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KOSOVO Antikriegsseite


From: M.Merlin@TBX.berlinet.de   (Maurice Merlin)

PRO ASYL Press Release - Presseerklärung

7. April 1999

  • Kosovo - eine unendliche Folge von Fehleinschätzungen der deutschen Politik
  • Das Auswärtige Amt räumt ein gewußt zu haben, was es nicht wissen wollte
  • Auch unter Bundesaußenminister Fischer wurde verharmlost - Der Tagesspiegel vom 8.3.

"Die Eskalation des Konfliktes im Kosovo und die prekäre Lage der
Flüchtlinge ist auch das Ergebnis einer unendlichen Folge von Fehleinschätzungen der deutschen Politik"; erklärte Heiko Kauffmann, Sprecher der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge PRO ASYL am Mittwoch morgen in Frankfurt am Main. Jahrelang seien die Warnungen von Experten und Menschenrechtsorganisationen vom Auswärtigen Amt und den Innenministerien ignoriert worden. "Wegschauen und Verdrängen kennzeichnen den Charakter einer Politik, deren oberste Maxime die Verhinderung der Aufnahme von Flüchtlingen warö, so Kauffmann. (s. Anlagen)

Laut PRO ASYL bekamen Flüchtlinge aus dem Kosovo von der Politik, vom Bundesamt, von den deutschen Behörden und Gerichten regelmäßig zu hören, daß ihr Flüchtlingsschicksal nicht ausreiche, daß der Verfolgungsdruck nicht groß genug sei, um in Deutschland Asyl und Abschiebeschutz zu erhalten. Zynisch seien die Menschen auf eine angebliche inländische Fluchtalternative verwiesen worden. Über Jahre sei Milosevic den deutschen Behörden wichtiger Gesprächs- und Verhandlungspartner gewesen - etwa in Sachen "Rückübernahmeabkommen". Bis vor kurzem sei er als rechtsstaatlicher Empfänger abgeschobener Flüchtlinge aus Deutschland akzeptiert worden.

Der erste von Bundesaußenminister Joschka Fischer verantwortete Bericht zur asyl- und abschieberelevanten Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien vom 18. November 1998, so Kauffmann, sei zur Fortschreibung der Kinkelschen Bestandsaufnahme geraten: "Die Wahrscheinlichkeit, daß Kosovo-Albaner im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, ist insgesamt als gering einzustufen."

Seit 31. März 1999 werde nun zurückgerudert. Unter dem Eindruck der forcierten Vertreibung der albanischen Bevölkerung teile das Auswärtige Amt in seiner Presseerklärung 1023/99 mit: "Nach Ausbruch der Kämpfe im Kosovo im März 1998 wurde von den Sicherheitskräften eine gezielte Vertreibungsstrategie, eine Politik der verbrannten Erde betrieben: Nicht nur der UCK, sondern auch der Zivilbevölkerung sollte ein Verbleib in den Häusern und Dörfern unmöglich gemacht werden."

Die schwerwiegenden Folgen der in der Vergangenheit mangels oder wider besseres Wissen beschönigenden Lageberichte des Auswärtigen Amtes verdeutliche ein Urteil des 7. Senats des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 1999 zur Verfolgungsgefahr zurückkehrender abgewiesener Flüchtlinge aus dem Kosovo.

"Die Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Situation in den Herkunftsländern sind die zentrale Erkenntnisquelle für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen im Asylbereichö, so Kauffmann. "Mangelnde Sorgfalt bei ihrer Erstellung oder gar die Bereitschaft, die Wahrheit auf dem Altar einer Abschottungsmaxime zu opfern, ist unverantwortlich und verwerflich."

