Maurice Brinton
MAI 68
Die Subversion der Beleidigten

MaD Flugschrift


HABT ACHT VOR DEN PROVOKATEUREN

Soziale Umwälzungen wie die, die in Frankreich gerade beendet worden ist, lassen eine Spur von zerstörtem Ansehen hinter sich. Das Bild des Gaullismus als eine bedeutungsvolle Lebensort, die von der französischen Bevölkerung 'akzeptiert' war, erhielt einen ungeheuren Schlag. Aber genauso erging es dem Bild der Kommunistischen Partei als einer lebensfähigen Herausforderung an das französische Establishment.

Soweit die Studenten betroffen sind, sind die jüngsten Aktionen der KPF von so einer Art, daß die Partei in diesem Bereich wahrscheinlich für eine ganze kommende Generation ihr Geschick besiegelt hat. Bei den Arbeitern sind die Auswirkungen schwieriger einzuschätzen, und es wäre verfrüht, eine solche Einschätzung zu wagen. Alles, was gesagt werden kann, ist, daß die Auswirkungen sicher tiefgreifend sein werden, wenn es vielleicht auch eine Zeit lang dauern wird, bis diese Auswirkungen zum Ausdruck kommen. Für einen Moment war die proletarische Beschaffenheit als solche in Frage gestellt. Gefangene, die einen kleinen Lichtblick auf Freiheit hatten, nehmen einen lebenslänglichen Urteilsspruch nicht leicht auf.

Die volle Bedeutung der Rolle von KPF und CGT muß von den Revolutionären noch eingeschätzt werden. Vor allem aber müssen sie informiert werden. In diesem Abschnitt des Textes will ich nach besten Kräften die Rolle der KPF dokumentieren. Es ist wichtig zu bedenken, daß die Partei jedes Stückchen Dreck gegen die Studenten in ihren offiziellen Publikationen mit Tonnen solcher Äußerungen in Versammlungen und Privatgesprächen übertraf. Diese Art Verleumdung ist nach der Natur der Dinge schwer zu dokumentieren.

FREITAG, 3. MAI
In einem Hof der Sorbonne wurde von der UNEF, JCR, MAU und der FER eine Versammlung einberufen, um gegen die Schließung der Fakultät von Nanterre zu protestieren. Diese Versammlung wurde auch von Militanten der Bewegung des 22. März besucht. Rektor Roche rief die Polizei, die Aktivisten aus allen beteiligten Gruppen verhaftete.

Die Union der kommunistischen Studenten (UEC) nahm an dieser Kampagne nicht teil. Sie verteilte aber ein Flugblatt in der Sorbonne, in dem die Aktivität der 'Sekten' denunziert wurde.

"Die Führer der linken Gruppen wollen aus den Versäumnissen der Regierung Nutzen ziehen. Sie beuten die studentische Unzufriedenheit für sich aus und versuchen, das Funktionieren der Fakultäten zu beenden. Sie wollen die Masse der Studenten vom Arbeiten und vom Examen abhalten. Diese falschen Revolutionäre verhalten sich objektiv als Verbündete der gaullistischen Macht. Sie unterstützen mit ihrem Handeln deren Politik, die für die Masse der Studenten und besonders für diejenigen mit ordentlicher Herkunft unheilvoll ist."

Am selben Tag hatte die 'Humanité' geschrieben: "Bestimmte kleine Grüppchen (Anarchisten, Trotzkisten und Maoisten), die hauptsächlich aus Söhnen der Großbourgeoisie bestehen und von dem deutschen Anarchisten Cohn-Bendit angeführt werden, wollen aus den Versäumnissen der Regierung Nutzen ziehen… usw."(s.o.) Dieselbe Ausgabe der 'Humanité' hatte einen Artikel von Marchais veröffentlicht, einem Mitglied des Zentralkomitees der Partei. Dieser Artikel fand als Flugblatt vor Fabriken und Büros weite Verbreitung:

"Mit der Agitation, die sie im studentischen Milieu veranstalten - eine Agitation, die gegen die Interessen der Masse der Studenten gerichtet ist und die faschistischen Provokateure begünstigt -, besitzen diese Pseudorevolutionäre nun auch noch die Nerven, danach zu trachten, der Arbeiterbewegung Nachhilfeunterricht zu geben. In wachsender Zahl sehen wir sie vor den Toren der Fabriken und in den Wohnorten der Gastarbeiter Flugblätter und anderes Propagandamaterial verteilen. Diese falschen Revolutionäre müssen entlarvt werden, denn sie dienen objektiv den Interessen der gaullistischen Macht und den großen kapitalistischen Monopolen."

MONTAG, 6. MAI
Die Polizei hat über das Wochenende das Quartier Latin besetzt. Dort hatte es große studentische Straßendemonstrationen gegeben. Auf einen Aufruf von UNEF und SNESup hin zogen 20.000 Studenten von Denfert Rochereau nach St. Germain des Pres und forderten die Freilassung der verhafteten Arbeiter und Studenten. Mehrfach griff die Polizei die Demonstranten an: 422 Verhaftungen, 800 Verwundete. 'L'Humanité' stellt fest: "Man kann heute das Ergebnis der abenteuerlichen Aktionen der Linksradikalen, Anarchisten, Trotzkisten und anderer Gruppen deutlich sehen. Objektiv gesehen spielen sie nur der Regierung in die Hände… Der Mißkredit, in den sie die Studentenbewegung bringen, gibt nur den gewaltigen Kampagnen der reaktionären Presse und des ORTF Nahrung, die - indem sie die Aktionen dieser Gruppen mit denen der Masse der Studenten identifizieren - versuchen, die Studenten von der Masse der Bevölkerung zu isolieren…"

DIENSTAG, 7. MAI
UNEF und SNESup rufen ihre Anhänger zu einem unbefristeten Streik auf. Bevor überhaupt Diskussionen mit den Autoritäten beginnen können, bestehen sie auf der Erfüllung folgender Punkte:

  1. Einstellung aller Verfahren gegen Studenten und Arbeiter, die im Verlaufe der Demonstrationen der letzten Tage verhört, verhaftet oder schuldig gesprochen wurden.
  2. Abzug der Polizei aus dem Quartier Latin und aus allen Universitätsgebäuden
  3. Wiedereröffnung der geschlossenen Fakultäten.

In einer Erklärung, die zeigt, wie weit sie von den tiefgreifenden Motiven der studentischen Revolte entfernt waren, erklären die "gewählten kommunistischen Vertreter des Bezirks Paris" in der 'Humanité': "Der Mangel an Geld, Gebäuden, Ausstattung, Lehrern… verhindern es, daß drei von vier Studenten ihr Studium beenden können, abgesehen davon, wie viele Menschen überhaupt nie Zugang zu höherer Erziehung haben… Diese Sachlage hat berechtigterweise tiefe Unzufriedenheit unter Studenten und Lehrern hervorgerufen. Sie hat ebenso die Aktivität unverantwortlicher Gruppen begünstigt, deren Vorstellungen keine Lösung für die Probleme der Studenten darstellen können. Es ist untragbar, daß Sie Regierung aus dem Betragen einer verschwindenden Minderheit Nutzen zieht, einem Betragen, das darin besteht, das Studium zehntausender von Studenten ein paar Tage vor dem Examen zum Erliegen zu bringen…"

Die gleiche Ausgabe der 'Humanité' brachte eine Erklärung der KP-Abteilung der Lehrer an der Sorbonner Literaturfakultät: "Die kommunistischen Dozenten verlangen die Freilassung der verhafteten Studenten und die Wiedereröffnung der Sorbonne. Unserer Verantwortung bewußt betonen wir eigens, daß diese Solidarität nicht bedeutet, daß wir mit den Parolen, die von bestimmten studentischen Organisationen kommen, übereinstimmen oder diese gar unterstützen. Wir mißbilligen die unrealistischen demagogischen und antikommunistischen Parolen und die ungerechtfertigte Methode der Aktionen, wie sie von verschiedenen linken Gruppen verteidigt werden."

