KRITIK UND SELBSTKRITIK DER BISHERIGEN BETRIEBS- UND
BASISGRUPPENARBEIT AM BEISPIEL DES BETRIEBS KINDERLADENPROJEKTS UND DER
FRAUENBETRIEBSGRUPPE WEDDING. l. Wie entstand der Gedanke der Frauenbetriebsgruppe
und des Betriebskinderladens?
"Die Idee zu einer Frauenbetriebsgruppe entstand in einem studentischen
Frauenarbeitskreis, der, nachdem er sich eine Zeitlang mit Theorie beschäftigt hatte,
merkte, daß darüber keine wirkliche Emanzipation möglich ist, sondern nur in der
Praxis. " (Basisgruppen-Info 5) Außerdem fiel in Betriebsgruppen auf, daß hier fast
ausnahmslos Männer waren, obwohl in den entsprechenden Betrieben vorwiegend Frauen
arbeiteten. Den Grund für die mangelnde Mitarbeit der Arbeiterinnen sahen wir darin, daß
die Frauen ein noch geringeres Bewußtsein hätten als die Männer. Dies erklärten wir
uns durch die doppelte Unterdrückung der Arbeiterinnen in Familie und Betrieb. Wie konnte
den Frauen geholfen werden?
Die gleiche Motivation hatte uns schon vorher zur Gründung der anti-autoritären
Kinderläden geführt. Die Studentinnen und Studentengattinnen sollten dadurch freigesetzt
werden für diejenige politische Arbeit, für die bislang nur ihre Männer Muße hatten.
Die zeitraubende Aufzucht der Kinder sollte jetzt kollektiv und arbeitsteilig gemeistert
werden. Die Debatten über anti-autoritäre Kindererziehung verschlangen jedoch die
freigesetzte Zeit und darüber hinaus. Die Lösung der Probleme der Kindererziehung und
der sexuellen Über-Kreuz-Beziehungen der Eltern erschien uns als ein unabdingbarer
Schritt zur Revolution. Den allein richtigen und notwendigen Schritt zur Revolution, das
Hauptziel, nämlich die Organisierung des Proletariats, verloren wir aus den Augen.
2. Welchen Gewinn haben wir aus unseren Erfahrungen mit den anti-autoritären
Kinderläden für die Betriebsarbeit gezogen?
Wir glaubten, daß in den Genuß der antiautoritären Kinderläden, auch die
Arbeiter kommen müssen. Wir meinten, daß es sehr schwierig sein würde, das Modell der
antiautoritäten Kinderläden auf die Arbeiterkinder zu übertragen, weil die Arbeiter
ihre Kinder viel repressiver erzögen als wir vor Gründung der antiautoritären
Kinderläden unsere eigenen Kinder erzogen hatten. Diese Schwierigkeiten der Übertragung
würden, so meinten wir, geringer werden, wenn wir die antiautoritären Kinderläden mit
den Betriebsgruppen verknüpften. Wir dachten, die Arbeiter könnten besonders gut anhand
der Probleme antiautoritärer Erziehung über ihre eigene Unterdrückung im Betrieb
aufgeklärt werden: "Eine kollektive Kindererziehung kann nur dann erfolgreich sein,
wenn die Eltern ihren bisherigen Erziehungsstil problematisiert haben. Das kann nur der
Fall sein, wenn sie den Zusammenhang zwischen der Unterdrückung am Arbeitsplatz und
repressivem Klima in der Familie erkennen."(Kinderladen-Info 7)
Was folgt daraus für die Arbeiterinnen; Wir meinten, daß das Bewußtsein der
Arbeiterklasse da am wenigsten ausgeprägt sei, wo die Unterdrückung am stärksten sei,
nämlich bei den Arbeiterinnen. "Deshalb meinten wir, uns speziell um Frauen kümmern
zu müssen und innerhalb von Frauenbetriebsgruppen ihnen ihre Unmündigkeit bewußt zu
machen."(BG-Info 5) Wir glaubten mit einem Vehikel - dem Betriebskinderladen - in
Frauenbetriebsgruppen bei den Arbeiterinnen Einsicht in ihre eigene Unterdrückung erst
