Horst Mahler

Die "Krise" der Außerparlamentarischen Opposition im Sommer 1968
- und wie man sie überwindet

Die "Extra-Dienst-Fraktion" spricht von einer "Krise" der Außerparlamentarischen Opposition. Alles spricht jedoch dafür, daß wir uns nicht in einer echten Krise befinden, sondern lediglich "Wachstumsbeschwerden" haben.

Mit erstaunlicher Geschwindigkeit hat sich zum erstenmale seit Kriegsende in Westdeutschland, speziell aber in Westberlin, eine massenhafte Opposition gegen die bestehende Gesellschaft entwickelt, die eindeutig sozialistische Tendenzen in sich trägt. M e s c h k a t hat in dem Jahresbericht des Republikanischen Clubs als charakteristische Merkmale der Außerparlamentarischen Opposition deren antikapitalistische und antiautoritäre Einstellung hervorgehoben. Die antikapitalistische Komponente ist unproblematisch, umstritten ist der Stellenwert des sogenannten antiautoritären Lagers.

Die orthodoxen Marxisten - unter ihnen die "Extra-Dienst-Fraktion" sehen in der antiautoritären Haltung der studentischen Opposition nur "kleinbürgerliches Revoluzzertum". Schon in den Anlangen der Diskussion über die Gestaltung der Außerparlamentarischen Opposition waren sie unfähig, ein konstruktives Verständnis für das antiautoritäre Lager zu gewinnen. Sie haben sich zwar nolens volens mit den politischen Aktionen des antiautoritären Lagers im großen und ganzen solidarisiert aber jeweils nur mit dem unausgesprochenen Vorbehalt: "Es ist eben gutgegangen."

Jetzt, wo die Dialektik der antiautoritären Haltung zu einem politischen Problem für die Außerparlamentarische Opposition wird, glauben sie sich in ihrer skeptischen Einstellung gegenüber den "Antiautoritären" bestätigt. Sie merken dabei nicht, daß sie mit dieser selbstgefälligen These lediglich ihr Mißverständnis der gegenwärtigen politischen Entwicklung komplettieren.

Die "theoretische Bewältigung" des Problems des antiautoritären Lagers besteht bei den Dogmatikern darin, daß sie kommentarlos die Abhandlung von Lenin über den Linksradikalismus aus dem Jahre 1920 auszugsweise zitieren. Sie wollen nicht sehen, daß es "die kleinbürgerlichen Revoluzzer" - die Antiautoritären - waren, die auf der politischen Bühne der Bundesrepublik und in Westberlin überhaupt als Erste wieder eine politische Entwicklung mit positiven Akzenten in Bewegung gebracht haben. Diejenigen, die nicht müde werden, den "marxistischen Rosenkranz" herunterzubeten und immer wieder zu betonen, daß allein das Proletariat und nicht die aus "kleinbürgerlichem Milieu" stammenden Studenten die Träger der sozialistischen Revolution sein können, vergessen, daß die Arbeiter auch heute noch weit davon entfernt sind, diese Rolle zu übernehmen, und daß unsere Konzeption dieser Situation angepaßt sein muß. Die sozialistische Politik beginnt nicht erst denn, wenn die Arbeiter wieder als revolutionäre Kräfte auf der Bühne erscheinen.

Tatsache ist, daß die Studenten als Erste im Bereich der wissenschaftlichen Produktion in zunehmendem Maße ein politisches Bewußtsein entwickelt haben, das zu den Ursachen der sozialen Unzulänglichkeiten und Widersprüche vorgedrungen ist und damit die kapitalistische Gesellschaftsordnung insgesamt in Frage stellt. Es waren diese Studenten, die traditionelle Kampfformen der Arbeiterbewegung wiederbelebt und - entsprechend ihrer Situation -, weiterentwickelt haben. Sie haben damit gleichzeitig die Erinnerungen an erfolgreiche soziale Auseinandersetzungen geweckt und für die Gegenwart ein Exempel statuiert, das bei Bedarf in mehr oder weniger abgewandelter Form von den Werktätigen übernommen werden kann. In den zurückliegenden Monaten haben sich verschiedene Beispiele dafür ergeben, daß die Arbeiter die studentischen Kampfformen für ihre Ziele übernehmen (Sitzstreiks in Betrieben, Go-ins in Verwaltungsgebäude, Fabrikbesetzungen), wenn ihnen die Notwendigkeit des selbstorganisierten Kampfes bewußt wird.

