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BAHAMAS Nr. 22

Elfriede Müller

Rosa Luxemburg und die Demokratie - über einen linken Mythos

1. Rosa Luxemburgs Staatsauffassung

Rosa Luxemburg bereicherte die sozialistische Staatsauffassung um eine moralische Note. Als Sozialdemokratin stand sie in der Tradition der französischen Revolution und war in die russische Revolution involviert, die russische, die im Unterschied zur französischen von einer sozialistischen Bewegung durchgeführt wurde. Zeit ihres Lebens trat sie für einen bewaffneten Aufstand und die Übernahme der Staatsmacht durch das Proletariat ein. Eine Kritik der Arbeiterbewegung, ihres Verhaltens zum Staat und ihres Scheiterns muss Rosa Luxemburg mit einschliessen. Die zwei fundamentalen Fehler der Arbeiterbewegung bestanden in einer unzureichenden Kapitalkritik, die zwar von Kapital redete, aber die Zirkulationssphäre meinte, sowie einer völligen Fehleinschätzung des Verhältnisses von Fabrik, Markt und Staat. Auf letzteres werde ich näher eingehen.

Die Diskussion über Demokratie schliesst den Staat immer schon selbstverständlich mit ein und zielt auf die Verwaltung von Herrschaft. Der historische Inhalt der Demokratie-Frage ist die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeit, vermittelt über den Staat. Im Kaiserreich fand er seinen Ausdruck in der Bewegung für die Abschaffung des Zensurwahlrechts und der Forderung nach einer Eigentumsgarantie für die Ware Arbeitskraft.

Das allgemeine Wahlrecht und die freie gewerkschaftliche Betätigung, nicht die soziale Revolution waren die Hauptsorgen der deutschen Arbeiter. Der Bedürfnislage der Arbeiter korrespondierte auf Seiten der Sozialdemokratie, dass 12 Jahre Sozialistengesetze eine Funktionärsbürokratie hervorgebracht hatten, die mit einer sozialen Umwälzung nichts mehr im Sinn hatte. Hinzu kommt, dass ungleich mehr als die marxsche Theorie Lassalles Ideen die sozialdemokratischen Aktivitäten während des Kaiserreichs prägten. Bei Lassalle verkörpert der Staat das sittliche allgemeine Interesse. Der Arbeiterbewegung fällt die Aufgabe zu, durch das allgemeine Wahlrecht, die Verstaatlichung der Eisenbahnen und schliesslich den Staatssozialismus, die "wahre Demokratie", den "freien Volksstaat" herbeizuführen. Ab 1877 waren diese Forderungen die Essenz des sozialdemokratischen Programms. Spätestens das von Rosa Luxemburg verteidigte Erfurter Programm von 1890 verlangte vor allem die Demokratisierung des Staates und besiegelte damit Lassalles Sieg über Marx. Eine eigenständige Rezeption der marxschen Theorie fand in der deutschen Arbeiterbewegung hingegen nicht statt. So wurde die deutsche Sozialdemokratie - Rosa Luxemburg eingeschlossen - zu dem, was sie schon immer war: zu einer lassalleanischen Bewegung. Luxemburgs Emanzipationsvorstellungen waren noch mehr als die ihrer Genossen in den Formen der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Staates gefangen.

Nach ihrem organisatorischen Bruch mit der Partei - den inhaltlichen hat sie nie vollzogen - beschwor Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD das kommunistische Manifest von 1848 als neüs revoutionäres Programm. Statt mit der bürgerlichen Gesellschaft radikal zu brechen, hielt sie das Proletariat darin gefangen und verdonnerte es dazu, die sogenannten demokratischen Aufgaben zu lösen, wozu sich das Bürgertum 1848 als unfähig erwiesen habe. Dass Demokatie nur eine kapitalfunktionale Form staatlicher Organisation darstellt, interessierte Luxemburg dabei wenig bzw. wurde von ihr nicht durchschaut. Darin liegt ihre historische Beschränktheit und der Grund, warum sie für die Emanzipation aus der heutigen Vergesellschaftung wenig zu bieten hat.

Ihr oft moralisch begründetes Eintreten für demokratische Freiheiten bestimmt ihre heutige Rezeption, die ihr dennoch in keinem Punkt gerecht wird. Ganz in diesem Sinne überschrieb die Modezeitschrift "Vogue" 1993 ein Bild von ihr: "Kühne Schmerzensmutter der Linken". Vielleicht wäre dies ein passender Veranstaltungstitel gewesen.