schaffen zu müssen. Wir forderten also von Telefunken einen Betriebskindergarten und
versuchten, über diese Forderung Arbeiterinnen für die Mitarbeit in der
Frauenbetriebsgruppe zu gewinnen. Der Entwicklung des Projekts eines Betriebskinderladens
in der Basisgruppe Wedding war bei Telefunken eine betriebliche Unterschriftensammlung zur
Forderung eines Betriebskindergartens vorausgegangen. Die Aktion wurde durchgeführt von
der Betriebsgruppe Telefunken in Verbindung mit einem linken Betriebsrat. Diese Forderung
als taktischer Schritt war zweideutig. Einerseits sollte sie zur Organisierung der
Arbeiterinnen als Sozialistinnen in Frauenbetriebsgruppen dienen, andererseits wäre die
Erfüllung dieser Forderung nicht im Interesse der Arbeiterklasse, weil der Kapitalismus
langfristig an Betriebskindergärten interessiert sein kann, um die Unterdrückung der
Arbeiterklasse zu verschärfen.
Warum ist der Kapitalismus an Betriebskindergärten interessiert? Ein
Betriebskindergarten bedeutet erstens Freisetzung von mehr Frauen für die Arbeit in der
Produktion. Zweitens bietet er dem Kapitalisten die Möglichkeit, bei gespannter Lage des
Arbeitsmarktes die Frauen an den Betrieb zu binden. Drittens kann der Kapitalist so auch
noch die Kindererziehung bestimmen. Telefunken hat unsere Forderung jedoch inzwischen
abgelehnt. Die Kapitalisten insgesamt haben im Augenblick Interesse daran,
Sozialleistungen auf den Staat abzuwälzen und damit den Reallohn des Arbeiters zu senken,
weil der Arbeiter dadurch die Sozialleistungen über die Steuern im Endeffekt selbst
bezahlen muß. Im Moment ist die Reserve an Frauen (und an Gastarbeitern) noch hoch genug,
die Lage auf dem Arbeitsmarkt noch nicht gespannt, und also kann Telefunken es sich noch
leisten, keinen betriebseigenen Kindergarten zu haben.
Als sich abzeichnete, daß unsere Forderung nicht erfüllt werden würde, entwickelte
sich in der Basisgruppe eine Diskussion über den Nutzen eines von der Basisgruppe
betriebenen Betriebskinderladens. Wir sahen die Möglichkeit, durch Aufgreifen eines
Bedürfnisses der Arbeiterinnen (Kindererziehung) an sie "heranzukommen". Über
die Arbeit an den Grundlagen der Kindererziehung sollten sie auf den Grundwiderspruch
hingeführt und politisiert werden. Eine Genossin - Angestellte bei Telefunken -
berichtete von mehreren Arbeitskolleginnen, die ein starkes Unbehagen an den
Erziehungsmethoden der staatlichen Kindergärten geäußert hätten. Dies bestärkte
unsere Vorstellung von der Richtigkeit unseres Konzepts. Dadurch, daß wir den
Arbeiterinnen einen Betriebskinderladen schenkten, wollten wir die Arbeiterinnen an die
Betriebsgruppe als einzig mögliche Organisationsform binden, ohne zu überprüfen, ob
Betriebsgruppen die richtige und einzige proletarische Organisationsform sein können.
3. Was haben wir für Fehler gemacht?
Schrittweise hatten wir also unser Ziel vergessen. Unser beschränktes Ziel war
gewesen, Arbeiterinnen in Frauenbetriebsgruppen zu organisieren. Wie suchten wir das zu
ereichen? l. durch Propagierung eines Betriebskindergartens und spätere Politisierung der
Frauen über Erziehungsprobleme. 2. Mobilisierung der Frauen zur Durchsetzung von l. Über
die Forderung des Betriebskindergartens, über die Schaffung eines
Betriebskindergartenkonflikts in Betriebsversammlungen.
