Karl Müller´s Homepage
Texte zur Kritik DOWNSIZING - DOWNCOSTING - OUTSOURCING
Kehrt die Arbeit in die Werkstatt zurück?
Eine Betrachtung über zeitgenössische Tendenzen des Mikroelektronikeinsatzes unter kapitalistischen Verwertungsbedingungen von KARL MÜLLER
aus: Materialien zur Diskussion, Nr. 1/93, Berlin, S. 31-44In seinem Versuch einer Rückbesinnung... schreibt Robert Schlosser: "Ohne EDV keine Automation und damit keine Möglichkeit der Reduktion der gesellschaftlichen Arbeit auf ein Minimum, ohne EDV keine Rückerlangung vielseitiger Befähigung auf dem Niveau der heutigen materiellen Produktivkräfte im Zusammenhang mit polytechnischer Ausbildung, und ohne EDV gibt es keine Möglichkeit eines gesellschaftlichen Verkehrs, also einer gesellschaftlichen Kommunikation, die ohne Markt auskommt." Als wir vor gut fünf Jahren im "westberliner info" in mehreren Ausgaben (2/3/4-87) den Versuch einer Analyse des Mikroelektronikeinsatzes unternahmen, beanspruchten wir die Widersprüche herauszuarbeiten, wie sich aus der Selbstbewegung des Kapitals in diesem Zusammenhang konturieren. Wir legten den Blickwinkel - nicht nur bedingt1 durch die Materiallage - vom Einzelkapital her und branchenbezogen an. Demgemäß blieben uns bestimmte zentrale Aspekte, die Robert Schlosser in seinem Zusammenhang aus Verbreitung und Einsatz von EDV herleitet, verschlossen. Die folgenden Betrachtungen versuchen, zum einen gegenwärtige Tendenzen zu benennen, um unsere damals formulierten Prognosen heute kritisch zu hinterfragen, und zum andern, um Schlossers Erwartungen hinsichtlich der durch die EDV entstehenden produktivkraftmäßigen (objektiven und subjektiven) Voraussetzungen für eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus weiter zu diskutieren.
Betriebsstruktur contra EDV-Struktur
Neben den im Kapitalismus ohnehin üblicherweise zyklisch auftretenden Konkurrenzverschärfungen zwischen den Einzelkapitalien einer Branche ist zudem durch die flächendeckende Einführung der EDV in den 80er Jahren ein "innerer" Widerspruchszusammenhang in den einzelnen Betrieben speziell in der BRD aufgewachsen. Diese Kombination der endogenen Krisenmomente mit den exogenen bewirkt seit Beginn der 90er Jahre in den besonders davon betroffenen Betrieben eine hektische Betriebsamkeit hinsichtlich der Umorganisation von Arbeits- und Datenflußprozessen.
1992 führte die Computer Management Group GmbH (Frankfurt)2 eine Umfrage bei den 700 umsatzstärksten Betrieben (Jahresumsatz zwischen einer und fünf Milliarden DM p.a.) der BRD durch. Es wurden Betriebe aus folgenden Branchen befragt: Industrie, Banken, Versicherungen, Dienstleistung, Handel, Kommunikation, Bauwesen und Transport, sowie öffentliche Versorgung. 58 Prozent der Befragten gaben an, daß sie EDV-Anwendungen von Großrechnern alsbald auf kleinere, verteilte Systeme verlagern wollen. Die Befragten wandten bisher jährlich bis zu 100 Mio. DM für die Datenverarbeitung auf. Mit der Verlagerung beabsichtigen diese Betriebe nicht nur eine Kostenminimierung im EDV-Bereich - sprich Senkung des Anteils des konstanten fixen Kapitals am insgesamt aufgewandtem, sondern erhoffen sich auch "höhere Automation im administrativen sowie im Prozeß- und Produktionsbereich".
Als öffentliche Stichwortgeber dieses Schrittes, das bisher erreichte Niveau der Produktivkraftentwicklung unter dem Diktat der Profitmaximierung erneut anzuheben, traten 1990 Womack, Jones und Roos vom Massachusetts Instut of Technology (MIT)3 in Erscheinung. Dem bundesdeutschen Management kam deren Konzept einer "Schlanken Produktion" nicht nur als ideologischer Steinbruch entgegen, sondern entsprach vor allem den Erfordernissen nach betrieblicher Neuorganisation, wie sie nach allseitiger Einführung der Mikroelektronik im Verlaufe der 80er Jahre zu Tage getreten waren.
Durch die EDV konnten nämlich nach ihrer Einführung sämtliche Firmendaten auf der administrativen Ebene erfaßt werden. Wenn z.B. die Marketingabteilung ein Angebot in einen Auftrag umwandelte, so war sie bei diesem Schritt "Just in Time" mit der technischen Fertigungsplanung. Wurden dort die Arbeitspläne erstellt, konnten in der Administration Material- und Fertigungsplanung, Terminstruktur und Mischfertigung, Auftragsbezug etc. überwacht und verändert werden. Die EDV in Gestalt einer Großrechneranlage bildete den gesamten betrieblichen Informationsdatenfluß entsprechend der hierarchischen Betriebsstruktur nach und bereitete dementsprechend hard- wie softwaremäßig die Daten auf. Dies führte zu jedoch massenhafter Daten-Redundanz (Spiegelung von Daten im Großrechner zur Gewährleistung eines zeitgleichen Datenzugriffs gemäß der streng hierarchischen Zugriffsberechtigung) und erhöhte den Zwang zu immer leistungsfähigeren Rechnern.
