DIE NEUE FUNKTION VON KOMMUNEN
FÜR DIE SOZIALISTISCHE ORGANISATIONaus: Kommune 2.
Der Versuch der Revolutionierung des bürgerlichen Individuums.
Kollektives Leben mit politischer Arbeit verbinden!
Westberlin 1969
S.297ff
Die Geschichte einer Kommune, die wir in den vorigen Kapiteln zu beschreiben versucht haben, ist natürlich reich an biographischen Zufälligkeiten. Sie ist in dieser spezifischen Form geprägt durch die je besonderen Charaktereigenschaften der beteiligten Individuen, durch die besondere Gruppenstruktur, die das Zusammenleben eben dieser Menschen ergab. Zugleich aber möchten wir daran festhalten, daß die Entstehung der Kommune 2, ihre Entwicklung und ihre Auflösung auch bestimmt waren von den allgemeinen Bedingungen, unter denen die neue sozialistische Bewegung sich zu entfalten beginnt. Insofern will dieses Buch mehr sein als eine Gruppen-Biographie. Die verallgemeinernden Schlußfolgerungen darüber, unter welchen Bedingungen eine Kommune sinnvoll funktionieren kann, nehmen die unsystematisierten Erfahrungen anderer Wohnkollektive in Westberlin mit auf. Sie bestätigen - so meinen wir - die wesentlichen Lernprozesse und Konsequenzen unserer eigenen Kommune-Geschichte.
Um die objektiven Bedingungen dieser Geschichte herauszuarbeiten, müssen wir uns noch einmal an deren Anfang versetzen.
Die Urkommune hatte an sich selbst einen totalen Anspruch gestellt: sie wollte ihre Mitglieder radikal verändern, uni beizutragen zur radikalen Veränderung aller unterdrückenden Gesellschaftsverhältnisse. Der Utopie aber, die in den "Köpfen der Studenten zuerst sich wieder entzündet hatte an den Befreiungskämpfen der Völker in anderen Kontinenten, fehlte in den damaligen politischen Verhältnissen Westdeutschlands der Leib. Es gab keine kämpfende Klasse, keine deutlich vorgeschriebene Theorie und Praxis der Befreiung, an der die Utopie sich hätte orientieren können. Wir haben im II. Kapitel beschrieben, wie die Versuche fehlschlugen, politisch verbindlich arbeitende Gruppen zu bilden.
Was die Kommune-Gruppe zusammenbrachte, war demgegenüber einzig ihr abstrakter Anspruch auf Verbindlichkeit - eine Verbindlichkeit, die zunächst inhaltlich nicht anders bestimmt werden konnte als in der Forderung, die ganze Existenz für die gesellschaftliche Veränderung einsetzen zu sollen. Die zufällige Zusammensetzung der Kommune hatte darin ihren notwendigen Grund. Weil es keine langfristig organisierten politischen Gruppen gab, fanden sich nicht genug Menschen, deren Interessen durch eine gemeinsame Arbeit so weit vorstrukturiert waren, daß auf dieser Basis ein Wohnkollektiv hätte gebildet werden können. Diejenigen, die bereit waren, sich auf das Experiment Kommune einzulassen, kamen aus den heterogensten Interessen und Motiven zusammen.
Die Idee, persönliche und politische Schwierigkeiten in Wohnkollektiven lösen zu wollen, entsprang der allgemeinen Problematik der antiautoritären Rebellion. Das Fehlen einer kämpfenden Klasse verstrickte die aus dem kleinen und mittleren Bürgertum stammenden, vorwiegend studentischen Rebellen in einen chaotischen Konflikt mit sich selbst. Sie wollten sich nicht mehr mit der eigenen bürgerlichen Herkunft identifizieren, sie konnten sich andererseits nicht mit einem revolutionären Subjekt identifizieren. (Die Identifikation mit den Befreiungsbewegungen konnte realerweise nur den Akt der erfolgreichen Auflehnung betreffen, nicht die dort kämpfenden Menschen und deren Methoden des Kampfes.)