Anlagen:

  • Auszug aus dem Bericht zur asyl- und abschieberelevanten Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien, hier: Lage im Kosovo (11. März 1998)
  • Auszüge aus dem Bericht zur asyl- und abschieberelevanten Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien vom 18. November 1998
  • Auszug aus der Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes Nr. 1023/99: "Die serbische Strategie der 'ethnischen Säuberungen' (Bosnien-Herzegowina und Kosovo)"
  • Auszüge aus dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 5. Februar 1999 (AZ: 7 UE 587/98. A)

Wie das Auswärtige Amt die Geschichte umschreibt:

Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien, hier: Lage im Kosovo (11. März 1998) "Auch nach den jüngsten Ereignissen im Kosovo ist grundsätzlich nicht mit einer gezielten Verfolgung von rückkehrenden Kosovo-Albanern durch staatliche Organe zu rechnen."

Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien vom 18. November 1998

"Die Wahrscheinlichkeit, daß Kosovo-Albaner im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, ist insgesamt als gering einzustufen. (...)  Als inländische Fluchtalternativen kommen vor allem Zentralserbien (hier insbes. Belgrad) und Montenegro in Betracht."

Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes Nr. 1023/99 vom 31. März 1999

"Die serbische Strategie der 'ethnischen Säuberungen' (Bosnien-Herzegowina und Kosovo)
II. Kosovo: Die serbische Politik der verbrannten Erde

1. Die Zielsetzung der Politik von Milosevic im Kosovo wurde im März 1990 in dem 'Programm für die Verwirklichung von Frieden und Wohlstand im Kosovo' und einige Wochen später in weiteren Dekreten offenbar. Es ging um die Etablierung eines Apartheid-Systems, das bis heute die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Kosovo bestimmt. Bis zum Ausbruch der bewaffneten Kämpfe im März 1998 bediente sich die diese Politik vor allem des Mittels der wirtschaftlichen Verelendung, gepaart mit rücksichtsloser Repression. (...)

2. Nach Ausbruch der Kämpfe im Kosovo im März 1998 wurde von den Sicherheitskräften eine gezielte Vertreibungsstrategie, eine Politik der verbrannten Erde betrieben: Nicht nur der UCK, sondern auch der Zivilbevölkerung sollte ein Verbleib in den Häusern und Dörfern unmöglich gemacht werden. Spätestens seit der Entsetzung der Ortschaft Malisevo Ende Juli 1998 konnte über die Strategie der BRJ-Streitkräfte kein Zweifel mehr bestehen. UNHCR und ECMM (Europäische Beobachtermission) berichten von Brandstiftungen und mutwilliger Zerstörung von Häusern und Eigentum, durch die die Rückkehr von kosovo-albanischen Bewohner verhindert werden sollte."

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof am 5. Februar 1999:

Kein Vernichtungsprogramm im Kosovo
Verfolgungswahrscheinlichkeit zurückkehrender Kosovo-Albaner beträgt 1,7%

"Der beschließende Senat ist aufgrund (...) der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger als albanische Volkszugehörige aus dem Kosovo weder im Zeitpunkt ihrer Ausreise noch im Falle ihrer jetzigen Rückkehr einer asylerheblichen Gruppenverfolgung ausgesetzt waren bzw. wären (1.1.) und dass ihnen - bezogen auf die beiden vorgenannten Zeitpunkte - auch keine politische Verfolgung aus individuellen Gründen drohte bzw. drohen würde, (...)

Die gegenwärtige Lage läßt sich als eine solche vorläufiger, aber äußerst labiler Deeskalation charakterisieren (...)

Die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gebotene Würdigung der zur Situation der albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo getroffenen Feststellungen hat den Senat nicht hinreichend davon zu überzeugen vermocht, dass alle Kosovo-Albaner oder wenigstens ein sachlich oder persönlich begrenzter Kreis von ihnen als Zielgruppe eines - landes- oder kosovoweit oder begrenzt auf Teilgebiete des Kosovos angelegten - staatlichen Verfolgungsprogramms gruppenverfolgt sind. Denn die gewonnen Erkenntnisse lassen für die Zeit von 1990 bis heute den Schluss auf das Bestehen eines entsprechenden staatlichen Verfolgungsprogramms, das bereits verwirklicht wird oder dessen Verwirklichung mindestens alsbald bevorsteht, nicht zu.

