Karl Müller´s Homepage
Texte zur Kritik Aus SPEZIAL Nr. 92 Sept/Okt. 1993
Bernd Rabehl und die APO-Geschichte
Anmerkungen zum Interview in SPEZIAL Nr. 91
Vorbemerkung der Spezial-Redaktion:
Karl Müller lebt in Berlin, ist unabhängiger Marxist und hat
selbst eine K-Gruppen-Biografie. Eine Anmerkung der SPEZIAL
zu der hier abgedruckten Kritik des Interviews: Wir wollten keine
Antworten von Bernd Rabehl zu seiner politischen
Biographie oder zur K-Cruppen- Geschichte.
Unser Interesse bezog sich auf das Verhältnis der APO
zu den bürgerlichen Medien. Bernd Rabehl hat den
abgedruckten Text autorisiert.Sie könn ' mich buchen für alle Zwecke
bei mir springen die Fans bis an die Decke
(Refrain aus dem Song 'Ich und mein Freund Herbert" von Gottlieb Wendehals)Daß Bernd Rabehl in den Zeugenstand der APO-Geschichte gerufen wird, ist für ihn keine neue Erfahrung. Entweder tat er es selber oder ließ sich dazu einladen. Auch weiß er trefflich mit dem Ruf umzugehen, er sei der "engste Kampfgefährte" von Rudi Dutschke und dessen Freund gewesen. Und er ist ein Meister im Erfüllen der seitens des jeweiligen Gastgebers an ihn gerichteten Erwartungen. Warum er so ist, wie er ist, soll deshalb auch nicht Gegenstand meiner Kritik sein. Wenn jedoch die Spezial-Redaktion solch ein Interview unkommentiert durchgehen läßt und darin einen (ideologischen) Bären nach dem anderen unwidersprochen aufgebunden bekommt, dann spricht dies in erster Linie nicht gegen Rabehl, sondern gegen die Redaktion.
Im Spätsommer 1967 - weit vor dem Transformationsversuch von Teilen der Jugend- und Studentenbewegung in eine sogenannte ML-Bewegung - forderte Bernd Rabehl im Vorwort einer Lenin/Trotzki-Dokumentation anläßlich des 60. Jahrestages der Oktoberrevolution endlich die Anwendung ihrer "Lehren" auf die BRD, da "wir im Weltmaßstab vor dem Anschwellen einer neuen revolutionären Periode" stehen. Im Sommer 1968 gab Rabehl mit Semler, Dutschke, Peter Brandt und Günther Amendt die im trotzkistischen Spektrum angesiedelte Zeitschrift "was tun" heraus und war Teilnehmer an Foren der Gruppe Spartakus.
Im Sommer 1969 arbeitete er nach italienischem ML-Vorbild im Ruhrgebiet an einem Parteiprojekt (Projektnahme Ruhrkampagne) und versuchte von dort aus politischen Einfluß auf die KPD/ML (Roter Morgen) zu erlangen. Auf der RPK-Konferenz zur Jahreswende 1969/70, die das Ende der APO markierte, setzte er sich mit dem heute in Springers Berliner Morgenpost publizierenden Schriftsteller Peter Schneider vehement für die Schaffung einer ML-Organisation als Nachfolgeorganisation ein, aus der KB/ML hervorging.
Heute erzählt er im SPEZIAL-Interview, die Hinwendung der antiautoritären Bewegung zum ML sei ihm ein Rätsel, da die damaligen Akteure darüber zu wenig Auskunft erteilten. Diese Behauptung ist nicht nur angesichts seiner eigenen politischen Biografie mehr als Verarsche, sondern gerade auch hinsichtlich einschätzender Literatur - speziell auch biografischer - mangelt es bezüglich der Geschichte der APO und ihrer Auflösung in K-Gruppen eben nicht. Sie ist zudem eine der am besten dokumentierte Zeitabschnitte der westdeutschen Nachkriegsgeschichte, wobei die Dokumente weitgehend jedem/r zugänglich sind. Ich nenne nur das entsprechende Archiv an der FUB, wo u.a. das komplette KBW-Archiv eingelagert ist und wo man sich heute mit dem "Einfluß von Stasi und SED auf die Humboldt-Uni" befaßt. In diesen Arbeitszusammenhängen ist Rabehl seit Archiv-Gründung forschend tätig. Außerdem hat Rabehl selber über Jahre keine Gelegenheit ausgelassen, die damalige Umbruchsituation der APO, in der er einer der Aktivisten war, narrativ einzuschätzen, sei es im Rahmen von Expertengesprächen, sei es vermittelst eines FU-Forschungsvorhabens oder in Form eigenständiger Publikationen bzw. Redakteur des "Langen Marsches". In seinem 1988 erschienenen Buches "Am Ende der Utopie" hat er entgegen obiger Behauptung