Unabhängig von dem Datenfluß im Großrechner entstanden betriebsbedingt lokale Rechnernetze (LAN´s) und PC-Einzelarbeitsplätze, wo bereichsspezifischer EDV-Support täglicher Routinearbeiten erfolgte. Mit dem Schritt zur Inselfertigung auf der Basis von NC-Maschinen in der Metallindustrie4 wurden in der betrieblichen Mikrostruktur teilenthierarchisierte Arbeitsformen initiiert, deren lokale Datenflüsse zwar im zentral-administrativen Zugriff sein sollten, deren EDV-mäßige Vernetzung jedoch mit der bestehenden Großrechnerstruktur bislang nicht zu leisten war. Das Portieren von lokalen Daten auf die Großrechneranlage bzw. umgekehrt war nämlich nicht nur wegen Systeminkompatibilitäten nahezu ausgeschlossen, sondern auch seitens der hierarchischen Datenstruktur in der Großrechneranlage, d.h. aufgrund des Fehlens relativer Datenbankstrukturen, kaum zu realisieren. Wenn bisher lokale Daten mit dem Großrechner wie zum Beisspiel beim Einsatz von mobiler, computerisierter Betriebsmitteldatenerfassung5 in der Automobilfertigung vernetzt wurden, dann geschah grundsätzlich auf der Datenbasis des Großrechners.
Zwar waren zu Beginn der 90er Jahre, noch bevor die MIT-Studie erschienen war, auf der Seite der Arbeitsorganisation Voraussetzungen zum Übergang auf eine Lean Produktion in den BRD-Großbetrieben in Gang gesetzt worden6, aber nun wurde der Widerspruch zwischen Betriebs- und EDV-Struktur sichtbar. Die Bewältigung eines enthierachisierten Datenflusses war hard- und softwaremäßig nicht adäquat zu leisten, wenn der Gesamtumbau der betrieblichen Strukturen in Richtung "flacher Hierarchien" und "Team-Organisation" das Ziel sein sollte.
Am 26. Juni 1992 tagte das 5. Forschungsseminar der Hochschulgruppe Arbeits- und Betriebsorganisation (HAB) in der TU Hamburg ausschließlich befaßt mit der Frage "Qualitätssicherung und Produktionsplanung und -steuerung unter dem Gesichtspunkt einer schlanken Produktion sowie der Produktionssegmentierung und Dezentralisierung fertigungsbegleitender Funktionen".7 Hier wurde der Widerspruch zwischen Umbauplänen von Betriebsstrukturen und vorhandenen Rechner-/Datenstrukturen zum Hauptthema. Das Ergebnis war bitter: "Mit der Einführung derartiger Organisationseinheiten ist aber auch der Nachteil verbunden, daß neue Schnittstellen entstehen, da zweckmäßigerweise oft nicht alle Funktionen in einem Segment zu integrieren sind (z.B. Rechnungswesen, Grundlagenentwicklung, Instandhaltung). Diese Funktionen bleiben dann aufbauorganisatorisch oft als zentrale Dienstleistungs- oder Ausführungsabteilungen bestehen." Aber auch von der Seite des Informationsmanagements mit Schwerpunkt Bürokommunikation wurden die Stimmen unüberhörbarer, die da mahnten, daß ein betrieblicher Umbau nur möglich sei, wenn die Hemmnisse der in den Betrieben vorhandenen hierarchischen Großrechner und den daneben wildwüchsig bestehenden LAN`s und PC´s mittels einer gemeinsamen, d.h. offenen Rechner- "Plattform" beseitigt würden.8 Der Begriff des "Downsizing" war geboren. Hinter dieser Formulierung verbarg sich freilich nur das Ende der 80er Jahre in Angriff genommene Konzept der Abflachung der Organisationstrukturen.
Gerade die BRD-Automobilindustrie, die bedingt durch das Hinzukommen neuer Märkte durch das Beitrittsgebiet DDR bis ins Jahr 1992 wie Teufel boomte, hatte bislang auf solche tiefgreifenden Umbaumaßnahmen verzichtet. Ähnlich sah es in anderen Branchen wie z.B. im Verlags- und Versicherungswesen aus. Der Maschinenbau, der ohnehin in den 80er Jahren unter Druck gestanden hatte, war auf diesem Gebiet allerdings weiter vorangeschritten. Jedoch gilt derzeitig für alle Branchen, daß die bis heute entwickelten Hard- und Softwarevoraussetzungen nach wie vor ein scheinbar unüberwindbares Hemmnis darstellen. Gerade auch dadurch, daß keine ausreichenden praktischen Erkenntnisse vorliegen.
