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Löcher in der Mauer
Materialiensammlung
DDR 1989

Neue Chronik DDR
1. Folge 2. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3730305822
 
2. Folge 1. Auflage Verlag Tribüne Berlin GmbH 1990 ISBN 3-7303-0594-8

3. Oktober 1989

ADN meldet:  "Auf Grund der Berichte, die der DDR zur Verfügung stehen, bereiten bestimmte Kreise in der BRD weitere Provokationen zum 40. Jahrestag der DDR vor, die gegen Ruhe und Ordnung gerichtet sind. Nach der Konsultation mit der CSSR wurde die Vereinbarung getroffen, zeitweilig den paß- und visafreien Verkehr zwischen der DDR und der CSSR für Bürger der DDR mit sofortiger Wirkung auszusetzen."  
(ND, 4.10. 1989)

In einer Erklärung des Sprechers der CSSR-Regierung heißt es:  
"Die Regierung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik hatte alle Fragen, die mit dem illegalen Aufenthalt von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik auf dem Gelände der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland verbunden sind, äußerst zurückhaltend behandelt. Die zuständigen tschechoslowakischen Organe gewährten die erforderliche humanitäre, gesundheitliche und Versorgungs- sowie weitere technische Hilfe. Die Regierung der CSSR beteiligte sich initiativreich und aktiv an der Suche nach einem allseits annehmbaren Ausweg aus der Situation, die auf gar keinen Fall durch unser Verschulden entstanden war.  
Nachdem eine entsprechende Lösung gefunden war, schufen wir die erforderlichen rechtlichen und technischen Bedingungen, damit die DDR-Bürger das Gelände der Botschaft der DDR in Prag und anschließend die Tschechoslowakische Sozialistische Republik verlassen konnten. Zugleich erhielten wir die Information, die Regierung der BRD werde sichern, daß sich eine ähnliche Situation nicht wiederholt. Nach einigen Stunden aber war die Prager BRD-Botschaft erneut für den Zustrom von Flüchtlingen aus der DDR geöffnet. ( ... ) Die Bewegung von Bürgern der DDR durch Prag, die mit diesem verantwortungslosen Schritt der BRD in direktem Zusammenhang steht, stört ernsthaft die öffentliche Ordnung in der Hauptstadt der Tschechoslowakei. Wir werden selbstverständlich den freien Zutritt zum Gebäude der BRD-Botschaft in Prag durch den Haupteingang garantieren. Wir behalten uns allerdings das Recht vor, in dem Augenblick, da wir es für erforderlich halten, weitere notwendige Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zu ergreifen.  

(ND, 4. 10. 1989)
 

BRD-Kanzleramtschef Rudolf Seiters wird vom Leiter der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn, Horst Neubauer, darüber informiert, daß die DDR allen Fluchtwilligen in der Prager BRD-Botschaft die Ausreise in die BRD gestatten wolle.  

Ohne auf den Massenexodus von DDR-BürgerInnen einzugehen, erklärt Partei- und Staatschef Erich Honecker auf seinem Treffen mit antifaschistischen Widerstandskämpfern und Aktivisten der ersten Stunde, daß nichts daraus werde, wenn man in der BRD glaube, "die DDR durch einen umfassenden Angriff aus den Angeln heben zu können".  

Am Rande der Eröffnungsveranstaltung für die neue Pädagogische Hochschule in Neubrandenburg gewährt Volksbildungsministerin Margot Honecker der FDJ-Zeitung "junge Welt" ein Interview, in dem sie u. a. erklärt:   "( ... ) Nachdenken ist zu keiner Zeit - ob über unser Land, über sich selbst - unwichtig. Ich würde nicht meinen, daß es heute deshalb wichtiger wird, weil einige Leute uns das Nachdenken lehren wollen über den Sozialismus. Wir haben uns ein großes Programm gegeben, über die Jahrtausendwende den Sozialismus weiter zu entwickeln. Das klingt immer so allgemein. Aber das heißt ja: Wie wollen wir unser Leben einrichten in diesem Land, wie wollen wir es noch besser einrichten? Weiche Probleme haben wir zu lösen? Da brauchen wir vor allem eins nicht: falsche Ratgeber. ( ... ) Ohne eigene Bestandsaufnahme ist doch nichts bisher gegangen! Wie hätten wir denn das alles schaffen sollen, wenn wir bloß blind durch die Gegend gelaufen wären. Also geht's weiter mit dem Nachdenken über das, was wir künftig angehen werden, womit wir noch nicht zufrieden sind. Aber nicht, weil konterrevolutionäre Kräfte versuchen, den Sozialismus in der DDR anzugreifen. Nicht weil jetzt von ihnen ein Anstoß' kommt: Nun diskutiert doch mal über eure Fehler, und im Grunde meinen sie, daß der Sozialismus ein Fehler sei. Weg vom Sozialismus? Das ist nicht unser Thema! Wir werden den Sozialismus weitermachen. Und deshalb müssen wir Über das reden, was wir tagtäglich gestalten müssen. Beispielsweise unsere sozialistische Demokratie - so daß jeder die DDR als etwas empfindet, bei dem er mitmacht, mitentscheidet, mitverantwortet. Nicht nur darüber reden, sondern machen! ( ... ) Wir sind in einer Situation, in der wir standhaft bleiben müssen. Nicht weil wir stur sind, oder wie die anderen sagen: ‚Betonköpfe', sondern weil wir um unsere Verantwortung für den Frieden wissen. Das ist die entscheidende Frage, die darf keinem aus dem Blickwinkel geraten. ( ... )"
(JW, 4. 70. 1989)

Nach Bekanntwerden der Schließung der Grenze zur CSSR versammeln sich mehrere Tausend Menschen auf dem Dresdener Hauptbahnhof und protestieren gegen diese Maßnahme. In mehreren Städten, u. a: in Eisenach und Ruhla kommt es zu Arbeitsniederlegungen.  

Der Berliner Rechtsanwalt Dr. Gregor Gysi verfaßt im Auftrag von Bärbel Bohley und Jutta Seidel eine Eingabe an das Ministerium des Innern zur Nichtzulassung der Bürgerbewegung Neues Forum.  

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