Die Haltung der USA zu ethnischen Säuberungen im Falle
Kroatiens
Von David North
16. April 1999
aus dem Amerikanischen (15. April 1999)
Wenn die Wahrheit das erste Opfer des Krieges ist, so scheint
ihr die Kritikfähigkeit auf dem Fuße zu folgen. Unter der geistesertötenden
unausgesetzten Propaganda - die ausschließlich um das Schicksal der Kosovaren kreist -
verlieren einige ansonsten intelligente Leute ihr politisches Gleichgewicht und
unterstützen die Bombardierung Jugoslawiens durch USA und NATO. "Normalerweise"
- wenn also gerade kein Krieg stattfindet - sind sie Gegner des Imperialismus und
Militarismus. Im allgemeinen wenden sie sich auch dagegen, daß mit kriegerischen Mitteln
Märkte, Profite und andere, geopolitische Interessen verfolgt werden. Aber im
spezifischen Falle dieses Krieges liegen die Dinge anders, wird er doch für die
"Menschenrechte" geführt, um Menschenleben zu retten, die von den rassistisch
motivierten Greueltaten der jugoslawischen Regierungstruppen bedroht werden. In dieser
Lage, so heißt es, hat man, um die als "ethnische Säuberung" bekannte Barbarei
zu beenden, keine andere Wahl, außer den Krieg als notwendig hinzunehmen.
Diese Haltung erscheint zumindest auf den ersten Blick sehr
vernünftig. Denn wer würde schon gegen den moralischen Imperativ auftreten, daß Leben
gerettet werden müssen? Der politische Verbrecher - Milosevic - ist ausgemacht. Die
Bilder seiner zahlreichen Opfer wurden in die ganze Welt ausgestrahlt. Wenn es Bomben
braucht, um diesem Verbrecher das Handwerk zu legen und der Schlächterei ein Ende zu
machen - so sei es denn.
Wenn uns die Geschichte des 20. Jahrhunderts jedoch irgend
etwas lehrt, dann dies, daß man solche eingängigen Rechtfertigungen für Kriege seitens
kapitalistischer Großmächte mit großer Vorsicht genießen sollte. Wenn man die
Erklärungen der USA und ihrer westeuropäischen NATO-Verbündeten für diese oder andere
Militärinterventionen abwägt, so sollte man tunlichst zwischen den diversen guten
Gründen - d.h. jenen, die in selbstlose und moralische Begriffe gekleidet sind - und
den wirklichen Gründen unterscheiden, die in der internationalen imperialistischen
Machtpolitik und in den Handels- und Finanzinteressen der bürgerlichen Klasse liegen.
Selbst wenn man ohne weitere Fragen hinnehmen wollte, daß
Milosevic aller Vergehen, die ihm vorgeworfen werden, auch schuldig ist, dann würde dies
immer noch nicht erklären, weshalb die USA unnachgiebig auf einer Militäraktion gegen
Jugoslawien beharrten. Wollte man die wirklichen Gründe auflisten, aus denen heraus die
USA Jugoslawien bombardieren, so käme das Schicksal der Bevölkerung des Kosovos, wenn es
überhaupt eine Rolle spielt, an letzter Stelle.
Nicht nur wir haben darauf hingewiesen, daß die Haltung der
Vereinigten Staaten zu Massenrepressionen in verschiedenen Teilen der Welt - selbst, wenn
sie die Form "ethnischer Säuberungen" annehmen - in höchstem Maße von
Heuchelei geprägt ist. Wenn die Unterdrückung von Regierungen begangen wird, die ihren
geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen dienlich sind, dann wird sie von den
Vereinigten Staaten nicht nur gerechtfertigt, sondern auch direkt praktisch unterstützt.
Doch auch auf dem Balkan selbst widerspiegelte die Reaktion
der Vereinigten Staaten auf die Greueltaten eher politische Berechnung, als moralische
Erwägungen. Die Reaktion der USA auf die dokumentierten Greueltaten der kroatischen
Regierung unter Franjo Tudjman entlarvt auf schlagende Weise den Zynismus ihrer Pose als
Verteidiger der "Menschenrechte".