Wo die Taktik von keiner Strategie kontrolliert wird, kann sie immer nur wieder Taktik
hervorbringen. - Dies gipfelt in folgendem: "Die Arbeit mit den Kindern dient in
erster Linie dazu, parallel zur Betriebsorganisation an die Eltern auch im
Reproduktionsbereich heranzukommen. Dabei kann uns das starke Interesse der Eltern an
einer besseren Zukunft der Kinder behilflich sein."(KL-Info 7) - Wenn also aus Taktik
nur Taktik entsteht, wird Taktik schließlich naturwüchsig zum Inhalt der Politik. Diese
"Politik der Taktik aus der Taktik" konnte nur entstehen, weil versteckte
Motive, die aus der Klassenlage der Studenten resultierten, immer wieder hervorbrachen und
zum eigentlichen Ziel wurden: "Auch für die Studentinnen ist es wichtig, sich mit
Arbeiterinnen auseinanderzusetzen, weil sie (die Studentinnen) die Unterdrückung zwar
verschleiert, aber doch ähnlich erfahren und weil sie dadurch (durch die
Auseinandersetzung mit den Arbeiterinnen) sich emanzipieren und lernen, selbständig
politische Arbeit zu leisten."(BG-Info 5)
4. Wie ist diese opportunistische Politik zu erklären?
Wir gingen von falschen Vermutungen über die Bewußtseinslage des Proletariats
aus. Wir hatten die marxistisch-leninistische Theorie der Klassengesellschaft, ohne sie
angeeignet zu haben, ersatzlos verworfen und aus den Erfahrungen der Geschichte der
Arbeiterbewegung keine Konsequenzen gezogen. Spätestens nach dem ersten Versuch einer
Analyse über die Lage der Arbeiterinnen (s. RPK Nr. 21) hätten wir unsere Anstrengungen
für die Organisierung der Proletarierinnen verstärken müssen. Denn das Ergebnis der
Analyse war, daß die Arbeiterinnen sich sehr wohl ihrer doppelten Unterdrückung bewußt
sind, jedoch resignieren, weil sie mit Recht sich nicht vorstellen können, wie ihre Lage
durch eine Politik der Taktik sich entscheidend verändern sollte. (Bei der jetzt
stattfindenden Schulung am Kommunistischen Manifest sagte die Genossin M., BG Wedding:
"Es war mir nie glaubwürdig, wie das alles, was wir machten, zur Revolution führen
soll")
5. Was hat uns davon abgehalten, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen?
Letztlich erklärbar ist das nur aus unserer Vorgeschichte als Kleinbürger. Wir
hatten an der Universität gemerkt, daß Studenten allein die Revolution doch nicht machen
können. Obwohl wir wußten, daß das Proletariat allein die Avantgarde der Revolution
sein kann, gingen wir praktisch so vor, als wären wir auf der Suche nach einem geeigneten
Bündnispartner. Da wir davon ausgingen, daß der Spätkapitalismus alle manipuliere, war
es für uns so schwierig, das Proletariat zu entdecken. Nachdem wir uns entschlossen
hatten, anzunehmen, daß es ein Proletariat zwar gibt, aber ein manipuliertes, mußte
unsere Aufgabe sein, "die Macht der Manipulateure" zu brechen. Wir glaubten, das
Klassenbewußtsein des Proletariats wieder zum Leben erwecken zu müssen durch Aufklärung
. Was wußten wir aber über die Lage der Arbeiter unterm Kapitalismus, daß wir sie
hätten aufklären können? Nichts. Deshalb nutzten wir zufällige persönliche
Bekanntschaften mit Arbeitern, knüpften neue, sammelten einige der Arbeiter in den ersten
Basisgruppen und versuchten, auf Flugblättern unser "Wissen" in ihre
"manipulierte" Sprache zu übersetzen. Wir wollten die Arbeiter für unsere
Revolte gegen die Konsumgesellschaft und ihren Polizeiterror modeln.