Das Vorliegen eines staatlichen Verfolgungsprogramms kann nur festgestellt werden, wenn Eckpunkte eines zumindest in Ansätzen koordinierten und organisierten Vorgehens, für das eine gewisse Regel- oder Gleichmäßigkeit kennzeichnend ist, sichtbar sind, wenn dieses Programm auf einen entsprechenden Willensakt staatstragender Stellen oder Personen beruht und wenn die geplanten Maßnahmen darauf abzielen, die in den Blick genommene Bevölkerungsgruppe in ihrer Gesamtheit physisch zu vernichten oder sonst asylerheblich zu beeinträchtigen. (...) Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass alle diese Voraussetzungen in Bezug auf die albanischen Volkszugehörigen aus dem Kosovo oder eine Teilgruppe von ihnen seit 1990 vorgelegen haben oder jetzt vorliegen. (...)

Hinreichend gesicherte Anhaltspunkte für die Annahme eines staatlichen Programms mit dem Ziel einer physischen Vernichtung, gewaltsamen Vertreibung oder sonst asylerheblichen Beeinträchtigungen der gesamten oder eines sachlich oder persönlich begrenzten Teils der albanischen Bevölkerung im ganzen Kosovo oder in Teilgebieten davon bestehen demgegenüber nicht. (...)

Denn zum einen haben sich die Diskriminierungs- und Verfolgungsformen in den letzten Jahren zumindest außerhalb der von den seit Ende Februar/Anfang März 1998 zu verzeichnenden bewaffneten Auseinandersetzungen betroffenen Gebiete in qualitativer Hinsicht nicht maßgeblich verändert; vielmehr ist eine Stagnation der Repression auf hohem Niveau bei im wesentlichen unveränderter Zielsetzung seit etwa 1989/90 festzustellen. Auch die asylrelevanten Übergriffe der serbischen Sicherheitskräfte im Verlaufe der bewaffneten Auseinandersetzungen seit Ende Februar/Anfang März 1998 stellen sich nach der Erkenntnislage zur Überzeugung des Senats nicht als Ausdruck und begonnene Umsetzung eines Verfolgungsprogramms im vorgenannten Sinne dar, weil das auf die Abwehr von gewaltsamen Sezessionsbestrebungen der UCK gerichtete Vorgehen der serbischen Sicherheitsbehörden - in dessen Gefolge die fraglichen Übergriffe verübt worden sind - dem Grunde nach legitim ist und es zu den allein asylerheblichen überschießend harten Maßnahmen weder generell gekommen ist, noch hinreichende Anzeichen dafür vorliegen, dass derartige Maßnahmen generell beabsichtigt (gewesen) sind. (...)

Und zum anderen beläßt der serbische Staat den Kosovo-Albanern nach wie vor den Raum, den sie benötigen, um ihre existenziellen Grundbedürfnisse zu decken; insbesondere geht er nicht systematisch gegen die entstandenen Parallelstrukturen vor, ohne dass dafür zwingende Hinderungsgründe ersichtlich wären. (...)

Nicht unerhebliche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand zu, dass die albanischen Volkszugehörigen im Kosovo keine Minderheit sind, sondern die weit überwiegende Bevölkerungsmehrheit darstellen mit der Folge, dass sie selbst - nicht zuletzt durch ihren Zusammenhalt im Widerstand gegen die serbischen Behörden - das moralische, religiöse und gesellschaftliche Klima prägen oder wenigstens erträglicher gestalten können. (...)

