sozialdemokratischen
Parteien ihrenVoelkern sagen, wenn Saerge nach London oder Bonn gebracht werden? Dass ihre
Politik weise und friedliebend gewesen sei, doch die Serben sich als Barbaren erwiesen
haetten? Die Menschen sind nicht auf den Kopf gefallen.
Die Anhaenger der Linken werden den NATO-Leichtsinn ihrer
Parteien einer genauen Pruefung unterziehen. Und das Ergebnis der Pruefung wird traurig
sein. Es wird zweifellos zu Konflikten, Ruecktritten, sogar zur Spaltung einzelner
Regierungskoalitionen fuehren.
Jetzt verfolgen alle mit angehaltenem Atem die Entwicklung
der Tragoedie. Schwer zu sagen, ob die linken europaeischen Regierungen erwartet haben,
dass ihre Drohungen sich in einen reellen Krieg verwandeln. Doch nun erweisen sie sich als
Geisel einer Militaerorganisation, dirigiertvon den USA. Alles andere kann erklaert und
gerechtfertigt werden, das nicht. Es ist bedauerlich, dass der europaeische
Sozialdemokratismus seine Chancen verspielt. Doch so ist es immer, wenn Prinzipien in die
Haende ehrgeiziger, doch unreifer Politiker geraten.
Man kann nicht gleichzeitig SOZIALIST und SOELDNER sein. |