Insofern verbinden die Rationalisierer der 90er Jahre ihre Downsizingvorschläge mit dem Schlagwort "Downcosting": "Downcosting ist das Resign vorhandener Mainframe-orientierter Informationsarchitekturen mit dem primären Ziel der Kostenersparnis." 9 Die versprochene Kostenminimierung soll nicht nur Hard- und Software und das dazugehörige Bedienerpersonal im Sinne einer linearen Rationalisierungsinvestition erfassen, sondern die Kosten der Informationsbeschaffung und -verarbeitung sollen durch dezentralisierte und offene Rechnerstrukturen produkt- bzw. leistungbezogen darstellbar und kalkulierbar werden. "Die Kosten der Versorgung mit Informationen werden genauso selbstverständlich einzelnen Arbeitsgruppen oder Abteilungen zugeordnet werden, wie es heute etwa schon mit Personal- und Raumkosten passiert." 10 Um den Kapitalisten den Umbau der Betriebsstrukturen im Verbund mit dem Neuaufbau der betrieblichen Informationsarchitektur als "ganzheitliches" Konzept schmackhaft zu machen, unterbreiten die Rationalisierer zudem das Konzept des "Outsourcing". Dazu Sempert: "In den achtziger Jahren noch war es eine Stärke, aufgrund der Größe eines Unternehmens alles selbst machen zu können. Diese Strukturen werden sich künftig eher wettbewerbsnachteilig auswirken...Sie werden sich hin zu virtuellen Unternehmungen entwickeln, etwa Forschung und Entwicklung, Distribution oder Kundenbeziehungen funktional >outsourcen< und strategische Allianzen eingehen. Parallel zu Outsourcing und strategischen Allianzen wird sich zunehmend die funktionale Integrität einzelner Arbeitsgruppen etablieren, die im >Lean Management< - schlanken Unternehmen - bereits sichtbar wird." 11
In unseren damaligen Untersuchungen schrieben wir zu diesem Komplex: "Derzeit existieren Rechnereinsatz im Bürobereich und in der Fertigung in Großbetrieben noch nebeneinander. Dies hat auschließlich technische Gründe im Bereich der Vernetzung. Logistisch betrachtet ist dies bereits für die Kapitalisten gelöst."12 Obwohl wir uns im Klaren darüber waren, daß die Größe des unproduktiv verbrauchten Anteils am Mehrwert im Bereich von Bürokommunikation und Administration den Kapitalisten beständig anreizt diese Kosten zu senken, übersahen wir dabei, daß die damals bereits sichtbare und von uns auch thematisierte Veränderung der Arbeitsorganisation weg vom Taylorismus in der Werkstatt13 kein reines (daten)technisches Problem ist. Vielmehr zeigt die aktuelle Debatte an, daß die Neuorganisation des betrieblichen Arbeits- und Informationsprozesses bereits selbst eine neue Qualität von Produktivkaftentwicklung und -vernutzung darstellt. Der Fehler entstand, weil wir uns an keiner Stelle mit der Frage des Rückgangs der Arbeit in unmittelbarer Form befaßt hatten.14 Auch in späteren Arbeiten durchbrachen wir diese Erkenntnisschranke nicht, sondern argumentierten lediglich in der gewerkschatlich-ökonomistischen Logik (Lohnarbeit versus Kapital) des Kampfes gegen Arbeitsplatzabbau.15
Karl Marx wies im Kapital bei der Behandlung des relativen Mehrwerts ausdrücklich auf die Tatsache hin, daß die Art und Weise, wie das Kapital die Teilarbeiten unter seinem Diktat zueinanderfügt, selbst eine Produktivkraftsteigerung beinhaltet, indem dadurch der relative Mehrwert erhöht wird.16 In den Grundrissen thematisierte er diesen Vorgang unter Berücksichtigung des Rückgangs der Arbeit in unmittelbarer Form. Demgemäß ergibt sich bei einer bestimmten Stufe der Produktivkraftentwicklung, daß der Arbeiter aufhören muß als unmittelbarer Produzent zu wirken. "In dem Maße wie die Arbeitszeit...durch das Kapital als einzig bestimmendes Element gesetzt wird, in demselben Maße verschwindet die unmittelbare Arbeit und ihre Quantität als das bestimmende Prinzip der Produktion...und wird sowohl quantitativ zu einer geringeren Proportion herabgesetzt, wie qualitativ als ein zwar unentbehrliches, aber subalternes Moment gegen die allgemeine wissenschaftliche Arbeit, technologische Anwendung der Naturwissenschaften nach der einen Seite, wie [gegen die] aus der gesellschaftlichen Gliederung in der Gesamtproduktion hervorgegende allgemeine Produktivkraft."17
Über den Verlust der Unmittelbarkeit des Produzenten
Ganz gleich von welcher Seite her das Kapital versuchen wird18, den gegenwärtigen Widerspruch zwischen der Betriebsstruktur und der Informationsarchitektur zu lösen, sei es durch Umorganisation bestehender Arbeits- und Fertigungsstrukturen, sei es durch eine diesem Prozeß vorauseilende Neuorganisation der EDV; die faktische Beherrschung dieses dann neu entstandenen Arbeitsprozesses durch die Werktätigen wird zur Weiterentwicklung jedes einzelnen in dem Sinne führen, als dann das "allgemeine gesellschaftliche Wissen" (Marx) notwendige Vorausetzung der Arbeitsqualifikation der in solchen Zusammenhängen Beschäftigten sein muß.
Mit anderen Worten: Der Kapitalismus tendiert dahin, daß das ihm reell unterworfene Individuum in der Sphäre der Produktion sich als "gesellschaftliches Individuum" begreifen muß , weil dieses Selbstbild bereits Teil seiner Qualifikation als Ware Arbeitskraft geworden ist. Dieses Bewußtsein ist - wie Robert Schlosser zutreffend ausführt - nicht zu verwechseln mit dem bisherigen proletarischen (Klassen)-Bewußtsein, das sich bisher in der Sphäre jenseits der Produktion im Rahmen der politischen Betätigung als Staatsbürger konstituierte und beständig in der Interaktion gleicher Marktindividuen19 desavouiert werden konnte.
In seiner bisherigen Stellung als unmittelbarer Produzent konnte der Werktätige seine Vernutzung als Arbeitskraft in der erlebten Unmittelbarkeit bekämpfen. Der kollektive Zusammenschluß in diesen betrieblichen Kämpfen hatte faktisch die Qualität einer vorübergehenden Bündelung individueller Betroffenheit zum Erhalt seiner Tätigkeit als unmittelbarer Produzent (Dortmund muß Stahlstadt bleiben!), um so als Marktindividuum reproduktionsfähig zu bleiben und um dann ggf. auf der Erfahrungsbasis als Staatsbürger weitere, qualitativ gleichartige, politische Ziele (Verstaatlichung der Produktion als Arbeitsplatzgarantie) zu formulieren. Solch ein Bewußtsein muß zurecht als ständisch bezeichnet werden, selbst wenn im politischen Raum von der Abschaffung der Lohnarbeit die Rede war. Denn auf der Grundlage des bisher erreichten Standes der Produktivkräfte konnte die Abschaffung der Lohnarbeit praktisch nur als Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln konzipiert werden, nicht aber darüberhinausgehend als Vergesellschaftung von Individualität. Was bisher in den untergegangen "sozialistischen" Staaten als vergesellschaftete Individualität definiert worden war, entsprach stattdessen logischerweise einer verstaatlichten Individualität.