Kann danach von der für 1994 mit 25.000 Menschenrechtsverletzungen angegebenen Höchstzahl ausgegangen werden, weil diese (...) bei der Ausblendung der untypischen Spitzen auch 1998 nicht überschritten worden ist, und setzt man diese zu der weiter oben (...) ermittelten kleinstmöglichen Zahl der kosovo-albanischen Bevölkerung von gut 1,5 Millionen in Beziehung (...), so ergibt sich für jeden kosovo-albanischen Volkszugehörigen im Kosovo lediglich eine statistische Wahrscheinlichkeit von knapp 1,7% pro Jahr, von einem asylrelevanten Verfolgungsschlag getroffen zu werden. (...)

Die Wahrscheinlichkeit, in einem überschaubaren Zeitraum nicht von solchen Maßnahmen betroffen zu werden, war und ist für Kosovo-Albaner - und zwar auch für Angehörige in Betracht zu ziehender Teilgruppen - seit 1990 bis in eine absehbare Zukunft deutlich höher als die gegenteilige."

Das Urteil ist rechtskräftig. AZ: 7 UE 587/98.A


Der Tagesspiegel vom 8. April 1999 "Pro Asyl" wirft Bonn Fehleinschätzungen vor

"Mitverantwortung für Kosovo-Konflikt"
Auswärtiges Amt: Hinterher ist man immer schlauer

VON BEATRICE VON WEIZSÄCKER

BERLIN. Die Eskalation des Kosovo-Konflikts und die prekäre Lage der Flüchtlinge ist nach Ansicht von "Pro Asyl" auch das Ergebnis einer "unendlichen Folge von Fehleinschätzungen der deutschen Politik". Jahrelang seien die Warnungen von Experten und Menschenrechtsorganisationen vom Auswärtigen Amt und den Innenministerien ignoriert worden, sagte der Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Heiko Kauffmann, am Mittwoch in Frankfurt am Main. "Wegschauen und Verdrängen kennzeichnen den Charakter einer Politik, deren oberste Maxime die Verhinderung der Aufnahme von Flüchtlingen war", so Kauffmann. Das Auswärtige Amt wollte zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen.

Flüchtlinge aus dem Kosovo hätten regelmäßig von der Politik, von deutschen Behörden und Gerichten zu hören bekommen, daß ihr Verfolgungsdruck nicht groß genug sei, um in Deutschland Asyl und Abschiebeschutz zu erhalten, sagte Kauffmann. Auch der erste von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnisgrüne) verantwortete Bericht zur Lage in der Bundesrepublik Jugoslawien vom November 1998 sei zur "Fortschreibung der Kinkelschen Bestandsaufnahme geraten". Nach Angaben von "Pro Asyl" hieß es darin: "Die Wahrscheinlichkeit, daß Kosovo-Albaner im Falle ihrer Rückkehr in ihre Heimat massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt sind, ist insgesamt als gering einzustufen."

Unter dem Eindruck der massiven Vertreibung der albanischen Bevölkerung werde nun "zurückgerudert". So habe das Auswärtige Amte am 31. März 1999 in einer Pressemitteilung erklärt: "Nach Ausbruch der Kämpfe im Kosovo im März 1998 wurde von den Sicherheitskräften eine gezielte Vertreibungsstrategie, eine Politik der verbrannten Erde betrieben: Nicht nur der UCK, sondern auch der Zivilbevölkerung sollte der Verbleib in den Häusern und Dörfern unmöglich gemacht werden."

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagte, Lageberichte seien vertraulich und würden nicht veröffentlicht. Er werde sich daher zu dem genannten Bericht nicht äußern. Lageberichte stellten die aktuelle Situation in den betroffenen Gebieten dar. Die erwähnte Presseerklärung hingegen basiere auf einer Rückschau. Und erst in der Rückschau sei die systematische Vertreibung erkennbar geworden. "Nachher ist man immer schlauer", sagte der Sprecher in offenkundiger Anspielung auf die Vorwürfe von "Pro Asyl". Da ließen sich Widersprüche leicht konstruieren.

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