6. Was ist die Rolle der Intellektuellen als Revolutionäre?
"Es werden durch den Fortschritt der Industrie ganze Bestandteile der
herrschenden Klasse ins Proletariat hinabgeworfen oder wenigstens in ihren
Lebensbedingungen bedroht. " "Ein Teil der Bourgeoisie geht zum Proletariat
über und namentlich ein Teil der Bourgeoisideologen, welche zum theoretischen
Verständnis der ganzen geschichtlichen Bewegung sich hinaufgearbeitet haben. "
(Marx-Engels: Kommunistisches Manifest)
Diese objektiven Bedingungen der Proletarisierung der intellektuellen Lohnarbeiter
genügen nicht, um die Intellektuellen ihre Aufgaben innerhalb jeder revolutionären Phase
erkennen zu lassen. Wir müssen unsere kleinbürgerliche Verachtung des Proletariats und
unseren intellektuellen Hochmut kritisieren und zerstören. Das Proletariat ist nicht
unser Gehilfe auf dem Weg zur Revolution. Die Diktatur des Proletariats ist nicht die
Diktatur der Intellektuellen über das Proletariat. Wenn wir revolutionäre Intellektuelle
sein wollen, müssen wir dem Proletariat dienen.
Was heißt das?
Die Intellektuellen haben im noch nicht entfalteten Klassenkampf die Aufgabe, sich mit
Hilfe der Arbeiterklasse umzuerziehen und sich gemeinsam mit den Proletariern die Theorie
und Praxis der Marxismus-Leninismus und der Mao-Tse-Tung-Ideen anzueignen, um daraus
Lehren für die Führung des Kampfes zu ziehen. Die Intellektuellen haben die Aufgabe,
ihre Produktivkraft den Interessen des Kapitals zu entziehen und sie dem Proletariat
dienstbar zu machen, d. h. sie müssen ihr Wissen und ihre Fähigkeiten in der dem
Klassenkampf angemessenen Form vergesellschaften. Sie müssen die Theorie des Proletariats
Vermassen durch die Schulung. Durch Schulung wird die Theorie Bestandteil, später Waffe
im Klassenkampf, indem sie die ideologische Grundlage für die Organisierung des
Proletariats zur Klasse schafft, indem sie der Arbeiterklasse ihre geschichtliche Aufgabe
bewußt macht, indem sie schließlich die Arbeiterklasse in die Lage versetzt, in allen
Bereichen der geschichtlichen Entwicklung die Führung zu übernehmen.
II. WARUM MÜSSEN WIR DIE PROLETARIERINNEN ORGANISIEREN?,
Weil es der nächste Zweck der Kommunisten ist, das Proletariat zur Klasse zu bilden,
(s. Kommunistisches Manifest, 58)
Aus dem Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital ergibt sich die Konkurrenz der Arbeiter
untereinander. Die Folge davon ist die Spaltung des Proletariats in miteinander
konkurrierende Parteiungen. Diese Parteiungen sind: Arbeiter und Arbeitslose, Lehrlinge
und der übrige Teil des arbeitenden Proletariats, Facharbeiter und Hilfsarbeiter
(Lehrlinge), Arbeiterinnen und Arbeiter, ausländische Arbeiter und deutsche Arbeiter,
nicht arbeitende Proletarierinnen und Arbeiterinnen, qualifizierte und dequalifizierte
Arbeiter und Arbeiterinnen, Arbeitskinder und erwachsene Proletarier und Proletarierinnen.
Diese Parteiungen verhalten sich in unterschiedlichen Graden widersprüchlich zueinander.
