Warum eine neue Korrespondenz?
Gründungserklärung der "RPK"-Redaktion vom 22.2.1969
Die bürgerliche Presse berichtete wiederholt von den Angriffen der "Ultralinken", der "Linksextremisten", der "Anarchisten" im RC-Vorstand, gar der "Mahlergruppe" gegen den EXTRA-Dienst, nachdem ein Mitglied des RC und SDS am 15.1. auf dem Teach-in zum 50. Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht öffentlich zur Abbestellung des EXTRA-Dienstes aufgefordert hatte. Was den Unbeteiligten durch die Presseberichterstattung als Kleinkrieg der Linken, als fehlgelenktes "Revoluzzertum" der ohnehin zum Popanz hochstilisierten "antiautoritären Anarchien", ja als Machtkampf kleiner Gruppen vermittelt wurde, ist vielmehr das Ergebnis politischer Differenzen innerhalb der außerparlamentarischen Opposition. Der EXTRA-Dienst in seiner Selbstdarstellung und infolgedessen die übrige bürgerliche Presse verschweigen bzw. entstellen die Vorgeschichte der Auseinandersetzungen und die zugrundeliegenden politischen Differenzen zwischen der Redaktion des EXTRA-Dienstes und derNeuen Linken Bewegung.
I. Zur Geschichte des EXTRA-Dienstes
Mit der "EXTRA ÜBER UNS" Story v. 5. Februar 1969 hat der EXTRA-Dienst seine Entstehungsgeschichte darzustellen versucht.
Dem uneingeweihten Leser wird eingeredet, als sei das EXTRA-Dienst-Unternehmen wirtschaftlich und politisch von den Geschäftsführern der EXTRA-Dienst GmbH, Waltr Barthel und Karl-L. Guggomos, auf die Beine gestellt worden. Daß Barthel und Guggomos offensichtlich glauben, ihre Darstellung würde unwidersprochen hingenommen werden, beweist ihre Naivität oder ihre Spekulation auf die Solidarität der Genossen. In letzter Zeit haben es Barthel und Guggomos sogar verstanden, einem Teil der bürgerlichen Presse einzureden, daß auch der Republikanische Club eine Gründung des EXTRA-Dienstes, d.h. von Barthel und Guggomos, seien. Nach der Veröffentlichung im EXTRA-Dienst vom 5. Febr. 1969 ist der Zweck derartiger Geschichtsfälschungen offenkundig. Barthel und Guggomos wollen durch ihre eigenwillige Sachverhaltsdarstellung ihren Anspruch auf die ausschließliche und redaktionelle, d h. politische Verfügung über den EXTRA-Dienst herleiten.
Dem Leser sollten daher die folgenden Tatsachen in Erinnerung gerufen bzw. erstmals bekanntgemacht werden:
Nachdem die sozial-demokratische Partei 1966 in die große Koalition eingetreten war, fand sich Ende November 1966 in der Konstanzer Straße ein Kreis von Sozialisten - überwiegend Mitglieder des SDS - zusammen und gründeten die November-Gesellschaft. Es würde hier zu weit führen, wollte man das politische Selbstverständnis der November-Gesellschaft im einzelnen darlegen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die November-Gesellschaft nach eingehenden Diskussionen die Initiative zur Gründung des Republikanischen Clubs einleitete und Anfang 1967 Überlegungen anstellte, wie die "Sprachlosigkeit" der sozialistischen Opposition, die über keinerlei Kommunikationsmittel verfügte, behoben werden könne. Die Überlegungen konzentrierten sich auf die Frage, ob und in welcher Form eine linke Zeitung in West-Berlin geschaffen werden könnte. Sie beschloß, ohne Rücksicht auf die finanziellen Risiken, eine Zeitung im "Boulevard-Stil" herauszubringen. Die Idee des Berliner EXTRA-Blattes war damit geboren.
Nachdem die November-Gesellschaft die finanziellen Möglichkeiten und den politischen Stellenwert geprüft hatten, beauftragte sie fünf ihrer Mitglieder - Dr. Meschkat, Lothar Pinkall, Walter Barthel, Karl-L. Guggomos und Horst Mahler - eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu gründen, die das Zeitungsprojekt wirtschaftlich tragen sollte und über deren Gesellschafter die November-Gesellschaft auf die politische Gestaltung der Zeitung einwirken sollte.
Man beauftragte die der November-Gesellschaft angehörenden Journalisten Barthel und Guggomos, vormals Mitarbeiter an dem Augsteinschen Zeitungsprojekt "Heute", die redaktionelle Gestaltung des EXTRA-Blattes zu übernehmen, Die weitere Entwicklung ist bekannt.