Am 21. März, nur wenige Tage vor den ersten Luftschlägen
gegen Jugoslawien, berichtete die New York Times über Ermittlungsergebnisse am
Internationalen Gerichtshof für Kriegsverbrechen in Den Haag: "Den Dokumenten des
Tribunals zufolge führte die kroatische Armee während einer Offensive von 1995, die als
Wendepunkt der Balkankriege gilt, Massenhinrichtungen durch, nahm die Zivilbevölkerung
ohne Ansehen unter Beschuß und verübte ethnische Säuberungen." Die Times
berichtete, daß das Tribunal die Verurteilung dreier kroatischer Generäle empfohlen
habe, und fuhr fort:
"Jede Verurteilung der kroatischen Armee-Generäle
könnte sich für die Clinton-Administration als politisches Problem erweisen, denn sie
unterhält eine heikle Beziehung zu Kroatien. Dieser amerikanische Verbündete bei der
Friedenserhaltung in Bosnien weist eine schlechte Menschenrechtsbilanz auf.
Die kroatische Offensive im August 1995, die innerhalb von
vier Tagen rund 100.000 Serben aus einem großen Gebiet Kroatiens vertrieb, wurde mit dem
zögernden Segen der USA von einer kroatischen Armee durchgeführt, die von einer Gruppe
pensionierter amerikanischer Militäroffiziere geschult worden war. Das ganze Ausmaß der
US-amerikanischen Beteiligung ist nach wie vor unklar."
Hätten die amerikanischen Medien über die gewaltsame
Vertreibung der Serben aus der Provinz Krajina im Sommer 1995 berichtet, so hätte man
schon vor vier Jahren ganz ähnliche Szenen gesehen wie jene, die wir in den vergangenen
drei Wochen kennenlernten. "Die kroatische Armee", schrieb die Times,
"vertrieb mehr als 100.000 Serben aus ihrer angestammten Heimat und zwang sie zur
Flucht auf Handkarren und in kleinen Autos, die mit ihren Habseligkeiten überladen
waren." Die Dokumente des Tribunals, auf die sich die Times bezieht, führen
zahlreiche Fälle brutaler Übergriffe der kroatischen Truppen gegen die Serben an.
"In groß angelegter, systematischer Manier", schreiben die Ermittler des
Tribunals, "begingen die kroatischen Truppen Mord und andere unmenschliche Taten an
kroatischen Serben."
Dem Bericht der Times zufolge wurden diese Verbrechen
im Verlauf einer Operation begangen, die mit Hilfe eines pensionierten amerikanischen
Generals geplant worden war, der seinerseits für eine in Virginia ansässige Privatfirma
namens Military Professional Resources Inc. arbeitete.
Die prahlerische Darstellung des Sondergesandten Richard
Holbrooke über seine Diskussionen mit dem kroatischen Präsidenten Tudjman während der
damaligen Offensive zeigt überdeutlich, daß die Vereinigten Staaten die Greueltaten auf
dem Balkan mit zweierlei Maß messen. Holbrooke beschreibt, wie die Vereinigten Staaten,
während sie nach außen hin die kroatische Vertreibungsoffensive gegen die Krajina-Serben
mißbilligten, insgeheim Tudjman anfeuerten, den militärischen Vormarsch voranzutreiben:
"Galbraith [der US-Botschafter in Kroatien] und ich
trafen Tudjman am 14. September. Tudjman wollte Klarheit über die amerikanische Haltung.
Er fragte mich unverblümt nach meiner persönlichen Ansicht. Ich ließ meine
allgemeine Unterstützung für die Offensive erkennen, verschob aber einen
ausführlicheren Meinungsaustausch auf eine zweite Zusammenkunft, so daß ich mich mit
meinen Kollegen und Washington abstimmen konnte.
Am 17. September trafen sich Galbraith und ich allein mit
Tudjman... Ich sagte Tudjman, die Offensive sei für die Verhandlungen von großem Wert.
