ND-Interview
mit Gysi anläßlich seiner Reise nach Belgrad
Öffentlicher Druck muß Bedingungen für Verhandlungen schaffen helfen
Erschöpft und überzeugt, daß Frieden machbar wäre - Gregor Gysi im
ND-Gespräch
Die Reise nach Belgrad war ungewöhnlich für einen deutschen Politiker. War
sie auch erfolgreich?
Auf jeden Fall bin ich nach der Reise noch überzeugter als vorher, daß es nur eine
Alternative zum Krieg gibt und die heißt, Gespräche zu führen, Politik zu machen und
Diplomatie ins Spiel zu bringen.
Diplomatie mit Milosevic? Wie war das Verhältnis?
Das Gespräch war natürlich reserviert. Gegenseitig. Aber auch intensiv und interessant,
zumal ich eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet habe, bei denen er seine Bedenken
hatte. Ich glaube jedoch, daß ein Nachdenken stattfindet und daß weitere Gespräch hier
durchaus zu Be- wegungen und zu Ergebnissen führen könnten. Alle
Verhandlungsmöglichkeiten sind noch nicht ausgeschöpft.
Vorschläge zur Einstellung der NATO-Angriffe und zur Einstellung der Kämpfe
und der Vertreibung im Kosovo?
Selbstverständlich. Nur ist natürlich nach Beginn des Krieges alles schwieriger
geworden. Man kann auch verstehen, wenn Jugoslawien sagt, wir können nicht jene als
Friedensapostel ins Land lassen, die jetzt bomben. Die Alternative heißt UNO. Die
Kompetenz muß von der NATO zur UNO übergeben werden, um damit auch der bisherigen
Weltordnung zu entsprechen. Und dann, glaube ich, ist vieles möglich.
Kofi Annan hat aber in einem Brief an Milosevic ziemlich eindeutig
NATO-Positionen bezogen, oder?
Annan ist ein hoher Beamter, aber er ist nicht der Weltsicherheitsrat. Die Befugnisse
liegen beim Weltsicherheitsrat. Und trotzdem bin ich dafür, und das stieß in Belgrad
nicht auf Widerspruch, daß direkte und unmittelbare Verhandlungen und nicht mehr
indirekte Verhandlungen zwischen den politischen Verantwortlichen der Kosovo-Albaner und
der jugoslawischen und der serbischen Führung unter Begleitung und Verantwortung der UNO
stattfinden müssen. Milosevic hat das durchaus akzeptiert.
Kann es demnächst eine Waffenruhe geben, die Luft zum Verhandeln läßt?
Das hängt sehr davon ab, wie groß der öffentliche Druck auch auf die NATO-Staaten wird,
das Bombardement zu beenden. Hat eine einzige Bombe auf Jugoslawien das Leid eines
einzigen Kosovo-Albaners gelindert?!
Doch da gibt es viel Leid.
Milosevic bestreitet natürlich, daß es irgendwelche Morde an Kosovo-Albanern gibt. Er
bestreitet auch die Vertreibung und sagt, die fliehen alle vor den Bomben. Auf jeden Fall
hat er akzeptiert, daß die Kosovo-Albaner volle Menschenrechte brauchen. Er hat
akzeptiert, daß sie einen Anspruch auf Autonomie haben. Und er hat auch akzeptiert, daß
alle Flüchtlinge, und nicht nur die "friedliebenden", wie er das früher mal
gesagt hat, das Recht haben müssen auf eine gesicherte Rückkehr. Milosevic stimmte auch
zu, daß UNO-Beobachter in beliebiger Zahl für den Fall, daß es zu einem Abkommen kommt
mit den Kosovo-Albanern, die Einhaltung kontrollieren können. Er spricht allerdings nur
von zivilen Beobachtern und sagt auch, etwas anderes ist nicht akzeptabel und nicht
nötig. Da ist also Bewegung drin. Aber ich will mich natürlich nicht einseitig auf
bestimmte Aussagen verlassen. Deshalb fliege ich nach der Bundestagsdebatte wieder los.
Nach Albanien. Weil ich auch wissen will, was die Menschen dort, in den Flüchtlingscamps,
berichten.
Ist trotzdem genügend Zeit zwischen Sitzung und Abflug, damit sich
Außenminister Fischer erkundigen kann, wie der Stand der Dinge wirklich ist?
An mir scheitert das bestimmt nicht.
Milosevic war nicht der einzige Diskussionspartner. Was sagen die
Kirchenvertreter?
Ich habe sehr wichtige Gespräche geführt - einmal mit dem Mufti von Belgrad und Serbien
und zum anderen mit dem Patriarchen der serbisch-orthodoxen Kirche. Mit ihnen habe ich
über Initiativen gesprochen, deren Inhalt allerdings von ihnen öffentlich gemacht werden
muß. Auch sie können den Weg zum Frieden begehbar machen und zur Durchsetzung der
Menschenrechte im Kosovo beitragen. Es war schon erstaunlich, welch guten Ruf die PDS
sowohl bei den Muslimen als auch bei der serbisch-orthodoxen Kirche hat. Ich habe meine
Gesprächspartner einfach bestärkt, habe ihnen gesagt, daß sie viele Gläubige und viel
Einfluß auf die öffentliche Meinung haben. Diese Gespräche haben übrigens die
politische Seite Serbiens ein bißchen durcheinander gebracht. Aber man hat mir keine
Steine in den Weg gelegt.
Wie ist die Stimmung?
So geschlossen stand diese Bevölkerung ganz offenkundig noch nie hinter ihrer Führung
wie jetzt. Wenn man Demokratisierung voranbringen wollte, dann hat man dem mit der
Bombardierung einen schlechten Dienst erwiesen. Da stehen die Arbeiter vor ihrem
Jugo-Werk, da ist nichts mehr zu arbeiten, da gibt es keinen Arbeitsplatz mehr - und sie
kommen trotzdem. Jeden Tag. Mit Tränen in den Augen. Meine große Furcht ist, mit den
NATO-Angriffen wird eine starke anti-westliche Stimmung entstehen. Und die wird wieder
eine ganze Generation andauern. Und was den Integrationsprozeß in Europa betrifft -
Jugoslawien gehört nämlich zu Europa - sind wir hier um Jahre zurückgeworfen. Daran
kann nur eine Macht Interesse haben - die USA.
Interview: Rene Heilig
Neues Deutschland, 15. April 1999, Seite 2