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KRONSTADT 1921

Das Eis brach nicht der Frühling kam zu spät

von R@lfG.Landmesser

Als ab 1. März 1921 die Matrosen von Kronstadt "der Stolz der Revolution" (unter denen der Anarchist Petritschenko vom Panzerkreuzer Petropawlovsk als Vorsitzender des provisorischen Revolutionskommitees hervortrat), der bolschewistischen Führungsclique um Lenin und Trotzki die weitere Gefolgschaft verweigerten, die Auflösung der Parteiprivilegien, die Aufhebung des Kriegsrechts und reale Schritte zu einer revolutionären ArbeiterInnenBasisdemokratie forderten, hatten die herrschenden Bolschewiki mit der inneren Opposition innerhalb und außerhalb der Partei schon weitgehend aufgeräumt. AnarchistInnen und linke Sozialrevolutionäre, TrägerInnen der vorrevolutionären Bewegung, waren weitgehend liquidiert oder in den Gefängnissen, und der "weiße" Feind weitgehend niedergekämpft in der Ukraine noch mit Hilfe der anarchistischen MachnowArmee, der danach von den Roten hinterhältig und kaltschnäuzig der Garaus gemacht wurde. Das Land war ausgeblutet, die wirtschaftliche Lage schwierig bis verzweifelt. Gleichzeitig schleusten die Bolschewiki zig Millionen von Rubeln nach Westeuropa, um dort kommunistische Revolutionen unter ihrer Regie zu entfachen. Diese hätten Russland vom äußeren Druck entlasten sollen. Jede innere Instabilität konnte das Chaos verlängern und den Einfall neuer feindlicher Heere aus dem Ausland zur Folge haben. Die Bolschewisten glaubten die Revolution verloren, wenn sie nicht selbst um jeden Preis an der Macht blieben. Ihre solcherart moralisch gerechtfertigte Konsequenz bestand darin, jeden Ansatz innerer Opposition oder gar Rebellion im Keime zu ersticken. Daher scheint es von ihrer Perspektive nur folgerichtig, daß sie den friedlichen Aufstand von Kronstadt im Blut ersäuften. "Wir werden Euch abschießen wie die Rebhühner!", entgegnete Trotzkis wütend auf die Forderungen der KronstädterInnen, die das Abdanken der "neuen Zaren" einschlossen. Lenin, Trotzki und das ZK der KP zogen alle Register der machiavellistischen Regierungskunst, von Lüge, Heuchelei und Hinterlist bis zur brutalen Gewalt, um das Staatsruder in der Hand zu behalten. Den gerade anwesenden Delegierten des X.Parteikongress der KommunistInnen wurde weißgemacht, daß zaristische Generäle einen Umsturzversuch angezettelt hätten. So wurden dreihundert von ihnen dazu gebracht, selbst zu den Waffen zu greifen und Kronstadt in dem Glauben mit zu stürmen, sie bekämpften die Konterrevolution. Der berühmte, ehemals zaristische General Tuchatschewski erhielt die Leitung des Unternehmens. (Unter Stalin wurde er liquidiert.) Die sommers als fast uneinnehmbar geltende Seefestung Kronstadt, bestehend aus mehreren schwerbestückten Forts und der Festung selbst, gelegen in der NewaMündung vor Petersburg, wurde am 7.März1921 über das Eis angegriffen, obwohl von ihr kein Schuß gefallen war. Kronstadt war als Festung gegen Angriffe von See gebaut und besaß keine Batterien zur Landseite. Die Schlachtschiffe lagen im Eis fest. Als Kronstadt begann, sich zu verteidigen, versanken viele ehrlich gesinnte Rotarmisten unter dem Feuer der geringen Kronstädter Artillerie in den Newafluten. Sie dachten den weißen Feind zu bekämpfen und schossen auf schwarzrote revolutionäre Matrosen und SoldatInnen. Auch im von z.T. fremdsprachigen Eliteeinheiten eilig besetzten Petersburg selbst herrschte ein Schreckensregiment der Bolschewisten: Massenerschießungen, u.a. ganzer Armeeeinheiten, z.B. der 45 roten Marineflieger, und Verhängung des Belagerungszustands über die Stadt, gewaltsame Auflösung von Arbeiterdemonstrationen. Berühmte AnarchistInnen die gerade anwesend waren, wie Emma Goldmann und ihr Freund Alexander Berkmann, sowie einige linksstehende Bolschewiki der Arbeiteropposition wie Viktor Serge, versuchten Lenin und Trotzki von dem Gemetzel abzubringen. Teilweise wurden sie so selbst Opfer der Tscheka. Lenin/Trotzki aber entschieden sich, zugunsten ihres Machterhalts der Revolution den Todesstoß zu versetzen wie Stalin es fünfzehn Jahre später in Spanien wieder tat. Das ganze Ausmaß des Massakers in Kronstadt wurde nie bekannt. Zehntausende starben. Millionen sollten ihnen in den nächsten Jahrzehnten folgen. Während die zurückbleibenden Kronstädter VerteidigerInnen bis zum 18. März 1921 (dem 50. Jahrestag der Pariser Commune und dem Tag des Scheiterns des Spartakusaufstandes in Berlin) verbissen bis zur letzten Patrone kämpften, und mit Flüchen auf die Bolschewiki und Hochrufen auf die Weltrevoltion starben, konnten sich andere noch über das Eis, das Kronstadt zum Verhängnis geworden war, nach Finnland retten.

In der russischen Revolution und dem folgenden Bürgerkrieg gab es viele Situationen, wo alles auf dem Spiel stand. Kronstadt aber war das letzte große Aufbäumen basisdemokratisch gesinnter, antikapitalistischer RevolutinärInnen gegen die bolschewistische Diktatur, in der der Stalinismus schon angelegt war. In Kronstadt wurde das Kapitel des bolschewistischen Totalitarismus aufgeschlagen, das von nun an mit Verrat und Blut geschrieben wurde und in unseren Tagen folgerichtig in den Pakt mit Russlands Faschisten führte. Der Glaube an die unfehlbare Partei, von der alles abhänge, die alles wisse, und die daher jedes Recht auf jedes Mittel habe, war ein gefährlicher und katastrophaler Trugschluß, der jeden revolutionären Enthusiasmus, jeden Funken Freiheit vernichtete und in dem der Same für den Untergang des Sowjetimperiums schon gelegt war. Die "Diktatur der Arbeiterklasse" führte in die die rote Inquisition, war die Diktatur der Partei, ihrer Bürokratie und der gerade führenden Machtclique in ihr über "die Arbeiterklasse", und somit immanent faschistoid. "Ohne Freiheit ist der Sozialismus eine Kaserne!" Der Russe Bakunin wußte wovon er sprach, als er weiter sagte: "Ich hasse den Kommunismus, denn er ist die Verneinung jeder Freiheit!" Wie sehr hat er gegen Marx, Lenin und alle ihre Adepten Recht behalten. Wie sehr hatten die KronstädterInnen recht zu revoltieren.

"Nur in einem Sinne bleibt die UdSSR die größte Hoffnung der Menschen unserer Zeit: und zwar, weil das russische Proletariat noch nicht sein letztes Wort gesprochen hat."

Victor Serge 1936 in einem Brief an André Gide


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