Die klassenspezifische Form der Unterdrückung, der die bürgerlichen Studenten unterliegen, ist weniger als die der Arbeiter durch ökonomische Zwänge bestimmt. Sie wirkt viel stärker als verinnerlichte gesellschaftliche Norm, als psychischer Zwang. Wir müssen an diesen Sachverhalt erinnern, um zu erklären, warum psychologische Momente in der antiautoritären Rebellion eine so bedeutende Rolle spielten. (Um die allzu generalisierende Bemerkung wenigstens etwas zu differenzieren, ist darauf hinzuweisen, daß der Kern der antiautoritären Bewegung bis etwa 1969 gebildet wurde von Studenten der geisteswissenschaftlichen Fächer. Der relativ geringe Druck ihrer Studienanforderungen erlaubte ihnen leichter als den Studenten anderer Fächer, gesellschaftliche Verhältnisse kritisch-analytisch zu durchdringen und sich dagegen aufzulehnen. Gleichzeitig behielt ihre Auflehnung aber auch immer eine Spur von Luxus und Zufälligkeit. Sie war weniger durch die objektiven Bedingungen der täglichen Praxis im Studium und der des zukünftigen Bemfs bestimmt. Der Zusammenhang der Rebellion konstituierte sich vor allem durch ein allgemeines Bewußtsein von der Totalität der Unterdrückung. Die scheinbare Zufälligkeit der Anlässe zur Aktion, heute Vietnam, morgen Springer, übermorgen ein bornierter Verwaltungsakt der Universitätsbürokratie, mußte den Arbeitern stets besonders unverständlich erscheinen, deren Unterdrückung und die Auflehnung dagegen durch das Kontinuum der täglichen Plackerei und Entmenschlichung in der Produktion gegeben ist. Je mehr die Bewegung sich orientiert auf die Arbeiterklasse, desto mehr rücken die Studenten der Fachrichtungen ins Zentrum des Hochschulkampfes, die fiir die Produktion und Reproduktion des Kapitals 'von entscheidenderer Bedeutung sind als die relativ luxurierenden Geisteswissenschaftler: Naturwissenschaftler, Ingenieurstudenten, Lehrer. Damit verstärkt sich aber auch der Zwang für die sozialistischen Studenten, ihrer politischen Praxis eine an den jeweiligen Berufserwartungen orientierte Perspektive und damit Kontinuität zu geben.)
Der antiautoritäre Aufstand der bürgerlichen Individuen ist immer auch ein Aufstand gegen sich selbst, gegen jenen Teil der bürgerlichen Vergangenheit, den man als verinnerlichte Norm, als Lebensgewohnheit, als falsche Individualität mit sich trägt. Die Rebellion gegen die Repräsentanten der Väter fuhrt zu einer tiefen Identitätskrise, einer psychischen Belastung, die das Individuum für längere Zeit nur aushalten kann, wenn es sich in diesem Kampf gegen sich selbst der Hilfe einer positiven Identifikation mit einer revolutionären Bewegung versichern kann. Für die meisten Schüler und Studenten war in den Jahren 1966-68 antiautoritäre Rebellion immer nur als kurzfristige Auflehnung möglich, nach der sie zunächst wieder in das bürgerliche Milieu zurückkehren mußten, um die psychische Spannung erträglicn halten zu können. Nur wenige konnten die Kraft aufbringen, politische Aktion und methodische Arbeit an der eigenen Veränderung miteinander zu verbinden.
Wo der Anspruch auf totale Veränderung proklamiert wurde, entstand eine Tendenz zur Betonung der subjektiven Seite dieser Veränderung, der Spontaneität, der "privaten" Probleme. In den zwei ersten Westberliner Kommunen als der organisatorischen Konsequenz dieses Anspruchs sollte radikal mit der bürgerlichen Vergangenheit gebrochen werden. In der Tat leisteten sie einen erheblichen Beitrag dazu, bisher selbstverständliche Gewohnheiten in Frage zu stellen. Die psychischen Konflikte, die dabei entstanden, konnten jedoch damals nicht durch Identifikation mit einer kämpfenden Bewegung objektiviert und in einer gemeinsamen politischen Arbeit aufgehoben werden. Das verleitete zu einer Interpretationsweise, in der etwa Arbeitsschwierigkeiten wesentlich auf die besondere Konstellation der individuellen bürgerlichen Geschichte zurückgeführt wurden. Wollte man nicht vor ihnen kapitulieren, konnte man sie nur individuell, d.h. in bürgerlicher Weise therapeutisch behandeln. Eine politisch gefährliche Form hat diese subjektivistische Überspitzung des Leidens an den bestehenden Verhältnissen zeitweise dann angenommen, wenn die politische Aktion nur noch unter dem Aspekt der Bewältigung individueller Schwierigkeiten diskutiert wurde ("bei einer Aktion, die mir keinen Spaß macht, mache-ich nicht mit"). Wo dagegen, wie im allgemeinen in unserer Kommune, die Kategorien der politischen Diskussion von den subjektiven engsten, Neurosen und Frustrationen richtig getrennt wurden, drängten die letzteren zu einer Anwendung individualanalytischer Verfahren. Gerade aus der Konsequenz, mit der wir in unserer Form der Analyse diesen antiautoritären Versuch revolutionärer Veränderung auf die Spitze getrieben haben, haben wir praktisch begriffen, was uns vorher nur theoretisch plausibel war: Psychoanalytische Methoden (vorausgesetzt, ihre Technik wird richtig erlernt und angewendet) sind hilfreich, um schlimme psychische Stömngen zu beheben. Ihre Kenntnis kann dazu beitragen, unsere eigenen Reaktionen und Verhaltensweisen besser verstehen zu lernen. Aber:
Unsere bürgerliche Struktur, unser Individualismus können entscheidend nur in einer politischen Praxis überwunden werden, deren Richtung und Methoden bestimmt sein müssen von dem Ziel, die Rekonstruktion einer revolutionären Arbeiterklasse zu befördern.