Die studentische Protestbewegung geht von der Erkenntnis aus, daß, wo immer in der spätkapitalistischen Gesellschaft Autorität vorgefunden wird, diese als Mittel zur Stabilisierung der kapitalistischen Ordnung eingesetzt wird und fungiert; daß die Anerkennung dieser Autoritäten der Durchsetzung der Interessen der Produzenten - also der Mehrheit der Gesellschaft - entgegensteht und in diesem Sinne irrational weil auf die Erhaltung einer historisch überlebten Gesellschaftsformation gerichtet ist.

Da progressive Autorität, die sich beispielsweise in einer erfolgreichen, den geschichtlichen Notwendigkeiten und den politischen Gegebenheiten entsprechenden sozialistischen Massenpartei herausbilden könnte, in der gegenwärtigen Situation nicht angelegt ist, konnte sich die studentische Protestbewegung mit der Negation jedweder Autorität, also auch innerhalb des eigenen Verbandes, entwickeln. (Wobei hier anzumerken ist, daß beispielsweise der SDS in der Aufstiegsphase von Rudi Dutschke informellerweise durchaus autoritär strukturiert war.)

Der politische Stellenwert der antiautoritären Einstellung bestand und besteht darin, daß sie die auf irrationaler Autorität beruhende spätkapitalistische Gesellschaftsordnung insgesamt radikal infrage gestellt hat und weiterhin infrage stellt; daß sie darüber hinaus tendentiell die Auflösung der bürgerlichen Institutionen bewirkt, die den aus den sozialen Konflikten resultierenden Widerstand der Produzenten in das spätkapitalistische Ordnungsgefüge inegrieren. Die "Ableger" des "antiautoritären Lagers" in den bestehenden Institutionen, speziell in der sozialdemokratischen Partei und in der FDP, stürzen diese Organisationen unweigerlich in eine tiefgreifende Krise, die eine notwendige Voraussetoung für die weitere Entfaltung und Verbreiterung der antikapitalistischen Opposition ist.

Die pauschale Verketzerung der "Antiautoritären" als "kleinbürgerliche Revoluzzer" ist das Resultat einer theoretischen Fehleinschätzung. Sie ist objektiv konterrevolutionär. In der gegenwärtigen Phase der Auseinandersetzung ist die Entwicklung des antiautoritären Lagers der beste und möglicherweise der einige Ansatzpunkt für die Entwicklung der antikapitalistischen Opposition.

Die antiautoritäre Haltung büßt ihre progressive Bedeutung jedoch dort ein und schlägt in ihr Gegenteil um, wenn sie dazu führt, daß sie auch innerhalb der antikapitalistischen Bewegung zur Ideologie erhoben wird und die Bildung der notwendigen, Diziplin voraussetzenden Organisationsstruktur verhindert.

Mit dieser Erscheinung haben wir und in einer Weise auseinanderzusetzen, die die revolutionäre Bedeutung des "antiautoritären Lagers" nicht negiert und die Anwendung der von der bürgerlichen Propaganda bereitgestellten Klischees ausschließt.

Worin besteht nun das Problem. Die gegenwärtige Phase der politischen Entwicklung der außerparlamentarischen Opposition ist durch einen auffälligen Widerspuch gekennzeichnet. Der Vietnamkongreß, die Vietnam-Demonstration vom 18. Februar und die 1.-Mai-Domenstration 1968 haben gezeigt, daß sich die Außerparlamentarische Opposition in West-Berlin heute schon auf eine Massenbasis von ca. 50.000 stützen kann (wahrscheinlich liegt diese Zahl höher, da es unwahrscheinlich ist, daß jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt sämtliche Anhänger der Außerparlamentarischen Opposition an einen Punkte zusammenkommen; insoweit dürften die Demonstrationen jeweils nur einen Teil der Anhängerschaft umfassen). Berücksichtigt man die Tatsache, daß unter den gegebenen Umständen in West-Berlin nur ein sehr geringer Teil der Gesamtbevölkerung politisch in der einen oder anderen Richtung engagiert und aktiv ist (schließlich hat der Senat für die Kundgebung am 21. Februar 1968 trotz der Generelmobilmachung ebenfalls nur ca. 50.000 Personen mobilisieren können), so erhellt daraus, daß die Massenbasis der Außerparlamentarischen Opposition eine nicht unerhebliche Kraftreserve darstellt, daß es uns aber bisher nicht gelungen ist, diese Reserven auszuschöpfen und das Potential über punktuelle Kampagnen hinaus in eine kontinuierliche politische Bewegung überzuleiten.

