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Löcher in der Mauer
Materialiensammlung
DDR 1989

ARBEITSPAPIER ZUM THEMA BETRIEBSRÄTE IM PROZESS DER ÜBERFÜHRUNG VON STAATS- IN VOLKSEIGENTUM

Thomas Klein
[ohne Datum]
aus gesammelte Flugschriften DDR `90 Heft3 März 1990, erstellt von der Initiative für eine vereinigte Linke, Technische Gestaltung, Produktion und Vertrieb: ASTA TU Berlin

1. Grundsätze

Die Betriebsräte realisieren die Eigentümerfunktion der Werktätigenkollektive. In der ersten Etappe ihrer Tätigkeit verwirklichen sie schrittweise die Kontrolle und Mitbestimmung der Werktätigen im Betrieb. Die Perspektive ihrer Tätigkeit ist die qualifizierte Vermittlung des Übergangs zur betrieblichen Selbstverwaltung.

1.1. Betriebsräte und sozialistisches Eigentum

Sozialistisches Eigentum der Produzenten an ihrem Betrieb ist weder individueller Besitz der Arbeitsmittel, noch anteiliger Aktienbesitz am Betrieb, sondern die mit Formen kollektiven Eigentums (Fondsübergabe an Arbeitskollektive). verbundene Teilhabe am ganzen Betrieb. Das daran gebundene Eigentümerbewußtsein entwickelt sich jedoch durchaus individuell als anteilige Haftung für Übergebene Fords und individuelles (leistungsabhängiges) Entgeld für deren Nutzung. Die Eigentümerfunktion der Produzenten ist aber nicht einfach nur an solche Formen kollektiven Eigentums gebunden, sondern hauptsächlich mit der von Kollektive gewählten und in ihrer Tätigkeit auf den ganzen Betrieb gerichteten Betriebsräten durchsetzbar.

2. Betriebsräte, Gewerkschaften und Betriebsleitung

Damit der Betriebsrat die Eigentümerfunktion aller Betriebsangehörigen auch real ausüben kann, muß mit dem Beginn seiner Tätigkeit auch Klarheit hinsichtlich seiner Rechte und Befugnisse insbesondere gegenüber der Betriebsleitung und seines Verhältnisses zu den Gewerkschaften erreicht werden. Solange dies noch nicht allgemein durch ein Betriebsverfassungsgesetz geregelt ist, müssen diese Fragen betrieblich (zum Beispiel im Betriebskollektivertrag) vereinbart werden.

2.1. Betriebsräte und Gewerkschaften

Das Recht auf Eigentum der Werktätigen an ihrem Betrieb darf nicht mit dem Recht jedes einzelnen Werktätigen auf kollektiv zu organisierenden Schutz seiner Interessen gegenüber dem Betrieb identifiziert werden! Der zwiespältige Charakter jedes Produzenten als Eigentümer und als vom Betrieb abhängiger Werktätiger findet seinen institutionalisierten Ausdruck in Betriebsrat und Gewerkschaft. Das individuelle Interesse jedes Werktätigen auf Schutz vor dem Betrieb realisiert er durch seine Gewerkschaftsmitgliedschaft. Indem die Gewerkschaft als kollektiver Organisator dieses Interesses dem Betriebsrat gegenübertritt, tritt der einzelne Produzent sich selbst (der abhängige werktätige der, kollektiven Eigentümer) gegenüber. Dies ist im Kern die Entäußerung des Widerspruchs zwischen kommandierter und assoziierter Arbeit in Betrieben des Übergangs vom Staats- ­zum Volkseigentum. Tendenziell wird er aufgelöst im Übergang von der Mitbestimmung zur Selbstverwaltung.

Anmerkung: Weil die Interessenvertretung der (gewerkschaftlich organisierten) Werktätigen gegenüber dem Betrieb durch den FDGB infolge der Vertrauenskrise gegenwärtig auf sehr unterschiedlichem Niveau gesichert ist, wird heute mitunter ein Betriebsrat den Schutz der Betriebsangehörigen (Einhaltung des AGB, Gesundheitsschutz, soziale Ansprüche gegenüber dem Betrieb ect.) mitwahrnehmen müssen und damit über seine eigentlichen heutigen Aufgaben (Kontrolle der Betriebsleitung und Mitbestimmung) hinausgehen. Es gibt daher ein wohlverstandenes Interesse der Räte in staatseigenen Betrieben an funktionsfähigen Gewerkschaften. Andererseits gibt es ein Interesse der Gewerkschaften, gewisse ihnen zugebilligte und bis heute nur formal eingelöste betriebswirtschaftliche Mitbestimmungsrechte an die Betriebsräte abzugeben, um sich auf die Interessenvertretung der Belegschaft (auch hinsichtlich der Folgen solcher von den Räten mitverantworteten Entscheidungen) konzentrieren zu können. Insofern sind bis zur Verabschiedung eines Betriebsverfassungsgesetzes die Zuständigkeiten innerhalb des BKV neu festzulegen.

