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Löcher in der Mauer
Materialiensammlung
DDR 1989

Gesprächseinstieg zur 1. Öffentlichen Veranstaltung der “lila offensive" am 23.11.'89

Zur frauenpolitischen Situation in der DDR


aus gesammelte Flugschriften DDR `90 Heft2 Januar 1990, Redaktion und inhaltliche Gestaltung: Aktive aus Ostberlin, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin)

Zwei Anliegen sind uns vor allem wichtig, sie vor eine breite Öffentlichkeit zu bringen:

- unsere Unzufriedenheit mit den Ergebnissen von 40 Jahren DDR- Frauenpolitik - und unser Interesse an einer breiten Auseinandersetzung um wirkungsvolle Schritte hin zu einer frauengerechten Gesell­schaft, in der auch andere hintenanstehende gesellschaft­liche Gruppen wie Rentner und Kinder zu ihrem Recht kommen

Wir wollen an den Anfang den heutigen Abends eine kurze Analyse der derzeitigen gesellschaftlichen Situation von Frauen in der DDR stellen. Im Unterschied zu einem Großteil europäischer Länder ist in der DDR formal-juristisch eine Gleichstellung von Frau und Mann verwirklicht. Mit Hilfe der sozial-politischen Maßnahmen der 70er und 80er Jahre wurde die den Frauen zugedachte gesellschaftliche Stellung untermauert. Die Frauenfrage geriet als halbwegs gelöst an den Rand öffentlichen Bewußtseins. Das drückt sich jetzt aus in einem Defizit an Verlautbarungen der Partei- und Staatsführung zu diesem Thema, sowie in Äußerungen von DFD und Gewerkschaft, die vor Ignoranz und Inkompetenz strotzen. Doch auch von den meisten neu entstandenen politischen Gruppen wird die Geschlechterfrage in ihrer gesell­@th4ttlioben Dimension lediglich als ein Anstrich um der Form­willen behandelt.

Der Schein verwirklichter Frauenemanzipation in der DDR trügt. Die DDR ist eine männerdominierte, d.h. patriarchalisch organi­sierte Gesellschaft. In den vergangenen 40 Jahren wurde die Festlegung der Frau auf Ihre gesellschaftliche Rolle als mitverdienende Arbeitskraft, Haupterziehungsträgerin und weitgehende Haushaltsführerin von ökonomischen Prämissen bestimmt:

- als Arbeitskraft gebraucht, sind 91% aller Frauen berufstätig; davon arbeiten ca. 30% der Frauen teilzeitbeschäftigt - zwar wurden Frauen formal weitgehend die gleichen. Qualifika­tionsmöglichkeiten eingeräumt; trotzdem befinden sich ca. 75% aller werktätigen Frauen in typischen Frauenberufen, in denen auch die Entlohnung um großen Teil geringer ist - Frauen haben kaum Zugang zu bestbezahlten Stellen - die Arbeitsinhalte sind häufig von ermüdenden, monotonen, körperlich und psychisch belastenden Tätigkeiten dominiert - in Entscheidungsgremien sind Frauen unterrepräsentiert - es wurde wenig getan, um Männern und Frauen die traditionell­ weiblichen Berufsbereiche attraktiver zu gestalten

Nicht besser sieht die Situation von Frauen im gesellschaftlich­ politischen Leben aus:

- mangelnde Wertschätzung ihnen gegenüber drückt sich aus in einer wesentlich geringeren Honorierung ihrer Leistungen durch Auszeichnungen, Orden u.ä. - die Formen gesellschaftlicher Öffentlichkeit sind am männli­chen Lebensmuster orientiert (Anfangszeiten von Veranstaltun­gen; Fehlen von Einrichtungen für Frauen im Babyjahr; kleine Kinder sind in Gaststätten nicht vorgesehen usw.) - es gibt keine angemessene Vertretung von Fraueninteressen - DFD und gewerkschaftliche Frauenförderung hatten Alibi-Funk­tion und dienten der Legitimation und Durchsetzung der SED-Politik - die Notwendigkeit der Einrichtung von Räumen für eine spezi­fische Frauenöffentlichkeit wurde strikt bestritten

Die DDR- Frauenpolitik sah die Frau insbesondere in ihrer Einbindung in den Beruf einerseits und in die Familie - nicht zuletzt unter dem Blickwinkel der Bevölkerungsreproduktion - andererseits. Für den mit Frau und/oder Kindern lebenden Mann gilt das nicht. Es gibt kaum Veröffentlichungen die sich mit der sozialen Vaterschaft beschäftigen.