Die neue Qualität politischer Arbeit
Die Auflösung der Kommune 2 fiel in eine Zeit, in der die strukturlose APO sich zu fraktionieren begann. In der Kampagne zum l. Mai 1968 unternahmen sozialistische Gruppen innerhalb der APO zum erstenmal den Versuch, langfristig Probleme der Lohnabhängigen aufzunehmen. Das Entstehen verbindlich arbeitender Gruppen erlaubte uns ausein-anderzugehen, ohne den Ansprach nach methodischer Verändemng der eigenen Existenz aufgeben zu müssen. Was heißt "verbindlich arbeitende Gruppen"? Es sind die dezentralisiert seit Ostern 1968 entstandenen Organisationskeime der Betriebsbasisgruppen, der Kinderladen, Sozialarbeiter und derjenigen Universitätsgruppen, deren politisches Arbeitsfeld außerhalb der Universitäten liegt. In ihnen haben sich im Verlauf der gemeinsamen Arbeit Tendenzen herausgeschält, die bisher persönlichen Bedürfnisse der einzelnen Genossen wenigstens teilweise gemeinsam zu diskutieren. Es war daher kein Zufall, daß unser Kommune-Kollektiv im Frühsommer 1968 erstmals gemeinsam nach außen zu arbeiten begann. Wir waren alle fünf beteiligt am Aufbau eines der ersten antiautoritären Kinderläden in Westberlin. Wenn dort über Kindererziehung diskutiert wurde, mußten notwendig Probleme der Eltern mitbesprochen werden. Der Arbeit wohnte wegen des starken Eigeninteresses ein Zwang zur Kontinuität und zur bisher vermißten Verbindlichkeit inne. Diese neue Qualität der politischen Arbeit hat sicher dazu beige tragen, daß wir uns als Wohnkollektiv auflösen konnten, um in jeweils besserer, d.h. den individuellen Interessen angemessener Weise neue Kommunen zu bilden.
Noch eindeutiger erscheint die tendenziell andere Struktur der entstehenden sozialistischen Kollektive am Beispiel einer Basisgruppe, die daran arbeitet, in Großbetrieben Betriebsgruppen aufzubauen. Die Probleme der Arbeiter in der Basisgmppe können von vornherein nicht als bloß individuelle interpretiert werden. Mit einer alleinstehenden Arbeiterin, die ihre zwei Kinder nicht in einem staatlichen Kindergarten unterbringen kann, kann die Basisgruppe sinnvoll diskutieren, ob man nicht einen Kinderiaden für Arbeiterkinder einrichten soll. Die Einrichtung eines solchen Kinderladens läßt sich wieder benutzen zur weiteren Agitation in den Betrieben und zur Ausweitung der Betriebsgruppen. Das Problem der Arbeiterin wird in diesem Fall richtig als praktisch anzugreifendes Problem ihrer Klassenlage und damit aller anderen Arbeiterinnen in gleicher Lage aufgefaßt. Ein Genösse, dem gekündigt wurde, wird in der Basisgruppe zur Diskussion stellen, in welchem Betrieb er künftig arbeiten sollte, um eine Ausdehnung der Betriebskontakte zu fördern.
Was bedeutet aber kollektive Arbeit in der Basisgruppe für die bisher weitgehend individuellen Probleme der beteiligten Studenten? Dazu müssen wir den Charakter dieser Gruppen näher untersuchen.
l. Die Basisgruppe defmiert sich von ihrer Zielsetzung her, die aus der theoretischen Einsicht von der Bedeutung der Arbeiterklasse für den revolutionären Kampf gewonnen wurde.
2. Wenn die Studenten in der Basisgruppe erfolgreich arbeiten wollen, müssen sie wenigstens zum Teil die Bedingungen übernehmen, die den Kampf der Arbeiter bestimmen: Kontinuität der politischen Arbeit und Einschränkung der rein individuellen Spontaneität. (Ob morgens um 6 Uhr vor dem Fabriktor Flugblätter verteilt werden oder ob eine Betriebszeitung regelmäßig erscheint, kann nicht abhängig gemacht werden von der eigenen Lust oder Unlust dazu.)
3. Ob die Studenten in der Lage sind, diese disziplinierenden Bedingungen zu akzeptieren und ihre psychischen Probleme zu relativieren, hängt zusammen mit der Funktion, die die kontinuierlich arbeitende Basisgruppe für das bürgerlich strukturierte Individuum hat. In der Identitätskrise des Intellektuellen, der mit seiner bürgerlichen Vergangenheit brechen muß, um die Eigenschaften (Solidarität, kollektives Bewußtsein) zu erwerben, die zum Kampf für den Kommunismus befähigen, bietet sie ihm das kollektive Identifikationsobjekt, mit dessen Hilfe der Autoritätskonflikt in einer tendenziell nicht mehr bürgerlichen Weise ausgetragen werden kann.