2.2. Betriebsräte und Betriebsleitung

Die Rechte den Betriebsrats auf Kontrolle der Betriebsleitung und Mitbestimmung bei den strategischen Entscheidungen berührt nicht die Weisungskompetenz der Leitungsarbeit. Die Kontrollaufgaben der Räte bauen. auf der Informationspflicht der Betriebsleitung auf.

Die strategischen betriebspolitischen Entscheidungen der Leitung gelten mit dem Zustimmungsvorbehalt des Betriebsrats (Mitbestimmung, aufbauend auf dem Vetorecht).

In den großen staatseigenen Betrieben ist heute ebenso über ein Mitbestimmungsmodell in Gestalt einen Verwaltungsrats aus Vertretern des Betriebsrats, des Staates (u.a. der vom Staat eingesetzten Betriebsleitung), der Gewerkschaften und der territorialen Körperschaften (kommunale Räte) nachzudenken (erweiterte Mitbestimmung).

Mitbestimmungsrechte über Betriebsräte sind in Richtung betrieblicher Selbstverwaltung auszubauen. Aus dieser Perspektive ist der Betriebsrat das höchste Organ des selbstverwalteten Betriebs. Dies bedeutet u.a., daß die Betriebsleitung vom Betriebsrat eingesetzt oder von Betriebsrat bestätigte Kandidaten (Ausschreibung und Kandidatenvorprüfung) von der Belegschaft bestätigt werden.

3. Betriebsratswahlen

Die einzelnen Kollektive der Arbeiter und Angestellten wählen ihre Vertreter in den Betriebsrat. Der Wahlmodus hat zu gewährleisten, daß die Mitgliedschaft von KollegInnen in Parteien oder Massenorganisationen (einschließlich Gewerkschaft) weder Hindernis, noch Voraussetzung ihrer Kandidatur (Wählbarkeit) für den Betriebsrat ist. Kriterien ihrer Wahl sollen ausschließlich das Vertrauen der Kollektive in sie und ihre Eignung für an sie gestellte Anforderungen sein. Dies schließt jederzeit die Möglichkeit ihrer Abberufung durch die Kollektive (mit einfacher Mehrheit) und die Neuwahl ein.

Bei Selbstbeschränkung der Zuständigkeit der Räte auf die Kontrolle betrieblicher Leitungsentscheidungen ist die Wahl von Betriebsleitungsmitgliedern in die Räte ebenso unzulässig, wie die sonstige Einflussnahme der Betriebsleitung auf die Zusammensetzung und die Arbeit der Räte.

4. Die Arbeit des Betriebsrats in der gegenwärtigen Situation

Die jährlichen und längerfristigen Entwicklungspläne der Betriebsleitung sind dem Betriebsrat vorzulegen und sind von ihm zu bestätigen. Die Mitbestimmung bei strategischen betrieblichen Entscheidungen (neue Technologien, einschneidende Rationalisierungsmaßnahmen, Strukturveränderungen in Produktion, Sortiment, Absatz, Finanzierungsstrategien ect.) auf der Grundlage der Offenlegung der Bilanzen und Eckdaten und in Personalfragen (insbesondere Bei der Besetzung der Leitungsfunktionen) ist zu sichern. Heute ist dabei den Aufgaben der Entbürokratisierung, der Ablösung inkompetenter Kader und der Durchsetzung von Produktionsdemokratie auf allen Ebenen Vorrang zu geben. Dem Betriebsrat sind innerhalb des Betriebs von der Betriebsleitung die notwendigen Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen und der Schutz seiner Mitglieder zu verankern.

5. Konstituierung und Arbeitsweise.

Der Betriebsrat soll in seiner Zusammensetzung die Beschäftigten­struktur (Arbeiter, Angestellte [darunter Verwaltungskräfte], wissenschaftliche Mitarbeiter ect.) qualitativ wie quantitativ repräsentieren, Ausschüsse bilden oder Kommissionen zu speziellen Fragen bilden bzw. berufen können. Nach dem zu bildenden Schlüssel werden in den betrieblichen Strukturen anzupassenden Wahlbereichen separat und geheim die (kandidierenden) Kollegen gewählt. Die Belegschaftsversammlung muß den Wahlmodus, eine Wahlkommission und die Amtszeit (vorbehaltlich der vorfristigen Abwahl von gewählten Betriebsratsmitgliedern durch das wählende Kollektiv) bestätigen. Neben den Regelungen seines eigenen Arbeitsregimes (Statut, Geschäftsordnung) muß er auf Antrag der Betriebsleitung (des Leiters) oder einer qualifizierten Belegschaftsmehrheit zusammentreten.

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