Noch im Frühjahr 1967 mußte das EXTRA-Blatt aus finanziellen Gründen sein Erscheinen einstellen. Guggomos entwickelte daraufhin den Gedanken, einen Informationsdienst für die Außerparlamentarische Opposition herauszubringen.
Die Idee wurde von der November-Gesellschaft aufgegriffen und dieGmbH-Gesellschafter angewiesen, diesen Nachrichtendienst herauszugeben und Karl-L. Guggomos zum Chef-Redakteur zu bestellen.
Demgegenüber behauptet Guggomos im EXTRA-Dienst vom 5. Febr. 1969: "Die hier oben genannten Mitglieder der "Heute" Redaktion beschließen für West-Berlin eine Publikation, auch ohne Rückhalt des Spiegel-Verlages, herauszugeben . . . .Die erste Nummer des Berliner EXTRA-Blattes erscheint. In dec Eile war übersehen worden, daß das Unternehmen ein rechtliches Gerüst braucht. Für die Redaktion bitten Walter Barthel und Guggomos drei Freunde um ihren formalen Beitritt als Gesellschafter einer GmbH. Es kommt so zur Gründung der später in "EXTRA-Dienst GmbH" umbenannten "West-Berliner Zeitung GmbH"...'
Die Lüge entlarvt sich selbst. Zur Gründung der GmbH hätte es des formalen Beitritts dreier Freunde nicht bedurft. Barthel und Guggomos hätten eine solche Gesellschaft auch unter sich gründen können.
Einfach falsch ist auch die Behauptung, daß Guggomos seine vom Spiegel-Herausgeber gezahlte Abfindung in Höhe von DM 20. 000, - zur Abdeckung von Schulden der GmbH in das Betriebsvermögen eingebracht habe. Wenn Guggomos darüber hinaus Teile seines Ehestands- und Einrichtungsdarlehns in den Betrieb eingebracht hat, dann ohne Wissen der Gesellschafter. Er wird schwerlich damit den Anspruch begründen können, mit diesen Geldern ein politisches Organ der Außerparlamentarischen Opposition eingekauft zu haben.
Zwar hätte Guggomos eine Urkunde vorlegen können, aus der sich die Abzahlungszahlung in Höhe von DM 20. 000, - ergibt. Er weiß aber ebenso wie seine Mitgesellschafter, daß die von ihm an die GmbH gezahlten DM 20. 000, - mit einer Abfindung nicht das geringste zu tun hat, da er dieses Geld vielmehr von dritter Seite ftlr die EXTRA-Dienst-GmbH im Einverständnis mit der November-Gesellschaft treuhänderisch in Empfang genommen hat.
Auf der Grundlage einer verlogenen Geschichtsschreibung fordert das EXTRA-Dienst-Redaktions-Kollektiv die "Vergesellschaftung".
Sie haben verschwiegen, daß die sich als Treuhänder der November-Gesellschaft begreifenden Gesellschafter der EXTRA-Dienst-GmbH bisher noch nie den Versuch gemacht haben, ihre juristische Stellung in eine politische Einflußnahme auf den EXTRA-Dienst auszuformen. Tatsächlich haben die Redakteure dem EXTRA-Dienst völlig autonom - und wie sich bald herausstellen sollte, zu autonom - das redaktionelle Programm gestaltet. Sie haben die politische Diskussion mit den Mitgliedern der November-Gesellschaft mehr und mehr vermieden und Diskussionen mit anderen Gruppierungen der Außerparlamentarischen Opposition, insbesondere mit dem SDS, über die Gestaltung des EXTRA-Dienstes von vornherein abgelehnt.
II. Die Aufgaben eines Informationsdienstes der Neuen Linken Bewegung
Die politische Trennung vollzog der EXTRA-Dienst auch organisatorisch durch die Privatisierung seiner Produktionsmittel, die er falsch als Vergesellschaftung und kurzsichtig als Sieg über die sozialistische Linke feierte.
Diese organisatorische Trennung als Ergebnis eines politischen Entfremdungsprozesses ist nur zu erklären aus den einerseits stattgefundenen Lern- und Entwicklungsprozessen der sozialistischen Linken, die andererseits von den EXTRA-Díenst-Redakteuren weder nach- geschweige denn mitvollzogen wurden. Beide Prozesse haben aber unmittelbare Folgen für die Funktion und Organisation einer Informationspolitik der sozialistischen Bewegung.