Die bürgerliche "Lösung" des Konflikts der Rebellion gegen die personifizierten Autoritäten (als Stellvertreter der verinnerlichten Vater- und Mutterfiguren) war die, sich letztlich mit der Autorität zu identifizieren, indem man sich selbst zur Autorität machte (als Ehemann, Familienvater, Vorgesetzter). Wir haben gesehen, daß dieser Prozeß der Wiederkehr der Autoritäten sich regelmäßig noch in den rein theoretisch arbeitenden Gruppen der linken Studenten wiederholte, in denen theoretische Kenntnisse als Herrschaftswissen eingesetzt wurden. Das Neue in den Gruppen, die sich mit der Arbeiterklasse verbinden, ist, daß von ihrer Praxis ein Zwang ausgeht, die hierarchische Struktur und die nicht stets aufs neue legitimierte Autorität von Einzelpersonen infrage zu stellen. Dieser Prozeß des Abbaus hierarchischer Strukturen in der linken Bewegung wird von einem Bewußtsein her eingeleitet, das verstanden hat, daß Elemente des Kommunismus bereits vor und als Bedingung der Machtergreifung des Proletariats etabliert werden müssen. Wir begreifen Kommunismus mit Marx und Engels vor ihrer späteren Konstruktion einer Zwei-Phasen-Theorie der kommunistischen Revolution (vgl. Karl Korsch, 10 Thesen über Marxismus heute,-in: alternative Nr. 41, Berlin 1965) nicht als einen "Zustand, der hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit sich zu richten haben (wird). Wir nennen Kommunismus die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt." (Die deutsche Ideologie, Marx-Engels-Ausgabe Bd. 3) Die Elemente der zukünftigen Gesellschaft in Freiheit zu setzen heißt, alle Ansätze zu kollektiven Lebensformen und zur Solidarität bewußt zu fördern, jedes individualistische Denken und Handeln energisch zu bekämpfen. Als Regeln dieser Erziehung zur Kollektivität wären beispielsweise zu nennen: Die sozialistischen Organisationen müssen darauf hin wirken, daß nicht mehr Einzelne als ständige Sprecher der linken Bewegung auftreten. Ein sogenannter Studentenführer wie Cohn-Bendit ist nichts anderes als die Reproduktion des bourgeoisen Helden, der die bürgerliche Führer-Ideologie in den Köpfen der Lohnabhängigen befestigt. Die theoretische Produktion ist in erster Linie von Kollektiven, nicht von einzelnen "Chefideologen" zu leisten, um den literarischen Besitzindividualismus abzubauen. Gerade die temporären Führer hätten sich der Mühe zu unterziehen, kleinere Aufgaben (wie etwa Streikposten stehen) zu übernehmen. Zugleich müssen die theoretisch fortgeschrittenen Genossen gezwungen werden, den Hauptanteil ihrer Arbeitskraft auf die Schulung zu verwenden, um ihr theoretisches Wissen zu kollektivieren. Dadurch wird einerseits die Verwendung theoretischen Wissens als individuelles Herrschaftsinstrument verhindert und andererseits die entscheidende Voraussetzung für eine wirkliche Selbsttätigkeit der Massen geschaffen.
Wenn wir in dieser Weise darauf hinwirken, die Arbeitsteilung in der linken Bewegung tendenziell aufzuheben, bleiben wir nicht in einem bloß utopischen Egalitäts-Wunsch befangen. Das Kriterium, an dem der erfolgreiche Abbau hierarchischer Strukturen sich mißt, ist für eine mit der Arbeiterklasse verbundene Organisation die Praxis. Von ihrem Ziel her. Selbsttätigkeit der Arbeiter zu initiieren, ließe sich rational feststellen, ob die Gruppe diesem Ziel näher kommt. Zum Beispiel kann eine Basisgruppe nach einigermaßen gesicherten Kriterien feststellen, ob in einer Betriebsgruppe, die zunächst von den mitarbeitenden Studenten dominiert wurde, die Arbeiter allmählich selbständig Konflikte aufzugreifen und strategisch zu diskutieren beginnen. Wenn etwa festgestellt wird, daß nach einem halben Jahr Arbeit eine Betriebszeitung immer noch hauptsächlich von Studenten geschrieben wird,während die Arbeiter im wesentlichen nur Informanten sind, läßt sich sagen, daß das Ziel, die Ausbildung der Arbeiter zu Kadern, nicht erreicht wurde. Es wäre dann zu diskutieren, mit welchen Methoden der Schulung die Arbeiter sich instand setzen könnten, die Studenten als politisch dominierende Faktoren der Gruppe allmählich zu ersetzen, d.h. die hierarchische Struktur der Gruppe zu verändern.