Eine Masse von 50.000 kann als Kraftreserve optimal nur denn genutzt werden, wenn die Masse zur Gruppe wird, oder genauer, wenn die zunächst noch im Zustand der Vereinzelnung befindlichen Partikel dieser Masse durch eine geeignete organisatorische Struktur zu Kontakten untereinander angeregt werden, und dieser Kontakt auch tatsächlich hergestellt wird.

Bisher ist des uns nur gelungen, diese Masse von Fall zu Fall auf die Straße zu bringen. Wir sollten uns jedoch nicht einbilden, daß wir durch die auf den Kundgebungen gehaltenen Reden diese Masse in ihrer politischen Haltung stabilisieren, die Bewußtseinsentwicklung weitertreiben und zu konkreten politischem Handeln anleiten können.

Es dürfte nicht schwerfallen, über diese These eine weitgehende Übereinstimmung herzustellen. Es ergibt sich folglich die Frage, welche Widerstände sich der Schaffung einer solchen Organisationsstruktur entgegenstellen. Hier sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen.

a) Die theoretisch fundierte Ablehnung des bürgerlichen Parlamentaris mus führt dazu, die organisatorische Konzeption der bürgerlichen Parlamentsparteien zu verwerfen.

b) Die bürokratische Entartung der kommunistischen Kaderparteien sowohl in den sozialistischen Ländern als auch in den kapitalistischen Ländern (die KP Frankreichs dürfte gerade in jüngster Zeit ein eindrucksvolles Beispiel für die konterrevolutionären Konsequenzen dieser Entartung gegeben haben) hat dazu geführt, daß das Leninsehe Prinzip der Kaderpartei weitgehend in Mißkredit geraten ist.

c) Die antiautoritäre, institutions- und organisationsfeindliche Einstellung in weiten Teilen der Außerperlamentarischen Opposition bringt Aversionen gegen den Gedanken an eine organisatorische Strukturierung, die notwendig eine freiwillig auferlegte Disziplinierung voraussetzt, hervor.

Der emotionelle Widerwille gegen die Einhaltung einer Organisationsdisziplin wird weitgehend mit einer Argumentationsreihe gegen die parlamentarischen Parteien und gegen die Leninsche Kaderpartei "rationalisiert". Auf dem Hintergrund dieser emotionalen Ablehnung jeglicher Organisationsstruktur und Organisationsdisziplin wird gegenwärtig die Theorie von der Spontaneität der Massen zur Ideologie erhoben und als stärkstes Geschütz gegen alle Bestrebungen zur Schaffung einer Organisationsstruktur in Stellung gebracht. Dabei wird jedoch nur die eine Seite der Polemik Rosa L u x e m b u r g s gegen die Leninsehen Organisationsprinzipien zur Kenntnie genommen. Es ist sicherlich richtig, daß "die sozialdemokratische (nach unseren Sprachgebrauch: die sozialistische) Bewegung die erste in der Geschichte der Klassengesellschaften (ist), die in allen ihren Momenten, im ganzen Verlauf auf die Organisation und die selbständige direkte Aktion der Masse berechnet ist" (Rosa Luxemburg: Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie; Europäische Verlageanstalt 1963, S. 26). Ebenso wichtig ist aber auch die Feststellung, daß es "keinem Zweifel (unterliegt), daß der Sozialdemokratie (nach unseren Sprachgebrauchs der sozialistischen Bewegung) in allgemeinen ein starker zentralistischer Zug innewohnt. Erwachsen aus dem wirtschaftlichen Boden des seinen Tendenzen noch zentralistischem Kapitalismus und angewiesen in ihrem Kampfe auf den politischen Rahmen dessen zenralisierten bürgerlichen Großstaats, ist die Sozialdemokratie von Hause aus eine Gegnerin jedes Partikularismus und nationalen Förderalismus. Berufen dazu, allen partiellen und Gruppeninteressen des Proletariats gegenüber dem Rahmen eines gegebenen Staates die Gesamtinteressen des Proletariats als Klasse zu vertreten, hat sie überall die natürliche Bestrebung, alle nationalen, religiösen, beruflichen Gruppen der Arbeiterklasse zur einheitlichen Gesamtpartei zusammenzuschweißen. ..." (Rosa Luxemburg a.a.O., 8. 25/26).