2. Rosa Luxemburgs falscher Nachruhm

beruht auf der These, dass die Sozialdemokratie 1914 ihre sozialistischen Ideale verraten habe, während sie, Luxemburg, ihnen treu geblieben sei. Beides ist falsch. Der deutsche Kaiser hatte sich den Burgfrieden dadurch erkauft, dass er für die Zeit nach dem Krieg das allgemeine Wahlrecht versprochen hatte. Lassalles Forderung, dass die Allgemeinheit den Staat anekennen und in ihm sich wiederfinden solle, hatte gesiegt: die Lassalleaner waren durch den Krieg zufriedengestellt, während Luxemburg in der Billigung der Kriegskredite einen Verrat des Erfurter Programms erblickte. Dabei verschmolz schon im Erfurter Programm die Klassen- mit der Volksbewegung: Minimal- und Maximalprogramm waren de facto bereits fein säuberlich getrennt, und die Durchsetzung demokratischer Freiheiten sollte das Proletariat übernehmen. Kautskys dazugehöriger Kommentar sah den Sozialismus als grossen Betrieb, der sich dem Staat unterzuordnen habe. Das Görltzer Progamm von 1921 besiegelte dann endlich die ausschliessliche Fixierung auf die institutionelle Macht.

Rosa Luxemburg erkannte bis 1914 die SPD als Vertreterin der Demokratie und der Arbeiterbewegung an. Die Beteiligung der Sozialisten am 1. Weltkrieg bedeutete für sie den Bruch mit der Partei. Ihre Kritik am Chauvinismus der SPD blieb, obgleich berechtigt, völlig unzulänglich, denn es handelte sich dabei nicht um Verrat, sondern der Chauvinismus entsprang der Logik sozialdemokratischer Politik, der sie sich anssonsten weiter verpflichtet fühlte. Rosas rosarote Demokratie war identisch mit dem Begriff des Arbeiterstaates und blieb, wenn auch eine radikale, so doch eine der bürgerlichen Gesellschaft immanente Revolutionsvorstellung. Luxemburg unterschied sich von der Sozialdemokratie der Zeit weniger in ihren Zielvorstellungen als in den anzuwendenden Mitteln. In der Revsionismusdebatte hielt sie an einem bewaffneten Aufstand fest. In ihrer Rede zum Programm der KPD kritisierte sie den Vorwurf von Engels zu den "Klassenkämpfen in Frankreich", weil er den revolutionären Strassenkampf durch die parlamentarische Aktion ersetzen wollte. Im Gegensatz zu den heutigen Luxemburg-Freunden ging es der Revolutionärin nicht darum, dem Parlament so zuzusetzen, dass es hin und wieder gewillt ist, einige Reformen zuzugestehen - obgleich sie nichts gegen Reformen einzuwenden hatte - sondern, - es kann in diesem Rahmen nicht oft genug betont werden - um eine andere Form der Vergesellschaftung, die durch einen gewalttätigen Sturz der bisherigen eingeleitet werden, aber weder das Lohnarbeitsverhältnis noch den Staat abschaffen sollte.

Wie allen damaligen Revolutionären gelang es auch Rosa Luxemburg nicht, das Verhältnis der proletarischen Revolution zur bürgerlichen zu klären. Die Spanne der dazu vertretenen Positionen reichte von Kautskys Evolutionstheorie bis zur blanquistischen Variante der Bolschewiki. Ziel war, dass jede Köchin den Staat verwalten könne, nicht seine Aufhebung. Luxemburg setzte dazu mehr auf den revolutionären Willen, Lenin mehr auf die Partei - beide erstrebten die Eroberung der Staatsmacht sowie die Kontrolle, nicht die Abschaffung der kapitalistischen Ökonomie. In der deutschen Sozialdemokratie existierten dazu drei Strategien:

Die Rechte, angeführt von Bernstein, suchte das Bündnis mit dem Bürgertum; Bebel und Kautsky warteten auf eine friedliche Evolution zum Staatssozialismus, während Luxemburg den Massenstreik zur Förderung der Demokratie einsetzen wollte. In ihrem bornierten Zweck liegt die historische Grenze der Arbeiterbewegung, Rosa Luxemburg eingeschlossen.

