Neues Deutschland vom 20. April 99 UNGARN: Sandkastenspiele mit Bodentruppen
Wird das NATO-Neuland Ungarn zur Aufmarschzone gegen Belgrad?
Von Susan Zimmermann, Budapest
Das Parlament des einzigen NATO-Landes mit einer
unmittelbaren Grenzezu Jugoslawien hatte zu Kriegsbeginn offiziell beschlossen, dass
manohne Wenn und Aber hinter der Operation gegen Jugoslawien stehe.
Neben dem Luftraum stellte Ungarn der NATO unaufgefordert
auch dieungarischen Flughaefen zur Verfuegung. Gestartet wird dort allerdings bis dato
nicht, u. in Ungarns Kasernen herrscht nur Bereitschaftsstufe 1.
Die Regierung blieb sparsam mit oeffentlichen Stellungnahmen.
Das hat seinen Grund: Das inzwischen lauter gewordene Nachdenken ueber einemoegliche
Teilung oder die Unabhaengigkeit Kosovos stoesst hier auf Ablehnung.Das offizielle
Budapest fuerchtet fuer einen solchen Fall um die ungarischeMinderheit in der
nordjugoslawischen Vojvodina. Sollten naemlich die Kosovo-Albaner aus dem jugoslawischen
Staatsverbandausscheiden, koennte sich der Druck auf die letzte in Jugoslawien ver-
bleibende grosze Minderheit - die Ungarn - erhoehen.
Die Sprecher dieser Minderheit sind mit der ungarischen
Haltung insgesamt unzufrieden. Dass sich das offizielle Budapest kritiklos auf die Seite
der NATO stellt, loest in der Vojvodina heftiges Unbehagen aus. Zwar ist essehr
wahrscheinlich, dass sich die ungarische Regierung auf diplomatischer Ebene doch um einen
gewissen Schutz fuer die Vojvodina-Ungarn bemueht hat, doch offiziell bestaetigt wird das
nicht.
Die zum jugoslwawischen Militaer eingezogenen Soldaten
ungarischer Ab- stammung bleiben jedenfalls - das wird als Ergebnis solcher
Bemuehungengehandelt - bisher meist in Nordjugoslawien stationiert. Mit der angeblichen
Gegenleistung der NATO, naemlich dass die Siedlungs- gebiete der jugoslawischen Ungarn
nicht bombardiert werden, ist es aberdefinitiv vorbei. Neben der Vojvodina-Hauptstadt Novi
Sad wurde auchSubotica (ungarischer Name: Szabadka), das historische Zentrum der
Region,wiederholt angegriffen.
Als jetzt publizistische Sandkastenspiele betrieben wurden,
die Ungarnwegen guenstigerer Gelaendebedingungen (gegenueber dem
gebirgsreichenAlbanien)zum Ausgangspunkt einer Invasion von NATO- Bodentruppen in Jugo-
slawien machten, erklaerten der Sprecher der oppositionellen Sozialisten und - mit
Verzoegerung - auch jener der Regierung uebereinstimmend, dass die bestehenden ungarischen
Ermaechtigungen fuer die NATO sich keinesfalls auf einen Einmarsch von Bodentruppen ueber
Ungarn erstrecken. DerartigeSzenarien seien unrealistische Phantasiegebilde.
Jenseits der offiziellen Beruhigungspropaganda haben diese
Szenarien bei einigen liberalen Journalisten und Teilen der Presse jedoch Nachdenklich-
keit ausgeloest. Dass Ungarn in einem solchen Fall unmittelbar in dieKatastrophe oder gar
in das Blutvergiessen am Balkan hineingezogen werdenkoennte, steht zu befuerchten.
Und bis jetzt sieht es nicht so aus, als haetten die
bescheidenen Ansaetze eines gesellschaftlichen Widerstands gegen den NATO-Krieg die Kraft,
dieses Szenario, sollte es denn doch real werden, zu verhindern.
Am vergangenen Sonnabend trat eine Gruppe sozialistischer
Politiker mit einer Presserklaerung hervor, die insbesondere Ungarn zur Vorbereitung einer
poli- tischen Loesung nach dem Ende der bewaffneten Auseinandersetzung aufruft.
Zwei Wochen zuvor hatten an die 60 Intellektuelle ihre
Ablehnung des NATO- Bombardements wesentlich eindeutiger bekundet. Unter den wenigen
Kraeften, die den Angriff auf Jugoslawien definitiv und oeffentlich ablehnen, ist die
Linke Alternative. Bereits am 26. Maerz veroeffentlichte die Gruppe eineErklaerung, in der
es woertlich heisst, dass gegen die Aggression der NATO aufs schaerfste protestiert werden
wuesse, auch wenn die Nationalitaetenpolitik Milosevics keinesfalls zu akzeptieren sei. |