Die Kommunisten müssen das Proletariat zur einheitlichen Klasse zusammenschweißen, d. h.
das Proletariat dazu führen, in kämpferischer Solidarität die Konkurrenz zwischen den
Parteiungen des Proletariats zu überwinden. Verschiedene Parteiungen des Proletariats
sind bereits geeint: in der Familie. Die Familie eint das Proletariat im Interesse der
Stabilisierung der Konkurrenz. Die Familie bietet dem Kapitalisten die Möglichkeit,
seinen Profit zu maximieren. Der Lohn des Arbeiters kann gesenkt werden mit der Folge,
daß weitere Mitglieder der Reproduktionsgemeinschaft Familie sich verkaufen müssen.
Damit gerät der Arbeiter in Konkurrenz zur Arbeiterin, die für einen geringeren Lohn als
er arbeiten muß, damit gerät die Arbeiterin in Konkurrenz zur proletarischen Hausfrau.
Sind die Arbeiterinnen Lohndrückerinnen für die Arbeiter, so sind die Ehefrauen der
Arbeiter Lohndrückerumen für die Arbeiterinnen.
Die ursprüngliche Funktion der Familie als Produktionsgemeinschaft (z. B. die
bäuerliche und handwerkliche Produktionsgemeinschaft) ist zerstört. Die Familie als
Reproduktionsgemeinschaft, d. h. die einzige Funktion, die die Familie für das
Proletariat je hatte, kann im Kapitalismus nicht aufgelöst werden. Der Kapitalismus
braucht die Familie als materielle Interessengemeinschaft. Er sichert sie ab z. B. durch
ein Rechts- , Versicherungs-, Steuer- und Krankenkassenwesen, das es dem Proletariat
unmöglich macht, unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen die Familie aufzuheben.
Die Familienideologie kann ihre Wirkung auf das Proletariat tun, weil der Kapitalismus
interessiert daran ist, proletarische Familien zu erhalten, in denen nicht alle Mitglieder
in den Produktionsprozeß eingegliedert sind. Wenn die Proletarierin nicht arbeitet,
besteht zwischen ihr und dem Arbeiter eine vom Kapitalismus als naturwüchsig
interpretierte Arbeitsteilung. Diese Interpretation hilft die tatsächlich durch den
ökonomischen Zwang zur Familie aufrechterhaltene Konkurrenzsituation zu verschleiern.
Warum ist der Kapitalismus daran interessiert, solche kleinbürgerlichen proletarischen
Familien aufrechtzuerhalten? Weil die proletarischen Hausfrauen ein Teil der industriellen
Reservearmee sind.
Es kommt darauf an, daß die Arbeiterinnen, die proletarischer Hausfrauen und die
Arbeiter erkennen, daß es nur ein Interesse des ganzen Proletariats geben kann: den Kampf
gegen den Kapitalismus gemeinsam aufzunehmen.
III. WIE KÖNNEN WIR DIE PROLETARIERINNEN ORGANISIEREN -UND WO ?
Überall dort, wo die Proletarierinnen sind, muß unsere Agitation und Propaganda sie
erreichen. Durch Agitation und Propaganda muß bei den Proletarierinnen die Motivation zur
Schulung und Organisierung erzeugt werden. Mit der Schulung beginnt die Organisierung.
Unsere Agitation und Propaganda setzt unsere eigene Schulung voraus. Unsere Schulung
muß organisiert beginnen. Dieser dialektische Dreischritt von Agitation und Propaganda,
Schulung und Organisierung ist nur zentralisiert möglich. Der Prozeß der Zentralisierung
unserer politischen Arbeit ist sein Hauptmoment.