Am selben Tag sprach Georges Segui, der Generalsekretär der CGT, vor der Presse über das Programm des Arbeiterjugendfestivals (das vom 17. bis zum 19. Mai festgesetzt worden war, später aber abgesagt wurde): "Die Solidarität zwischen Studenten, Lehrern und der Arbeiterklasse ist für die CGT-Kämpfer eine vertraute Feststellung… Genau diese Tradition ist es, die uns zwingt, keinerlei zweifelhafte oder provokatorische Elemente zu dulden, Elemente, die sogar die Organisationen der Arbeiterklasse kritisieren…"

MITTWOCH, 8. MAI
Am Abend zuvor hat - auf einen Aufruf der UNEF hin - auf den Straßen von Paris eine große Studentendemonstration stattgefunden. Die Titelseite der 'Humanité' bringt eine Erklärung des Parteisekretariats: "Die Unzufriedenheit der Studenten ist berechtigt. Aber die Situation begünstigt abenteuerliche Aktivitäten, deren Ziel den Studenten keine Perspektive anbietet und nichts gemein hat mit einer wirklich progressiven und vorausschauenden Politik…"

In derselben Ausgabe schreibt J. M. Catala,

Generalsekretär der Union kommunistischer Studenten (UEC), daß "die Aktionen verantwortungsloser Gruppen das Establishment in seinen Zielen unterstützen… Was wir tun müssen, ist, einen größeren Haushalt für Erziehung zu fordern; dies würde größere Stipendien für die Studenten, Einstellung von mehr oder besser qualifizierten Lehrern und den Bau neuer Fakultäten erlauben… usw."

Die Union der kommunistischen Jugend in Frankreich (UJCF) und die Union der französischen Mädchen (UJFF) verteilen in einer Reihe von Schulen ein Flugblatt: L'Humanité zitiert das Flugblatt zustimmend: "Wir protestieren gegen die Polizeibrutalität, die gegenüber den Studenten entfesselt wurde. Wir fordern die Wiedereröffnung von Nanterre und der Sorbonne und die Freilassung aller Verhafteten. Wir betrachten die gaullistische Macht als den Haupt(!)verantwortlichen für diese Situation. Wir denunzieren aber ebenso das Abenteuer bestimmter verantwortungsloser Gruppen und rufen die Schüler auf, Seite an Seite mit der Arbeiterklasse und ihrer kommunistischen Partei zu kämpfen…"

MONTAG, 13.MAI
Über das Wochenende hat Pompidou nachgegeben. Aber die Gewerkschaften, die UNEF und die Lehrer haben beschlossen, an dem Aufruf zum eintägigen Generalstreik festzuhalten.

Auf der Titelseite bringt L'Humanité in riesigen Lettern den Aufruf zum eintägigen Streik, gefolgt von einer Erklärung des Politbüros: "Die Einheit der Arbeiterklasse und der Studenten bedroht das Regime… Das bringt ein riesiges Problem mit sich. Es ist unabdingbar, daß keine Provokation und keine Abweichung erlaubt sein darf, die irgendwelche Kräfte vom Kampf gegen das Regime ablenken oder der Regierung den geringfügigsten Vorwand geben könnte, die Bedeutung dieses großen Kampfes zu verdrehen. Die Kommunistische Partei verbindet sich ohne Vorbehalt mit dem gegenwärtigen Kampf der Studenten…"