dieses "Rätsel" bereits (rein denunziatorisch) gelöst. Gestützt auf Theorien Durkheims, Sorels, Fergusons, Lefebres behauptete er damals: "Die Flucht in die theoretische Diskussion und in die Analogiesetzung zeugte von den Berührungsängsten der Antiautoritären vor einer Auseinandersetzung mit der politischen Realität ... Ritual, Mythos bestimmten die Opposition genauso wie die Konkurrenz der Führungseliten, die über radikale Theorie-und Wortsteigerungen ihre Führungsqualität herausstellten." (S. 273) und weiter unten: "Die intellektuellen Führungsgruppen der Opposition entwickelten über die Gewaltfrage den Mythos der Gegengewalt, der gleichzeitig alle Momente der Verweigerung und der Geburt einer neuen Lebens- und Sexualmoral umfassen sollte. Über diesen Mythos wurden die marxistisch-leninistischen Ideologien in ihrer unterschiedlichen Auslegung entdeckt." (S. 284)
Die Aufarbeitung der Geschichte der APO als der einzigen linksradikalen Bewegung (nicht Strömung) in der deutschen Nachkriegsgeschichte ist m.E. eine wichtige Voraussetzung im Rahmen der hiesigen Rekonstruktionsversuche einer zeitgemäßen revolutionären Theorie und zwar auf dem Gebiet ihrer konkreten historischen Voraussetzungen. Von daher ist es begrüßenswert, wenn die SPEZIAL-Redaktion Versuche unternimmt, sich diesem Thema zu nähern. Dabei hätte sie sich aber vorher sachlich etwas fit machen sollen, denn dann wäre ihr nicht nur das Rabehlsche Rätsel merkwürdig vorgekommen, sondern sie hätte es nämlich direkt durch Nachfrage entlang seiner Biografie lösen können. Und es wären ihr noch weitere Flunkereien aufgefallen, die eine ernsthafte und sachgerechte Aufarbeitung der APO-Geschichte ad absurdum führen. So kann Rabehl unwidersprochen mit einigen medientheoretischen Allgemeinplätzchen garniert fabulieren, die APO sei eigentlich eine von den Medien inszenierte Revolte gewesen, weil mensch an die mediengemachte "zweite Realität" statt an die eigene erlebte geglaubt hätte. Zu allem Überfluß führt er sich noch peinlicherweise als lebenden Beweis dieser Legende vor.
Wer sich mit der Geschichte der Jugend-und Studentenbewegung ernsthaft auseinandersetzen will, sollte die Fakten zur Kenntnis nehmen und nicht die eigentümlichen Einschätzungen eines sogenannten Zeitzeugen. Rabehl bringt es nämlich fertig, und der interviewenden Redaktion fällt dies nicht mal auf, sich zu APO, SDS und Medien zu äußern, ohne auch nur ein Wort zur Kritischen Theorie, der theoretischen Grundlage des Versuchs, sich eine eigene (Gegen-) Öffentlichkeit zu schaffen, zu verlieren. Kritische Universität, Vietnam-kongreß, Enteignet-Springer-Kampagne. Basisgruppenbewegung, Anti-Pädagogik in den Kinderläden, Weiberrat und, und... Formen dieser Gegenöffentlichkeit - Bernd Rabehl kennt sie, hat sie mitgetragen und ignoriert sie heute. Warum? Bei ihm besteht ganz offensichtlich kein gesteigertes Interesse, für heute Lehren aus der Geschichte der APO zu ziehen, die sich auf deren Sozialrevolutionäre Implikationen beziehen. Wie anders ist sein professorales einerseits/andererseits - hier Marx dort Weber - zu bewerten?
Karl-Heinz Roth hat in seinem Buch "Klaut sie!" (1980) versucht, eine Antwort auf diese Attitüde zu finden. Sie lautet bezüglich Rabehl sinngemäß: Ich bin sozialpolitischer Seismograph - sie können mich buchen für alle Zwecke. Und wer in Sachen APO/SDS bucht, bekommt von Rabehl die Antworten, die er braucht. Ob es der Anti-Terrorspezialist Laqueur oder der Chef des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz auf einer "Terrorismuskonferenz" sind oder heute die linksradikale Spezial. Rabehl gibt die gewünschte Antwort. Seine Antwort für Spezial auf deren Frage nach Politik heute lautet gemäß deren Motto auf der Titelseite "... einfach mal alles radikal in Frage stellen".
Kurzum: Die Spezial hat mit dem Rabehl-Interview in mehrfacher Hinsicht leider ein Eigentor geschossen.