Wenn bisheriges Erfahrungwissen der LohnarbeiterInnen hinsichtlich ihrer ökonomischen und politischen Interessendurchsetzung ständisch geprägt war, d.h. auch als kollektives Bewußtsein in Gestalt der Gewerkschaftsbewegung praktisch vorhanden ist20 und sich darin betätigt, dann ist zunächst zu erwarten, daß an der Schwelle der nicht mehr tayloristisch strukturierten Fabrik die anstehenden Modernisierungen auf der Grundlage des vorhandenen Bewußtseins abgewehrt werden. Mit diesem Widerstandspotential rechnen die heutigen Rationalisierer sehr wohl. Hubert Schmidt vom CIM-Center NRW drückt dies so aus: "Doch allein die Erstellung eines Downsizing-Konzepts oder die Beschaffung eines Netzes von Unix-Rechnern schafft keine Leistungssteigerung in den Unternehmen. Wichtig ist die Anpassung zwischen DV- und Organisationsstrukturen. Das Beharren auf der alten Organisation ist oft die wichtigste Ursache für das Scheitern von neuen DV-Konzepten." 21 Und Wolfgang Gattermeyer von Arthur Anderson empfiehlt von daher: "Die Motivation, Verbesserungen einzuführen, läßt sich erheblich steigern, wenn man alle Mitarbeiter im Bereich der Produktentwicklung und Fertigung in angemessener Weise in den Umstrukturierungsprozeß einbezieht." 22
Löst mensch sich von der Vorstellung eines immer bei den LohnarbeiterInnen vorhandenen sogenannten richtigen "kollektiven" Bewußtseins, welches KommunistInnen nur zu formulieren, zu organisieren und zu führen haben, und geht stattdessen der durch die Marxsche Kritik der Politischen Ökonomie vermittelten Frage nach, welche Bedeutung die anstehenden Innovationsprozesse für die Herausbildung des bürgerlichen Individuums unter dem Gesichtspunkt der Aneignung der allgemeinen gesellschaftlichen Produktivkraft als subjektive Voraussetzung des Kommunismus haben, dann zeigt sich zunächst, daß die Widerstände gegen den durch die geplanten Modernisierungsprozesse entstehenden Verlust der Unmittelbarkeit auf Seiten der Betroffenen vehement sind und als individuelle erscheinen.
Auf einem Workshop zur Frage der "Qualifizierungsoffensive für Facharbeiter" 1992 in Wuppertal wurde folgendes Resumee gezogen: "Wie alle Programmier-Software erscheint sie den gelernten Drehern und Fräsern >vom alten Schlag< , also den erfahrenen älteren Facharbeitern zu abstrakt. Ihnen fehlt der Bezug zur Maschine, das Handrad, mit dem sie sich an das Werkstück herantasten können. Aus diesem Grund sind ungezählte Versuche gescheitert, sich an die für sie neue, ansonsten aber inzwischen gängige Technologie heranzutasten. Gerade die älteren Praktiker trauen den numerischen Angaben der Programmiersysteme nicht. Sie erwarten beständig die Kollision, wollen und können sich nicht vorstellen, daß Technologie-Tabellen und Zyklen mit ihrem Fachwissen erfolgreich konkurrieren." 23
Was hier als "Lernunfähigkeit" und "Mißtrauen" klassifiziert wird, ist in der Tat nicht nur ein Hemmnis bei der anstehenden kapitalistischen Modernisierung, sondern drückt den Widerstand der LohnarbeiterInnen gegen den Verlust der Unmittelbarkeit aus. Insofern das bürgerliche Individuum auch Klassenindividuum ist, liegt ihm/ihr die über Generationen vermittelte Erfahrung des LohnarbeiterInnendaseins zugrunde, welche durch die tiefgreifende Subsumierung unter den kapitalistischen Arbeits- und Verwertungsprozeß gleichsam eingebrannt wurde.
Die Herrschaft der "toten Arbeit" (Maschine) über die "lebendige" bedeutete immer einen Erfahrungszusammenhang, in dem zum einen die Spuren der Aneignung der Mehrarbeit durch das Kapital noch sinnlich in Erscheinung traten und zum anderen durch die Naturaleigenschaft der Dinge (Waren) der gesellschaftliche Charakter der Arbeit ausgelöscht erschien. Gerade in der unmittelbaren Produzententätigkeit steht die stoffliche Seite im Erleben vor der wertmäßigen. Arbeit ist konkret-nützlich. Als abstrakte Arbeit erscheint sie, wenn überhaupt, als theoretisches Problem und ist ein Thema jenseits der Fabrik innerhalb politischer Zusammenhänge. Wirkt sie durch das Geld, bleibt sie eingebannt im sichtbaren Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital.