Angesichts dieser ideologischen Unklarheiten und des Unvermögens der Initiativgruppen der Außerparlamentarischen Opposition (SDS, RC u.a.). die mobilisierbaren Massen organisatorisch zu erfassen und zu einer kontinuierlich wirkenden politischen Kraft zu entwickeln, ist die Organisationsfrage auf die Tagesordnung gesetzt.

Die notwendige Form und der Mechanismus der Organisation kann jedoch nicht abstrakte losgelöst von den inhaltlichen Aufgaben, die von der Organisation zu lösen sind, erörtert werden. Jede Gruppe. die keine klar bestimmbare Funktion hat, zerfällt; jede Gruppe, deren Struktur nicht ihrer Funktion angepaßt ist und die Funktion nicht erfüllen kann zerfällt ebenfalls.

Wir müssen erkennen , daß es uns angesichts der hochgradigen und verhältnismäßig stabilen Entfremdung der Arbeiterklasse noch nicht möglich ist, den sozialen und politischen Kampf des Proletariats für seine Interessen unmittelbar zu organisieren. Das führt zu der weiteren Schlußfolgerung, daß es im gegenwärtigen Stadium nicht darum gehen kann, eine proletarische Klassenpartei aufzubauen, denn diese ist ohne maßgebliche Beteiligung der Proletarier selbst nicht denkbar. Sozialistisehe Gruppierungen im akademischen Bereich oder dessen Nachbarschaft könnten nur die Karikatur einer Arbeiterpartei sein (und sind es in der Tat!). Eine proletarische sozialistische Partei kann sich nur in den Maß entwickeln, wie sich das proletarische Klassenbewußtsein in der Arbeiterklasse selbst entwickelt. Trotz der spektakulären Entwicklung der Außerparlametarischen Opposition stehen wir nach wie vor in Vorfeld der politischen Organisation der Arbeiterklasse. Die politische Bedeutung der Aktionen der Außerparlamentarischen Opposition besteht unter anderem darin, daß sie sich im Ansatz als eine Massenbewegung erwiesen hat und dadurch die Erwartung in das gesellschaftliche Bewußtsein getreten ist, daß sich diese Massenbewegung früher oder später einen organisatorischen Ausdruck verschaffen wird. Kennzeichen für die Situation ist die Tatsache, daß zum ersten Male seit Beendigung des Krieges die Pläne zur Gründung einer neuen Linkspartei bzw. einer sozialistischen Partei nicht von den maßgeblichen Gruppen der Außerparlamentarischen Opposition entworfen werden, sondern die etablierten Parteien - insbesondere die SPD - geradezu flehentlich bitten, eine solche Partei zu gründen. Die außerparlamentarischen Gruppen haben bisher keine Neigung gezeigt, diesem Wunsche zu entsprechen. Diese Haltung deutet darauf hin, daß ihre politische Praxis von der Erkenntnis bestimmt wird, daß die notwendige Voraussetzung für die politische Organisation der Arbeiterklasse die Zertrümmerung der Sozialdemokratischen Partei ist. Der Prozeß der Zerschlagung der sozialdemokratischen Organisationen hat begonnen. Der Nürnberger Parteitag sowie der Parteitag der Berliner SPD, aber auch die Parteitage der anderen Landesverbände sind der sichtbare Ausdruck dieses Prozesses.

Die Notwendigkeit, diesen Prozeß zu fördern und zu organisieren, habe ich in dem Manuskript "Die Aufgaben der sozialistischen Linken in Westdeutschland" (1962) skizziert. Die bisherige Entwicklung hat die dort gegebene Einschätzung im wesentlichen Punkten bestätigt. Unsere Arbeit muß auf dieser Linie fortgesetzt werden.