3. Rosa Luxemburgs Rolle in der Revolution von 1918

Bis zu ihrem Tod strebte Luxemburg eine bürgerliche Revolution mit proletarischen Mitteln an: die Frage, wie der Staat demokratisch zu organisieren sei, war für sie eine entscheidende. Das Proletariat sollte die Versprechen der bürgerlichen Aufklärung endlich einlösen. Dabei fiel sie nicht nur hinter Marx zurück, der genau dies einmal als "Albernheit" der Sozialisten verspottet hatte. Selbst ein Vertreter der damligen Soziologie, Robert Michels, erkannte, dass bei der Demokratisierung des Staates" nur der Kapellmeister wechselt, die Musik aber die gleiche bleibt.

Luxemburgs Festlegung auf die Nationalversammmlung als Organisator der Revolution war aus heutiger Sicht konterrevolutionär, ist aber vor ihrem theoretischen Hintergrund konsequent. Dabei befand sie sich in ihrer Organisation zunächst in der Minderheit, denn als der Spatakusbund 1918 die Nationalversammlung boykottierte und auf die Arbeiter- bzw. v.a. auf die Soldatenräte setzte, wollte die erste Spartakistin sich zürst noch an der Konstituante beteiligen, bevor sie ihre Position änderte und noch kurz vor ihrer Ermordung die Räte als höchste Form der Demokratie anerkannte.

Der Spartakusbund trat mehrheitlich für die Räte ein und gestand allein den Arbeitern und Soldaten das Wahlrecht zu, anders als in der Pariser Kommune, wo es alle Bürger wahrnehmen konnten. Für Luxemburg und den Spartakusbund war es also offensichtlich kein Widerspruch, für konsequente Demokratie einzutreten und die Einschränkung von Demokratie im klassischen Sinn zu befürworten. Daraus ergibt sich vor allem, dass sich bei Rosa Luxemburg nichts von jenem Demokratie-Begriff findet, den man ihr so gerne andichtet. Demokratie - darin ging sie mit den Sozialisten ihrer Zeit unbedingt konform - war für sie eine Klassenfrage. Danach benötigt das Proletariat Demokratie bzw. demokratische Rechte als Mittel, um sich zu emanzipieren und zu herrschen, d.h. die Diktatur des Proletariats auszuüben. Genauso wie Demokratie ein Mittel zur menschlichen bzw. proletarischen Emanzipation sein kann, so kann sie auch ihre Negation, nämlich die vorübergehende Entrechtung der Finde der Revolution bedeuten.

In ihrer Kritik an der Oktoberrevolution verteidigte Luxemburg die Diktatur des Proletariats, - bei ihr sozialistische Demokratie genannt - gegen eine Diktatur der Partei bzw. der Bürokratie. Sie beanspruchte einzig für die Arbeiterbewegung demokratische Rechte und beklagte keineswegs die fehlende Duma. Luxemburgs Kritik galt dem nicht eingehaltenen Versprechen der Bolschewiki, die Konstituante einzuberufen, die jene nach der Februarrevolution ständig gefordert hatten. Vehement lehnte sie die menschewistische Forderung nach einer bürgerliche Revolution ab und kritisierte als Lenins Genossin den Ruf Kautskys nach Demokratie in Russland als deutschen Kathedermarxismus. Luxemburg sah wie der Historiker Alfred Rosenbeg in den Bolschewik die eigentlichen Retter der Demokratie. Ihr Aufsatz über die russische Revolution entspricht eher einer Apologie einer idealen Revolution oder einem idealisierten Ablauf einer Revolution als einer grundlegenden Kritik der russischen. Der sowjetische Staatssozialismus hatte eine Gewaltmassnahme zur Voraussetzung, die sie mit grosser Selbstverständlichkeit akzeptierte.

Luxemburgs Kritik an den Bolschewiki in der Demokratiefrage speist sich also aus einer marginalen Differenz. Gerade jedoch weil sie mit ihnen die Grundannahme teilt, Sozialismus sei die Realisierung der "bloss formalen" Demokratie, Demokratie demzufolge ein hohles Gefäss, das sich mit bürgerlichen als auch proletarischen Inhalten füllen lasse - aus diesem Grund war Luxemburg zur Kritik der Herrschaftsform Demokatie so unfähig wie die Leninisten.

4. Die Rezeption Rosa Luxemburgs

Auf Rosa Luxemburg wird eine Fülle von diffusen Vorstellungen projiziert, mit denen sie nie etwas zu tun hatte. In den letzten Jahren wurde das gesamte Spektrum der Projektionen abgespult: die Feministin (die sie nie sein wollte), die Pazifistin (die sie nie war), die spontane Gefühlstante als Gegenpart zum eiskalten Machtpolitiker Lenin und neuerdings noch die jüdische Philosophin. Das beliebteste Stereotyp ist jedoch das von der "aufrechten Demokratin" Luxemburg, für das regelmässig ihre Kritik der russischen Revolution herangezogen wird. Die Gründe dafür, dass man dem Gesamtwerk kaum Beachtung schenkt, sind vielfältiger Natur.