Es würde weitaus leichter sein, am Verhandlungstisch zu bewahren, was auf dem
Schlachtfeld erobert worden sei, als die Serben zur Aufgabe von Gebieten zu bewegen, die
sie seit Jahren kontrolliert hätten." (1)
Zur Zeit des Treffens war sich Holbrooke völlig darüber im
klaren, daß die kroatische Armee Greueltaten gegen die Serben verübte. Er sorgte sich
sogar, daß das Ausmaß der Schlächterei politischen Schaden anrichten könne, und
drängte Tudjman, die unter seinem Oberkommando stehenden Truppen etwas zu zügeln:
"Unter Verwendung eines provokativen Ausdrucks, der
normalerweise für die Serben reserviert war, sagte ich Tudjman, daß das gegenwärtige
Verhalten der Kroaten vielleicht als eine abgeschwächte Form ethnischer Säuberungen
angesehen werden könnte. Tudjman reagierte heftig, bestritt es aber nicht ganz..."
(2)
Die Atmosphäre des entspannten Zynismus, in der Holbrooke
und seine Verbündeten das Morden auf dem Balkan sehen, kommt in einer weiteren Episode
deutlich zum Ausdruck. In den Anfangsstadien dieser entscheidenden kroatischen Offensive
drängte ein Mitglied der amerikanischen Verhandlungsdelegation, das anscheinend die pro
forma geäußerte Mißbilligung der USA zu ernst nahm, Tudjman während eines
Arbeitsessens zum Abbruch der Militäraktion. Robert Frasure, Holbrookes wichtigste
Hilfskraft, kanzelte diesen naiven Auftritt scharf ab. Er verfaßte eine kurze Notiz, die
er Holbrooke hinüberschob. Darauf stand geschrieben:
"Dick: Wir haben diese Typen [Tudjman und die
kroatischen Militärführer] als unsere Wachhunde auf diesem Schrottplatz (junkyard dogs)
angeheuert, weil uns nichts anderes übrig blieb. Wir müssen versuchen sie zu
kontrollieren. Aber es ist jetzt nicht der Zeitpunkt pingelig zu werden."
Diese Notiz, die Holbrooke voller Stolz zitiert, faßt die
Beziehung des amerikanischen Imperialismus zu den Führern der diversen Balkanstaaten mehr
oder weniger zusammen: Sie sind die "Wachhunde" der USA, die je nach Bedarf an
der Kette gehalten oder losgelassen werden.
Eine kurze Ergänzung zu dieser Episode. In seiner Ausgabe
vom 14. April berichtet das Wall Street Journal, daß die USA entgegen den
Einwänden einiger europäischer Verbündeter Kroatien für die Mitgliedschaft in der NATO
vorsehen. Menschenrechtsgruppen beklagen, daß Tudjman nach wie vor Kriegsverbrecher
protegiert, extrem rechte Nationalistenorganisationen fördert und ein repressives,
autoritäres Regime führt. Dennoch ist Kroatien eingeladen worden, den Briefings der NATO
über den Verlauf der Bombardierungen beizuwohnen. Am Montag abend wurden die Vertreter
Kroatiens zu einem Dinner mit Außenministerin Madeleine Albright geladen, an dem
ansonsten die Außenminister der "Frontstaaten" der Kosovo-Krise teilnahmen.
Und noch ein weiterer Aspekt der blühenden Beziehungen
zwischen Kroatien und den Vereinigten Staaten, auf den das Wall Street Journal hinweist:
"Seitdem Kroatien seinen Krieg mit Jugoslawien 1995
beendet hat, haben die USA starke wirtschaftliche Verbindungen hergestellt, und Kroatien
führt mittlerweile Amerika als seinen größten Auslandsinvestoren an. Die Enron Corp.
verhandelt über den Bau eines Kraftwerks im Lande. Die Bechtel Corp. erhielt einen 600
Millionen Dollar schweren Straßenbau-Auftrag, für den die Export-Import Bank der USA
letzten Monat zu niedrigen Zinsen einen Kredit von 228 Millionen Dollar bereitstellte. Es
ist der erste solche Kredit für diese Region; der Zeitpunkt scheint zufällig zu
sein."
Anmerkungen
1) To End A War, New York 1998, S. 159-60
2) Ebd. S. 160
Quelle: http://www.wsws.org/de/1999/apr1999/koso-a16.shtml |