MITTWOCH, 15. MAI
Die riesigen Demonstrationen vom Montag in Paris und in anderen Städten - die nebenbei gesagt verhinderten, daß am Dienstag 'L'Humanité' oder auch andere Zeitungen erschienen waren ein riesiger Erfolg. In einem bestimmten Sinn waren sie der Auslöser für die 'spontane' Streikwelle, die in ein oder zwei Tagen folgte. Auf seiner Titelseite veröffentlicht 'L'Humanité' eine Erklärung, die am Tag zuvor vom Politbüro der Partei herausgegeben worden war. Nachdem sie den Erfolg des 13. Mai ganz für sich verbucht hat, fährt die Erklärung fort: "Die Bevölkerung von Paris zog stundenlang durch die Straßen der Hauptstadt und zeigte dabei eine Macht, die jede Provokation unmöglich machte. Die Parteiorganisationen arbeiteten Tag und Nacht daran sicherzustellen, daß diese große Demonstration von Arbeitern, Lehrern und Studenten in größtmöglicher Einheit, Stärke und Disziplin stattfinden konnte… Es ist jetzt klar, daß das Establishment, konfrontiert mit den Protesten und der kollektiven Aktion aller Hauptgruppen der Bevölkerung, uns zu spalten versuchen wird, weil es so hofft, uns zu besiegen. Es wird auf alle Methoden zurückgreifen, einschließlich der der Provokation. Das Politbüro warnt Arbeiter und Studenten vor jedem abenteuerlichen Unterfangen, das unter den gegenwärtigen Umständen die breite Kampffront zerbrechen könnte, die sich gerade entfaltet, und das die gaullistische Macht mit einer unverhofften Waffe versehen könnte, mit der sie ihre ins Wanken geratene Rolle wieder konsolidieren würde…"

SAMSTAG, 18. MAI
In den letzten 48 Stunden haben sich Streiks mit Fabrikbesetzungen ausgebreitet wie Schießpulver von einer Ecke des Landes zur anderen. Das Eisenbahnsystem ist lahmgelegt, Flughäfen trogen die rote Fahne. (Offenbar waren 'Provokateure' an der Arbeit.)

L'Humanité veröffentlicht auf ihrer Titelseite eine Erklärung des Nationalkomitees der CGT: "Von Stunde zu Stunde breiten sich Streiks und Fabrikbesetzungen aus. Diese Aktion wurde von der CGT und anderen gewerkschaftlichen Organisationen initiiert (sic!) und schafft eine neue Situation von außerordentlicher Wichtigkeit… Lang angesammelte Unzufriedenheit im Volk findet darin ihren Ausdruck. Die gestellten Fragen müssen ernsthaft beantwortet und in ihrer ganzen Bedeutung zur Kenntnis genommen werden. Die Entwicklung der Lage bringt eine ganz neue Dimension des Kampfes mit sich... Während es seine Anstrengungen, den Kampf auf das erforderliche Niveau zu heben, vervielfacht, warnt das Nationalkomitee alle CGT-Kämpfer und lokalen Gruppen vor allen Versuchen von Gruppen von außerhalb, sich in die Führung des Kampfes einzuschalten und vor allen provokatorischen Akten, die den Kräften der Repression bei ihren Versuchen, die Entfaltung der Bewegung zu vereiteln, zuhilfe kommen könnten…"

Die gleiche Ausgabe der Zeitung widmete einer Warnung an die Studenten vor dem Trugschluß irgendwelcher "Studentenmacht-Parolen" eine ganze Seite, wobei man nebenbei der Bewegung des 22. März eine ganze Reihe von politischen Positionen zuschrieb, die diese niemals eingenommen hat.

