68er Subkultur Eine linke Kneipe in
proletarischem Milieu: HIPETUK
Aufruf zur Boykottierung pseudolinker KneipenAus: 883, Nr. 26 v. 7.9.1969
Eine linke Kneipe in proletarischem Milieu: HIPETUK
Mitten in Neukölln, in der Nähe des ehemals roten Rollbergviertels, machte am vorigen Sonnabend in der Kienitzerstr. 100 eine neue Kneipe auf. Mit 24.000 DM Einsatz entstand das Hipetuk, mit sozialistischen Plakaten an den Wänden und der Ankündigung, daß 10% des Umsatzes an das SOZIALISTISCHE ZENTRUM abgezweigt würden. Falk, mit 10.000 DM an der Kneipe beteiligt, macht dort den Boss. Seine beiden Geschäftspartner besitzen außerdem noch die ROTE RITZE und GALERIE NEUTRAL in Kreuzberg, sowie Doktor Knock in Steglitz.
Sonnabend floß das Einstandsfrei-Bier. Neuköllner Bürger, ein NPD-Grüppchen, Jungarbeiter, APO-Genossen und einzelne Altgenossen pichelten miteinander. Der Laden war knackevoll. Man geriet öfter aneinander. Die Polizei ließ sich gleich mehrmals sehen. Nach Mitternacht telefonierte Falk beim Silk Hat in der Schlüterstr um Hilfe: "Rocker wollten das Lokal auseinandernehmen!" Großes Geschrei, im Silk Hat. In aller Eile wurden drei Autos mobilisiert und das Lokal Herta alarmiert. Eilfahrt nach Neukölln. Der laden ruhig, ziemlich leer. Junge Burschen standen vor der Kneipe nebenan oder an der Strasßenecke. Kurze Zeit später kam es zum Knall. Gut ein Dutzend Jungarbeiter versuchten ins HIPETUK einzudringen. Wütende Debatten an der Tür, einzelne Prügeleien. Ein Schweizer Genosse, der etwas bereits vor dem Lokal stand, wurde angegriffen, geschlagen, gehetzt.
Er rettete sich mit Mühe in ein Polizeirevier. Die Bullen streunten im Funkwagen umher, griffen einzelne militante Jugendliche und schlugen sie zusammen. Kommentar eines Polizisten: "Mit denen werden wir ohne Verstärkung nicht fertig". Drei Funkwagen erschienen vor dem Hipetuk. Das war das Signal zur allgemeinen Verbrüderung. Die jungen Arbeiter aus Neukölln und die APOs zogen sich ins Lokal zurück und begannen im besten Einvernehmen zu saufen. Viele Genossen argumentierten den Jungarbeitern gegenüber so: "Eben habt ihr uns angegriffen. Ihr habt gesagt, was wir machen ist Scheiße. Wie wir reden, könnt ihr uns nicht verstehen. Als die Bullen kamen, zeigte sich, daß wir eigentlich gar nichts gegeneinander haben. Beide Gruppen, Linke wie Rocker sind aggressiv, weil ihr wie wir beschissen werdet, von den Chefs, durch den Druck der Verhältnisse usw. Unsere Aggressionen haben sich gestern am Freitag gegen die Polizei als Büttel der Politik des Senats, als Büttel der Herrschenden gerichtet. Warum kämpft ihr nicht mit uns? Wir sind in der gleichen Lage".
Am Tage darauf war die Lage im Hipetuk ruhig. Die Kneipe war voll. Viele fragten nach Flugblättern, linken Zeitungen und Plakaten. Es scheint, als gäbe es mit dieser ersten linken Kneipe in einem Arbeiterbezirk von Westberlin, obwohl sie nicht APO-Leuten gehört, einen Vorposten unserer Sache, der vielleicht lebendiger und wirksamer funktioniert als eine Basisgruppe.
Aufruf zur Boykottierung pseudolinker Kneipen
Es gibt in Berlin leider noch immer eine Reihe von Kneipen, die mit den Methoden von vorgestern versuchen, den oder uns Linken das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Es gibt in Kreuzberg eine ältliche Frau, bekannt unter dem Namen "Künstlermutter" oder auch "Faschisten-Herta", bürgerlich: Herta Fiedler, die vor etwa 14 Tagen am Savignyplatz ihr drittes Lokal, "Zwiebelfisch", verpachten konnte, Ein paar Bilder an die Wand geknallt, die Einrichtung etwas gemütlichler,(nicht vergammeln), ein bischen Prominenz (Schamoni, Annemarie Weber, Fotografen, Redakteure usw.) und die Sache läuft.
Man geht hin, verzehrt, zahlt entsprechende Preise (Wein 2,50 DM; Korn einfach -,90 DM; Glas Tee -1,- DM).
Ich habe etwa 14- Tage in diesem Scheißladen "Zwiebelfisch" als Kellnerin geackert. Die Inhaber (Pächter) Dieter Stollenwerk und Heike Adler stellten mich ein, mit Steuerkarte und allem. Ich schleppte also Biere und roch plötzlich den widerlichen Gestank durch Geld autoritär gewordener Leute. Dieter Stollenwerk war stets darauf bedacht, den Unterschied zwischen Boß und Personal klarzustellen. ("Ich möchte nicht, daß das Personal hinter meinem Rücken in der Küche rumfrißt").
Dieser Typ, der seinen seinen Verlag vergrößern will und deshalb schnell viel Geld braucht, ist tatsächlich leicht übergeschnappt. Am 1.8. kam der Knalleffekt! Um 24 Uhr nahm ich mir eine Stunde frei, weil ich hörte, daß einige Freunde von mir bei der Demonstration verhaftet seien, um zum Kudamm zu gehen und zu sehen, was noch zu machen sei. Ich beschaffte eine Aushilfe für 1 oder 2 Stunden und ging mit Erlaubnis des Wirts, der in Anwesenheit einiger Genossen, von denen er sein Geld bezieht, nicht NEIN sagen konnte.
Ich kam nach etwa 1 1/2Std.zurück, die Vertretung hatte den Ansturm von Gästen wohl nicht mehr ganz bewältigen können, wodurch den Kneipiers vielleicht 50,-DM durch die Lappen gingen. Ich wurde zunächst angemotzt, weil ich mir erlaubt habe, kurz zur Demonstration zugehen (die Genossen waren inzwischen abgehauen), und flog am nächsten Tag raus! Obwohl er mich gebeten hatte, wie immer zur gleichen Zeit zur Arbeit zu kommen. Die Begründung: "Das ist doch keine Art, wenn Du irgendwie arbeitest, kannst Du nicht einfach zwischendurch verschwinden, ich hatte dadurch einen ungeheueren Geldverlust".
Leute, der "Zwiebelfisch" und andere Kneipen stinken ganz gewaltig. Es tut mir wirklich leid, daß ich erst jetzt den Gestank so intensiv in die Nase gekriegt habe. Laßt euch nicht länger von diesen Arschlöchern ausnehmen. Die Kneipe befindet sich am Savignypiatz und heißt, nochmals "Zwiebelfisch".
Heidi Rühlmann