Auf die in diesem Buch zentrale Frage - wie können antiautoritäre Individuen aus dem Bürgertum ihre bürgerliche Vergangenheit überwinden - haben wir versucht, eine vorläufige Antwort zu geben:
das Individuum muß sich mit der Klasse verbinden, deren Stellung im Produktionsprozeß sie nach wie vor zum Subjekt der Revolution designiert. Die Basisgruppe ist eine mögliche organisatorische Form dieser Verbindung. In Westberlin entwickeln sich andere Formen der Zusammenarbeit zwischen Studenten und Arbeiterschaft, etwa in dem begonnenen Projekt medizinischer Beratungsstellen für Arbeiter oder in der Umstrukturierung antiautoritärer Kinderläden zu proletarischen. Es ist zu diskutieren, ob zu einer entscheidenden Veränderung des bürgerlichen Bewußtseins der Studenten es nicht notwendig wäre, daß sie selbst für längere Zeit in der Produktion arbeiten, wo immer das möglich ist. Zur Zeit zeigen sich die beschriebenen Tendenzen in den Betriebsbasisgruppen am deutlichsten. Aufgrund ihrer Erfahrungen können wir zunächst auch allein den Versuch machen, die psychischen Vorgänge des Abbaus personaler Autorität zu umreißen.
Die Angst bei der individuellen Auflehnung gegen Unterdrückung entspringt der realen Ohnmacht des Individuums gegenüber den gesellschaftlichen Herrschaftsinstitutionen. Sie hat ihre Wurzeln in der Ohnmacht des Kindes, das seine Auflehnung gegen die erwachsenen Autoritätspersonen mit Schuld- und Strafangst büßen muß. In der kollektiven Aktion wird diese 'Angst partiell durchbrochen. Für das bürgerlich strukturierte Individuum verringert sich damit der Zwang, mit der Angst vor den Folgen der Rebellion fertigzuwerden, indem es sich selbst im Bereich der Gmppe zur Autorität macht. Es braucht dem Zug zur Egalisierung nicht ein derartiges Maß an affektivem Widerstand entgegenzusetzen, wie er in nicht kollektiv handelnden Organisationen zu beobachten ist. Es ist leicht einsehbar, daß eine bürokratische Organisation, die auf der Teilung zwischen Leitung und Ausführung und auf der Unter- und Überordnung ihrer Mitglieder beruht, einer Tendenz zum Entstehen kommunistischen Bewußtseins von der psychischen Bewältigungsform ihrer Angehörigen her Widerstand entgegensetzt. Die revolutionäre Organisation, die wir aufbauen müssen, wird wesentlich daran zu messen sein, inwieweit sie die Anstrengungen zur Zerschlagung bürgerlichen Bewußtseins durch ihre Form begünstigt oder hindert. Als eine ihrer Hauptbedingungen wäre festzuhalten, daß die temporären Führer und Delegierten in zentralere Gremien gezwungen wären, immer wieder in die praktische Arbeit an der Basis zurückzukehren. Durch diesen Abbau der Führerposition wird innerhalb der Organisation die dem bürgerlichen Individuum innewohnende Tendenz zur personalen Identifikation unterbunden.^Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Gegensatz der kollektiven Identifikationsform zur bürgerlichen und zu der des antiautoritären Rebellen:
1. Angesichts der Gewalt der gesellschaftlichen Institutionen hat das bürgerliche Individuum keine andere Wahl, sich in seiner Identität zu behaupten, als sich mit dieser Gewalt zu identifizieren. Je schwächer das Ich ist, desto mehr klammert sich das Individuum an die kollektiven Mächte wie Staat, Nation, Rasse, deren Vertreter psychisch als überhöhte Vater- und Muttergestalten erlebt werden. Die materiellen Bedingungen der bürgerlichen Mittelklassen (Konkurrenz der Kleineigentümer, Wettlauf um die Aufstiegspositionen bei Beamten und Angestellten) erschweren diesen die Ausbildung kollektiver Identifikationsfonnen. Das bürgerliche Individuum ist eher geneigt, sich personal mit Vorgesetzten und Führern zu identifizieren als mit den Menschen gleicher Klassenlage. Gegenüber Schwächeren (Kindern, Untergebenen) wird das bürgerliche Individuum zum Agenten der Herrschaft, in dem es selbst zur Autorität wird.
2. In der antiautoritären Rebellion richtete sich der Protest scheinbar gegen jede Form der Autorität. Aber für die meisten Studenten und Oberschüler behielt die Rebellion wesentliche Merkmale der infantilen Auflehnung gegen die Eltern. Im Akt der Auflehnung fühlte man sich zugehörig zum "antiautoritären Lager", aber die mangelnde Klarheit der Ziele und die organisatorische Un-Struktur verlieh der Identifikation nach wie vor personalen und nicht kollektiven Charakter. Die Rebellen blieben weitgehend abhängig von Führerfiguren, als deren Exponent Rudi Dutschke steht. Diese personale Identifikation hat ihre Berechtigung. In einer Übergangsphase, in der sich kollektive Autorität als Einheit der Theorie und Verbindlichkeit der Organisation noch nicht auf einer Massenbasis entwickelt hat, kann die Identifikation mit einer Idealfigur als psychische Stütze für das rebellierende Individuum unumgänglich sein (Mao erfüllte für die chinesischen Rotgardisten diese ichstützende Funktion, in dem sie sich in ihrem kulturrevolutionären Kampf gegen die bürokratisierten Funktionäre auf die Autorität seiner Lehre berufen konnten.)
