Materialiensammlung
DDR 1989SO SEHN'S DIE ANDERN
Auszüge aus linken Pressestimmen zur DDR-EntwicklungQuelle: westberliner info 4/89
FAU
Die DDR ist in die revolutionäre Bewegung geraten. Die Mauer kann zum Mahnmal der Menschheit erklärt werden....Die Ostbonzen, die Gralshüter des Marxismus-Leninismus haben kaum je ihren Urahn studiert noch In ihn ernst genommen. Jetzt zappeln sie verzweifelt am schnöden Widerhaken ihrer - laut Lenin - allmächtigen Lehre. Welch Farce die Lämmer fressen den Wolf. Die Massen haben Geschichte gemacht, wie's in den blauen Bänden steht und nicht ungereimter im Märchen stehen kann...Laut Toqueville fangen die Menschen nicht im ausweglosen Elend an zu rebellieren, sondern immer dann, wenn es In der Geschichte vorwärts geht. In das ostdeutsche Dunkel leuchtete der russische Hoffnungsschimmer und die Menschen begannen frech die Ohnmacht eines Systems zu ahnen, das nun nicht mehr allgegenwärtig die "unverbrüchliche Treue zur UdSSR " verlauten ließ und Parolen wie diese: "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!"
aus: direkte aktion, Nr.78,1989Wolfgang Fritz Haug
An der französischen Revolution hat Marx ("Zur Judenfrage") beobachtet, wie das in der Feudalstruktur über die ganze Oberfläche verteilte Politische aus dieser Zerstreuung gesammelt, aus der Gesellschaft zurückgezogen und als eine eigene Sphäre konstituiert wurde; dem entsprach die "Dislokation", die Umsetzung des Religiösen aus dem Staat in die Gesellschaft. Es ist, als hätten sich einige Züge des Feudalismus im befehlsadministrativen Staatssozialismus reproduziert. Wie einst das Religiöse war hier das Ideologische im Staat zu Hause, und wie einst das Politische, erstreckte sich dieser, verkörpert durch "die Partei", über die ganze Oberfläche der Gesellschaft. Die jetzige Revolution bewirkt die Kontraktion des Staates und seine erneute Verweltlichung durch "Dislokation" der Ideologie in die Gesellschaft.
aus: Volkszeitung, Nr.50/1989 (letzte Ausgabe)KPD (Sitz Gelsenkirchen)
Die DDR bleibt auch heute noch verteidigenswert - trotz ihres Revisionismus und aller damit verbundenen Übel. Denn unser Hauptfeind, und auch der Feind der Bevölkerung in der DDR, sind die Bonner Revanchisten. Es gibt in der heutigen DDR genug Gründe zu Protest, aber nicht in einer Reihe mit dem Klassenfeind aus Bonn!
aus: Roter Morgen, November 1989MG
Sie (die SED - d.Säzzer) hat sich zu der Einsicht bekehrt, daß mit ihrem alten Sozialismus unter Ihrer Führung kein Staat zu machen ist. Wie immer ist sie auch jetzt den "Realitäten" auf der Spur und sieht die Perspektive der Nation wie die des Volkes in ebenso enger wie breiter Zusammenarbeit mit der BRD. Schluß mit "sozialen Preisen". Schluß mit der "Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik". Schluß mit der Gängelung und Bevormundung durch Arbeitsplatzsicherheit und Billigmieten - Effizienz Ist doch wichtiger als Gerechtigkeit. Und vor allem: Devisen sind doch wichtiger als alte sozialistische Versorgungsideale! Das deutlich zu sagen: das Ist Mut zur Ehrlichkeit. Solche Ehrlichkeit schafft Glaubwürdigkeit, die Vertrauen verdient. Und so etwas ist in jeder ordentlichen Demokratie ein Wahlkampfrenner. Für die SED allerdings nicht. Der glaubt man noch nicht einmal ihre neuen Gemeinheiten. Dabei hat sie sie doch vom Westen gelernt.
aus: Flugi der MG zu einer Veranstaltung in Westberlin Ende November 1989KPD (Sitz Stuttgart)
Es ist daher eine gefährliche Illusion, wenn viele Menschen in DDR glauben, mit "Reformen" im Stile Gorbatschows könne sich ihre Lage bessern. Diese "Reformen" sind nur die Ersetzung des Kapitalismus bürokratisch, revisionistischen Typs durch den "klassischen" Kapitalismus westlichen Typs. Es ist der Kapitalismus an sich unabhängig von seiner konkreten Form - der die Werktätigen niederdrückt. Objektiv ist er reif für einen revolutionären Sturz, für eine Ablösung durch den Sozialismus. Ohne Zweifel wird die Kommunistische Partei in der DDR wieder aufgebaut werden; unter Ihrer Führung wird die Arbeiterklasse die Macht ergreifen und den Sozialismus errichten.