Die Immobilität der Westberliner Bevölkerung ist u. a. dadurch bedingt, daß die Sozialdemokratische Partei trotz aller Erschütterungen in den vergangenen Manaten immer noch den Eindruck aufrechterhalten kann, regierungsfähig und in der Lage zu sein, die wirtschaftlichen Probleme der Stadt zu lösen und damit das Interesse der Werktätigen (Aufrechterhaltung ihrer derzeitigen Lebensstandardds) wirksam wahrzunehmen. Es kommt daher alles darauf an, durch koordinierte Aktion innerhalb und außerhalb der Sozialdemokratischen Partei, diese zum politischen Offenbarungseid zu zwingen. Zwar wird die Führung von sich aus niemals die Konsequenzen ziehen; es bestehen jedoch gute Aussichten, das die Widerstundsgruppen innerhalb der Partei der Gesamtorganisation die Diskussion über die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Stadt aufzwingen können und durch diese Diskussion die Regierungsunfähigkeit der Partei oder - besser gesagt - die Unfähigkeit, die unmittelbaren materiellen Bedürfnisse und Interessen der werktätigen Bevölkerung zu sichern, offenbar wird.

Allein auf diesem Wege lassen sich echte und meßbare Erfolge erzielen; und schließlich ist der nachweisbare Erfolg eine wesentliche sozialpsychologisches Voraussetzung für die Erhaltung und Festigung von politischen Gruppen.

Zwar ließe es sich als Erfolg ausgeben, wenn es uns gelingen würde, in sogenannten Basisgruppen einige tausend Werktätige zu organisieren. Aber es wären eben nur einige Tausend, deren politische Aktivität keine nennenswerte Vermittlung finden könnte. Der unvermittelte Ansturm dieser Gruppen gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung könnte keine relevanten Wirkungen erzielen und müßte daher notwendig zur Resignation, wenn nicht sogar zu Liquidation, führen. Wenn es dagegen einigen Hundert gelingt, durch eine konsequente und zähe Kleinarbeit in den Institutionen - insbesondere in der Sozialdemokratischen Partei die wesentlichen Stützen der kapitalistischen Gesellschaft zu unterminieren und zum Zusammenbruch zu bringen, wäre der Fortschritt auf den Wege zur Umwälzung der kapitalistischen Gesellschaft unmittelbar einsichtig, woraus sich ständig neue Impulse zur Fortsetzung und Aufrechterhaltung das politischen Engaguments ergeben würden.

Mit dieser Feststellung soll die Bedeutung der Basisgruppen keineswegs geleugnet werden. Diese Basisgruppen werden ihre Bedeutung aber erst dann erlangen, wenn ihre Tätigkeit an der Basis mit dem Widerstand innerhalb der Institutionen - insbesondere innerhalb der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei - verbunden und synchronisiert wird. Die Institutionen werden wesentlich empfindlicher und nach allen Erfahrungen unangemessener und ungeschickter reagieren, wenn die Parteibürokratie erkennen muß, das die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei über die Basisgruppen an die Bevölkerung vermittelt werden. Der Parteiapparat wird dann keine Möglichkeit haben, die innere Auseinandersetzungen totzuschweigen. Andererseits sind die Widerstandsgruppen innerhalb der Institutionen darauf angewiesen, durch die Arbeiterbasisgruppen mit den sozialen Problemen der werktätigen Bevölkerung vertraut gemacht zu werden. In diesem Sinne ist das Manuskript vom November 1966 zu präzisieren.

Über allem darf nicht vergessen werden, das die Herstellung und Aufrechterhaltung einer gewissen Öffentlichkeit für die politischen Zielt der sozialistischen Opposition eine wesentliche Rundbedingung des politischen Kampfes sind. Die bürgerliche Gesellschaft ist ständig auf dem Sprung, die Öffentlichkeit so weit einzuengen, daß in ihr sozialistische Zielvorstellungen nicht mehr zur Darstellung kommen können. Es wird daher auch in Zukunft notwendig sein, durch provokative Aktionen die notwendige Öffentlichkeit herzustellen.