Die sozial-politischen Maßnahmen, die auf eine Verbesserung der individuellen Reproduktionsbedingungen vor allem von Müttern zielen, legen die Frau fest auf die überkommenen Rollenbilder der für Kinder und Haushalt Zuständigen. Wir denken da an den Haushaltstag, die 40-Stunden-Arbeitswoche für Frauen mit zwei und mehr Kindern, der Möglichkeit zu Teilzeitarbeit aufgrund der familiären Situation, das Babyjahr u.ä. Sie nimmt damit den Platz der “Dazuverdienerin” ein. .er Schritt zu einer spürbaren Herausdrängung von Frauen, aus, dem Arbeitsmarkt im Falle eines Überangebots an Arbeitskräften liegt nahe,

Die bewußte Reflexion von Frauen über derartige zu erwartende Entwicklungen steckt erst in den Anfängen. Noch herrscht ver­breitet Erleichterung darüber, nicht mehr in dem Maße mit dem Jahrzehnte propagierten Frauenleitbild konfrontiert zu sein:

nämlich der Frau, die Beruf, Familie, Haushalt, Sonderstudium und gesellschaftliche Aktivität in trauter Harmonie mit ihrem Ehemann und den zwei bis drei Kindern unter einen Hut bekam.

Das wirkte sich aus auf die sozial- psychische Situation der Frauen:

es entstand Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, dem eige­nen Vermögen, wenn frau nicht “so gut" war, wie man ( ) erwartete, aber unbewußt diesen Anspruch an sich hatte; es führte zu enormen physischen und psychischen Überbela­stungen und in der Folge zu einer gesunkenen Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen es führte auch zu einem resignativen Annehmen der traditio­nellen Rollenerwartungen, was zur Folge hatte, auf berufliches Fortkommen zu verzichten eine weitere Folge ist ein übersteigertes Bedürfnis, sich selbst und indirekt auch den männlichen Kollegen nachzuwei­sen, daß Frauen auch "ihren Mann" im Beruf stehen können - häufig unter Vernachlässigung anderer lebenswichtiger Berei­che

Zusätzlich erschwert wurde die individuelle Reproduktion durch Mängel in der Versorgungslage und im Netz der Einrichtungen zur Bevölkerungsversorgung. Wieder sind vor allem Frauen die Betroffenen - selbst gestreßt und mit quengelnden Kindern nach Arbeitsschluß in Warteschlangen.

Besonders hart treffen die Folgen verfehlter Sozialpolitik die alleinstehenden und älteren Frauen.

Junge Frauen gehören zum schlechtestverdienenden Bevölkerungs­teil, was besonders zu Buche schlägt, wenn sie Kinder zu versorgen haben und alleinerziehend sind. Sie sind gegenüber jungen Familien bei der Wohnungssuche benachteiligt und haben die schlechtesten Voraussetzungen, Kommunikationsmöglichkeiten zu finden.

Frauen im Rentenalter beziehen in der Regel niedrigere Renten als Männer. In Altersheimen entspricht die Versorgung pflege­bedürftiger Personen - das gilt natürlich auch für Männer - nicht dem Standard des 20. Jahrhunderts.

Noch einige Sätze zum Sexismus gegenüber Frauen:

Wir meinen hiermit die Benachteiligung von Frauen aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit. Sie drückt sich in unserer Gesellschaft in

einer Unterschätzung und Minderbewertung weiblicher Handlungstätigkeit aus einer zu beobachtenden Reduzierung von Frauen auf Sexualität und Gebärfähigkeit einer Sexualisierung des Frauenkörpers: Zunahme von Misswahlen, Striptease u.ä. letztendlich in Gewalt gegen Frauen.

Es ist zu beobachten, daß Männer häufig eigene Entwicklungsbe­schränkungen über Frauen kompensieren.

Es ist an der Zeit, daß für die Frauenproblematik ein öffent­liches Bewußtsein wächst.

Es ist an der Zeit, daß Frauenpolitik von Frauen selbst gestal­tet wird, daß Frauen am Arbeitsplatz, in gesellschaftlichen Organisationen und in unabhängigen Frauenstrukturen artikulie­ren, was ihren Lebensbedingungen und -ansprüchen entspricht.

Frauen in die Offensive!

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