In der tayloristischen Fabrik war die Trennung von Hand- und Kopfarbeit das logistische Herzstück. Im Facharbeiter-Ritual des Handanlegens an (seine) Maschine und (sein) Werkstück drückt sich diese bestimmte gleiche Produzentenerfahrung der Lohnarbeiterindividuen aus. In diesem Ritual verschmelzen verschiedene Erfahrungsaspekte: Arbeitsstolz, Gewißheit, Inbesitznahme, Widerstand und Sabotage. Das Handanlegen, das sich Schmutzigmachen, seine Muskeln spüren, daraus wurde im Betrieb soziale Identität gewonnen. Alles, was nicht in dieser Weise seine Arbeitskraft veräußern mußte, gehörte zum Lager des Müßigangs. Im direkten taktilen Umgang mit Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand erfuhr das Produzentenwissen seine direkte Bestätigung. In den Nischen dieses Wissens konservierte sich die zunftmäßige Vorstellung des individuellen Geheimnisses im Umgang mit dem Produkt. Dieses Geheimnis konnte man scheinbar Preis geben, teilen oder vorenthalten. Es konnte sogar, als Sabotage begriffen, gegen den Eigentümer der Produktionsmittel eingesetzt werden. Hieran knüpften z.B. anarcho-syndikalististische Arbeitermobilisierungskonzepte und belegten dies mit dem feinen Prädikat "Arbeiterautonomie".24
Im Mißtrauen gegen die numerische Kompetenz der Datenmaschine entäußert sich die Angst vor der individuellen Lösung des Widerspruchs zwischen der bisherigen Produzentenerfahrung und der im Rechner dargestellten. Die verdinglichte face-to-face-Beziehung Produzent- Maschine geht ihrem Ende entgegen und an ihre Stelle tritt die vom Kapital diktierte Forderung, nach der Entfaltung von face-to-face Beziehungen zwischen den Produzenten. Der Schauplatz dieses neuen Kommunikationszusammenhanges soll die enthierarchisierte Produzentengrupe sein, die sich in ihren Entscheidungen vom Rechner supporten läßt und dann ihre Entscheidung an den Rechner als Steuerungsgerät des Teams zurückgibt. Sich zusammentun, um in der datenlektronischen Werkstatt zu produzieren, das wollen die Produzenten nicht, denn sie haben neben ihrer individuellen Erfahrung auch die Erfahrung als Klassenindividuuen in sich. Nämlich, daß jede vom Kapitalverhältnis bestimmte Rationalisierung mit dem Preis der Beschäftigungslosigkeit bezahlt werden muß.
Selbst wenn das Ergebnis eines Durchdenkens ihrer Lage dazu führen würde, diese Erfahrung zur politisch werdenden kollektiven Kritik auszubauen, hieße dies nicht, daß eine individuelle Anpassung an diesen betrieblichen Umbau ausgeschlossen wäre. Sich als Teil des "gesellschaftlichen Gehirns"(Marx) zu begreifen, setzt die Aneignung der allgemeinen gesellschaftlichen Produktivkraft durch das Individuum bereits als praktische Erfahrung voraus. So scheint er eher so zu sein, daß die Betroffenen sich auf den Standpunkt stellen werden, zu dem sie rein praktisch ("sachlich")25 gezwungen sehen.
Dieses erwartete affirmative Verhalten entspricht nicht nur der betrieblichen sondern auch der außerbetrieblichen Lebenserfahrung, wo sich sowieso jede/r selbst der/die Nächste ist. Zudem wirken im betrieblichen und außerbetrieblichen Raum Kräfte meinungsbildend mit, die dadurch auf diesen Umbauprozeß mit ihren materiellen Interessen als "Interessenvertreter" einzuwirken versuchen. Gemeint sind hier der DGB und im besonderen sein leitender Funktionärskörper.
Kehrt die Arbeit in die Werkstatt zurück?
Seit Beginn der 80er Jahre hatte der DGB an der Legende mitgebastelt, daß die Einführung der Mikroelektronik in Fabrik und Büro zu "menschenleeren" Betrieben führen würde. Dabei bezog man sich auf die Behauptungen, die seitens der führenden Rationalisierer aufgestellt wurden. So vertrat Günter Spur 1984 folgende Ansicht: "Es entsteht eine neue Produktionsstruktur, die ... als maschineller Organismus mit programmierter und damit gespeicherter Intelligenz zu automatischer Gütererzeugung fähig ist."26 Auch "linke" Sozialwissenschaftler wie Kern/Schumann übernahmen diese Sichtweise und definierten es als "borniert-technokratisches Produktionskonzept".27 Und obwohl bereits 1985 Peter Brödner vom Wissenschaftszentrum Berlin in seiner Schrift "Fabrik 2000 - Alternative Entwicklungspfade in die Zukunft der Fabrik" herausgearbeitet hatte, daß der verstärkte Mikroelektronikeinsatz keineswegs zur "menschenleeren" Fabrik führen würde28, hielt der DGB - speziell die IGM - an dieser auch angesichts der Entwicklung der Beschäftigtenzahlen unsinnigen Vorstellung fest.29
Bezeichnender Weise wurde die gegenwärtige These von der "Rückkehr der Arbeit in die Werkstatt", mit der die jetzigen Rationalisierungsabsichten begrifflich fixiert werden, nicht vom DGB aufgestellt, sondern kam aus dem Spektrum der Rationalisierungsbefürworter.30 Zu dem Umorientierungprozeß, wie er sich widersprüchlich in den Betrieben anbahnt (siehe oben), verhält sich der DGB heute wie damals nicht nur affirmativ, sondern entsprechend seiner materiellen Interessenslage benutzt er dies nur als Folie seiner "Organisationsdebatte". In den "Gewerkschaftlichen Monatsheften" ist diese Funktionalisierung exemplarisch nachvollziehbar. So schreibt Sven Papcke zum Schwerpunktthema "Umbau der Gewerkschaften" in der Nr. 1/92: "Je diversifizierter aber die Klientel wird, umso schwieriger muß die Aktualisierung der eigenen Macht werden." Und malt für den DGB das Bild einer düsteren Zukunft, falls er sich nicht zur Reform seiner Strukturen besinnt: "Als ein Interessenverband unter anderen könnte die Gewerkschaftsbewegung aber nur erfolgsschwächer werden, so daß ihre verbleibenden Tätigkeiten am Ende auch vom Staat, vom Betrieb oder durch politische Gruppierungen wahrgenommen werden könnten." 31
Wenn in den angebahnten Rationalisierungkonzepten von den Kapitalisten das Credo verkündet wird, daß "Organisation vor Automation" käme, und dies mit der Parole von der "Rückkehr der Arbeit" ummäntelt wird, dann ist dies blanker Populismus. Dieser Populismus ist nötig und er scheint mit der Realität im Einklang. Tatsächlich jedoch handelt es sich um ein Vehikel zur (bewußtosen) Exekutierung der der kapitalistischen Produktionsweise innewohnenden Gesetzmäßigkeiten. Bekanntlich gerät das Kapital in Verwertungsschwierigkeiten, wenn sich bei zunehmender organischer Zusammensetzung des konstanten, fixen Kapitals die Profitrate schmälert. Das bisherige "technozentristische Produktionskonzept"(Bröder) mußte von daher aufgeben werden. Eine dafür wesentliche Schranke scheint überwunden. Die Konkurrenz innerhalb der hard- und softwareproduzierenden Unternehmen brachte zu Beginn der 90er Jahre nicht nur die Preise in den Keller, sondern schuf zudem eine breite Palette von um ein vielfaches leistungsfähigerer Produkte. Die Branchenkonkurrenz der von diesem Produktionmittel abhängigen Betriebe treibt - wie eingangs gezeigt - die entsprechende Nachfrage hervor.
