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Anarchist Bookfair - Linke Buchmesse in England

oder: "Es war einmal eine Insel im Norden Europas..." - Szenen aus Tony's Märchenland

Seit Tony "Dauergrinser" Blair Premierminister geworden ist, bekomme ich vermehrt Anrufe und Briefe, in denen mich befreundete Menschen fragen, ob das denn alles war sei, was mensch so in den letzten Monaten aus dem Königreich gehört hätte und ob denn wirklich keine Armut mehr herrschen würde, niemand mehr auf London's Strassen schlafen müsste und alle EinwohnerInnen Grossbritanniens - ihrem Führer gleich - ständig seelig lächelnd die Strassen rauf- und runterschweben würden.

Keine Sorge, ganz so heile ist die Welt hier dann doch noch nicht. In guter sozialdemokratischer Manier ist Labour gerade in erster Linie damit beschäftigt, die Mehrheit der Versprechungen, die Tony in seinem Wahlprogramm gemacht hat, zu verwässern und zu brechen. Verbot von Tierversuchen für Kosmetik? Mehr Rechte für Gewerkschaften? "Eh, we did not mean it like this!"- so hat's 'Grinsmann' dann doch nicht gemeint.

Interessanterweise hat Tony zwar die Wahl mit absoluter Mehrheit gewonnen, die Wahlbeteiligung aber war vielerorts so niedrig, dass er insgesamt weniger Stimmen bekam, als Thatcher Ende der 70'er, als sie - ebenfalls mit absoluter Mehrheit - zur ersten Premierministerin Grossbritanniens gewählt wurde.

Anarchistische Gruppen in Großbritannien erleben vor diesem Hintergrund seit einiger Zeit einen seit Jahren nicht mehr verspürten Aufschwung - besonders deutlich zu spüren auf der diesjährigen anarchistischen Buchmesse in London.

Die 16. 'Anarchist Bookfair', schon im Vorfeld als 'even bigger and better' - noch grösser und besser - angepriessen, platzte aus allen Nähten und konnte zum erstenmal mit einem proffessionell organisierten Rahmenprogramm aufwarten. Heiner Becker gab sein, seit zwei Jahren versprochenes, Referat über die Geschichte des Anarchismus. 'Classwar' hielt ein grosses Treffen anlässlich ihres Neubeginns nach der Spaltung ab, es gab Arbeitsgruppen zu Themen, wie 'Anarchistische Musik und Poesie' und 'Anarchismus und Sex'. Abends traf mensch sich dann, auch zum erstenmal, zu Kabarrett und Live-Musik, oder mensch ging in den '121 Infoshop'

(Nach fast 20 Jahren von Räumung bedroht. Infos: 121 Infoshop, 121 Railton Road, London SE 24, GB) zum 'Anarchist Allnighter', wo bis zum nächsten Morgen Techno- und Dancefloortöne die Ausdauernden beschallten.

'McLibel' lud zur grossen 'Anti-McDonalds' Siegesfeier ein, nachdem ihr Prozess gegen die Burgerbrater zwar nicht auf der ganzen Linie, aber zu bedeutenden Teilen, zu ihren Gunsten ausgegangen war. Ausserdem gab es Koordinierungstreffen gegen Kohletagebaupläne in Wales und für eine grosse Demo gegen die Monarchie im November.

Die Liverpooler Dockarbeiter, seit zwei Jahren ausgesperrt und seitdem auf Mahnwache im Liverpooler Hafen, hatten ebenfalls einen Stand, an dem mensch die Geschichte ihres Kampfes nacherleben konnte und bei mir, und wohl auch vielen anderen BesucherInnen, blieb grosse Bewunderung für diese Menschen zurück, die seit zwei Jahren alle Versuche ihrer ehemaligen Bosse ablehnen, sie mit lächerlichen Einmalzahlungen mundtot zu machen.

Stattdessen kämpfen sie für ihre Wiedereinstellung, was mensch auf den ersten Blick vielleicht merkwürdig vorkommen mag (Der K-Gruppen Slogan "Mehr Arbeit für Alle" hatte schon immer nur eine sehr geringe Anziehungskraft auf viele AnarchistInnen). Nach einer längeren Unterhaltung, wird mensch allerdings schnell klar, daß eine spezielle Situation existiert, die nicht in zu sehr vereinfachte anarchistische Weltbilder passt. Für diese ArbeiterInnen stellen die Docks mehr als nur einen Arbeitsplatz unter vielen dar.

"Unser ganzes Leben dreht sich um die Docks und den Hafen. Mein Grossvater war Docker, genauso wie mein Vater.

Und mein Sohn ist einer der jüngsten Ausgeperrten in Liverpool", sagte einer der Männer zu mir und fügte hinzu,"Wir kämpfen schon lange nicht mehr nur um unsere Arbeitsplätze. Wir kämpfen genauso gegen Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen. Wir kämpfen für unsere Selbstachtung.". In den vergangenen Monaten sind zwischen AnarchistInnen und Dockern durch viele gemeinsame Aktionen enge und oft persönliche Verbindungen entstanden und vorher getrennte Kämpfe wurden vereint. Daran anknüpfend meinte der 12-jährige Sohn eines Dockers auf der letzten Demo: "Freundschaft ist eine wertvolle Gabe, die mensch nicht kaufen oder verkaufen kann. Freundschaft ist mehr Wert als ein Berg von Gold.".

Rückblickend wurden auf der Buchmesse etliche heisse Diskussionen geführt, viele neue Kontakte geschlossen und an alten Netzwerken geknüpft und - ach ja - sollte jemand mit dem Gedanken spielen, sich die 'Durruti'-Biographie von Abel Paz zu kaufen, bestellt sie direkt in GB, sofern ihr des Englischen mächtig seid.

Das Teil ist hier mehr als die Häelfte billiger (Zu haben z.B. bei 'Freedom, 84b Whitechapel High Street, London E1 7QX, GB. Telefon: 0044-171-2479249).

mARTin


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