3. In einem an der Basis arbeitenden Kollektiv ist der Abbau personaler Autorität durch seine Praxis bestimmt. Die Identifikation mit der Autorität des gesamten Kollektivs erfolgt tendenziell nicht mehr in erster Linie über einzelne Personen, sondern durch die Gleichheit des Handelns in gemeinsamen Aktionen. Je mehr die Binnenherrschaft der Organisation abgebaut wird, desto effektiver werden die individuellen Lernprozesse. Damit steigt die subjektive Befriedigung, die wiederum die Identifikation mit dem Kollektiv befördert. Der größere Lustgewinn in der gemeinsamen Arbeit ermöglicht, wenn er kontinuierlich erfahren wird, individuelle Veränderungsprozesse. Sie führen zu eine Stärkung der Ich-Funktionen, die gerade die psychische Voraussetzung dafür ist, daß die Identifikation nicht auf das unmittelbare Kollektiv beschränkt bleibt, sondern auf die gesamte kämpfende Klasse ausgedehnt werden kann.
Wir meinen nun, daß diese indivuduellen Veränderungsprozesse selbst bewußt gemacht werden müssen, um den Kampf zur Überwindung der bürgerlichen Strukturen gezielt führen zu können. Dazu genügt die politische Organisation alleine nicht. Der Kampf gegen die bürgerliche Ideologie muß ständig ausgefochten werden und alle gesellschaftlichen Bereiche umfassen. Wenden wir den Begriff der Kulturrevolution konkret auf unsere Fragestellung an, so heißt das, daß eine politische Organisationsform wie die oben beschriebene alleine niemals gewährleistet, daß die bürgerliche Struktur und das bürgerliche Bewußtsein der Genossen nachhaltig verändert werden. Die kollektiven Tendenzen müssen bewußt auch außerhalb des direkten politischen Kampfes organisiert werden. Überlassen wir die Erholung in der Freizeit der kapitalistischen Industrie, überlassen wir die sexuellen Bedürfnisse der Individuen und die Erziehung der Kinder weiter der Kleinfamilie, dann werden die bürgerlichen Tendenzen in der politischen Organisation immer wieder vordringen und die Entwicklung von Solidarität hemmen und zurückwerfen. Die Entwicklung eines nichtkapitalistischen Gegenmilieus ist deshalb für uns notwendiger Bestandteil des politischen Kampfes. Von hier aus läßt sich die Funktion von Kommunen neu bestimmen.
Die neue Qualität von Kommunen
Es erscheint sinnvoll, daß in Kommunen Menschen zusammenleben, die ein gemeinsames politisches Praxisfeld haben. Kommune wäre als Ergänzung der politischen Organisation zu bilden, keinesfalls als deren Ersatz. Innerhalb sozialistischer Organisationen könnten Kommunen den subjektiven Emanzipationsbedürfnissen Rechnung tragen, indem sie die differenzierten indivuduellen Erwartungen und Wünsche aufnähmen, für die jede politische Organisation zu grobmaschig ist. Erst die gemeinsame Tätigkeit in einer Betriebs- oder Basisgruppe, auf dem Gebiet der sozialistischen Erziehung oder in anderen Sektoren sozialistischer Praxis gibt dem Kommune-Kollektiv einen Rahmen, von dem die Regelung der AUtags-Organisation und eine Interpretation der Konflikte ihre zweckbezogene Orientierung erhalten. Die psychischen Konflikte in der Kommune werden durch die gemeinsame politische Arbeit versachlicht. Es ist immer noch notwendig, Regelungen für diese Konflikte zu finden, aber diese Methoden brauchten sicher nicht die individuelle Kindheitsgeschichte durchzuarbeiten, um relativ erfolgreich zu sein. (Wir müssen daran erinnern, daß wir in der Kommune 2 zu dem Versuch einer "wilden" Analyse gerade deswegen getrieben wurden, weil wir keine gemeinsame politische Arbeit entwickeln konnten.) Ist die politische Organisation klar als primärer Bezugspunkt erkannt, so kann die Kommune einen erheblichen Beitrag dazu leisten, individuelle Bedürfnisse rationaler daraufhin zu überprüfen, wieweit ihre Verwirklichung dem politischen Interesse entgegensteht - und helfen, unter Umständen auf ihre Durchsetzung zu verzichten, ohne sie verdrängen zu müssen. Das betrifft zum Beispiel den Verzicht darauf, sich Luxus-Konsumgüter individuell anzueignen oder die Befreiung der Sexualität in den entfremdeten Formen von Partnertausch anzustreben. Eine derart funktional bestimmte Kommune gewährte ihren Mitgliedern sowohl psychische Erleichterung als auch Hilfe bei der Veränderung bürgerlicher Bewußtseinsinhalte.
