Zur Geschichte der westberliner Falken
Die Falken & Der Ostermarsch & Die erste westberliner RADIKAL (1963/64)

aus: Zwischen rotem Pfadfindertum und politischen Kampfverband, Berlin 1981, Hrg. v. Frank Schrammar, S. 53



....Die betreffenden Jahre waren daher vor allem dadurch gekennzeictnet, daß man sich durchlavieren mußte. Einerseits konnte und wollte man nicht seine eigenständige sozialistische Position aufgeben, andererseits mußte man jedoch aufpassen, daß ein zu kompromißloses Vertreten dieser Position als Folge den Verband finanziell nicht endgültig ruinierte. Ein Beispiel für dieses Lavieren war der Streit um die Beteiligung an den Ostermärschen. Die auf internationaler Ebene laufende und von Menschen unterschiedlichster politischer Überzeugungen getragene Ostermarschbewegung war Anfang und Mitte der 60er Jahre in der Bundesrepublik die Fortsetzung der antimilitaristischen Kampagnen der 50er Jahre gegen die Wiederbewaffnung und den Atomtod. Auch diese Bewegung stellte die Warnung vor der Gefahr eines Atomkrieges in ihren Mittelpunkt und forderte eine weltmeite Abrüstung. In den Ostermarsch-Ausschüssen in der Bundesrepublik arbeiteten stark auch Komnunisten mit, und das war - wie schon errähnt - sowohl für die SPD als auch für den Falken-Bundesvorstand Gurnd genug, um die ganze Bewegung als "kommunistisch unterwandert" darzustellen und sich davon auch durch Partei- und Verbandsausschlüse abzugrenzen. Im Berliner Landesverband gab es um diese Abgrenzung und um die Frage der Teilnahme an den Ostermärschen leidenschaftliche Diskussionen. Sowohl 1963 als auch 1964 wurden die Befürworter einer Beteiligung auf den betreffenden Landeskonferenzen jeweila mit knapper Mehrheit abgewiesen. Erst 1965 wurde die Teilnehme an den Ostermärschen im Landesverband beschlossen, allerdings sollten keine Falken-Vertreter in den Ostermarsch-Ausschüssen mitwirken...




Cover der "radikal" 4 vom Februar 1964 mit dem Schwerpunktthema "Ostermarsch"

die radikal war untertitelt mit
"zeitschrift für die sozialistische jugend deutschlands <die falken>
herausgegeben vom arbeitskreis für publizistik"

Der Redaktion gehörten an: Peter Bischoff, Hans Gellhardt, Günter Mayer, Elke Sahnwald und Barbara Teller

Im Impressum schrieben sie:

Wir nennen die zeitschrift nicht deswegen <radikal>, weil wir jugendliche hitzköpfe sind, sondern
Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.
Karl Marx in der Einleitung zur" Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie"

Aus radikal Nr. 4

Wirtschaftliche Aspekte der Abrüstung

Während für den Kapitalisznus des 19. Jahrhunderts die Konkurrenz des jeder gegen jeden bestimmend war, wird heute Konkurrenz in den hochindustrialisierten Ländern immer mehr eingeschränkt, durch Zusammenschluß bisher konkurrierender Unternehmen oder dadurch, daß die großen Unternehmen versuchen, die Gesamtinteressen des Kapitalismus über die eigenen zu stellen. So werben z. B. amerikanische Automobilfirmen nicht mehr nur für ihre eigenen Autos, sondern für den Verbrauch von Autos überhaupt, zur Erhaltung der amerikanischen Wirtschaft.

Für diesen Kapitalismus ist typisch, daß der Staat immer mehr zum größten Auftraggeber oder durch Unterstützung zum Garanten ganzer Wirtschaftszweige wird.

Einige Beispiele:

Wir greifen uns nun die Rüstungsproduktion heraus und sehen uns deren Einfluß und den der Armee auf die Wirtschaft der USA an.

