4. November 1968
»Die Schlacht am Tegeler Weg«

Texte & Fotos


tweg.jpg (7715 Byte) Bommi Baumann: Da waren auch Rocker dabei gewesen, die gingen zum Teil in meine Klasse, die kannte ich alle aus dem Märkischen Viertel, diese Leute, die Rocker waren quasi so ehemalige Schulfreunde von mir, die waren auch oft in der Wieland zu der Zeit.
(aus: Wie alles anfing, S.48)
Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke beteiligt sich Rechtsanwalt Horst Mahler an der Demonstration gegen den Springer-Konzern. Am darauffolgenden Tag wird er in der BILD-Zeitung beschuldigt, sie angeführt zu haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt ein Berufsverbot für Horst Mahler. Der Antrag wird vom Berliner Landgericht am Tegeler Weg abgelehnt.

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Horst Mahler 1968
Ca. 1000 DemonstratenInnen treffen sich während der Verhandlung am 4.11.1968 hinter dem Landgericht in einer Seitenstraße und versuchen zum Tegeler Weg durchzubrechen. Es ist eine Mischung aus Studentinnen, Jungarbeiterinnen, Jugendlichen und Rockern, was die BILD-Zeitung in ihrer darauffolgenden Ausgabe wie folgt kommentiert: »Uber 300 Festnahmen - überraschend: nur jeder 3. war Student!« In einer bis dato nicht gekannten organisierten Militanz gehen die Demonstrantinnen gegen die Einsatzkräfte vor. Es ist die letzte Demonstration, bei der Einsatzkräfte noch die alten Tschakos tragen. Danach wird in Berlin eine neue Polizei-Einsatzgruppe mit Helmen eingesetzt. Nach der Schlacht am Tegeler Weg gibt es vor allem innerhalb des SDS heftige Diskussionen über Gewalt und Gesellschaftsveränderung.
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Kommentar des Berliner EXTRA-Dienstes (SED-nahe) vom 6.November 1968

AN EINER WICHTIGEN MARKIERUNG

SDS-Genosse Christian Semler erklärte am letzten Freitag vor 1000 Versammelten in der TU den individuellen Terrorismus" zum legitimen Bestandteil einer neuen Strategie und Taktik der Außerparlamentarischen Opposition. Daß er weiterhin meinte, die Rolle der "Neurotiker" (so Semler) in der APO müsse selbstkritisch durchdacht und besser als bisher gewürdigt werden, kann dabei zunächst vernachlässigt werden. Uns stellt sich insbesondere nach den Ereignissen am Tegeler Weg die Frage: Wir halten wir es mit dem individuellen Terror - eine Problematik, die zumindest die marxistisch Orientierten unter uns nicht mehr erwartet hatten. Vermutlich werden wir unsere eigenen Erfahrungen nachvollziehen müssen, wir werden auch die theoretische Auseinandersetzung hierüber neu zu führen haben.

Es liegt auf der Hand, daß die Antworten weder so leicht zu geben sind, wie es unsere Neo-Narodnikis tun, noch kann das Problem mit dem Hinweis auf Lenins Vorarbeit vom Tisch gewischt werden. Politisch aber ist relevant, daß die Einheit von einigen tausend Linken in dieser Stadt nicht gewahrt bleiben wird, bis die Genossen um Christian Semler ihre jüngsten Erfahrungen vollständig gemacht haben. Auch dieser Informationsdienst, der nicht politisches oder gar theoretisches Leitorgan der APO sein kann und sein will, wird mit einem Diskussionsbeitrag nicht so lange mehr zögern können. Die Redaktion will sich diesen Beitrag aber nicht leicht machen: Sie wünscrf^ sich daher zunächst einmal vom Genossen Semler, daß er - wo auch immer - eine theoretische, nachlesbare Begründung seiner Terrorismus-These zu Papier bringt. Unter diesem Aspekt - und weil der seriöse Teil der Presse weitgehend zutreffend berichtet hat - verzichten wir auf eine eigene Darstellung der letzten Ereignisse. Uns erschien die Fotodokumentation von Michael Ruetz (Seite l) ausreichend. seml68.jpg (4527 Byte)
Christian Semler 1968
ghand.gif (305 Byte)Hinweis: In den folgenden Wochen kam es zu weiteren vehementen Diskussion über die Frage von Gewalt und Politik, Klassenkampf und Überwindung von (klein-)bürgerlicher Identität, Organisierung an der Basis oder in traditionellen Organisationen usw.