Aus dieser Einschätzung der gegenwärtigen politischen Situation ergeben sich konkrete Schlußfolgerungen:

1. Wir müssen in den Reihen der Außerparlamentarischen Opposition die Notwendigkeit des Widerstands innerhalb der Institutionen - insbesondere innerhalb der Sozialdemokratie - propagieren und einsichtig machen mit dem Ziel, mehr und mehr Anhänger der Außerparlamen tarischen Opposition in diesen Widerstand aktiv einzubeziehen, was konkret heißen muß, daß wir nach entsprechender Vorbereitung eine Eintrittswelle in die Sozialdemokratische Partei und in die Gewerkschaften organisieren müssen. Das heißt auch, daß wir dem Sektierertum und dem moralischen Rigorismus innerhalb der Linken entgegen treten müssen.
"Man muß ... zu allen möglichen Kniffen, Listen, illegalen Methoden, zu Verschweigung, Verheimlichung der Wahrheit bereit sein, um nur in die Gewerkschaften (und in die Sozialdemokratische Partei) hineinzukommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen kommunistische Arbeit zu leisten." (Lenin: Der "linke Radikalismus", die Kinderkrankheiten im Kommunismus, Ausgewählte Werke, Bund 2, Seite 701.

Hier ist der Hinweis angebracht, daß es sich nicht um eine Wiederbelebung des Trotzkistischen "Intrismus" handeln kann. Das Verbleiben in den sozialdemokratischen Organisationen ist nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck - nämlich zur sozialistischen Arbeit, was auch organisatorische Arbeit bedeutet. In einzelnen kann hier auf das Manuskript aus dem Jahre 1962 verwiesen worden.

2. Mit den Gruppen, die bereits innerhalb der SPD bestehen und die dort Widerstand leisten, und mit den einzelnen Mitgliedern, die für diesen Widerstand gewonnen werden können, sind intensive Kontakte zu pflegen. Ihnen ist jede nur mögliche Hilfestellung zu gewähren. Durch permanente Diskussionen über die Rolle und die Aufgabe der Widerstandsgruppen ist zu verhindern, daß diese sich in "sozialdemokratische" Gruppen zurückverwandeln; d.h. eine Integrationsfunktion annehmen.

3. Die Basisgruppen im engeren Sinne (das sind solche, die sich auf der Grundlage verhältnismäßig homogener sozialökonomischer Inter- essen organisieren) sind in jeder Hinsicht zu fördern. Es sind Kontakte unter den einzelnen Basisgruppen herzustellen. Darüber hinaus aber auch Kontakte zwischen den Widerstandsgruppen innerhalb der Institutionen und den Basisgruppen.

4. Zur Lösung der unter 1 bis 3 aufgeführten Aufgaben wird es notwen- dig werden, innerhalb des Republikanischen Clubs und über den Republikanischen Club hinaus (SDS, SHB, SJ, Sozialistischen Club usw.) die vorhandenen sozialistischen Kader zusammenzufassen und einheitlich bei der Lösung der Aufgaben 1 bis 3 einzusetzen. Der erste Schritt auf diesem Wege ist die Einberufung einer sozialistischen Konferenz, an der alle die in Betracht kommenden Gruppen beteiligt sein müssen. Diese Konferenz wird nur dann zu praktischen und halbwegs richtigen Resultaten führen, wenn sie durch eine Diskussion in den einzelnen Gliedurungen vorbereitet wird.

5. Um jeweils die kurzfristische Mobilisierung der Außerparlamentari- schen Opposition insgesamt (d.h. in ihrer ganzen Breite bis hin zu den Liberalen) zu ermöglichen, muß die Koordinationsarbeit unter den einzelnen Gruppierungen der Außerparlamentarischen Opposition ver- bessert und intensiverrt werden. Diese Koordination wird dann leichter möglich sein, wenn es gelingt, durch eine intensive Diskussion den einzelnen Teilgruppen der Außerparlamentarischen Opposition den politischen Stellenwert der Mobilisierungskampagnen innerhalb der Konzeption der einzelnen Gruppe einsichtig zu machen. Hier sollte sich eine besondere Studiengruppe mit den politischen Zielsetzungen der Teilgruppen vertrautmachen und Argumentationsreihen für die Notwendigkeit der Kampagnen innerhalb dieser Zielsetzungen entwickeln.