Zuvor noch einige Zahlen aus dem UNO-Bericht über Abrüstung von März 1962: 480 Milliarden DM wurden 1961 für militärische Zwecke in der Welt ausgegeben. Diese Ausgaben entsprechen zu wenigstens 2/3 dem Nationaleinkommen aller Entwicklungsländer. Ungefähr 20 Mio. Menschen dienen in den Streitkräften und 50 Mio. sind direkt oder indirekt auf Grund militärischer Ausgaben beschäftigt. Zu beachten ist, daß 85% aller militärischen Ausgaben nur von sieben Ländern aufgebracht werden: USA, Ud SSR, Großbritannien, Frankreich, Bundesrepublik, Kanada und China.

Die Streitkräfte der USA haben 2,5 Mio. Angehörige. Dazu kommen eine Mio. Zivilangestellte des Verteidigungsministeriums und 2,5 Mio. Industriearbeiter in der Rüstungsindustrie. Das sind rund 10% aller Beschäftigten. Die Abhängigkeit verschiedener Industriezweige von Militäraufträgen zeigen folgende Zahlen: Die Produktion von Munition hängt gänzlich von Militäraufträgen ab, die von Flugzeugen und Raketen zu 93%, der Schiffbau zu 60% und die elektrotechnische Industrie zu 21%.

Die regionale Streuung der Militäraufträge ist nicht gleichmäßig, so konzentriert sich im Staat Kalifornien 1/4 und in New York 1/8 der gesamten Rüstungsproduktion d.er USA. In einigen Städten der USA, z. B. in Kansas arbeiten 30% der Beschäftigtén in der Kriegsproduktion und es gibt extreme Fälle, wie die große Flugzeugbau-Metropole San Diego in Kalifornien, wo 80% aller Arbeiter und Angestellten von Militäraufträgen leben. (Angaben aus der Frankfurter Rundschau vom 4-9-63.)

Zu den rund 6 Mio. Arbeitslosen von heute kämen bei einer totalen Abrüstung weitere 6 Mìo. hinzu, das wären 20% aller Arbeitskräfte der USA. Durch den technischen Fortschritt werden bis 1965 1/5 aller industriellen Arbeitsplätze in den Rüstungsindustrien wegfallen. In anderen vergleichbaren Industriezweigen beträgt der Verlust im gleichen Zeitraum 10%. (Angaben aus der Zeitschrift atomzeitalter 3-63.)

Die amerikanische Wirtschaft steht also vor dem Problem neue Arbeitsplätze zu schaffen, da die alten durch die Automatisierung der Produktionsprozesse wegfallen. - Nun müssen wir uns die Frage stellen, ob der kapitalistische Staat ohne eine so wichtige Eingriffsmöglichkeit in die Wirtschaft, wie das die Rüstungsproduktion ist, auskommt, oder ob diese Maßnahme durch andere ersetzt werden könnten.

In dem schon zitierten UNO-Bericht über Abrüstung wird ein Anpassungsprogramm vorgeschlagen: "Es wird geschätzt, daß eine weltweite Abrüstung nur etwa 1/5 der Umstellungen erfordern würden, die sich am Ende des 2. Weltkrieges ergaben. Für die freiwerdenden Mittel und Menschen bieten sich folgende Verwendungsmöglichkeiten:

Auf dem letzten Parteitag der Labour-Party erklärte Harold Wilson: "Da die technologische Entwicklung, wenn sie der Privatindustrie und dem Privateigentum überlassen bliebe, nur zu hohen Profiten für einige wenige und zur Massenarbeltslosigkeit für viele führen würde, bedeutet dies: Wenn der Sozialismus nie zuvor notwendig war, würde die Automation ihn notwendig machen. . . . Die fortgeschrittenen kapitalistischen Staaten halten heute die Vollbeschäftigung durch gewaltige Rüstungsbestellungen aufrecht. In Wallstreet und anderen Börsen würde eine Panik ausbrechen, wenn der Frieden eines Tages ausbräche."

Bitte vormerken: Am Dienstag, dem 25. Februar 1964, veranstaltet "radikal" seine zweite Leserversammlung in der Bibliothek des Anne-Frank-Heims (U-Bahnhof Heidelberger Platz). Beginn 19 Uhr 30. Wir laden ein zur Diskussion des Themas: Welche Bedeutung hat der Ostermarsch für unseren Verband?