l. AGITATION UND PROPAGANDA
Wir haben bei unserer Agitation vor allem in den Betrieben die Erfahrung gemacht, daß
wir nicht notwendig die politisch bewußtesten Arbeiter und Arbeiterinnen erreichten,
sondern in jedem Fall die kontaktfreudigsten. Wir haben diese Arbeiter und Arbeiterinnen
in unsere Betriebsgruppen mitgenommen und vielfach ein freundschaftliches Verhältnis zu
ihnen gewonnen. Das positive Moment der individuellen Agitation ist zugleich sein
gefährliches. Positiv und unabdingbar ist, daß in der individuellen Agitation ein Stück
der Entfremdung zwischen den Arbeitern aufgebrochen wird. Das Mindestmaß an Vertrauen,
das Grundlage der gemeinsamen politischen Arbeit ist, kann nur so hergestellt werden.
Solange aber die Betriebsgruppen isoliert voneinander bestehen oder nicht mehr als
Informationsaustausch zwischen ihnen betrieben wird und solange der politische Inhalt der
individuellen Agitation diffus oder nicht kontrollierbar ist, solange droht das, was in
der individuellen Überzeugungsarbeit als Grundlage der politischen Arbeit erzeugt wird,
zum Hauptgegenstand der Betriebsgruppenarbeit zu werden. Das Betriebsgruppenleben, das
dann entsteht, ist gegengesellschaftlich, fällt der illusionären Freiraumpraxis anheim.
Voraussetzung für unsere richtige politische Arbeit ist deshalb, daß sie zentralisiert,
und das heißt kontrolliert geschieht.
Aber genügt es, daß unsere Betriebskader durch einheitliche Schulung und durch
Kontrolle ihrer Arbeit zu besseren Agitatoren werden? Nein. Die Agitatoren in den
Betrieben müssen durch Propaganda von außen unterstützt werden. Haben wir eine solche
Propaganda bisher schon betrieben? Nein. Wir haben Flugblätter gemacht und
Betriebszeitungen. Unsere Flugblätter und Betriebszeitungen waren Herbstblätter im Winde
und keine Samenkörner, denn sie waren ungeplant, reaktiv und geschichtslos. Unsere
Flugblätter und Betriebszeitungen waren nicht offen und nicht offensiv, sie haben keine
Lernprozesse initiieren können. Unsere Flugblätter und Betriebszeitungen waren keine
zentral organisierte Vermassung eines einheitlichen politischen Inhalts. Deshalb waren sie
keine Propaganda.
Von Beginn unserer Arbeit an müsssen Agitation und Propaganda einander ergänzen. Denn
Agitation »Hein hat einen zu hohen Grad an Zufälligkeit und Individualität. In der
ersten Etappe unserer Arbeit wird die Agitation noch Schwerpunkt haben müssen und die
Propaganda wenige erreichen. Gerade diese wenigen, die durch die Propaganda und nicht in
erster Linie durch die Agitation erreicht werden, werden wichtig sein am Anfang, da sie
ein relativ hohes Maß an Entschlossenheit und den Willen, nicht mehr allein, sondern
organisiert zu kämpfen, schon mitbringen. Bei ihnen wird die Motivation zur Schulung am
stärksten sein.
Wo werden wir agitieren?
Überall dort, wo das Proletariat ist: in den Betrieben, in den Wohnvierteln, in den
Kneipen, auf den Spiel- und Sportplätzen, in den Krankenhäusern.