Was wir von unseren positiven Erfahrungen an anderen Kommunen relativ gesichert überprüfen konnten,betrifft zwei Gebiete: die Organisierung des Konsums und die Erziehung von Kindern. (Das gilt für Kommunen mit relativer sozialer Homogenität und gleichen politischen Interessen.) Wir wollen sie hier - unter dem Gesichtspunkt der Neubildung von Kommunen mit den angeführten, politischfunktionalen Zielen - kurz zusammenfassen:
Die Möglichkeit, den Konsum in der Kommune rationeller zu organisieren und einen Teil der gesellschaftlichen Rollenzwänge zwischen Mann und Frau aufzuheben, ist im 3, Kapitel ausführlich beschrieben. Es ist sicher, daß die bei uns relativ problemlose gemeinsame Kasse nicht das normative Modell für andere Wohn-kollektive abgeben kann. Wo größere Unterschiede im individuellen Einkommen bestehen, wird es schwieriger sein, das gesamte Geld kollektiv zu verwalten. Wo Geld in einer entfremdeten Arbeit in der Produktion oder in Institutionen sauer verdient werden muß, nimmt es psychisch als einzige Gratifikation für die tägliche Mühsal einen höheren Wert an, als es für uns in einer relativ privilegierten ökonomischen Situation der Fall war. Würden in diesem Fall Mitglieder einer Kommune verlangen, alles Geld von Anfang an in eine gemeinsame Kasse einzubringen, würde das für andere möglicherweise einen unerträglichen Zwang bedeuten. Es ist daher empfehlenswert und wird auch in vielen Wohnkollektiven so praktiziert, daß zunächst alle Mitglieder nur einen bestimmten Betrag ihres Einkommens in die Kommune-Kasse zahlen, etwa für Miete oder Lebensmittel. In dem Maße, in dem die Integration des Kollektivs fortschreitet, kann die Kollektivierung der Finanzen ausgedehnt werden.
Die Hypothesen über eine progressivere Kindererziehung, die wir im 4. Kapitel vorläufig aufgestellt haben, dürften in dem Maße modifiziert werden, in dem die linke Bewegung zu einer sozialistischen wird. Vor allem betrifft das die Tenzenz zu einer Abschließung gegenüber der äußeren Realität, die in der Erziehungspraxis mancher Westberliner Kinderläden zu beobachten war. Nicht immer sind die Kinderläden der Gefahr entgangen, die privilegierte Situation der bürgerlichen Kinder gegenüber den Kindern der Arbeiter noch praktisch zu vergrößern und dies in einem falschen Modell antiautoritärer Erziehung theoretisch zu zementieren. Ihre äußerste Konsequenz fand diese Tendenz in dem Projekt einer "Gegenschule" für die Kinder linker Eltern. Es scheint sich aber allmählich in Westberlin die Auffassung durchzusetzen, daß die Etablierung linker Elite-Ghettos die Trennung zwischen kritischer Intelligenz und Arbeiterklasse weiter zu verfestigen droht. Richtiger ist es daher, Konzepte zu entwickeln, wie eine sozialistische Erziehung die Kinder auf die Situation in den normalen Schulen vorbereiten kann/Ihr Maßstab wäre, wieweit sie es den Kindern ermöglicht, kollektives Bewußtsein und Solidarität auch über die eigene soziale Gruppe auf die Kinder sozial unterprivilegierter Klassen auszudehnen, denen das bürgerlich normierte Leistungssystem die Oberschulen und Universitäten immer noch weitgehend verschließt. Die aus den verbindlicheren Organisations-fonnen erwachsende größere Kontinuität und Homogenität dir Kommunen scheint ein Problem zu verringern, das in den bisherigen Wohnkollektiven die Erziehung äußerst nachteilig beeinflußt hat: die aus der Verschiedenartigkeit der Interessen resultierende Diskontinuität der Zusammensetzung. Eine gewisse zeitliche Dauer des Elternkollektivs und eine stabilere Gemeinsamkeit der Interessen ist mit Sicherheit notwendig, um auf die Dauer günstigere Resultate in der Kindererziehung zu erzielen als in der Familie.
Unter den genannten Bedingungen läßt sich die generelle Aussage machen: Die Verminderung der individuellen Zwänge zur Beschaffung von Geld und der Sorge um die Kinder senkt in der Kommune den psychischen Druck und erlaubt es, die produktive Energie zu erhöhen. Im allgemeinen dürften die Konflikte, die durch die kollektive Regelung dieser Bereiche neu auftreten, rationaler und unter geringeren psychischen Kosten zu regulieren sein, als diejenigen, die für die Kleinfamilie typisch sind.