aus: Roter Morgen, Nr.11/1989SEW (Kreuzberg)
Wir haben uns schon 1961 mit dem Gerede vom "antifaschistischen Schutzwall" etwas vorgemacht...Nur dieser Zwang konnte damals die Existenz der Sozialismus retten...Aber der Sozialismus entwickelte sich weiterhin als eine Art "Erziehungsdiktatur"...Karl Marx, an den gelegentlich zu erinnern gar nicht verkehrt ist, wußte dies schon vor 150 Jahren, als er in der 3. Feuerbachthese schrieb, daß die "Lehre von der Erziehung" vergesse, daß der "Erzieher selbst erzogen werden muß" und daß es deshalb nicht angehe, die Gesellschaft in zwei Teile zu teilen, "von denen der eine über den anderen erhaben ist". Die SED erlebt gerade den praktischen Wahrheitsbeweis auf diese These. Die Massen haben ihr die Lebenslüge vom unbeschränkten Recht des "Erziehers" zu erziehen, auch mit dem Stock, wenn es sein muß, schnell und schmerzhaft ausgetrieben.
aus: Kommik, Nr.4/1989VSP
Die Entwicklung in der DDR ist ein Test für die Gültigkeit politischer Theorien. Wäre das Land kapitalistisch, könnte es umstandlos Westdeutschland angeschlossen werden. Tatsächlich lehrt die Erfahrung, daß es ein vom Kapitalismus völlig unterschiedliches ist....Am Beispiel der DDR kann auch das eigene Programm konkret vermittelt werden. Das schafft unverhoffte Möglichkeiten, weil es nicht mehr abstrakt dargestellt, sondern durch konkrete Ereignisse vermittelt werden kann. Das alles sind Beiträge dazu, die revolutionäre Bewegung In der DDR abzuschirmen und zu verteidigen - mit der Losung "Hände weg von der DDR".
aus: SOZ, Nr.23/1989MLPD
In der Massenbewegung der DDR wird das spontane Streben nach einer selbstbestimmten Gesellschaft deutlich, die frei von Ausbeutung und Unterdrückung ist. Es ist die Pflicht der MLPD, ihre Analyse über die Wiederherstellung des Kapitalismus in der Sowjetunion und der DDR den Werktätigen in der DDR zugänglich zu machen. Das ist auch eine Kampfansage an die von der "taz" am 14.11. verkündete Auffassung der Grünen, die Stärke der Massenbewegung in der DDR bestehe darin, daß sie keine Führer habe, keine revolutionäre Strategie und keine revolutionäre Partei.
aus: Rote Fahne, Nr.47/1989KB
Das BRD-Kapital steht bereit, um sich mit Geld, Maschinen und Knowhow auf diesen riesen Markt (die DDR - d.Säzzer) zu stürzen und ihn dabei zugleich nach seinen Vorstellungen umzugestalten...Vieles davon stimmt mit Vorstellungen überein, die ohnehin bei den Reformkräften im DDR-Apparat bestehen und die sich beispielsweise auch im Programm der neugegründeten SPD-Filiale der DDR wiederfinden lassen.."Nimmt man die heute schon bestehende "Kolonialisierung" der DDR durch die BRD-Kultur (Fernsehen, Mode etc., selbst alternative Trends) hinzu...die sich künftig verstärken wird und die ja in der DDR-Bevölkerung offensichtlich breite Akzeptanz hat, Ist zu befürchten, daß sozialistische Opposition In der DDR keinen leichten Stand haben wird, daß sie aus einer minoritären Position agieren zu haben wird letztlich nicht so wesentlich anders als wir in der BRD.
aus: ak, Nr.312,1989Hermann L-Gremlitza (konkret)
Und schließlich wird sich herausstellen, daß das Ende des realen Sozialismus nicht nur keinen Anfang eines anderen, besseren, sondern auch nicht den Beginn bürgerlicher Demokratie bedeutet. Die gedeiht nämlich (bitte umsehen!) nur im Reichtum, und schon jetzt ist der Lebensstandard der in privatkapitalistische Experimente gestürzten Sowjets, Ungarn und Polen wert unter den letzten realsozialistischen Stand gesunken. Auf westliche Großinvestitionen hoffen sie vergeblich. Was die kapitalistische Internationale sucht, sind Billiglohnländer auf dem Niveau von Südkoreas, deren Proleten für ein Drittel des ungarischen oder polnischen Mindestlohns die doppelte Arbeit leistet.