Aus der Erfahrung einer manipulierten und gleichgeschalteten Öffentlichkeit entwíckelte die linke studentische Bewegung, insbesondere nach dem 2. Juni das Konzept der Herstellung von Gegenöffentlichkeit durch Demonstrationen und Flugblattaktionen.
Aus der Erfahrung, daß die bestehenden gesellschaftlíchen Institutionen nicht transformierbar sind und uber sie keine gesellschaftlichen Veränderungen zu erreichen sind, entwickelte sich die nichtparlamentarische Strategie direktec subversiver Aktionen, wurde das Konzept der Gegenöffentlíchkeit durch das der Gegengewalt ergänzt. Aus der Erfahrung, daß Reformen nur im Sinne einer Leistungssteigerung des kapitalistischen Systems zugelassen wurden, entwickelten sich die organisatorischen Ansätze für eine den Kapitalismus treffende
Gegenstrategie zu einer partielle Bereiche, nämlich die der Ausbildung, befriedenden Reformpraxis.
Die wichtigste Erfahrung der studentischen Bewegung aber war, daß nicht Aufklärung, sondern praktischer Kampf politisches Bewußtsein verändert, daß die Praktizierung von Gegenöffentlichkeit und aufklärende Flugblattaktionen nur die Aufklärenden selbst, nicht aber die passiv bleibende Bevölkerung politisierte; und daß es für die Verbreiterung der Basis die wichtigste Aufgabe würde, die passiven Entpolisitisierten zu polisitierendem Handeln zu bringen. Denn "wo es sich um die vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie ein treten sollen." (Engels in Karl Marx, Die Klassenkämpfe in Frankreich, Berlin 1926, S.17) Vermittelt werden mußte also die Notwendigkeit eines aus den Konflikten am Arbeitsplatz sich entwickelnden, selbst zu führenden permanenten politischen Kampfes, nicht seine Delegation an entfremdete, in das bürgerliche Herrschaftssystem integrierte Organisationen.
Welche Funktion kommt in diesem Vermittlungsprozeß einem Informationsorgan der sozialistischen Bewegung zu?
Der EXTRA-Dienst vertritt das Konzept der Verunsicherung der Apparate durch die Berichterstattung iiber Querelen und Wídersprüche in den Apparaten selbst. Wer allerdings meint, daß Öffentlíchkeit allein schon verunsichere, glaubt noch an die moralische Instanz von Öffentlichkeit oder erliegt dem sozialdemokratischen Quietismus, der auf die Selbstzerstörung des herrschenden Systems hofft.
Ein sozialistisches Informationsorgan aber hat die Apparate durch ständige Berichte über den aktiven Kampf an der Basis zu verunsichern. Der EXTRA-Dienst verzichtete bewußt auf die Förderung der organisierenden Wirkung einer Informatíonspolitik. Er verstärkt im Gegenteil durch unvermittelte Nachrichtenreihen die Hilflosigkeit und Passivität der Basis, weil er an der traditionellen Delegation des politischen Kampfes an bestehende linke Organisationen innerhalb des parlamentarischen Systems festhält.
Ein sozialistisches Informationsorgan aber sollte durch ständige Erfahrungsberichte aus den arbeitenden Gruppen den Lernprozeß der Organisatoren fördern. Er kann durch die aktive Mitarbeit der arbeitenden Gcuppen in der Redaktion eine organisierende Wirkung auf die einzelnen Gruppen und für díe gesamte sozialistische Bewegung erzielen.
Der EXTRA-Díenst aber hat durch die Aneignung der Produktionsmittel durch die Redakteure und die Absage an politische Kontrolle die Entfremdung der politisch Agierenden und der journalistisch Produzierenden manifest gemacht.
Ein sozialistisches Informationsorgan hat schließlich aus der Kenntnis der internacionalen Strategie des Kapitals den Provinzialismus der Berichterstattung zu durchbrechen und den Internatíonalismus einer Klassenkampfstrategie zu fördern.
Redaktion: Solveig Ehrler, Günter Mathias tripp, Oskar Voigt, Ad-hoc-Gruppen an den Hochschulen, Berufsbasisgruppen im Republikansichen Club Berlin, Betriebsbasisgruppen, Internationales Forschungsinstitut (Infi), Zentraler Ermittlungsausschuß der AStA FU und TU (Justizkampagne)
Veranwortlich für den Inhalt: Solveig Ehrler, Geschäftsführer: Hermann von Rohde, Redaktion: 1 Berlin 30, Eislebener Str. 14