Zum einen beziehen sich die Neuen Linken gerne auf Bruchstücke und Facetten der Arbeiterbewegung und der bürgerlichen Revolution, ohne ihren Gesamtanspruch zu begreifen und eine vernünftige Kritik daran zu formulieren. Dabei fallen sie weit hinter Rosa Luxemburg zurück. Vor zehn oder zwanzig Jahren hätte man diese Vorgehensweise noch schlicht Idealismus genannnt. Für die selektive Wahrehmung sind zum anderen wohl auch linke Theoriefeindlichkeit und der Wille zur Politikfähigkeit verantwortlich. Der Versuch, bei Luxemburg einen unteilbaren, uneingeschränkt positiven Demokratie-Begriff zu finden, ist eine uralte Hilfskonstruktion, um langweilige Realpolitik durch revolutionäre Vorbilder, die sich in historisch völlig anderen Situationen befanden, zu legitimieren. Rosa Luxemburg wird dazu herangezogen, die Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft auf eine Kritik der ihr angeblich mangelnden Demokratie zu reduzieren. Eine solche Demokratie-Emphase ist nichts weiter als eine hohle, affirmative Phrase. Luxemburg, die für die Beglaubigung von solchem Demokratismus herhalten muss, erläuterte dagegen in ihrer Bernstein-Kritik immerin, wie blödsinnig es ist, Demokratie von ihrer sozialen Grundlage zu lösen. Im traditionellen Duktus der Arbeiterbewegung entlarvt sie Bernstein, dessen Bekenntnis zur formalen Demokratie nichts anderes sei als die Aufgabe der sozialen Revolution. Zugegebenermassen liegen die diversen missglückten Interpretationen von Luxemburgs Demokratie-Verständnis auch in ihrer eigenen analytische Unschärfe begründet. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass Luxemburgs Überlegungen sich immer auf unwiederbringlich vergangene historische Situationen beziehen und deshalb heute so hinfällig sind wie die ganze Arbeiterbewegung.

Drittens schliesslich ergibt (sich) die Tatsache, dass Luxemburgs Demokratie-Verständnis von ihrem übrigen Werk getrennt wird, aus der Konfusion sogenannter linker Diskussionen. Befragt man Linke danach, was sie denn unter Demokratie verstehen, würde man in etwa dieselbe Auskunft erhalten, wie der "Brockhaus" sie gibt: die parlamentarische Demokratie genauso wie die unvergessenen Volksdemokratien und die grauenhafte Basisdemokratie nach Art der "Grünen". Und auch beim Thema Sozialismus würde man diverse Antworten erhalten, die von utopischen Entwürfen bis hin zum Realsoziaismus reichten. Mit allerlei Wunschträumen gehen die Linken hausieren, während ihre Kritik am Jetztzustand über ein allgemeines Gejammer über Sozialabbau und Ausländerhass nicht hinausgeht. Eine Kritik von Kapital und Demokratie, die über die Arbeiterbewegung incl. Rosa Luxemburg hinaushginge, existiert nicht.

Rosa Luxemburg besass eine eindeutige Sozialismusvorstellung, nämlich die der Arbeiterbewegung: eine soziale Revolution durch das Proletariat und seine Partei, die die Macht im Staate übernehmen, die Industrie verstaatlichen, Arbeiterkontrolle einführen und die vormals herrschende Klasse unterdrücken. Sie nannte das genau wie ihre Genossen Lenin und Liebknecht: Diktatur des Proletariats.

Die Person Rosa Luxemburg von der Arbeiterbewegung zu lösen ist falsch. Die historische Berechtigung dieser Bewegung hat mit dem Nationalsozialismus, spätestens aber 1989 aufgehört. Der Zusammenbruch des realen Sozialismus symboisiert das Ende ihrer historischen Wahrheit und Wirksamkeit. Anstatt der grauen Realität der alten DDR nur nachzutrauern bzw. die verdienten Protagonisten der Arbeiterbewegung postmodern aufzupeppen, sollten wir ein für alle Mal einen Bruch mit dieser Tradition vollziehen, sonst gehören wir, ehe wir uns versehen, mit Steigerwald und der PDS zu ihrem Strandgut.

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