MONTAG, 20.MAI
Das ganze Land ist gelähmt. Die kommunistische Partei warnt immer noch vor 'Provokateuren'. Die rechte obere Ecke der 'Humanité enthält einen Kasten: "WARNUNG. Im Gebiet von Paris sind Flugblätter verteilt worden, die zu einem aufständischen Generalstreik aufrufen. Es braucht nicht gesagt zu werden, (in der Tat nicht, M.B.), daß solche Aufrufe nicht von unseren demokratischen Gewerkschaftsorganisationen herausgegeben wurden. Sie sind das Werk von Provokateuren, die der Regierung einen Vorwand zum Einschreiten liefern wollen… Die Arbeiter müssen wachsam sein, um alle diese Manöver zu vereiteln…"

In der gleichen Ausgabe setzt Etienne Fajon vom Zentralkomitee die Warnungen fort: "Die augenblickliche Haupttätigkeit des Establishments besteht darin, die Arbeiterklasse an der Basis zu spalten und von anderen Bevölkerungsgruppen zu trennen… Unser Politbüro hat Arbeiter und Studenten von Beginn an vor abenteuerlichen Parolen gewarnt, die die breite Kampffront nur aufbrechen können. Verschiedene Provokationen sind auf diesem Wege verhindert worden. Wir müssen unsere politische Wachsamkeit in aller Klarheit behalten…"

Dieselbe Ausgabe widmete zentrale Seiten einem Interview mit Georges Seguy, dem Generalsekretär der CGT, das über das Europanetz ausgestrahlt wurde. In dieses Life-Interview konnten einige Zuhörer per Telefon direkt Fragen stellen. Die folgenden sind der Protokollierung wert: Frage: "Herr Seguy, die streikenden Arbeiter sagen überall, daß sie ganze Sache machen wollen. Was halten Sie davon? Was sind Ihre Ziele?

Antwort: Der Streik ist so machtvoll, daß die Arbeiter offenbar glauben, am Ende einer solchen Bewegung ein Maximum an Zugeständnissen zu bekommen. Das Ganze bedeutet für uns Gewerkschaftler, die Forderungen durchzukriegen, für die wir immer gekämpft haben, die aber Regierung und Unternehmer überhaupt auch nur zu erwägen sich immer geweigert haben. Sie haben unseren Verhandlungsvorschlägen, die wir wiederholt gemacht haben, eine dumpfe Unversöhnlichkeit entgegengesetzt. Das Ganze heißt allgemeine Lohnerhöhung (kein Lohn unter 600 Francs im Monat), Beschäftigungsgarantie, ein früheres Pensionsalter, Verkürzung der Arbeitszeit ohne Lohnverlust und die Verteidigung und Ausweitung gewerkschaftlicher Rechte im Betrieb. Ich bringe diese Forderungen in keine bestimmte Reihenfolge, weil wir ihnen alle die gleiche Wichtigkeit beimessen.

Frage: Wenn ich mich nicht irre, dann erklären die Statuten der CGT es zu ihren Zielen, den Kapitalismus zu überwinden und durch den Sozialismus zu ersetzen. Warum ergreift nun die C GT unter den gegenwärtigen Umständen, die Sie selbst als "außergewöhnlich" und "wichtig" bezeichnet haben, nicht die einzigartige Gelegenheit, ihre grundlegenden Ziele als Forderung aufzustellen?

Antwort: Das ist eine sehr interessante Frage. Sie gefällt mir sehr gut. Es ist richtig, daß die CGT den Arbeitern ein gewerkschaftliches Konzept bietet, das wir als das revolutionärste ansehen, insofern, als sein Endziel die Beseitigung von Ausbeuterklasse und Lohnarbeit ist. Es ist richtig, daß dies eine unserer vordersten Aussagen im Statut ist. Es bleibt auch grundsätzlich Ziel der CGT. Aber kann die gegenwärtige Bewegung dieses Ziel erreichen? Wenn es offensichtlich werden sollte, daß das möglich wäre, würden wir sofort alle Verantwortung auf uns nehmen. Es muß sich noch herausstellen, ob alle gesellschaftlichen Kräfte, die bei der gegebenen Bewegung beteiligt sind, bereit sind, so weit zu gehen.