Die "Arbeit, die nun in die Werkstatt zurückkehrt" ist wahrlich von anderer Qualität.32 Mit Robert Schlossers Worten formuliert, eröffnet dieser Prozeß eine "Möglichkeit der Reduktion der gesellschaftlichen Arbeit auf eine Minimum". Ob jedoch durch die dann erreichte Stufe die objektiven Voraussetzungen für einen "gesellschaftlichen Verkehr ohne Markt" geschaffen sind, kann meines Erachtens von heute aus nicht bestimmt werden. Was aber unabhängig davon in jedem Fall Voraussetzung bleibt, ist die Willensentscheidung der Produzenten33, die dann erreichte Stufe der Reduktion der gesellschaftlichen Arbeit zum Ausgangspunkt für eine kommunistischen Produktion und Verteilung zu nehmen.
Anmerkungen
1 Unsere damaligen Untersuchungen waren ferner von dem politischen Anspruch getragen, die Ergebnisse in die Diskussion betroffener BetriebskollegInnen im Sinne eines politischen Mobilisierungskonzepts einzubringen. Hinzukam daß unserdamaliges theoretisches Selbstverständnis in der Nähe eines Klassenanalysebegriffs angesiedelt war, welches Schlosser als "soziologisch" und damit nicht zureichend definiert.
2 siehe dazu: Computerwoche EXTRA Nr.6 vom 11.12.1992, S. 37; von hier stammen sämtliche Zahlen und Fakten des laufenden Absatzes.
3 1990 veröffentlichten Womack, Jones und Roos eine Studie mit dem Titel "The Machine that changed the world"; deutsche Übersetzung: Die zweite Revolution in der Automobilindustrie, Frankfurt, Campus, 1991. Hierin charakterisierten sie eine aus dem Toyota-System entwickelte Produktions"philosophie" als "Lean Production". Ihre als "MIT-Studie" bekanntgewordene Untersuchung behauptet, daß mit einer derartigen Organisation des kapitalistischen Arbeits-und Verwertungsprozesses im Vergleich zur bisherigen tayloristischen Organisationsform gleiche Ergebnisse in halber Zeit und mit halben Entwicklungsaufwand, mit der halben Anzahl an Beschäftigten und Werkzeugen zur Herstellung, mit nur halb so vielen Fehlern erzielt werden können. Als zentrale Voraussetzungen dieses Konzepts werden der Umbau der Betriebsstrukturen in Richtung "flache Hierarchien" und "Team-Organisation" genannt.
4 Ursprünglich war der Einsatz von NC-Maschinen mit der Absicht erfolgt, die "vollautomatisierte", "mannarme" Fabrik mit hochqualifizierter Facharbeit zu schaffen. Tatsächlich erwies sich dies als Trugschluß. Die Fertigungsinsel als Kernzelle dieses Konzepts hatte nämlich zur Folge, daß zwar qualifizierte Facharbeit in indirekte Bereiche verlagert wurde, aber damit gleichzeitig eine Verschärfung der Arbeitsteilung zwischen qualifizierter und weniger qualifizierter Facharbeit erfolgte, die sich als kontraproduktiv zur ursprünglichen Absicht erwies. Siehe dazu: Produktionsinseln - Alternative zur Lean-Production?, in: wt-Produktion und Management, 7-8/1992
5 Die mobile Datenerfassung erfolgt mithilfe elektronischer Datenträger, die vorübergehend in den Werkzeughalter oder Werkzeugkopf und in andere Betriebsmittel eingebaut werden. Alle auf dem Mikrochip gespeicherten Informationen lassen sich in jeden PC oder in jedes LAN übertragen bzw. umgekehrt. Dazu gehören z.B. Standzeiten, Verschleißwerte, Korrekturwerte, Werkzeugdaten, Bestellnummer, Anweisungen für den Maschinenbediener usw.. Siehe dazu: Papierlose Datenübertragung, in: wt 7-8/1992. Bei Mercedenz-Benz werden die mobilen Datenspeicher direkt während der Fertigung an der Karosserie befestigt, wodurch die auftragsbezogenen Fahrzeugdaten per drahtloser Kommunikation der zentralen Fertigungssteuerung "Just in Time" übertragen werden. Siehe dazu: TEC-Magazin, 10-1992, S.13f
6 Bereits 1986 schreibt Herrmann Stübig vom Audi-Konzern: "Grundsätzlich werden wir in der Zukunft darauf hinarbeiten, daß jeder Mitarbeiter ein Spektrum von Tätigkeiten beherrscht, das über den Inhalt des einzelnen begrenzten Arbeitsplatzes hinausgeht. Darauf aufbauend können durch Gruppenarbeit mit einer geringen Arbeitsteilung und einer höheren Qualifikation des einzelnen Mitarbeiters unproduktive Verlustzeiten abgebaut und damit gleichzeitig Qualität, Produktivität, Flexibiltät und Humanität gesteigert werden." Zitiert nach REFA Nachrichten, Nr 4, August 1992, S.12
7 Näheres dazu siehe: Betriebsführung und Industrial Engineering, Nr. 4, August 1992, S.189ff