Propaganda werden wir machen in einem Massenblatt, in Kinoveranstaltungen und auf
proletarischen Kongressen. Was muß der Inhalt unserer Agitation und Propaganda sein? Wir
müssen bei der Beantwortung dieser Frage eine unserer wesentlichsten Erfahrungen aus der
Betriebsgruppenarbeit berücksichtigen: es geht nicht darum, den Arbeitern und
Arbeiterinnen ihre beschissene Situation in Agitation und Propaganda noch einmal plastisch
zu verdeutlichen. Wir können davon ausgehen, daß die Proletarier ihre Situation besser
kennen als wir. Aufgabe, unserer Agitation und Propaganda ist es, den Kampf des
Proletariats zu unterstützen. Was heißt das? Es kann nicht heißen, daß wir die
Arbeiter dadurch für ihre Arbeitskämpfe stählen, indem wir sie vorrangig mit Details
von Konzernstrategien bekannt machen, indem wir vorrangig die Einzelheiten der
Unterdrückungsmaschinerie aufdecken. Beschränken wir unsere Agitation und Propaganda dem
Inhalt nach auf Informationen über die Taktik des Kapitals, dann unterstützen wir die
Arbeitskämpfe nicht wirklich, sondern machen sie lediglich überschaubarer. Aufgabe
unserer Agitation und Propaganda muß es sein, vorrangig den Trade-Unionismus zu
durchbrechen. Denn "Trade-Unionismus bedeutet ... ideologische Versklavung der
Arbeiter durch die Bourgeoisie." "Das politische Klassenbewußtsein kann den
Arbeitern nur von außen gebracht werden, d. h. aus einem Bereich außerhalb des
ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und
Unternehmern. Das Gebiet, aus dem dieses Wissen geschöpft werden kann, sind die
Beziehungen aller Klassen und Schichten zum Staat und zur Regierung, sind die
Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen."(Lenin, Was tun)
Inhalt unserer Agitation und Propaganda muß die ideologische Erziehung des
Proletariats zur Klasse sein. Das Proletariat wird Klasse für sich nur werden können,
wenn es lernt, mit den Wechselbeziehungen zwischen sämtlichen Klassen so umzugehen, daß
sie seinem Kampf dienen. Sein Kampf aber zielt nicht ab auf einen Putsch im ökonomischen
Bereich, erschöpft sich also nicht in Fabrikbesetzungen, sondern steuert hin auf die
Umwälzung der ganzen Gesellschaft. Deshalb muß Inhalt unserer Agitation und Propaganda
außerdem sein: ideologische Erziehung der Arbeiterklasse zum Sozialismus.
Was heißt das konkret?
Die Agitation und Propaganda unterstützt die Aufhebung der Konkurrenz zwischen den
Parteiungen des Proletariats. Ihr Inhalt beantwortet immer wieder die Frage "wie
wächst das Proletariat zur kämpferischen Klasse zusammen?" durch Beispiele des
solidarischen Kampfes von Proletariern und Proletarierinnen. Wir propagieren die
Übernahme von Parolen der Arbeiterinnen und Jungarbeiter (z. B. Forderung nach 500 DM
Lehrlingsgehalt) durch das gesamte Proletariat. Wir beschreiben und propagieren den
Zusammenhang z. B. zwischen dem Kindergärtnerinnen-Streik und dem BVG-Streik in Berlin.
Wir propagieren den proletarischen Internationalismus: der glorreiche Kampf der
Chinesinnen, .Vietnamesinnen, Palästinenserinnen, Black Pantherinnen wird die
Proletarierinnen ermutigen, ihrem Beispiel zu folgen.
2. SCHULUNG
Die Grundschulung, zu der wir in unserer Agitation und Propaganda die Proletarierinnen
motivieren wollen, wird der erste Schritt zu ihrer Organisierung sein. Warum? Weil sie
dieselbe sein muß für alle Parteiungen des Proletariats. Sie muß einheitlich sein und
zentral organisiert. Die Grundschulung wird durchgeführt an klassischen Texten, die von
Marx über Lenin bis Mao eine einheitliche politische Linie aufweisen. Es geht darum, die
Prinzipien dieser Linie sich anzueignen, sie zu instrumentalisieren für den Kampf des
deutschen Proletariats. Nur auf diese Weise wird das Proletariat die seinem Kampf
angemessene, aus ihm entwickelte und ihn weitertreibende Theorie als eine seiner Waffen
bilden können. Welches sind die Prinzipien, die bei der Aufarbeitung der Kampferfahrungen
dem deutschen Proletariat als Kriterien dienen können?