Problematischer ist es, etwas Eindeutiges über die positiven Wirkungen des kollektiven Lebens auf die Sexualität zu sagen. Auf diesem Gebiet kontrastieren die Erwartungen auf größtmögliche subjektive Befriedigung wahrscheinlich am stärksten mit dem, was die Kommune zu leisten vermag. Zweifellos ist ein Wohnkollektiv für Schüler und Lehrlinge, die in der Familie oder in Heimen unter unmittelbarer Repression leiden, eine sinnvolle Möglichkeit, sich einen sexuellen Freiheitsraum zu schaffen. Die juristische und ökonomische Abhängigkeit, die Schwierigkeit für Jugendliche, geeignete Räume zu finden, beschränkt allerdings die Chance, dauernde Jugendkommunen einzurichten. In der Mehrzahl der Fälle Werden Schüler und Lehrlinge nur für kürzere Zeit in Wohnungen leben können, die von älteren Genossen gemietet wurden. Hier geht es uns in erster Linie um Kommunen, die langfristig zu stabilisieren wären und die in der Tat Familienformen ersetzen können.
Für viele wird der Wunsch nach einer befreienderen Sexualität das Hauptmotiv für ein kollektives Wohnen bleiben. Wahrscheinlich aber ist es in der Gegenwart nicht möglich, diesen Wunsch durch promiskuöse Verbindungen in der Kommune zu befriedigen. In der Praxis aller uns bekannten Wohnkollektive hat es nie für längere Zeit so etwas wie eine Gruppen-Sexualität gegeben. Offensichtlich entspricht die psychische Struktur der meisten Menschen in unserer Gesellschaft dem Bedürfnis nach sexueller Pronüskuität zu wenig, um sie zum Modell eines freieren Zusammenlebens jetzt schon machen zu können.
Worin liegt dann zur Zeit die befreiende Wirkung der Kommune für die sexuellen Beziehungen? Unsere Erfahrungen dabei lassen sich in zwei Richtungen beschreiben: Das Zusammenleben in einer Gruppe schafft Voraussetzungen für ein befriedigenderes, länger dauerndes Liebesverhältnis zwischen zwei Menschen, was offenbar unserer Bedürfnisstruktur am gerechtesten wird. Es besteht eine größere Chance für eine menschliche Beziehung, die nicht so sehr durch äußere Zwänge bestimmt und zementiert wird, sondern durch das Interesse an der Person des Partners, und die wahrscheinlich auch weniger irrational zu lösen ist, wenn das sinnliche Interesse aneinander erlischt. Diese positive Wirkung resultiert daraus, daß die Verquickungng der sexuellen Beziehung mit der Ökonomie und den sozialen Rollentrennungen im Haushalt und bei der Kindererziehung abgebaut wird. Darüber hinaus schafft die Gruppe eine günstige Randbedingung für befriedigende sexuelle Beziehungen, wenn sie die völlige Verstrickung der Partner in falsche Erwartungen und gegenseitige Schuldgefühle verhindert. Das geschieht schon dadurch, daß man sich kollektiv mit den auftauchenden Konflikten beschäftigt. Dadurch werden beide gezwungen, sich mit den Projektionen (Idealvorstellungen, Vater- und Mutterübertragungen) auf den jeweiligen Partner auseinanderzusetzen, (vgl. Kapitel VI, "Konflikte und Lösungsversuche".) Der Beitrag der Kommune zur Befreiung der Sexualität ist also gewiß begrenzt. Doch sie kann hier wie auf den anderen Gebieten etwas Entscheidendes leisten, wenn sie die Verdrängungen aufhebt und Schuldgefühle verringert.
Es wird im Kapitalismus nicht gelingen, das persönliche Leid abzuschaffen. Es kommt darauf an, die Quellen dieses Leides in dem bestehenden Zustand der Gesellschaft bewußt zu machen. Aber um uns zu einer kontinuierlichen Arbeit an der Abschaffung der gesellschaftlichen Unterdrückung zu befähigen, bedarf es der Beseitigung der schlimmsten Arbeits- und Liebeshemmungen. Es wird dazu - bis auf schwere neurotische Fälle - nicht nötig sein, die ganze Lebensgeschichte aufzudecken und neu zu verarbeiten, wie wir es, orientiert an Methoden der Psychoanalyse und mangels einer kollektiven politischen Praxis, versucht haben. Es ist aber nach unseren Erfahrungen notwendig, daß Methoden entwickelt werden, mit denen in der Gruppe Affektsperren und individuelle Verkrampfung überwunden werden können. Vielleicht ließe sich eine Spieltheorie entwickeln, mit der sich gezielt individuelle Affektsperren durch gemeinsames Probehandeln in einer Spielsituation abbauen ließen. Was dadurch an Sensibilität und größerer Kommunikationsfähigkeit gewonnen würde, käme der Qualität unserer politischen Arbeit zugute. Alternativerfahrungen in Kommunen, verbunden mit den Alternativerfahrungen im politischen Kampf erst könnten Prozesse in Gang setzen, in denen die bürgerliche Ideologie und die individualistische psychische Struktur nachhaltig überwunden würden.