8 Vgl. dazu Computerwoche FOCUS 3 vom 25.9.1992 mit dem Schwerpunktthema "Office-Konzepte verlassen die Isolation"
9 R.Treß, ehemals Vertriebsleiter bei Siemens, in: Computerwoche EXTRA Nr.6, a.a.O., S.6
10 F.Sempert Geschäftsführer der Gartner Group GmbH (Unternehmensberatung Frankfurt), ebd. S.10
11 F. Sempert, a.a.O., S. 11
12 westberliner info 4/1987, S. 4
13 siehe dazu westberliner info 3/1987, besonders S. 7-10
14 Bei der Begründung unseres Untersuchungsvorhabens schrieben wir, daß wir "Fehler bei den Teilergebnissen" riskieren und zählten fünf Fehlerbereiche auf. Das Problem des Rückgangs der Arbeit in unmittelbarer Form jedoch fehlte bezeichnender Weise. Siehe dazu: westberliner info 2/1987, S. 2
15 "Die Vernetzung der Rechnerebenen (bei Schering Berlin -K.M.) beinhaltet nicht nur eine Kostenersparnis auf der Softwareebene und die Kontrollfunktion, sondern durch Schaffung einer einheitlichen Benutzerebene kommt es zur Abkürzung von Bearbeitungszeiten. Hierin liegt das eigentliche Rationalisierungspotential - sprich Stellenabbau." westberliner info 4/1989, S.28
16 siehe dazu besonders Kapital Band I, IV Abschnitt, 11. Kapitel
17 Marx, Karl, Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1953, S.587
18 Weder für die Belegschaften noch für das Kapital ist es natürlich egal, in welchen Bahnen konkret die Durchsetzung dieses Modernisierungsprozesses erfolgt. So bedeutet z.B. Outsourcing konkret für die Belegschaften der BRD-Automobilindustrie, daß mindestens 200.000 Arbeitsplätze in der jetzigen Gestalt demnächst verschwinden werden. Die in diesem Zusammenhang dann auftretenden sozialen Kämpfe werden natürlich nicht nur das Tempo der Durchsetzung der Modernisierung beeinflussen, sondern auch die konkreten Formen der neu organisierten Arbeits- und Datenflußprozesse.
19 Als Konsument erfährt sich der/die Lohnarbeiter/in als Privatperson. Hier scheint der zentrale Ort des wirklichen Lebens zu liegen und von dort aus wird die Produktionssphäre zum Ort, wo die Mittel fürs wirkliche Leben beschafft werden. Gerade Beck hat die damit zusammenhängende Indiviuationsproblematik in seiner "Risiskogesellschaft" trefflich beschrieben. Günther Jacob hat mit seiner Schrift "Kapitalismus und Lebenswelt" den lobenswerten, aber nicht unumstrittenen Versuch unternommen, diese Oberflächenerscheinungen auf die ökonomische Kerngestalt der bürgerlichen Gesellschaft zurückzuführen.
20 Allerdings ist die Gewerkschaftsbewegung kein homogener Block. Bei der hier behandelten Thematik gibt es auch Abweichungen. So zum Beispiel beim VW-Vertrauensleutekörper im Hauptwerk Wolfsburg. Dort wird der Umbau zur schlanken Produktion deswegen unterstützt, weil die KollegInnen sich erhoffen, daß durch Aufweichung hierachischer Betriebsstrukturen Kompetenzen der Selbstorganisation bei der Belegschaft entstehen, worin eine Voraussetzung zur "Demokratisierung" der Betriebsarbeit gesehen wird. Bezeichnender Weise sind es gerade linksradikale Kräfte, die hierin einen Verrat an den "Arbeiterinteressen" wittern, weil eine Beteiligung an diesem Rationalisierungsschritt mit dem Makel der Unterstützung des Kapitals bei seiner Profitmacherei behaftet sei. Für unseren Zusammenhang ist besonders deren Begründung von Bedeutung. Sie schreiben in SPEZIAL Nr.84, Mai/Juni 1992: "Das Beispiel der lean-production macht es deutlich, daß in hoch-komplexen Mensch-Maschine-Systemen Verantwortlichkeiten einerseitts konreter, andererseits aber allgemein und diffus werden." (S.14) Was hier betrauert wird, ist ganz offensichtlich der Verlust der Unmittelbarkeit des Produzenten und damit wird indirekt am Bild des Proleten mit der schwieligen Faust festgehalten, dem aufgrund seiner unmittelbaren Produzententätigkeit die Eigenschaft zukommt, den Sozialismus zu bauen. Und so gehen dann mit der Abschaffung dieser Form kapitalistischer Ausbeutung auch die heren Ziele der Arbeiterbewegung wie das "kollektive Bewußtsein" und der "Internationalismus" gleich mit den Bach runter.(siehe S.20)
21 Schmidt, Hubert in: TEC-Magazin, Systec-Spezial der Computerwoche, Okt. 1992 , S. 4
22 Gattermeyer, Wolfgang, in: ebd. S.6, A. Anderson ist ein US-amerikanisches Rationalisierungunternehmen, das unlängst von der Treuhand damit beauftragt war, Ex-DDR-Kombinate auf Rationalisierungspotentiale zu durchleuchten.