aus: konkret Nr.12/1989RADIKALE LINKE [Westberliner Gruppe]
(auf ihrem Treffen am 18.11.89, nach Prowo-Bericht) Obwohl die dramatische Entwicklung in der DDR alle Gemüter zutiefst bewegt und am Arbeitsplatz, In der Kneipe oder zu Hause Anlaß für viele Gespräche gibt, blieben die meisten anwesenden Menschen stumm. Obwohl der drohende Ausverkauf und Ruin der DDR und der zunehmend unverhüllt auftretende Revanchismus jeden linken Menschen beängstigen und für sich als eine Herausforderung betrachten muß - hüllten sich die radikalen Unken In Schweigen.
aus: Prowo, Null-Nr.6/1989AUTONOMES SPEKTRUM
Aufgrund der gemachten Erfahrungen der Bevölkerung der DDR ist die Gefahr einer kapitalistischen Restauration ungeheuer groß. Für Kommunisten kann es keine rein (defensive) ökonomische Antwort geben. Stalinistisch-bürokratische Planung kann nur beseitigt werden, wenn die Herrschaft der Bürokratie insgesamt beseitigt wird, was angesichts bestehender gesellschaftlicher Strukturen und der entsprechenden staatlichen Absicherungen eine revolutionäre Umwälzung bedeutet; - allerdings - auf mittlere Sicht hätte selbst ein sozialistisches Gesellschaftsmodell, das auf die DDR isoliert bliebe nicht die geringste Überlebenschance.
aus: Reader der AG Wirtschaft für das Autonomen-Seminar am 9./10.12.89Anarchisten
Diese Analyse (gemeint ist Bahros Buch "Die Alternative" -d.Säzzer) erklärt die Bedingungen des "Aufstands der Subalternen" in der DDR, erklärt auch, warum die SED-Basis sehr schnell reformfreudig wurde. Leider macht sie auch plausibel, daß eine Abschaffung der subalternen Mentalität nicht so einfach sein wird. Bahro wirft ja dem östlichen System vor, daß es zentrale Bestandteile der Kapitalismus, z.B. die Betriebshierarchie, nicht abgeschafft hat. Subalternität kann sich also auch in DDR-Betrieben bei einer Orientierung auf marktwirtschaftliche Lösungen schnell wieder einstellen, die produzierte Verantwortungslosigkeit für gesellschaftliche Zusammenhänge ist durch die gewaltfreie Massenbewegung erst angekratzt worden. Bei einem Abbröckeln der Bewegung besteht die Gefahr, daß die subalterne Mentalität, diesmal für die soziale Marktwirtschaft und daher effektiver, wieder schnell zum Tragen kommt.
aus: Graswurzelrevolution, Nr.139/1989BWK
Der extreme Grad an Zentralismus - das sollte nicht in Vergessenheit geraten -ist wahrscheinlich im hohen Maße in Reaktion auf den westlichen "Wirtschaftskrieg" gegen die DDR entstanden und auf die ständige westliche Drohung mit einem militärischen Überfall auf die DDR. Spannend wird die Form der Dezentralisierung werden...Sicher ist, daß die DDR großes Interesse an eigenständigen Handelsverträgen mit der EG hat...Die DDR könnte so einen Schritt unternehmen, um aus den Abhängigkeiten des sog. innerdeutschen Handels mit seinen Sonder- und die Souveränität in Frage stellenden Verträgen auszubrechen. Dies wäre sicher auch ein Schritt auf dem Weg zur völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch die BRD.
aus: Politische Berichte, Nr. 24/1989RIM (Maoisten) - westberliner Symphatisanten
Was die Herrschenden In der DDR jetzt tun, Ist der "Entnazifizierung", die in der BRD nach dem zweiten Weltkrieg stattgefunden haben soll, sehr ähnlich. Ein paar führende Köpfe rollen und alle anderen Reaktionäre, die jahrelang mitregiert und mitgemacht haben, werden Im Handumdrehen zu "Demokraten" umgemünzt und das Spiel geht weiter...Die Situation in der DDR und In vielen Teilen des Ostens ist extrem explosiv, und eine revolutionäre Krise könnte zu jeder Zeit entstehen. So eine Explosion könnte ganz Europa in Brand setzen. Worauf wir nur sagen können, "Je früher desto besser!"
aus: Flugschrift "Revolution ist die einzige Lösung", November 1989, S.2