Frage: Seit den Ereignissen der letzten Woche bin ich überall hingegangen, wo die Leute diskutieren. Diesen Nachmittag war ich im Odeontheater. Dort diskutierten Massen von Menschen. Ich kann Euch versichern, daß alle Klassen, die unter dem gegenwärtigen Regime zu leiden haben, dort vertreten waren Als ich fragte, ob die Leute meinten, daß die Bewegung weiter gehen sollte als die Minimalforderungen, die die Gewerkschaften in den letzten 10 oder 20 Jahren aufgestellt hat, brachte ich die Leute damit aus dem Häuschen. Ich denke deshalb, es wäre ein Verbrechen, die gegenwärtige Gelegenheit vorübergehen zu lassen. Es wäre ein Verbrechen, weil dies früher oder später sowieso getan werden müßte. Die Bedingungen von heute könnten es uns erlauben, dies friedlich und ruhig zu tun, und vielleicht werden sie nie wiederkehren. Ich denke, ein solcher Aufruf müßte von Euch und von den anderen politischen Organisationen erlassen werden. Diese politischen Organisationen sind natürlich nicht Eure Sache. Aber die CGT ist eine revolutionäre Organisation. Ihr müßt Eure revolutionäre Fahne rausholen. Die Arbeiter sind verwundert, Euch so ängstlich zu sehen.

Antwort: Während Sie sich im Odeon-Fieber tummelten, war ich in den Fabriken. Mitten unter den Arbeitern. Ich versichere Ihnen, daß die Antwort, die ich Ihnen gebe, die Antwort eines Führers einer großen Gewerkschaft ist, die beansprucht, ihre ganze Verantwortung auf sich genommen zu haben, die aber Wünsche nicht mit Realität verwechselt.

Eine Stimme ruft: Ich möchte gerne Herrn Seguy sprechen. Ich heiße Duvauchel. Ich bin der Direktor der Sud-Aviation-Fabrik in Nantes.

Seguy: Guten Tag, mein Herr.

Duvauchel: Guten Tag, Herr Generalsekretär. Ich möchte gerne wissen, was Sie von der Tatsache halten, daß ich in den letzten vier Tagen zusammen mit ungefähr zwanzig weiteren Mitgliedern des Verwaltungsstabes auf dem Gelände der Sud-Aviation-Fabrik in Nantes festgehalten werde.

Seguy: Hat jemand die Hand gegen Sie erhoben?

Duvauchel: Nein. Ich bin am Verlassen gehindert worden trotz der Tatsache, daß der Generalmanager der Firma angekündigt hatte, daß die Firma sich darauf vorbereitet, positive Vorschläge zu machen, sobald der freie Zugang zum Firmengelände und vor allem zu den Verwaltungsgebäuden wieder hergestellt sei.

Seguy: Haben Sie darum gebeten, die Fabrik verlassen zu dürfen?

Duvauchel: Ja.

Seguy: Die Erlaubnis wurde verweigert?

Duvauchel: Ja.

Seguy: Dann muß ich Sie auf eine Erklärung hinweisen, die ich gestern in der Pressekonferenz der CGT abgegeben habe. Ich habe festgestellt, daß ich mit solchen Aktivitäten nicht einverstanden bin. Wir sind dabei, die notwendigen Schritte zu unternehmen, um zu gewährleisten, daß sich so etwas nicht wiederholt.

Aber genug davon. Die Revolution selbst wird sicherlich von den Stalinisten noch als Provokation denunziert werden. In einem Epilog ist es der Erinnerung wert, daß auf einer überfüllten Versammlung von revolutionären Studenten, die am Donnerstag, dem 9. Mai in der 'Mutualité' abgehalten wurde, ein Sprecher der trotzkistischen Organisation Internationale Kommunisten sich nichts besseres einfallen lassen konnte, als die Versammlung dazu aufzurufen, eine Resolution zu verabschieden, in der Seguy aufgefordert werden sollte, den Generalstreik auszurufen.