6.Um die aus Inaktivität und Selbstbeschäftigung der verschiedenen Teilgruppen resultierende verhältnismäßige Isolation zu überwinden, sollte der Vorstand des RC dafür sorgen, das die nicht-sozialistischen Teilgruppen in der politischen Diskussion des Republikanisehen Clubs stärker repräsentiert sind. Der Club sollte daher systematisch die einzelnen Gruppen zu politischen Diskussionon im Republikanischen Club einladen und die Diskussion sorgfältig vorbereiten. Für die Vorbereitung ist auf die zu Punkt 4 vorgeschlagenen Studiengruppen zurückzugreifen. Bei diesen Diskussionen ist besonders darauf zu achten, das sich nicht der aus einer grundsätzlichen Übereinstimmung in Tagesfragen ergebende Leerlauf der Argumentation einstellt. Die Diskussion muß daher auch jeweils auf die gruppenspezifischen Unterscheidungsmerkmale. d.h. auf diejenigen Punkte der politischen Konzeption gelenkt worden, die mit den politischen Konzeptionen anderer Gruppen - insbesondere der sozialistischen Gruppen - nicht übereinstimmen.

7. Mit Rücksicht auf die durch den Widerstand innerhalb der Institutionen provozierten Öffentlichkeitskampagnen der Sozialdemokratie sind aus der Clubmitgliedschaft Agitationsteams zu rekrutieren, die in der Lage sind, bei allen möglichen politischen Veranstaltungen (Bürgerversammlungen; Vortrageabende in Jugendheimen; Wahlversammlungen; Kundgebungen und Kongresse) die Inhaltslosigkeit des sozialdemokratischen Gewäsches zu entlarven und auf die wirklichen Probleme der Stadt hinzulenken. Es kommt dabei nicht so sehr darauf an, daß diese Agitationsteams ihrerseits fertige Lösungen anbieten. Der entscheidende Erfolg ist dann gesichert, wenn es gelingt, bei derartigen Veranstaltungen ein echtes Problembewußtsein zu schaffen und damit aufzuzeigen, das die Politik der Sozialdemokratischen Partei keine Konzeption bereithält, die eine Lösung der Probleme verspricht. Das Ziel dieser Agitationsteams sollte es sein, nach Möglichkeit in den einzelnen Veranstaltungen die Diskussionsleitung zu übernehmen. auf diese Weise können die mit großem finanziellen Aufwand betriebenen Öffentlichkeitskampagnen der Sozialdemokratischen Partei umfunktioniert werden. Die Aktionen dieser Agitationsteams sollten nach Möglichkeit mit den Widerstandsgruppen innerhalb der Institutionen abgestimmt werden, damit man sich gegenseitig die Bälle zuspielen kann.

8. Die Heranbildung dieser Agitationsteams gewährleistet zugleich die Entwicklung eines umfassenden politischen Bewußtseins der Clubmitgliedschaft. Dieses Bewußtsein bildet dann die Grundlage für eine Umstruktierung des Clubs nach Bätegesichtspunkten, die mir im gegenwärtigen Stadium noch nicht möglich erscheint. Die Agitationsteams sollten in Fünfergruppen organisiert sein (Zehnergruppen ergeben schon wieder eine zu starke Anonymität des Einzelmitgliedes und verstärken die Probleme der Gruppendisziplin).

Auf der Grundlage dieser Betrachtungen sollten wir eine Übereinstimmung dahin gehend erzielen, das unsere Politik von folgender Grundthese auszugehen hat:

Die in antagonistische Klassen gespaltene spätkapitalistische Gesellschaft wird durch die Kanalisierung und Verdrängung des sozialen Konflikte, durch die iedologische Verschleierung des sozialen Gegensatzes mit Hilfe zurechtgeschneiderter Pluralismustheorien in die spätkapitalistische, bürgerliche Ordnung integriert. Die Kanalisierung und Verschleierung wird vermittelt durch die Institutionen, insbes. durch die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften. Die Desintegration der spitkapitalistischen Gesellschaft, die die notwendige Voraussetzung eines erfolgreichen Klassenkampfes ist, setzt daher die Destruktion dieser Institutionen voraus.

Die Institutionen sind gegen äußere Einwirkungen verhältnismäßig stabil. Der Widerstand ist daher in ihnen selbst zu entfalten und mit den Aktionen von außen zu koordinieren.

Quelle: Dokumentation FU Berlin, Teil V, 1967 - 1969, Hrg. v. Lönnendoncker, Fichter, Staadt, Westberlin 1983, S.