Erstes Prinzip:
Der Grundwiderspruch des Kapitalismus als die grundlegende proletarische Erkenntnis.
Zweites Prinzip:
Die Diktatur des Proletariats muß mit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates
errichtet werden. Was sind die Methode zu ihrer Sicherung und Entwicklung?
Drittes Prinzip:
Das dialektische Denken als Methode des proletarischen Kampfes und die Selbsterziehung
der Massen zum sozialistischen Klassenbewußtsein.
Viertes Prinzip:
Kampf dem Revisionismus als Prüfstein der ersten drei Prinzipien. In der
Aufbauschulung wird von den Kadern das erarbeitet werden, was Inhalt der Agitation und
Propaganda sein wird. Es wird geleistet werden müssen eine kommunistische Kritik an den
revisionistischen Parteien; zweitens das Studium der Geschichte der Arbeiterbewegung, um
aus ihren Fehlern und aus ihren Siegen zu lernen; drittens das Studium der Geschichte der
Organisierung der Proletarierinnen, die Analyse des internationalen glorreichen Kampfes
der Frauen der unterdrückten Völker, das Studium der matriarchalischen Gesellschaft.
Einige der Proletarierinnen, die sich schulen werden, werden zur Unterbringung ihrer
Kinder einen Kindergarten brauchen. Dieser Kindergarten wird Beginn einer
Kinderorganisation sein, mit deren Aufbau aber nicht die Proletarierinnen primär betraut
werden. Dieser Kindergarten wird nicht betriebsspezifisch sein, sondern mitten im Wedding
liegen. Er wird ein Kinderhaus sein und eine Vielfalt von Organisierungen der Kinder in
weiteren Kinderhäusern, Schülerläden usw. nach sich ziehen. Auf den Aufbau dieser
proletarischen Kinderorganisation bereiten wir uns vor.
3. ORGANISIERUNG
Zentrale Organisierung kann nicht heißen Koordination der bestehenden arbeitenden
Gruppen. Zentrale Organisierung heißt die Anstrengung auf sich zu nehmen, eine
kampffähige und ideologisch gefestigte proletarische Organisation in allen proletarischen
Bereichen zu bilden.
Im Augenblick ist eine Gruppe von Arbeiterinnen, Arbeitern, Hausfrauen, Studenten und
Studentinnen dabei, sich auf die zur Erfüllung dieses Programms notwendigen Aufgaben
vorzubereiten. Die Selbstschulung dieser Gruppe umfaßt das hier beschriebene von ihr
entwickelte Grundschulungs- und Aufbauschulungsprogramm. Oberstes Prinzip dieser
Selbstschulungsarbeit ist "von den Massen lernen".
Die Aufgaben, die von daher der Gruppe sich stellen, sind:
1. um Marxisten-Leninisten erst werden zu können, Erarbeitung einer Kritik und
Selbstkritik der bisher von ihr betriebenen Praxis in den Betriebsgruppen, Frauengruppen
und Kinderläden.
2. Hand in Hand damit die Entwicklung und Konkretisierung des hier vorgelegten
Programms, d. h. vor allem Vorbereitung der Agitation und des für uns völlig neuen
Arbeitsfeldes der Propaganda. Das Prinzip "von den Massen lernen, in die Massen
tragen, aus den Massen schöpfen" kommt in dieser ersten Etappe unserer Arbeit so zur
Anwendung, daß wir überall dort, wo die Proletarierinnen sind, also auch in den
Betrieben, kontrollierte Agitation betreiben nicht zum Zwecke einer Massenorganisierung zu
diesem Zeitpunkt bereits, sondern um Analysen und Erfahrungen in der richtigen
Argumentation machen zu können, auf denen unsere Propaganda dann aufbauen wird.
3. Sammlung und politische Zentralisierung aller Kräfte, die jetzt schon in der
Richtung unseres Programms arbeiten, und zwar auf regionaler und nationaler Ebene. |