Aufruf an das internationale Provotariat

Oberbaum
Linkeck
Almanach
1965 - 1968


Westberlin 1968

Aufruf an das internationale Provotariat

Was ist das Provotariat?
Alle Provos, beatniks, Penner, Halbstarken, teddy-boys; blouson noirs, Gammler, raggare, stiljagi, mangupi, Studenten, Künstler, Kriminellen, A-Sozialen, Anarchisten und ban de bommers. Die keine Karriere machen wollen, die kein geregeltes Leben leiden, die sich fühlen wie weiße Fahrräder auf der Autobahn. Hier, in den durch Kohlenmonoxyd verpesteten Asphaltdschungeln von Amsterdam, London, Stockholm, Tokio, Moskau, Paris, New York, Berlin, Mailand; Warschau, Chicago.

Das Provotariat ist die letzte aufständische Gruppe in den Wohlfahrtsstaaten. Das Proletariat hat sich seinen politischen Führern unterworfen. Es ist mit seinem alten Rivalen, der Bourgeoisie; zu einem großen grauen Scheißvolk zusammengeschmolzen.

Das Provotariat ist eine anonyme Menge subversiver Elemente.

Warum ist das Provotariat aufständisch?

Das Vorbild, das uns die Millionen kleinen Ellenbogenarbeiter, kleinen Erfolgsjäger und kleinen Gesellschafts-I.eiter-Klimmer geben, ist uns zu langweilig. "SUKSES" ein eigenes Heim; ein eigenes Auto, ein eigener Fernseher, eine eigene Frau-des-Jahres,. ein eigener Kühlschrank; eine eigene Position.

Wir leben in einer geschmacklosen Einheitsgesellschaft. Das kreative Individuum ist eine Ausnahme. Verhalten und Konsum werden uns vorgeschrieben oder aufgezwungen durch kapitalistische oder kommunistische Big Bosses.

Aber die Provos wollen sie selbst sein!

Sie wollen die kreativen Freizeitbeschäftiger von morgen sein !

Weg mit Philips, weg mit Seven-up, LEXINGTON, DAF, PERSIL, Prodent.

Das Provotariat verabschäut den versklavten Konsumenten!

Wir leben in einer autoritären Gesellschaft. Die Autoritäten (Kopf und Hände des Scheißvolks) bestimmen, was geschieht; wir haben darauf kaum Einfluß. Wir organisieren Happenings; das Happening ist unser Anteil an dem Geschehen, das uns die Autoritäten zu nehmen versuchen.

Gegen unseren Willen bereiten sich die Autoritäten auf einen Atomkrieg vor. Überall lagern sie Atombomben: in Amerika, Rußland, England, Frankreich und China, in kürze auch in West-Deutschiand, Schweden, Indonesien, Israel, Indien usw. Wenn der Krieg in Vietnam sich zu einen Atomkrieg ausweitet, wird wahrscheinlich die ganze nördliche Halbkugel der Erde für den Menschen unbewohnbar werden!

Die Autoritäten bestimmen über unser Leben und unseren Tod.

Das Provotariat hat Angst vor dem Atomkrieg der Autoritäten.

Also liegt das Provotariat überall im Zerwürfnis mit den Autoritäten. Die Polizei schlägt drauf los, wenn wir gegen die Atombombe demonstrieren, wenn wir happenen, als Halbstarke (in einem unbewußten Protest gegen die Gesellschaft) in ihrer Manier auftreten. An uns, Provos, reagiert die Polizei ihre Rachegefühle ab.

Polizei gegenüber Provotariat - Hierarchtie gegenüber Anarchie.

Der anarchistische Instinkt des internationalen Provotariats hat den Anarchismus aufs neue inspiriert. Vor allem löst sich dìe anarchistische Bewegung PROVO in den Niederlanden aus dem Provotariat und versucht, die Provos in der ganzen Welt dé-klassenbewußt zu machen.

Was will der Anarchismus?

KOLLEKTIVIERUNG (kein Privatbesitz, aber möglichst viel gemeinschaftlicher Besitz),

DEZENTRALISIERUNG (Abschaffung.des Staats, in dem die Regierung beinahe alle Macht besitzt),

ENTMILITARISIERUNG (Entwaffnung, keine Hierarchie).

Eine neue Gesellschaft, bestehend aus einer Föderation von Gemeinschaften, die so autonom wie möglich sind, in denen der Privatbesitz abgeschafft ist.

Computer werden im kommenden kybernetischen Zeitabschnitt die Arbeit der Politiker übernehmen müssen.

In dieser technokratischen Gesellschaft, dezentralisiert in kleinere Gemeinschaften, soll wirkliche DEMOKRATIE verwirklicht werden.

Der Anarchismus will Revolution.

PROVO zweifelt aber am Kommen von Revolution und Anarchie.

Doch schöpft PROVO Mut aus dem Anarchismus; er ist für uns die einzig annehmbare Gesellschaftsanschauung. Er ist unsere ideologische Waffe gegen die totalitären Mächte, die das Provotariat bedrohen.

Wenn dem Provotariat die Kraft (noch ? ) fehlt für eine Revolution, dann bleibt uns :

Die Provokation.

Der schlaue Nadelstich. Unsere letzte Chance, um die Autoritäten an den vitalen Stellen zu treffen. Durch Provokationen müssen wir die Autoritäten zwingen, sich bloßzustellen.

Alle Uniformen, Stiefel, Mützen, Säbel, Knüppel, Wasserwerfer, Polizeihunde, Tränengasbomben und was man für uns noch in petto hat, müssen in Aktion treten.

Die Autoritäten müssen sich als wahre Autoritäten sehen lassen.

Hervorstechendes Kinn, gerunzelte Augenbrauen, zornige Augen, links und rechts drohend, befehlend, verbietend, urteilend. So werden sie sich mehr und mehr unpopulär machen und die Menschen reif für den Anarchismus. So kann wieder ein revolutionäres Klima entstehen:

eine Krise

Die Krise der provozierten Autoritäten.

Die GROSSE PROVOKATION,

wozu wir das internationale Provotariat aufrufen.

PROVOZIERT

formt anarchistische Gruppen!

Achtung

PROVOS, wir verlieren eine Welt!

Nachruck aus: PROVOKATIE Nr. 8