23 Näheres dazu siehe: wt, a.a.O., S.92ff
24 In den Nachbemerkungen zur Neuherausgabe (Verlag Roter Funke,Bremen 1986) der von der Anarchosyndikalistin, Elizabeth Gurley Flynn, 1913/1914 verfaßten Schrift "Sabotage" thematisieren die Herausgeber den Computereinsatz ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Verlustes der sogenannten Arbeiterautonomie. Sie sehen in der EDV nur einen "sozialtechnologischen Angriff" zur "Einkreisung und Zurückdrängung" des Arbeiterwiderstandes.
25 Diese vom Kapital angestrebte face-to-face-Beziehung unterliegt folgenden Verhaltensansprüchen an den/die einzelnen Lohnarbeiter/in: "Die Organisation der Arbeit der Gruppe wird weitestgehend von der Gruppe selbst wahrgenommen. Die Gruppe soll aktive Beiträge zur Optimierung der Produktions- und Arbeitsabläufe entwickeln und eibringen. Es werden Gruppengespräche in- und außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt. Zur Regelung gruppeninterner Fragen und Probleme und als Ansprechpartner für die Vorgesetzten werden Gruppensprecher benannt." (Bullinger/Seidel, Neuorientierung im Produktionsmanagement, in: Betriebsführung und idsutrial Engineering, a.a.o., S.155)
26 Spur, Günter, Über intelligente Maschinen und die Zukunft der Fabrik, in Forschung - Mitteilungen der DFG, Nr.3, 1984, S. IV . Daß Spur bereits 1986 diese Vision revidierte, wurde geflissentlich übersehen. (Spur in: mmi 6/1986, S. 40ff)
27 Siehe dazu Kern, Horst / Schumann, Michael, Das Ende der Arbeitsteilung, München 1984. An dieser Stelle sei hinzugefügt, daß wir in unseren wi-Untersuchungen des Jahres 1987 bereits scharf Front gegen solche apokalytischen Vorstellungen gemacht hatten, die jenseits der Untersuchung der politischen Ökonomie der Modernisierungsprozesse nur an der Oberfläche der Erscheinungen nach plausiblen Deutungen schürften. Wir schrieben: "Im Zentrum steht keineswegs der Personalabbau...Im Zentrum steht nach wie vor die Erhöhung des Profits. Um dies zu erreichen, können Wege beschritten werden, die keine oder nur geringe Arbeitsplatzvernichtung beinhalten." (westberliner info, 2-1987, S.9)
28 Brödner, Peter, Fabrik 2000 - Alternative Entwicklungspfade in die Zukunft der Fabrik, Berlin 1985, insbesondere Kapitel 4.
29 siehe zu den Beschäftigungszahlen westberliner info 2-1987, ebd. und zum weiteren Festhalten an dem bisherigen (IGM-)Konzept ("Der Mensch muß bleiben") westberliner info 4-88; S.33, wo es in unserem Bericht über die damals durchgeführte technologiepolitische Woche des DGB`s heißt: "Daß der Produktionsprozeß im Kapitalismus aber gerade Verwertungsprozeß des Kapitals ist, blenden sie geflissentlich aus. Damit entwaffnen sie ideologisch die betroffenen Kollegen, für die die Mikroelektronik dann ein Buch mit sieben Siegeln bleiben muß, wenn er sich nur auf den DGB verläßt."
30 siehe dazu Brödner, Peter, Die Rückkehr der Arbeit in die Werkstatt, Düsseldorf 1992, gemeint ist, daß z.B. Arbeitsplanung, Terminsteuerung, Werkzeug- und Vorrichtungsverwaltung, Qualitätswesen und Instandhaltung in die Verantwortung einer überschaubaren Arbeitsgruppe weg von der zentralen Betriebsebene übergeben wird. Außerdem soll, so in der Perspektivplanung, die Entlohnung von der Gruppenleistung abhängen.
31 Mit dem gleichen Tenor wie Sven Papcke, Professor der Soziologie, äußern sich in der selben Ausgabe der "Gewerkschaftlichen Monatshefte" Spitzenfunktionäre vom "rechten" (H.Rappe IG Chemie) wie vom "linken" Flügel (L. Schwegler, HBV).
32 Allenthalben ist es en vogue, wie das Beispiel Krisis zeigt, vom Ende des Arbeiterbewegungsmarxismus zu krähen. Sein Ende soll und kann hier nicht bezweifelt werden. Jedoch kommt es auf die Erklärung seines Endes an, wenn es um die Rekonstruktion der Kritik der Politischen Ökonomie geht. Hier ist ausdrücklich der Versuch von Robert Schlosser hervorzuheben, dem es darumgeht, das Ende des Arbeiterbewegungsmarxismus aus den veränderten Bedingungen der Arbeit abzuleiten. In diesem Sinne wird der Begriff von der "anderen Qualität" hier verwandt.
33 "Ob das Resultat des Durchdenkens dann eine pure Affirmation wird, indem sich die Leute theoretisch auf den Standpunkt stellen, zu dem sie sich praktisch gezwungen sehen (also wollen, weil sie müssen) oder ob sie eine partielle Erkenntnis der kapitalistischen Objektivität zur praktischen Kritik ausbauen und dadurch erfahren, wie realtiv all die Nortwendigkeiten sind, - es handelt sich in jdem Fall um ihre Willensentscheidung". Jacob, Günther, Kapitalismus und Lebenswelt, in: 17 Grad Celsius, Hamburg, Nummer 3, S.34